Hepatitis C und Drogengebrauch – über das Fehlen einer nationalen Strategie gegen Virushepatitis in Deutschland

Von Heino Stöver, Dirk Schäffer und Astrid Leicht

Die Virushepatitis ist laut WHO ein „weltweit bedeutendes Gesundheitsproblem“ (63. Weltgesundheitsversammlung der WHO 2010), Regierungen werden aufgefordert, multisektorielle nationale Strategien zur Prävention, Diagnostik und Behandlung von viralen Hepatitiden zu entwickeln und umzusetzen – basierend auf dem lokalen epidemiologischen Kontext (Global Commission on Drug Policy 2013; WHO 2014). Etwa 2 – 3 % der Weltbevölkerung (130 – 170 Millionen) hatte Kontakt mit dem Hepatitis-C-Virus (HCV). Hepatitis C breitete sich weltweit im 20. Jahrhundert insbesondere über eine parenterale Übertragung über die Ausbreitungswege „unsterile Injektionsutensilien“ und „injizierenden Drogenkonsum“ aus.

Auch in Deutschland sind ca. eine Million Menschen von einer chronischen Virushepatitis betroffen: 500.000 Menschen mit dem Hepatitis B(HBV), und fast ebenso viele mit dem Hepatitis C-Virus. Die jährlich an das RKI übermittelten HCV-Fälle bewegen sich über 5.000, die von HBV über 1.800 (RKI 2013, S. 262, 268). Die chronische Hepatitis C ist heutzutage der häufigste Grund für eine Lebertransplantation. Die Zahl der an den Folgen einer Virushepatitis verstorbenen Menschen ist hoch und wird in den nächsten Jahren massiv ansteigen.

Viele HBV/HCV-Infizierte wissen nichts von ihrer Infektion. Die Tatsache, dass viele Hepatitis Bund C-Infektionen unentdeckt bleiben, weil sie keine Symptome verursachen, verdeutlicht die Notwendigkeit, gezielt und verstärkt potentiell Betroffene zu informieren und den Zugang zur Testung, Impfung und Therapie der Virushepatitis zu verbessern (WHO 2013).

Neuinfektionen betreffen hauptsächlich intravenös Drogen applizierende Menschen. Bei mehr als der Hälfte der neu gemeldeten Fälle, bei denen Angaben zum möglichen Infektionsrisiko vorlagen, wurde intravenöser Drogenkonsum genannt. Unter intravenös Drogen Gebrauchenden ist die Hepatitis C Prävalenz mit 60 – 80% Hepatitis C-Antikörperprävalenz und über 40% chronischer Hepatitis CInfektion enorm hoch (RKI 2012). Dem steht eine sehr geringe Behandlungsquote gegenüber. Es bestehen immer noch eine Reihe von Barrieren und Vorbehalte gegenüber der Behandlung dieser Gruppe: die Angst vor ReInfizierungen, Annahmen geringer Compliance, Kostenargumente etc. Diese Barrieren müssen systematisch niedergerissen werden. Die Forschung hat gezeigt, dass die HCV-Behandlung – auch bei DrogengebraucherInnen – sicher und effektiv ist (Robaeys et al. 2013).

Darüber hinaus trägt eine erfolgreiche HCVBehandlung substanziell zur Steigerung der Lebensqualität bei (Grebely et al. 2013). Die noch vor einigen Jahren gestellte Frage: „Warum HCV-infizierte DrogenkonsumentInnen behandeln?“, muss umgekehrt werden in die Frage: „Warum erfolgt keine HCVBehandlung von injizierenden DrogenkonsumentInnen?“

Aktionsplan Virus-Hepatitis: Fehlanzeige in Deutschland
In Deutschland gelang es, auf der Grundlage eines nationalen HIV-/Aids-Aktionsplans der Bundesregierung die Inzidenz und Prävalenz von HIV bei DrogengebraucherInnen in den letzten 15 Jahren deutlich zu senken.

Im Gegensatz dazu blieben die Erfolge in der HCV-Prävention aus. Die höhere Infektiosität des Hepatitis C-Virus und die Vorbehalte der Medizin, Drogenabhängigen eine HCV-Therapie zu ermöglichen, sind dafür wesentliche Gründe. Umso wichtiger wäre eine abgestimmte nationale Strategie, die den politischen Willen, diese Situation zu verändern, deutlich macht und den Handlungsrahmen bietet. Andere europäische Länder (Frankreich, Schottland) haben schon seit vielen 57  Jahren Aktionspläne und können Erfolge in der Epidemiologie, Prävention und Therapie nachweisen. Die deutsche Politik hat offenbar vergeblich gehofft, über eine „HuckepackStrategie“ mit der HIV/AIDS-Bekämpfung auch Virushepatitiden angemessen und entsprechend bekämpfen zu können. Dies erweist sich als gesundheitspolitische Sackgasse.

Hepatitis C-Behandlung: der Quantensprung steht bevor
Neben verstärkten Anstrengungen, über zielgruppenahe Präventions-, Testund Beratungsangebote das Wissen bei DrogengebraucherInnen über Infektionswege und Möglichkeiten der Infektionsvermeidung detailliert zu informieren, muss es das vorrangige Ziel sein, das Instrument „Behandlung“ in einem solchen Umfang einzusetzen, dass es mittelfristig zu einer Reduzierung der Hepatitis CPrävalenz kommt.

Eine vielbeachtete Studie aus Großbritannien, der eine mathematische Modellrechnung zugrunde liegt, unterstreicht, dass die Prävalenz der Hepatitis C deutlich gesenkt werden kann: So kann mit einer Therapierate von jährlich 20 HCV-Therapien pro 1000 DrogengebraucherInnen innerhalb von 10 Jahren eine Reduzierung der Prävalenz um 30 Prozent erreicht werden (Martin et al. 2011). Dieses Ziel zu erreichen, ist durchaus realistisch und demnach äußerst erfolgversprechend.

Darüber hinaus hat die Hepatitis C-Behandlung mit dem Einsatz von Medikamenten, die direkt das Virus angreifen, einen Quantensprung vollzogen. Neben der Tatsache, dass die Rate der dauerhaften Viruselimination bei Genotyp 1 bei bis zu 90% liegt, wird die Therapiedauer auf 12 bzw. 24 Wochen gesenkt.

Diese verbesserten Behandlungsmöglichkeiten können ihre Wirkung nur entfalten, wenn es gelingt, Hepatologen und Gastroenterologen – also Ärzte, die die höchste Kompetenz in der Behandlung der HCV Therapie aufweisen – dazu zu bewegen, die Gruppe der Drogengebraucher/Innen zu behandeln. Ferner gilt es Suchtmediziner und aktuell substituierende Ärzte, die bereits DrogengebraucherInnen seit vielen Jahren zu ihren Patienten zählen, entsprechend fortzubilden, dass sie eine HCV Behandlung in hoher Qualität durchführen können.

Solange die Kriminalisierung Drogen Gebrauchender fortgesetzt wird und entsprechend DrogengebraucherInnen bis zu einem Viertel aller Inhaftierten ausmachen, wird die Situation in Haftanstalten eine besondere sein. Die beiden Interventionen „Spritzenvergabe“ und „Substitution“ sind seit mehr als 20 Jahren bekannte, evidenzbasierte und überaus erfolgreiche Strategien, um die HIV/AIDSund HCV-Ausbreitung in Freiheit einzudämmen. Im Setting „Haft“, in dem 15-20.000 Drogenabhängige leben (Stöver 2012), macht man davon keinen bzw. nur geringen Gebrauch. Nur wenige Zahlen verdeutlichen dies: in nur 0,5% aller Haftanstalten (um genau zu sein: in einer) erfolgt eine Infektionsprophylaxe einschließlich eines Spritzentausches, nur 10% aller inhaftierten Drogenkonsument/innen befinden sich in einem Opiatsubstitutionsprogramm (im Gegensatz zu 40 bis 50% in Freiheit).

Strategiegruppe „Virushepatitis“: Ein deutscher „Aktionsplan Virushepatitis“ liegt vor
Im Jahr 2011 haben sich das Aktionsbündnis „Hepatitis und Drogengebrauch“ (vertreten durch DAH, Akzept, JES, Bundesverband der Eltern und Angehörigen für akzeptierende Drogenarbeit, Deutsche Gesellschaft für Suchtmedizin), die Deutsche Leberhilfe und die Deutsche Leberstiftung zusammengefunden, um gemeinsam einen Aktionsplan für eine nationale Strategie gegen Virushepatitis in Deutschland“ zu entwerfen. Dieser wurde im Juli 2013 der Öffentlichkeit vorgestellt. Er dient als Grundlage zur Verbesserung der Situation HBV/HCV-Infizierter (Aktionsbündnis „Hepatitis und Drogengebrauch“ et al. 2013).
Den Aktionsplan haben die Fachund Betroffenenverbände „von unten“ entwickelt, weil eben nach über 20-jähriger Thematisierung der Verbreitung, Prävention und  Therapie der Virushepatitiden und der Einforderung einer erhöhten Aufmerksamkeit und zielgerichteter Aktivitäten wenig passiert ist. Zwar hat das Bundesministerium für Gesundheit für die Zielgruppe der i.v. DrogenkonsumentInnen beispielsweise mehrere Fachkonferenzen und ein Handbuch „Hepatitis C und Drogengebrauch“ (Aktionsbündnis 2013) finanziert, ohne allerdings die Versorgungsengpässe in Testung, Prävention, Beratung und Therapie substanziell anzugehen.

Der „Aktionsplan für eine nationale Strategie gegen Virushepatitis in Deutschland“ versteht sich als ein inhaltlicher Rahmen und eine Aufforderung an die Politik und Fachverwaltung, die Herausforderung „Virushepatitis“ anzunehmen. Vorrangig gilt es hierbei:
– die zielgruppenspezifische Information und Aufklärung zu intensivieren,
– szenenahe Beratungsund Testangebote zu erweitern,
– die Realisierung von HAV-/ HBV Impfkampagnen entsprechend der STIKO 41 Indikation und
– eine Strategie gegen Virushepatitis in das „Public-Health-Konzept“, als Teil einer sozialen und politischen Strategie, einzubinden.

Am Ende macht der Aktionsplan auch klare Angaben zur Umsetzung der Maßnahmen – angelehnt an Task-Force-Strukturen in den Ländern, in denen HCV-Bekämpfungspläne bereits erfolgreich durchgeführt wurden.

Im Laufe des Jahres 2014 sollte die Umsetzung des „Aktionsplans Virushepatitis“ Gestalt annehmen!

41 STIKO: ständige Impfkommission

Literatur
Aktionsbündnis „Hepatitis und Drogengebrauch (2013): Hepatitis C und Drogengebrauch. Grundlagen, Therapie, Prävention, Betreuung und Recht. Berlin 3. Auflage, http://www.akzept.org/hepatitis_c_fachtag/aktionsb undnis/pdf_13/handbuch_hepatitis_280613.pdf
Aktionsbündnis „Hepatitis und Drogengebrauch“, Deutsche Leberhilfe e.V., Deutsche Leberstiftung (2013): Aktionsplan für eine nationale Strategie gegen Virushepatitis in Deutschland. Hannover, Juli 2013 http://www.deutscheleberstiftung.de/aktuelles/aktionsplan/
Global Commission on Drug Policy (2013): The Negative Impact Of The War On Drugs On Public health: the Hidden Hepatitis C Epidemic. Report of the Global Commission on Drug Policy. www.globalcommissionondrugs.org
Grebely, J. et al. (2013): Moving the Agenda Forward: the Prevention and Management of Hepatitis C Virus Infection Among People Who Inject Drugs. CID 2013: 57, S 29-38
Martin, N.K., Vickerman, P., Foster, G.R., Hutchinson, S., Goldberg, D., & Hickman, M. (2011): Can Antiviral Therapy for Hepatitis C Reduce the Prevalence of HCV Among Injecting Drug User Populations? A Modelling Analysis of its Prevention Utility. J Hep. 54(6):1137-44.
RKI (2012): Epidemiologisches Bulletin. 20. August 2012 / Nr. 33 RKI (2013): Epidemiologisches Bulletin. 29. Juli 2013 Nr.30