Neue psychoaktive Substanzen (NPS): Spezifische Risiken und Prävention

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Cornelia Morgenstern

Neue psychoaktive Substanzen (NPS): Spezifische Risiken und Prävention

1. Beschreibung des Phänomens Als neue psychoaktive Substanzen (NPS), in den Medien auch häufig „Legal Highs“ genannt, werden Substanzen bezeichnet, die nicht den UN-Drogenkonventionen unterliegen (Rat der Europäischen Union 2005). Es sind Substanzen, die eine Alternative oder einen Ersatz zu herkömmlichen illegalen Drogen bieten können und die in erster Linie den Vorteil haben sollen, nicht nachweisbar zu sein und einen mehr oder minder legalen Status zu haben. Mittlerweile wurden allerdings eine Vielzahl dieser sogenannten „Legal Highs“ in Deutschland in das Betäubungsmittelgesetz aufgenommen. Ein weiteres Merkmal des NPS-Phänomens ist die Verbreitung dieser Substanzen über das Internet, dazu gehört sowohl die Verfügbarkeit von Informationen über diese Substanzen in Online-Foren, Wikipedia oder Blogs als auch der Verkauf über Online-Shops. Die OnlineShops werden wiederum über Social Media wie Facebook, Twitter, Youtube und andere beworben.

Seit dem Jahr 2008, als die Räuchermischung „Spice“ (vgl. Werse / Müller 2009) in Headshops auftauchte und durch die Berichterstattung in den Medien zu einer größeren Verbreitung kam, beschäftigen sich auch Strafverfolgungsbehörden und Gesetzgeber sowie Akteure aus dem Bereich Drogenpolitik und -prävention mit NPS. Die Zahlen der Europäischen Beobachtungsstelle für Drogen und Drogensucht (EMCDDA) zu NPS klingen alarmierend: 73 neue Substanzen wurden im Jahr 2012 registriert, es wurden 693 Shops im Internet gezählt, die solche Substanzen anbieten (EMCDDA 2013) und es wird angenommen, dass es mehrere Tausend neue psychoaktive Substanzen gibt (Europäische Kommission 2013). Allerdings bleiben die Prävalenzzahlen – soweit vorhanden – eher niedrig (vgl. Werse im selben Band)

2. Spezifische Risiken Ignorieren kann man diese Substanzen sicherlich nicht, da ihr Konsum erhebliche gesundheitliche Risiken mit sich bringen kann. Dabei stehen Intoxikationen häufig in Verbindung mit Mischkonsum und falschen Dosierungen. Mischkonsum und hohe Dosierung sind dabei häufig nicht beabsichtigt, sondern beruhen auf mangelnden Informationen zu den Produkten oder auf Produktionsfehlern. Die Universitätsklinik Freiburg befasst sich mit der Datensammlung zu Notfällen in Verbindung mit dem Konsum von synthetischen Cannabinoiden (bzw. Cannabinoidmimetika): „Acute toxic symptoms associated with their use are also reported after intake of high doses of cannabis, but agitation, seizures, hypertension, emesis and hypokalaemia seem to be characteristic to the synthetic cannabinoids, which are high-affinity and high-efficacy agonists of the CB1 receptor. Thus, these effects are due probably to a strong CB1 receptor stimulation.” (Hermanns-Clausen 2013). Demnach können synthetische Cannabinoide also aufgrund ihrer Rezeptorbindung weitaus schwerwiegendere akute körperliche Auswirkungen haben als der „Originalstoff“ THC. Ähnliches dürfte auf Langzeitrisiken zutreffen, über die mangels entsprechender Daten aber bislang wenig bekannt ist.

Die EMCDDA hat zu einzelnen Substanzen bereits Risikobewertungen erstellt. Dazu gehört beispielsweise die Substanz 4-MA (4Methylamphetamin), die mit Todesfällen in Belgien, Dänemark, den Niederlanden und dem Vereinigten Königreich in Verbindung gebracht wird (EMCDDA 2014). Ein grundlegendes Risiko beim Konsum dieser Substanzen liegt in der mangelnden Erfahrung im Umgang mit ihnen und in fehlenden wissenschaftlichen Erkenntnissen über Wirkungsweisen und Langzeitfolgen des Konsums. Das eigentliche Risiko dieser Substanzen geht also von der unzureichenden Information der Konsumierenden aus (Stichwort: Risikomündigkeit).

3. Gruppen von NPS Eine Besonderheit des Phänomens der neuen psychoaktiven Substanzen ist auch das breitgefächerte Spektrum an synthetischen Substanzen, das unter diesem Begriff subsumiert wird. Die in Deutschland am weitesten verbreitete Produktgruppe der Räuchermischungen, die synthetische Cannabinoidmimetika enthalten, werden unter so kreativen Produktnamen wie Crazy Monkees, Bonzai Citrus oder Millenium Platinum in bunten Tütchen verkauft. Die synthetischen Cannabinoide, die in diesen Räuchermischungen wirken, umfassen alleine hunderte Substanzen und haben Bezeichnungen wie JWH-018, benannt nach dem Chemiker John W. Huffman, oder AM-2201, benannt nach dem Chemiker Alexandros Makriyannis. Ihre Wirkungsweise wird zum Teil ähnlich wie Cannabis beschrieben, aber von einigen Substanzen, insbesondere denen der neueren Generation, wird gesagt, dass sie von ihrer Wirkungsweise als eine „eigene Droge“ gelten können. Eine weitere große Gruppe der neuen psychoaktiven Substanzen umfasst die „Research Chemicals“, neue psychoaktive Substanzen in Reinform. Hier reicht das Spektrum der Wirkungsweise der verschiedenen Substanzen von stimulierend über halluzinogen bis sedierend. Viele dieser Substanzen wurden übrigens von Alexander Shulgin in seinen Büchern PiHKAL und TiHKAL bereits in den 90er Jahren des vergangenen Jahrhunderts beschrieben; sie erreichten eine größere Aufmerksamkeit aber erst über die Verbreitung durch das Internet zu Beginn diesen Jahrtausends. Die dritte Gruppe stellen die sogenannten „Badesalze“ oder Partypillen dar, in denen stimulierende und/ oder empathogene Stoffe enthalten sind und die als Mischungen, ähnlich wie Räucher mischungen, in bunten Tütchen verkauft werden.

4. Rechtliche Situation Die große Zahl von psychoaktiven synthetischen Substanzen führte in den vergangenen Jahren zu einer Art Wettrennen zwischen Strafverfolgung und Gesetzgebung auf der einen Seite und Händlern und Produzenten 54    von NPS auf der anderen Seite, das an das Wettrennen zwischen Hase und Igel erinnert. Während man auf der einen Seite durch Verbote und Strafen das Angebot einzudämmen versuchte, wurden auf der anderen Seite Verbote durch immer neue Substanzen, die sich häufig nur minimal von der vorhergehenden Substanz unterscheiden, umgangen. Dieses Wettrennen setzt sich bislang mit anscheinend zunehmender Geschwindigkeit fort. Ein gravierendes Problem dabei ist, dass neu auf den Markt kommende Substanzen häufig noch potenter sind als die vorangegangenen und dass man noch weniger über sie weiß. Aus diesem Grund wird auch über alternative Strategien gegenüber dem Verbot möglichst vieler Substanzen nachgedacht.

Eine alternative Strategie wird zum Beispiel in Neuseeland erprobt, indem dort gesetzliche Rahmenbedingungen für die Regulierung des Verkaufs von „Legal Highs“ geschaffen wurden (Psychoactive Substances Act 2013). Bislang unterliegen neue psychoaktive Substanzen keinen Kontrollmaßnahmen der UN. Die EU möchte zukünftig im Hinblick auf NPS schnellere Verfahren und einen abgestuften Ansatz einführen (vgl. Europäische Kommission 2013). In Deutschland werden zurzeit vorrangig immer mehr Substanzen dem BtMG unterstellt. Welche Rolle das Arzneimittelgesetz (AMG) zukünftig für NPS spielen wird, unterliegt rechtlichen Prüfungen, ebenso wie die Einführung einer Stoffgruppenregelung. Derzeit folgt man hierzulande der Rechtsauffassung, dass NPS unter den Anwendungsbereich des AMG fallen und, da sie als „bedenkliche Arzneimittel“ gelten, nicht verkauft werden dürfen; weshalb der Handel über „Headshops“ und ähnliche Geschäfte weitgehend unterbunden wurde (über ausländische Onlineshops aber ungehindert weiterläuft). Diese Rechtsauffassung ist allerdings stark umstritten und liegt derzeit dem EuGH zur Entscheidung vor (vgl. Pollähne 2013).

5. Prävention Die unüberschaubar große Anzahl von NPS bei wiederum relativ geringen Verbreitungszahlen stellen die Prävention vor spezielle  Herausforderungen: Einfache Broschüren, die über das Phänomen informieren, können nur oberflächlich und allgemein gehalten sein und sind eher an unerfahrene Neugierige oder an interessierte Fachkräfte und Eltern gerichtet. Risikominderung bei bereits Konsumierenden kann durch spezifische Beschreibungen zu den Substanzen oder auch zu Substanzgruppen erfolgen. Dazu braucht es die Voraussetzung von Websites, um entsprechende Datenmengen und Updates zu ermöglichen (z.B. legal-high-inhaltsstoffe.de; vgl. auch Erowid.org). Es müssen allerdings fortlaufend Forschungsergebnisse und Analysen von Substanzen online gestellt werden, um halbwegs aktuell und evidenzbasiert informieren zu können. Dies ist derzeit nur unzureichend möglich, da z.B. aus Rechtsgründen keine quantitativen Angaben über Inhaltsstoffe analysierter Produkte gemacht werden dürfen. Eine wichtige Rolle bei der Information der Konsumierenden spielen auch Erkenntnisse aus Drug Checking-Projekten, wie sie beispielsweise in der Schweiz durchgeführt werden (Bücheli 2012). Fachleute wie Pharmakologen, Chemiker und Mediziner sind gefragt, die zur Risikobewertung beitragen können. Dies wiederum ist aufwendig und kostspielig und ist nicht mit der Veröffentlichung einer Broschüre im Fünf-JahresRhythmus getan.

Andere Wege für ein risikominimierendes Verhalten der Konsumierenden von NPS sind nutzergenerierte Inhalte in Social Media, die von Konsumierenden weltweit zur Verfügung gestellt werden. Hier leisten Wikipedia-Einträge und Online-Foren einen wichtigen Beitrag (Werse / Morgenstern 2011). Vorteil dieser Informationswege ist zudem ihre zeitlich und räumlich nahezu unbegrenzte Verfügbarkeit, sowie die Möglichkeit, sich anonym und gleichzeitig (semi-)öffentlich auszutauschen.

6. Fazit Gerade bei dem weiten Feld der NPS ist die Risikomündigkeit der Konsumierenden von zentraler Bedeutung. Dazu ist ein möglichst freier, öffentlicher und anonymer Austausch und Zugang zu allen Informationen über die   Substanzen und Produkte notwendig. Ein umfassendes Drug Checking-Angebot würde bei NPS eine wichtige Rolle spielen, um Risiken zu vermeiden. Verbote von Substanzen und Restriktionen gegenüber Foren erhöhen das Risiko der NPS nur und gerade nationale Beschränkungen bringen hier wenig bis gar nichts. Es kommen potentere Substanzen auf den Markt, das Unwissen der Konsumierenden ist noch größer und die Suche nach einer Substanz, die noch legal und nicht nachweisbar ist, führt zu gefährlichen Ausgangsbedingungen für die Konsumierenden. Diese Erfahrungen wurden in Neuseeland bereits gemacht und die daraus notwendigen Konsequenzen wurden in der Veränderung der rechtlichen Rahmenbedingungen vollzogen, zumindest im Ansatz. Ob sich der neuseeländische Weg als erfolgversprechend zeigt, wird man abwarten müssen.

Literatur
Auwärter, V. (2011): Wovon reden wir eigentlich? Überblick über die Substanzen und ihre Wirkung; Jahrestagung der Bundesdrogenbeauftragten: Der Stoff aus dem Chemielabor. Speed, Spice & Co; Berlin,
http://www.drogenbeauftragte.de/fileadmin/dateiendba/DrogenundSucht/Illegale_Drogen/Heroin_ander e/Downloads/Auwaerter.pdf
Bücheli, A. (2012): Drug Checking und der Konsum von „Legal Highs“. Eine Zwischenbilanz nach über 15 Jahren Praxis in der Schweiz; in: Konturen. Fachzeitschrift für Sucht und soziale Fragen, 2/2012, 33. Jahrgang, Bad Orb, 28-32
Europäische Kommission 2013: Vorschlag für eine VERORDNUNG DES EUROPÄISCHEN PARLAMENTS UND DES RATES über neue psychoaktive Substanzen, Brüssel,
http://ec.europa.eu/justice/antidrugs/files/ com_2013_619_de.pdf
European Monitoring Centre for Drugs and Drug Addiction (EMCDDA) 2014: Report on the risk assessment of 4-methylamphetamine in the framework of the Council Decision on new psychoactive substance, Risk Assessments, Publications Office of the European Union, Luxembourg, http://www.emcdda.europa.eu/publications/riskassessment/4-MA
Hermanns-Clausen, M. et al. 2013: Acute toxicity due to the confirmed consumption of synthetic cannabinoids: clinical and laboratory findings; Addiction 2013 Mar;108:534-44, http://www.ncbi.nlm.nih.gov/ pubmed/22971158
Pabst, A., Kraus, L., Gomes de Matos, E. & Piontek, D. (2013). Substanzkonsum und substanzbezogene Störungen in Deutschland im Jahr 2012 [Substance use and substance use disorders in Germany in 2012]. Sucht, 59 (6), 321-331; Open Access: http://www.psycontent.com/content/946m87w0g48 12vu8/fulltext.pdf.
Psychoactive Substances Act (2013), issued by The Parliament of New Zealand, http://www.legislation.govt.nz/act/public/2013/005 3/latest/DLM5042921.html?src=qs
Pollähne, H. (2013): Legal Highs vor dem EuGH. Eine Droge ist kein Arzneimittel; in: Legal Tribune, http://www.lto.de/recht/hintergruende/h/eugh-legalhighs-amg-verkauf-strafbar/
Rat der Europäischen Union 2005: Amtsblatt der Europäischen Union. BESCHLUSS 2005/387/JI DES RATES vom 10. Mai 2005 betreffend den Informationsaustausch, die Risikobewertung und die Kontrolle bei neuen psychoaktiven Substanzen, http://eurlex.europa.eu/LexUriServ/LexUriServ.do?uri=CELEX:3 2005D0387:DE:HTML
Werse, B. / Morgenstern, C. (2011): Abschlussbericht – Online-Befragung zum Thema „Legal Highs“. Im Auftrag des Bundesministeriums für Gesundheit. Frankfurt a.M.: Goethe-Universität, Centre for Drug Research Werse, B. / Müller, O. (2009): Pilotstudie: Spice, Smoke, Sence & Co. Cannabinoidhaltige Räuchermischungen: Konsum und Konsummotivation vor dem Hintergrund sich wandelnder Gesetzgebung. Unter Mitarbeit von Christiane Bernard. Frankfurt a.M.: Goethe-Universität, Centre for Drug Research.