Archiv der Kategorie: C I Schwerpunkte der Drogen und Suchtpolitik

Berufliche Teilhabe suchtkranker Menschen in der Krise

Von Olaf Schmitz

Infolge der Einführung des SGB II (Sozialgesetzbuch, zweites Buch) im Jahr 2005 wurden verschiedene Instrumente für Langzeitarbeitslose implementiert, die vor allem arbeitsmarktfernen Personengruppen mit mehrfachen Vermittlungshemmnissen einen Weg in Beschäftigung und Qualifizierung ebnen sollten. Die Möglichkeiten zur Schaffung von Arbeitsgelegenheiten mit Mehraufwandsentschädigung (AGH MAE) nach § 16d SGB II (sog. „1-Euro-Jobs“) sowie von Arbeitsplätzen, die mit einem Beschäftigungszuschuss nach § 16e SGB II gefördert wurden, versetzten viele Einrichtungen der Suchthilfe und der Beschäftigungsförderung (erstmals) in die Lage, in größerem Umfang Arbeitsprojekte und Beschäftigungsmöglichkeiten für abhängigkeitskranke Menschen einzurichten, die ein Durchbrechen der Spirale suchtbedingter und -begleitender Ausgrenzungseffekte vom Arbeitsmarkt ermöglichten und so zur persönlichen Stabilisierung und Weiterentwicklung der TeilnehmerInnen beitragen.

Die Bandbreite der neu entstandenen Beschäftigungsmöglichkeiten für Abhängigkeitskranke war dabei ausgesprochen vielfältig. Sie reicht von unterstützenden Arbeiten in hauswirtschaftlichen oder haustechnischen Bereichen von Suchthilfeeinrichtungen, wodurch die Angebotsqualität und -quantität häufig spürbar verbessert wurde, über umfangreiche qualifizierende und tagesstrukturierende Maßnahmen mit verschiedensten Arbeitsbereichen bis hin zu unterschiedlichsten Projekten zur Verbesserung kommunaler oder regionaler Infrastruktur mit spürbarem Nutzen für die Allgemeinheit.
Ergänzt wurden diese meist niedrigschwelligen Beschäftigungsmöglichkeiten durch die öffentliche Förderung längerfristiger sozialversicherungspflichtiger Beschäftigung, die die Einrichtung neuer Arbeitsplätze in sozialen Einrichtungen oder eine Vermittlung in Betriebe des allgemeinen Arbeitsmarktes ermöglichte.
Die positiven Auswirkungen und Potenziale dieses Ausbaus von Beschäftigungsmöglichkeiten und einer stärkeren Fokussierung auch auf die berufliche Teilhabe suchtkranker Menschen haben sich dabei in den letzten Jahren eindeutig erwiesen:
Häufig trägt eine sinnstiftende Beschäftigung dazu bei, eine erreichte Abstinenz zu festigen bzw. Alkoholund/ oder Drogenkonsum erheblich zu reduzieren. Eine Stabilisierung der psychosozialen Situation kann oftmals durch begleitende Beratungsund Betreuungsangebote erreicht werden: Allgemeine und arbeitsmarktbezogene Schlüsselqualifikationen werden verbessert, Straffälligkeit wird vermieden oder Schuldenproblematiken können reguliert werden. Beschäftigungsangebote, die vorhandene psychische oder somatische Beeinträchtigungen berücksichtigen und angemessene Anforderungen an die Beschäftigten stellen, tragen oftmals zu einer Steigerung der Leistungsfähigkeit, einer Verbesserung des Gesundheitszustands sowie zu einer Stärkung des Selbstwertgefühls und der Selbstregulierungspotenziale für eine persönliche Weiterentwicklung bei. Weiterbildende und qualifizierende Elemente sowie eine aktive und integrierte Auseinandersetzung mit beruflichen und psychosozialen Entwicklungsperspektiven sind notwendige Schritte auf dem Weg in eine längerfristige soziale und berufliche Integration und Teilhabe am gesellschaftlichen Leben.

Die Erfahrungen und Erfolge dieser Maßnahmen sprechen also eigentlich deutlich dafür, Beschäftigungsangebote für Suchtkranke flächendeckend in Deutschland auszubauen und die in den letzten Jahren gewachsenen Strukturen weiterzuentwickeln oder zumindest den Bestand zu sichern. Stattdessen sind viele dieser Maßnahmen seit Beginn 2011 durch massive Einschnitte bei den Eingliederungsleistungen für erwerbsfähige Hilfebedürftige nach dem SGB II sowie durch die 2012 in Kraft getretene Instrumentenreform durch das „Gesetz zur Leistungssteigerung der arbeitsmarktpolitischen Instrumente“ in ihrem Bestand bedroht oder mussten bereits eingestellt werden.
Die folgenden Zahlen belegen eindrucksvoll die Dimension der Sparpolitik der letzten Jahre im Bereich beschäftigungspolitischer Instrumente: 2010 wurden den Jobcentern bundesweit noch 6,6 Milliarden Euro für „Leistungen zur Eingliederung nach dem SGB II“ zugewiesen, seitdem aber bis 2013 sukzessive um 41 % auf 3,9 Mrd. Euro reduziert. Die Zahl der AGH MAE-Plätze wurden von Februar 2010 bis Februar 2014 um 71 % zusammengestrichen (02/2010: 288.253 Plätze, 02/2014: 84.109 Plätze), mit Lohnkostenzuschüssen nach § 16e SGB II geförderte Arbeitsplätze gar um über 80 % (von 42.286 Plätzen im Februar 2010 auf 8.152 Plätze im Februar 2014). Vergleichsweise glimpflich betroffen waren Qualifizierungsmaßnahmen mit einer Bestandsreduzierung von 33 % 53 .
Längst nicht allen Trägern ist es möglich, auf dem Hintergrund sich verringernder Förderungen zumindest „abgespeckte“ Arbeitsangebote aufrechtzuerhalten. Personelle und qualitative Einschränkungen erschweren es dabei immer mehr, den spezifischen und multiplen Bedarfen der Zielgruppe abhängigkeitskranker Menschen gerecht zu werden.

Eine im November 2013 durchgeführte telefonische Befragung von insgesamt 16 Trägern in NRW (Schmitz 2013) 54 , die nach Einführung des SGB II Anfang 2005 Arbeitsprojekte für Suchtkranke aufgebaut bzw. unterhalten haben, verdeutlicht die flächendeckenden Auswirkungen der Sparpolitik seit 2010: 4 befragte Träger haben ihre Beschäftigungsangebote vollständig eingestellt, weitere 7 Träger berichteten von Kürzungen der Teilnehmerplätze (insgesamt sind bei allen 16 Trägern von ursprünglich 449 Plätzen mehr als 100 weggebrochen, eine Reduzierung um 22,5 %) und z.T. erheblichen Einbußen bei der finanziellen Ausstattung der Maßnahmen; lediglich 5 Träger gaben an, keine nennenswerten Einbußen gehabt zu haben.

Dass diese Erhebung für das Bundesgebiet nicht repräsentativ sein dürfte und die Einschnitte von Beschäftigungsangeboten auch für die Personengruppe abhängigkeitskranker Menschen wahrscheinlich insgesamt noch drastischer ausfallen, zeigt die jüngst erschienene Längsschnittumfrage zur Arbeitsmarktpolitik des Deutschen Paritätischen Wohlfahrtsverbandes unter seinen Mitgliedseinrichtungen: „In den vier Untersuchungsjahren ist bei den in der Arbeitsförderung tätigen Mitgliedsorganisationen die Zahl ihrer Teilnehmer um insgesamt 49 Prozent reduziert worden. Am stärksten sind die Verluste bei den Arbeitsgelegenheiten, die in zwei Jahren um zwei Drittel verringert wurden.“ 55 Wie wichtig es indes wäre, gerade suchtkranken Personen eine Beschäftigungsperspektive zu bieten, „zeigt die ARA-Studie (Henkel, Zemlin 2004-2008), wonach unter Bedingungen von Arbeitslosigkeit 35% der Alkoholabhängigen bereits im ersten Monat nach einer Suchtrehabilitation rückfällig wurden, hingegen nur 19% unter Bedingungen von Erwerbstätigkeit. Umso dringlicher wäre daher wenigstens die nahtlose Vermittlung in arbeitsmarktpolitische Beschäftigungsund Qualifizierungsmaßnahmen (z.B. „1-Euro-Jobs“, berufliche Weiterbildung).“ 56
Doch die Auswirkungen sind nicht nur quantitativer Natur: Durch das im April 2012 in Kraft getretene „Gesetz zur Leistungssteigerung der arbeitsmarktpolitischen Instrumente“ haben sich Förderbedingungen für Beschäftigungsträger und Leistungsempfänger zusätzlich verschlechtert: Während Arbeitsgelegenheiten mit Mehraufwandsentschädigung vor der Instrumentenreform angemessene Qualifizierungsund Betreuungselemente enthalten konnten und sollten, ist seitdem eine ausschließliche Beschäftigung vorgesehen und förderungsfähig. Für suchtkranke Menschen mit ihren oftmals multiplen Problemlagen fallen somit Fördermöglichkeiten für Unterstützungsangebote weg, die für eine erfolgversprechende Teilnahme an den Beschäftigungsangeboten oftmals unabdinglich sind. Im besten Falle werden diese dann von den (Suchthilfe-) Trägern noch nebenher vom vorhandenen Personal erbracht oder sie entfallen gänzlich.
Um (in Ergänzung zur Beschäftigung in AGH MAE) Qualifizierungsangebote für die oftmals sehr gering qualifizierten Teilnehmenden in Arbeitsprojekten anbieten und notwendige Finanzierungsmöglichkeiten nutzen zu können, müssen Beschäftigungsträger sich seit Ende 2012 einem zeitund kostenintensiven Zertifizierungsprozess nach den Qualitätsstandards der Bundesagentur für Arbeit unterziehen. Entgegen der bisherigen Praxis vieler Jobcenter, gezielt geeignete örtliche Träger über eine sogenannte freihändige Vergabe mit der Durchführung solcher zielgruppenspezifischen Maßnahmen zu beauftragen, müssen diese nun in der Regel als „Aktivierungsmaßnahmen“ gem. § 45 SGB III öffentlich ausgeschrieben werden. Alternativ können die Jobcenter ausgewählten Trägern auch über sogenannte Gutscheinverfahren Teilnehmende für Qualifizierungen zuweisen; allerdings muss auch in diesem Fall ein entsprechendes Trägerkonzept zertifiziert und die notwendige Infrastruktur vom Träger vorgehalten werden. Bleiben die geplanten Plätze unbesetzt, liegt das finanzielle Risiko ausschließlich bei dem Träger. Dass längst nicht alle Einrichtungen in der Lage und willens sind, sich diesem Aufwand zu stellen und die Kosten hierfür aufzubringen, liegt auf der Hand.
Doch auch wenn Träger in einer Kommune oder Region diese Hürden überwinden und entsprechende Angebote vorhalten, eröffnet sich durch die geänderten rechtlichen Rahmenbedingungen ein weiteres Problem: Eine neuerdings gesetzlich vorgesehene Beschränkung der Teilnahmedauer an Arbeitsgelegenheiten wie auch der Beschäftigung in bezuschussten sozialversicherungspflichtigen Arbeitsverhältnissen auf max. 24 Monate innerhalb von 5 Jahren wird außerdem zukünftig in vielen Fällen dazu führen, dass Personen, die in diesem begrenzten Zeitrahmen nicht in den ersten Arbeitsmarkt integriert werden können, weitere Beschäftigung verwehrt bleibt.
Die Erwerbsbiografien langjährig abhängigkeitskranker Menschen sind oftmals von fehlender Ausbildung, kurzen und niedrig qualifizierten Beschäftigungsverhältnissen, langen Zeiten der Arbeitslosigkeit und/oder Inhaftierungen geprägt und viele weisen durch posttraumatische Belastungsstörungen, komorbide physische oder psychische Erkrankungen sowie durch Schulden, Vorstrafen, fehlende Fahrerlaubnis etc. zusätzliche Benachteiligungen in ihrer Beschäftigungsfähigkeit auf. Deshalb braucht diese Zielgruppe oftmals eine langfristig angelegte, intensive, flexible, vernetzte und vielfältige Betreuung.

Idealerweise umfasst die Angebotspalette der Betreuung die (Wieder-) Heranführung an eine regelmäßige Tagesstruktur, an arbeitsimmanente Anforderungen und Belastungen sowie arbeitsweltorientierte Qualifizierung bis hin zur flankierenden Bearbeitung psychosozialer und gesundheitlicher Problemlagen bzw. Vermittlung in entsprechende begleitende Hilfen.

Aber auch unter solch günstigen Rahmenbedingungen wäre eine Wiedereingliederung in den ersten Arbeitsmarkt bei weitem nicht immer eine realistische Perspektive, da viele abhängigkeitskranke Personen trotzdem auch auf längere Sicht die Anforderungen des ersten Arbeitsmarktes nicht erfüllen können bzw. sie keinen Zugang zu einem passenden Arbeitsplatz erhalten. Auch für diesen Teil der Zielgruppe werden weiterhin Beschäftigungsangebote mit Qualifizierung, sozialpädagogischer Betreuung und ggf. langfristiger Beschäftigungsperspektive gebraucht. Viele Menschen mit einer Suchterkrankung brauchen aufgrund von kumulierten Problemlagen einfach mehr Zeit und vernetzte Angebote, bis eine Integration gelingen kann. Für diejenigen, für die auch längerfristig der erste Arbeitsmarkt nicht erreichbar scheint, sind diese Angebote weiterhin dringend notwendig, weil sie soziale Teilhabe sicherstellen und Behandlungsverläufe positiv beeinflussen und somit ein wichtiger Baustein in der komplexen Bearbeitung von Suchtproblemen sind. Der Wegfall solcher Möglichkeiten gefährdet dementsprechend persönliche Entwicklungsverläufe bzw. lässt positive Synergieeffekte in der Suchtbehandlung ungenutzt verstreichen. Eine Investition in solche Maßnahmen ist dementsprechend nicht nur aus arbeitsmarktorientierten, sondern zudem aus gesundheitspolitischen und humanitären Gründen sinnvoll und auch ökonomisch, da sie potenzielle Folgekosten u.a. im Justizund Gesundheitswesen reduzieren.

Angesichts der weitreichenden Bedeutung von Beschäftigungsangeboten mit Qualifizierung und begleitenden Hilfen im Rahmen der Suchtkrankenhilfe läuft die Fokussierung auf eine kurzfristige Vermittlung in den ersten Arbeitsmarkt als ausschließlichem Erfolgsmaßstab für diese Zielgruppe völlig fehl. Individuelle Ausprägungen von Krankheitsverläufen, psychosozialen Lebenslagen und beruflichem Werdegang erfordern ein differenziertes Angebot an Beschäftigungsund Qualifizierungsangeboten.

Um (noch) vorhandene Strukturen abzusichern und diese zum Nutzen der Betroffenen zu konsolidieren und weiter auszubauen, ist gerade an diesem Punkt eine aktive gemeinschaftliche Sozial-, Arbeitsmarktund Gesundheitspolitik gefordert, die eine an den spezifischen Erfordernissen Abhängigkeitskranker orientierte (Weiter-) Entwicklung geeigneter Instrumente ermöglicht. Zudem ist aktuell mehr denn je ein offenes und kreatives Zusammenwirken aller mit Angeboten zur beruflichen, sozialen und medizinischen Wiedereingliederung befassten Akteure und Fördergeber vonnöten, um vorhandene Instrumente möglichst sinnvoll, komplementär und wirtschaftlich im Sinne einer Stabilisierung und Integration der suchtkranken Menschen zu nutzen.

Schließlich ist immer wieder die Politik gefordert, rechtliche Rahmenbedingungen so zu gestalten, dass möglichst barrierefreie Schnittstellen zwischen den verschiedenen Fördermaßnahmen und Eingliederungshilfen möglich sind, um langfristig positive Entwicklungsverläufe nicht zu gefährden bzw. erst zu ermöglichen.

53 Bundesagentur für Arbeit: Der Arbeitsund Ausbildungsmarkt in Deutschland – Monatsbericht Februar 2010, Nürnberg 2010 und Monatsbericht Februar 2014, Nürnberg 2014
54 53. DHS-Fachkonferenz Sucht zum Thema: „Sucht und Arbeit“, Vortrag Olaf Schmitz (Krisenhilfe Bochum), Essen 05.11.2013
55 Der Paritätische Gesamtverband: Längsschnittumfrage zur Arbeitsmarktpolitik zwischen 2010 und 2013 Tiefgreifende Einschnitte bei der Förderung von Langzeitarbeitslosen, Berlin 2014 56 53. DHS-Fachkonferenz Sucht zum Thema: „Sucht und Arbeit“, Vortrag „Integration Suchtkranker in Arbeit Stagnation auf niedrigem Niveau“, Prof. Dr. Dieter Henkel (Fachhochschule Frankfurt a.M.), Essen 04.11.2013

Der Einsatz von Naloxon durch geschulte Laien

Von Kerstin Dettmer

Naloxon
Der schnellste spezifische Weg, eine opiatbedingte Atemdepression zu beseitigen, ist die Injektion des Opiatantagonisten Naloxon (Handelsname Narcanti®). Dieser wird bereits seit mehr als 40 Jahren zur Behandlung von Opiatüberdosierungen eingesetzt. Naloxon kann innerhalb weniger Minuten lebensbedrohliche Effekte wie Atemlähmung, Hypoxie, Bewusstlosigkeit und Blutdruckabfall aufheben. In höheren Dosierungen kann Naloxon einen Entzug auslösen. Eine Überdosierung ist nicht möglich. Nebenwirkungen wie Herzrhythmusstörungen und Lungenödem sind sehr, sehr selten. Naloxon ist in Deutschland nur in Ampullen verfügbar, die eigentliche Darreichungsform eine intravenöse, intramuskuläre oder subkutane Injektion. Es kann jedoch auch mittels eines Nasalzerstäubers in die Nase gespritzt werden. Der Nasalzerstäuber wird, nachdem Naloxon in eine Spritze aufgezogen wurde, auf diese gesetzt. Er verteilt das Medikament beim Spritzen durch feine Düsen, so dass eine optimale Resorption über die Schleimhaut erfolgen kann. Die Halbwertzeit von Naloxon liegt zwischen 30 und 80 Minuten, sie ist damit deutlich kürzer als die der gebräuchlichen Opiate. So kann eine vorübergehende Bewusstseinsaufklarung nach erfolgter Naloxoninjektion täuschen. Ein erneuter Atembzw. Kreislaufstillstand droht. Dieser Zustand kann dann mit einer weiteren Naloxon-Gabe erneut behoben werden.
Naloxon ist verschreibungspflichtig, kann also von einem Arzt auf (Privat-) Rezept (Kosten für eine Ampulle: ca. 7€) verordnet werden.

Rechtliche Aspekte der Naloxonvergabe
Immer wieder werden Skepsis oder Befürchtungen von Fachleuten, die sich für die Naloxon-Abgabe interessieren, hinsichtlich der rechtlichen Problematik der NaloxonVergabe an Drogengebraucher/innen Rahmen der Laienhilfe geäußert. National und international betrachtet scheint dies einer der Haupthinderungsgründe zu sein, Naloxon in die Hände von Opiatkonsument/innen zu geben.

Naloxon ist gemäß bundesdeutschem Arzneimittelgesetz verschreibungspflichtig. Das Arzneimittelgesetz regelt nur den Verkehr (Verschreibungspflicht, Abgabe durch Apotheken etc.). Es gibt keinerlei Regelungen (und dementsprechend Einschränkungen) hinsichtlich der Anwendung.

Die Bundesärztekammer hat in einer Stellungnahme Anfang 2002 bestätigt, dass in standesrechtlicher Hinsicht keine Bedenken gegenüber einer Naloxonabgabe zum Zwecke der Laienhilfe im Drogennotfall bestehen, da aufgrund der Substanzeigenschaften und des Einsatzzweckes nicht zu befürchten ist, dass ein Arzt/ eine Ärztin der missbräuchlichen Anwendung seiner Verschreibung (§ 34 Abs. 4, Muster-Berufsordnung) Vorschub leistet. Die Verwendung des Arzneimittels ist zusätzlich beim Einsatz im Notfall durch § 34 StGB (“Rechtfertigender Notstand”) gedeckt. Der Arzt/ die Ärztin muss allerdings einer besonderen Aufklärungspflicht Genüge tun, durch die er/sie nicht dadurch entbunden wird, dass andere Institutionen Schulungsund Informationsmaßnahmen durchführen. Die Bundesärztekammer legt großen Wert auf die Auffor-derung an die Naloxon-Empfänger/innen, zusätzlich den Rettungsdienst zu alarmieren. Hat der Arzt/ die Ärztin im Einzelfall den Eindruck, dass der/ die Naloxon-Interessent/in keine Schulung bzw. Informationen anzunehmen bereit ist und/ oder den Rettungsdienst nicht informieren würde, sollte kein Naloxon verordnet werden.

Das Fazit der Stellungnahme der Bundesärztekammer ist, dass die Naloxon-Verschreibung im Rahmen von Laienhilfe gesetzlich nicht ausdrücklich geregelt ist. Es gibt jedoch keinerlei Hinweise, dass NaloxonAbgabe durch Ärzte/ Ärztinnen an Laien rechtlich problematisch sei, solange die allgemeingültigen Regelungen des Arzneimittelrechts und der ärztlichen Berufsordnung (Verschreibungs-, Apotheken-, Aufklärungsund Schulungspflicht) eingehalten werden.

In einer Stellungnahme des Bundesministeriums für Gesundheit vom August 2008 wird der Einsatz von Naloxon durch Laien wie folgt bewertet: Im Hinblick auf die Anforderungen in § 2 Abs. 1 Nr. 3 der AMVV, geht die AMVV grundsätzlich davon aus, dass die Person, für die ein Arzneimittel verschrieben wird, mit der Person identisch ist, bei der das Arzneimittel zur Anwendung kommt. Aber auch das Bundesgesundheitsministerium berücksichtigt allgemeine Rechtfertigungsgründe, die eine Ausnahmemöglichkeit rechtlich nicht ausschließen. Naloxon kann somit im Rahmen eines Notfalles ausnahmsweise bei einer anderen Person, als der, für die es verschrieben wurde, zur Anwendung gebracht werden, wenn gesundheitliche Folgen bzw. Gefahren nicht anders als durch unverzügliche Verabreichung von Naloxon abgewendet werden können.
Hingewiesen wird außerdem auf die bestehenden medizinischen und rechtlichen Risiken, die mit einer von medizinischen Laien im Notfall vorgenommenen parenteralen Applikation von Naloxon verbunden sind.

Fazit der Stellungnahme des Bundesministeriums für Gesundheit:
Die Naloxon-Verschreibung im Rahmen von Laienhilfe ist gesetzlich nicht ausdrücklich geregelt. Die bestehende Rechtslage schließt jedoch die Verabreichung von Naloxon durch qualifizierte Laienhelfer nicht aus.

Aktuell hat der DGS-Vorstand zwei gleichlautende Anfragen zu berufs-, arzneiund betäubungsmittelrechtlichen Aspekten der Naloxon-Verordnung an das BMG und an die BÄK gestellt, um eine Aktualisierung der Stellungnahmen zu erwirken.

Naloxonverschreibung in der Praxis Für die Verschreibung müssen folgende Bedingungen erfüllt werden:
– Naloxon-Empfänger/innen werden zum situationsangemessenen Verhalten im Drogennotfall und in der Anwendung von Naloxon qualifiziert.
– Die Aufklärung und Naloxon-Abgabe werden dokumentiert.
– Naloxon-Empfänger/innen müssen selbst Opiatkonsument/innen sein.

Eine Verschreibung von Naloxon an Personen, für die keine Indikation vorliegt (beispielsweise nichtkonsumierende Lebenspartner/ innen oder Sozialarbeiter/innen) ist gemäß AMVV nicht möglich. Es empfiehlt sich jedoch durchaus, Lebenspartner/innen, Familienangehörige oder Sozialarbeiter/innen in Drogenhilfe-Einrichtungen zum angemessenen Verhalten im Notfall zu schulen. Sollten diese Laienhelfer/innen im Notfall Naloxon bei überdosierten Konsument/innen finden und dieses injizieren, sind sie als Ersthelfer/in vor rechtlichen Konsequenzen geschützt. Alltagsnah ist es zudem, „Konsumgemeinschaften“ in der Anwendung von Naloxon zu schulen und allen Teilnehmer/innen Naloxon zu verschreiben. Im Idealfall hätten somit alle Opiatkonsument/innen ihr eigenes Naloxon in der Tasche und Konsumpartner/innen wüssten den Antagonisten adäquat einzusetzen.

Berliner Modellprojekt und was daraus wurde
Das Berliner Modellprojekt „Prävention von Drogennotund –todesfällen/ Erste HilfeKurse und Naloxon-Einsatz durch Drogengebraucher/innen“ von Fixpunkt e. V. (Dezember 1998 bis Dezember 2002) konnte den Beweis erbringen, dass sowohl die Schulung (Erste Hilfe-Maßnahmen im Drogennotfall) und die Vergabe von Naloxon an aktive Opiatkonsument/innen, als auch der verantwortungsbewusste Einsatz von Naloxon machbar sind. Ebenso konnte grundsätzlich nachgewiesen werden, dass Opiatkonsument/innen die notwendige Compliance im Hinblick auf die Berichterstattung nach dem Einsatz von Naloxon erbringen.

Im Anschluss an das Modellprojekt gab es keine adäquate Folgefinanzierung, so dass Drogennotfalltrainings und Naloxonverschreibung nur in sehr kleinem Umfang weiterhin angeboten werden können. Während über 100 Berichte zur Naloxonanwendung aus der Zeit des Modellprojekts vorliegen, gab es in den letzten Jahren nur noch sehr selten Rückmeldungen. Eine regelmäßige Präsenz des Projektes scheint eine wichtige Voraussetzung zu sein, um Rückmeldungen zu erhalten.

Bisher waren unsere Bemühungen weitestgehend vergeblich, Drogennotfalltrainings und Naloxonverschreibung konzeptionell und strukturell in Berlin oder gar Deutschland zu integrieren. Seit einigen Monaten gibt es allerdings vermehrt Nachfragen und auch schon konkrete Aktivitäten, diese Form der Drogentodesfallprävention in verschiedenen Settings umzusetzen.

Fazit
Naloxonvergabe an Drogengebraucher/innen, aber auch an andere potenzielle Ersthelfer/ innen ist eine in vielen Ländern erprobte und erfolgreiche Maßnahme. Naloxon kann Leben retten und Folgeschäden aufgrund einer Sauerstoffunterversorgung verhindern.
Die rechtlichen Rahmenbedingungen zur Naloxonverschreibung in Deutschland sind nicht optimal, aber es ist durchaus möglich, Opiatkonsument/innen Naloxon zu verschreiben.
Daher wäre es perspektivisch ausgesprochen wünschenswert, dass alle potenziellen Ersthelfer/innen, z. B. Freunde, Familienangehörige oder auch Polizei, über Naloxon als Notfallmedikament verfügen können.

Zur Strafverfolgung substituierender Ärzte

Von Rainer Ullmann

Der §5 der Betäubungsmittelverschreibungsverordnung (BtMVV) („Verschreiben zur Substitution“) greift weit in ärztliche Behandlungsmodalitäten ein. Verstöße gegen diese Regelungen sind nicht strafbewehrt, aber trotzdem werden viele Ärzte wegen Verstößen gegen diese nicht strafbewehrten Regelungen verurteilt. Der Bundesgerichtshof (BGH) hat in mehreren Entscheidungen diese Urteile bestätigt.
1991 hatte der BGH auf die notwendige Gesetzesbestimmtheit hingewiesen und gefordert, an die Erfüllung des Tatbestandsmerkmals „keine Begründetheit der Anwendung am oder im menschlichen Körper“ (BGH 1991) strenge Anforderungen zu stellen, damit der Arzt weiß, wann er sich beim Verschreiben von Ersatzdrogen strafbar macht. Diese Vorgabe des BGH 1991 wird in vielen aktuellen Verfahren missachtet. Es ist für juristisch nicht vorgebildete Ärzte nicht leicht zu erkennen, dass sie sich durch Verstöße gegen nicht strafbewehrte Regelungen strafbar machen. Im §5 BtMVV sind explizit als Straftaten nur 2 Tatbestände sanktioniert: der Verzicht auf das Abstinenzziel und die Verordnung anderer als der ausdrücklich zur Substitution zugelassenen Betäubungsmittel.
Beides ist medizinisch nicht begründet:
Abstinenz kann oft nicht erreicht werden und prinzipiell sind alle Opiate zur Substitution des illegalen Heroin geeignet. In anderen Ländern werden auch andere Opiate als die nach der BtMVV erlaubten erfolgreich zur Substitutionsbehandlung eingesetzt. Die Regelungen der Behandlungsmodalitäten sind dagegen nicht strafbewehrt, worauf die ehemalige Drogenbeauftragte Caspers-Merk in der Antwort auf eine Kleine Anfrage hinwies (Caspers-Merk 2007).
Wenn Ärzte nicht sorgfältig arbeiten, kann das berufsrechtlich geahndet werden. Strafrechtlich werden sonst ärztliche Behandlungsfehler nur verfolgt, wenn ein Patient geschädigt wurde. In mehreren Bundesländern werden substituierende Ärzte bei Verstößen gegen die nicht strafbewehrte Mitgaberegelung verurteilt, auch wenn ihnen keine Schädigung des Patienten oder Dritter vorgeworfen wird. Richter verzichten manchmal auf sachkundige Gutachter und begründen das Urteil dann nicht sachgerecht. So heißt es in der Urteilsbegründung eines bayerischen Landgerichts (LG): „Dem Angeklagten stehen in keinem der Fälle Rechtfertigungsoder Entschuldigungsgründe zur Seite. Alleine die Inkaufnahme langer Anfahrtswege, das Interesse der Patienten an der Beibehaltung eines Arbeitsplatzes oder die Gefahr eines Wiederabgleitens in das Drogenmilieu rechtfertigen es nicht, von den genannten Regeln abzuweichen. Die Methadonsubstitution beinhaltet ein hohes Gefährdungspotential und ist nur unter enger ärztlicher Kontrolle und Begleitung zulässig.“ (LG Bayreuth 2007)

Die Lösung von der Drogenszene oder die Beibehaltung eines Arbeitsplatzes sind wesentliche Therapieziele bei der Behandlung von Heroinabhängigen; sie können nicht weniger wichtig sein als die „einschlägigen Vorschriften“. Das LG hätte auch wissen können, dass die Substitutionsbehandlung keine tödliche Gefahr ist, sondern die Sterblichkeit der Heroinabhängigkeit dramatisch senkt. Der Arzt wurde wegen 282 Straftaten, begangen bei der Behandlung von 10 Patienten, zu 20 Monaten Haft auf Bewährung verurteilt. Ihm wurde in keinem Fall vorgeworfen, einen Patienten geschädigt zu haben.

Auch die Urteilsbegründung eines anderen LG zeigt, dass ein suchtmedizinisch fundiertes Gutachten sinnvoll gewesen wäre, z.B., wenn das LG schreibt: „Das gesetzlich vorgeschriebene Ziel der Betäubungsmittelabstinenz wurde vom Angeklagten nicht ernsthaft verfolgt. … In der Regel wurden die Patienten über einen langen Zeitraum (teilweise mehrere Jahre) mit nahezu unveränderter Dosis substituiert.“ (LG Verden 2008) Es ist suchtmedizinisches Grundwissen, dass eine Substitutionsbehandlung oft jahrelang mit einer möglichst stabilen hohen Dosis durchgeführt  werden muss, um gute Behandlungsergebnisse zu erzielen. Dann behauptet das LG, nach der BtMVV sei bei Beikonsum die Verschreibung nicht mehr zulässig: tatsächlich erlaubt die BtMVV die Verschreibung eines Substitutionsmittels, solange der Patient nicht Stoffe konsumiert, die ihn zusammen mit der Einnahme des Substitutionsmittels gefährden.
Auch bei der Mitgabe wird die BtMVV nicht immer korrekt zitiert. Sie fordert nicht bei jedem Beikonsum, die Mitgabe zu beenden, sondern nur dann, wenn der Patient Stoffe konsumiert, die ihn zusammen mit der Einnahme des Substitutionsmittels gefährden. Als Voraussetzung für eine Mitgabe wurde schon 1998 (10. BtMÄndV) gefordert, dass der Beigebrauch nachhaltig reduziert wurde – nicht, dass er vollständig eingestellt wurde.

Manchmal werden fachfremde Ärzte als Gutachter bestellt. In Niedersachsen wurde ein Kardiologe, der beim Medizinischen Dienst der Krankenkassen (MDK) angestellt ist, eng mit der Ermittlungsgruppe für Abrechnungsbetrug der AOK zusammenarbeitet und keine eigene Erfahrung in der Substitutionsbehandlung hat, von mehreren Staatsanwaltschaften mit der Begutachtung von Substitutionsbehandlungen beauftragt. Er ist im Auftrag der Staatsanwaltschaft auch ermittelnd tätig geworden und hat in seinem Gutachten rechtliche Bewertungen abgegeben. Das ist juristisch nicht korrekt. In seinen Gutachten rechnet er z.B. die Gesamtmenge des in mehreren Jahren verschriebenen Methadons zusammen und berechnet daraus, wie viele gesunde Menschen lebensbedrohlich oder tödlich damit intoxikiert werden könnten. Diese Berechnung ist völlig unsinnig und zeigt die Voreingenommenheit des Gutachters. Nur in einem einzigen Verfahren wurde er wegen der Besorgnis der Befangenheit abgelehnt.

Ärzte dürfen Betäubungsmittel (BtM) nach dem Betäubungsmittelgesetz nicht abgeben nur aus der Apotheke darf auf ärztliches Rezept abgegeben werden. Nach dem Buchstaben des Gesetzes wird ein Arzt wie ein Dealer mit illegalem Heroin behandelt, wenn er dem Patienten einzelne Tagesdosen des   Substitutionsmedikaments aushändigt, das er aufgrund seiner Verschreibung aus der Apotheke erhalten hat. International ist die Abgabe aus der Behandlungseinrichtung üblich und sollte in einem Referentenentwurf für eine Novellierung der BtMVV vom 3.12.07 auch in Deutschland ermöglicht werden. Der BGH hat 2008 und 2009 entschieden, dass sich ein Arzt nach geltendem Recht strafbar macht, wenn er Betäubungsmittel (BtM) an drogenabhängige Patienten zur freien Verfügung abgibt.

Bei Todesfällen durch mitgegebene Substitutionsmedikamente wurde oft der behandelnde Arzt für das Fehlverhalten des Patienten verantwortlich gemacht – wenn z.B. der Patient das Medikament spritzt statt es am folgenden Tag zu trinken oder wenn er es an Dritte weitergab. 2008 hatte der BGH das Urteil eines LG bestätigt. Eine eigenverantwortliche Selbstschädigung habe nicht vorgelegen. Diese Rechtsprechung hat der BGH in 2 neueren Urteilen 2014 geändert und auf die eigene Verantwortung des Patienten hingewiesen.
Da nicht die Behandlung eines Patienten, sondern jede einzelne Verschreibung als eine Straftat gilt, wird wegen mehrerer Hundert Straftaten vor dem Landgericht angeklagt. Damit entfällt die Berufung vor einer weiteren Tatsacheninstanz; es ist nur Revision vor dem Bundesgerichtshof möglich.
Meist sprechen die Richter ein eingeschränktes Berufsverbot aus, das sich auf die Substitutionsbehandlung bezieht und verzichten auf ein allgemeines Berufsverbot.
Allerdings wird bei jeder Vorstrafe ein Verfahren zum Entzug der Approbation eingeleitet; es endet bei den Ärzten, die wegen Verstößen gegen das Betäubungsmittelgesetz verurteilt wurden, meist mit dem Widerruf der Approbation wegen Unwürdigkeit. Empörung hat in Bayern das Verfahren gegen eine Ärztin ausgelöst, deren Approbation wegen Unzuverlässigkeit und Unwürdigkeit von der Regierung von Niederbayern widerrufen wurde. Begründet wurde das mit der Behauptung, sie hätte wegen eines „ärztlich nicht mehr beherrschbaren Beigebrauchs die Behandlung beenden müssen.“ (Regierung von Niederbayern 2007) Nachgewiesen wurde meist der Beikonsum von Cannabis und Benzodiazepinen; dieser begründet nach Richtlinien der Bundesärztekammer nicht den Abbruch der Behandlung. Für die bayerische Justizministerin ist die Substitutionsmedizin mit gesundheitlichen Risiken verbunden und deshalb an strenge Voraussetzungen geknüpft. Sie fordert deshalb konsequente, bei Vorsatz auch strafrechtliche Sanktionen (SZ 2012)– und ein Vorsatz ist nach der BGH-Entscheidung 2011 jedem substituierenden Arzt zu unterstellen. Folge ist, dass besonders in ländlichen Regionen nur noch wenige Ärzte bereit sind, Substitutionsbehandlungen durchzuführen. Die Substitutionsbehandlung senkt die Sterblichkeit der Heroinabhängigkeit. Dass die Zahl der Drogentoten in Bayern nicht wie in den meisten anderen Bundesländern sinkt, kann an der mangelnden Verfügbarkeit der Behandlungsplätze liegen.

Wenn man bedenkt, dass die Zahl der substituierten Patienten seit 1991 von wenigen Hundert auf 70000 gestiegen ist und dass in dieser Zeit
– die Zahl der Drogentoten von über 2000 auf etwa 950 gesunken ist,
– die Zahl der polizeibekannten Erstkonsumenten von Heroin von 10000 auf 3000 jährlich gesunken ist,
– die Zahl der polizeibekannten Erstkonsumenten von Substitutionsmedikamenten so gering ist, dass sie in den Polizeistatistiken nicht erfasst wird,
dann wird deutlich, dass substituierende Ärzte nicht zur Ausbreitung der Betäubungsmittelabhängigkeit beitragen. Es ist daher nicht zu begreifen, dass sie so hart mit Berufsverbot und Strafhaft verfolgt werden.

Die strafrechtliche Verfolgung von substituierenden Ärzten führt dazu, dass in einigen Regionen keine Substitutionsbehandlungen mehr angeboten werden. Hier wird der Schaden durch die Strafverfolgung deutlich. Abhilfe kann durch eine Schulung der Staatsanwälte, Richter und der Approbationsbehörden geschaffen werden; diese sollen wissen, dass Abweichungen von bestimmten Vorschriften nicht die ganze Behandlung unbegründet machen. Außerdem sollten Behandlungsmodalitäten nicht in der BtMVV geregelt werden.

Die Überprüfung der Qualität der ärztlichen Arbeit ist eine primär ärztliche Aufgabe. Es ist nicht sinnvoll, Abweichungen von den jeweils gültigen Behandlungsrichtlinien strafrechtlich zu verfolgen – medizinischer Fortschritt entwickelt sich durch die offene Diskussion über verschiedene Behandlungsansätze. Die Substitutionsbehandlung war lange strafrechtlich verboten und ist jetzt die Standardbehandlung der Heroinabhängigkeit. Die Mitgaberegelungen sind in den vergangenen 20 Jahren mehrfach geändert worden.

Die Anwendung von Strafrecht gegen substituierende Ärzte verstößt auch gegen das Übermaßverbot. Strafrecht ist ultima ratio staatlicher Sanktionen. Es ist nur dann gerechtfertigt, wenn ein bestimmtes Verhalten in besonderer Weise sozialschädlich, seine Verhinderung daher besonders dringlich und nicht anders als mit Strafrecht zu erreichen ist. Anders als Ende des 19. Jahrhunderts bei der Abhängigkeit von Morphin ist die Ausbreitung der Abhängigkeit von illegalem Heroin nicht den Ärzten anzulasten. Diese Abhängigkeit entsteht, weil Heroin trotz der Prohibition auf den Straßen verfügbar ist. Die Substitutionsbehandlung lindert die Schäden der Abhängigkeit von illegalem Heroin. Da Ärzte mit verwaltungsrechtlichen Maßnahmen (Entzug der Substitutionsgenehmigung, Entzug der BtM-Rezepte) davon abgehalten werden können, ihre Privilegien im Umgang mit BtM zu missbrauchen, ist Strafrecht nicht erforderlich und entspricht damit nicht dem grundgesetzlichen Gebot der Verhältnismäßigkeit.

Literatur
10. BtMÄndV vom 20.1.1998, Begründung BGH 1 StR 389/13 Beschl. vom 16.01.2014 (LG Augsburg)
BGH 1 StR 494/13 vom 28. Januar 2014 (LG Deggendorf) BGH 2 StR 577/07 vom 4. Juni 2008 (LG Hanau) BGH 3 StR 44/09 vom 28.7.2009 (LG Verden) BGH Beschluss 3 StR 8/91 vom 17.5.1991. NJW 1991, 2359
Caspers-Merk, M. (2007): Antwort auf eine kleine Anfrage betreffend die Verbesserung der Versorgungsqualität in der Substitutionsbehandlung für Opiatabhängige. BT-Drucksache 16/6508
Landgericht Bayreuth: 1 KLs 113 Js 5114/04 vom 24.10.2007 Landgericht Verden: 421 Js30197/04 vom 6.8.2008
Regierung von Niederbayern: Widerruf der Approbation als Ärztin, Bescheid vom 10.7.2012
SZ (2012): Drogenärzte auf der Anklagebank. 30.10.2012, http://www.sueddeutsche.de/bayern/mediziner-imkonflikt-mit-der-justiz-drogenaerzte-auf-deranklagebank-1.1509961 Mediziner im Konflikt mit der Justiz Drogenärzte auf der Anklagebank

Die diamorphingestützte Behandlung in Deutschland – oder was unterscheidet Diamorphin und Methadon eigentlich?

Von Dirk Schäffer

Es ist Donnerstag, der 28. Mai 2009, 17:30 – der Deutsche Bundestag beschließt nach 45-minütiger Debatte, dass Heroin (Diamorphin) zur Substitutionsbehandlung eingesetzt werden darf und zukünftig über die gesetzlichen Krankenkassen finanziert werden soll. In namentlicher Abstimmung stimmten 349 Parlamentarier für den Gruppenantrag von SPD, FDP, LINKE, DIE GRÜNEN. Drei Parlamentarier enthielten sich der Stimme und 198 stimmten mit „Nein“.
Auch wenn die Euphorie dieses Tages gewichen ist, so muss rückblickend diese Abstimmung als wichtiger Schritt hin zu einer Weiterentwicklung der Behandlung der Opiatabhängigkeit in Deutschland gewertet werden.
Wie in Deutschland üblich, oblag es dem Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA), dem obersten Beschlussgremium der gemeinsamen Selbstverwaltung von Ärzten, Krankenhäusern und Krankenkassen, zu entscheiden, unter welchen Bedingungen die Behandlung mit Diamorphin von der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) übernommen wird.
Vertreter der Deutschen AIDS-Hilfe und des JES-Bundesverbands erhielten die Chance auf Seiten der Patientenvertretung im GBA für patientenorientierte Rahmenbedingungen der Diamorphinbehandlung einzutreten. Die Enttäuschung war umso größer als knapp ein Jahr später die Richtlinien des GBA bekannt wurden: Die Erstattungsfähigkeit der diamorphingestützten Substitutionsbehandlung durch die gesetzliche Krankenversicherung wurde an hohe Hürden geknüpft, die so vom Gesetzgeber nicht intendiert waren.

Einige Diskussionen im GBA erinnerten an ideologische Auseinandersetzungen, die bereits bei der Zulassung von Methadon zur   Behandlung der Opiatabhängigkeit geführt wurden. Wo sich ansonsten die Mitglieder des GKV-Spitzenverbands und Vertreter der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) erbittert streiten, herrschte in Sachen „Diamorphin“ seltene Harmonie.
Der GBA knüpfte die diamorphingestützte Behandlung an grundsätzlich drei ärztliche Vollzeitstellen – und dies unabhängig von der Patientenzahl. Nur der deutlichen Kritik von Fachverbänden, der Wissenschaft, den an der Modellphase beteiligten Städten und Patientenorganisationen war es zu verdanken, dass das hochschwellige Regelwerk des GBA, das über die Bedingungen der Modellphase hinausging, im Jahr 2013 endlich verändert wurde.

Denn die Auswirkungen dieser Richtlinien waren katastrophal. Es entstand keine neue Einrichtung zur Diamorphinbehandlung, da die durch die GBA Richtlinien verursachten Personalkosten, insbesondere zum Beginn der Behandlung mit geringen Patientenzahlen horrend und nicht refinanzierbar schienen. An dieser Stelle gilt es der vielfach gescholtenen damaligen Bundesdrogenbeauftragten Mechthild Dyckmans Dank auszusprechen. Ihre Mitarbeiter(innen) kritisierten bereits im Gemeinsamen Bundesausschuss jene Regelungen, die eher ideologisch geprägt waren, und zitierten unablässig die Ergebnisse des Studienberichts.

Heute, etwas mehr als ein Jahr nach der punktuellen Anpassung der Richtlinien sind 2 neue Ambulanzen in Berlin und Stuttgart entstanden. Dies ist ein erster Erfolg, garantiert aber keineswegs eine bedarfsgerechte Versorgung. Hier gilt es den Blick über die Richtlinien des GBA hinaus zu werfen.
Heute wird die Kritik an den Richtlinien von einigen Kritikern unablässig fortgeführt. Ja, natürlich sind die sicherheitstechnischen Anforderungen recht hoch und kostenintensiv, aber es gilt, sich den etwas tieferliegenden Gründen für die noch fehlende Ausweitung der Diamorphinbehandlung zuzuwenden. So ist insbesondere in Reihen der substituierenden Ärzte eine deutliche Zurückhaltung oder gar Ablehnung gegenüber der Diamorphinbehandlung zu spüren. Wie ein grippaler Infekt überträgt sich die vielfach unberechtigte Kritik auch auf bereits substituierte Patienten, die sich für die Substitution mit Diamorphin interessieren .

Das Beispiel Berlin zeigt, wie es anders gehen kann und wie eine offene und vorurteilsfreie Haltung eine Situation grundlegend verändern kann. Hier gibt es einen jungen, engagierten Arzt, der von dieser Behandlungsform vollständig überzeugt ist. Ihm gelingt es mit seiner sympathischen und fachlichen Art ein Praxisteam zu bilden, das den Patienten und der Behandlungsform vorbehaltlos gegenübertritt. Mit ersten Behandlungserfolgen vollzieht sich auch innerhalb der Berliner Drogenszene und unter denjenigen, die bereits mit Methadon und anderen Medikamenten behandelt werden, eine spürbare Veränderung. Mythen und Halbwahrheiten wichen tatsächlichen und sichtbaren Behandlungserfolgen. Patienten sind sicherlich die wichtigsten Multiplikatoren, die ihre Erfahrungen an andere Opiatabhängige und Substituierte weitergeben. Die Folge sind lange Wartelisten zur Aufnahme in die Behandlung anstatt leerer Plätze.

Natürlich trug die Investitionsbeihilfe des Berliner Senats dazu bei, ein beispielhaftes Praxisambiente zu schaffen, aber dies ist nicht entscheidend für die Wartelisten und sehr zufriedene Patienten. Grundlage sind vielmehr beeindruckende Behandlungserfolge, die durch einen verbesserten Gesundheitszustand, eine Stabilisierung der sozialen Situation, sowie einer Steigerung der Lebensqualität zum Ausdruck kommen.
Um die Diamorphinbehandlung auf viele andere Städte auszuweiten, gilt es von der Behandlung überzeugte Ärzte zu finden, die wie andere Ärzte, die eine eigene Praxis eröffnen wollen, bereit sind ein finanzielles Risiko (das aber mit der langfristigen Behandlungsperspektive überschaubar scheint) einzugehen. Sie müssen mit ihrer Überzeugungskraft die Kommune oder das Land dafür gewinnen, eine einmalige Investitionsbeihilfe bereitzustellen.
Wir müssen uns aber auch die Frage stellen „was ist eigentlich der Unterschied zwischen Methadon und Diamorphin?“ Denn während die übliche Substitutionsbehandlung in der ärztlichen Praxis mit teilweise sehr geringen Sicherheitsstandards durchgeführt wird, werden für die Diamorphinbehandlung Sicherheitsstandards vorgeschrieben, die eine Kostenexplosion zur Folge haben und Experten völlig unangemessen erscheinen.
Wie z. B Methadon ist Diamorphin für opiatnaive Personen bereits in geringer Dosierung tödlich. Für opiatgewöhnte Personen hingegen sind beide Substanzen bei entsprechender Dosierung nicht lebensbedrohlich. Was sind also die Gründe, die die völlig unterschiedlichen Sicherheitsstandards insbesondere bei der Vergabe rechtfertigen? Sind es vielmehr die Mythen, die sich um Heroin als sofort abhängig machende oder gar tödliche Substanz ranken? Ist es die spürbare Ablehnung von Heroin (Diamorphin) als Medikament in Teilen der Politik, der Krankenkassen und der Medizin, das nun auch noch von den Krankenkassen zur Behandlung der Opiatabhängigkeit finanziert werden soll? Die Vorbehalte gegen diese Behandlung, die sich unter anderen in Slogans ausdrücken wie „Drogen auf Staatskosten“, „Suchtverlängerung“ und „das Ende der Abstinenz“ machen die fehlende Akzeptanz dieser Behandlungsform mehr als deutlich.

Was wird also benötigt, um die diamorphingestützte Substitutionsbehandlung all jenen zur Verfügung zu stellen, die sich für diese Behandlung entscheiden?
– Eine Bewertung der Behandlung durch Lobbygruppen, Medizinern und Politikern, die sich an den tatsächlichen Behandlungsergebnissen orientiert und nicht moralische oder ideologische Grundlagen hat,
– eine Überprüfung der GBA-Richtlinien auf Grundlage medizinisch-wissenschaftlicher Erkenntnisse, Praxiskompatibilität und Patientenorientierung,
– eine kritische Überprüfung und Weiterentwicklung der Sicherheitsstandards und
– die Zulassung weiterer Darreichungsformen wie z.B. Tabletten sowie die Zulassung von weiteren Applikationsformen (z.B. oral, subkutan)

Insbesondere gilt aber, dass all jene zusammenstehen, die diese Behandlungsform positiv bewerten, weil sie als Ärzte und Patienten, als Wissenschaftler und Politiker die gesundheitlichen und sozialen Effekte sehen und dazu beitragen wollen, dass jeder Opiatkonsument und jede Opiatkonsumentin, die die Diamorphinbehandlung für sich als Weg wählen, eine Behandlungsmöglichkeit erhalten.

Drug-Checking

Von Rüdiger Schmolke und Tibor Harrach

Drug-Checking ist eine Strategie der Schadensminderung beim Drogenkonsum und Prävention von konsumbezogenen Problemen, die sich in mehreren europäischen Ländern etabliert und ihre Effektivität erwiesen hat. Beim Drug-Checking erhalten zum Konsum entschlossene Besitzer/innen illegal gehandelter Substanzen die Möglichkeit, diese vor Ort (zum Beispiel im Rahmen einer TechnoParty, möglicherweise auch in einem Drogenkonsumraum) oder durch Weitergabe an ein stationäres Labor analysieren zu lassen. Dabei wird mittels instrumenteller Analytik, in der Regel HPLC oder Massenspektroskopie, die Identität und der Gehalt der psychotropen Wirkstoffe bestimmt. Die Substanzanalyse dient beim Drug-Checking dem Ziel, Konsument/innen vor gesundheitlichen Schäden durch ungewollte Überdosierungen, unerwartete psychoaktive Substanzen und gesundheitsgefährdende Verunreinigungen zu schützen.
Durch eine mit der Substanzanalyse verbundene Beratung über das Risiko des Konsums auf Basis des Testergebnisses fördert Drug-Checking auch die Entwicklung eines individuellen Risikomanagements der Konsument/innen. Drug-Checking trägt auch hierdurch dazu bei, vermeidbaren Schädigungen durch Drogenkonsum vorzubeugen.

Drug-Checking stellt keine Konkurrenz, sondern eine sinnvolle Ergänzung zu anderen (sucht)präventiven und helfenden Maßnahmen der Drogenarbeit dar. Erfahrungen der Drug-Checking-Angebote in anderen Ländern zeigen dabei deutlich, dass Drug-Checking ein Präventionsund Beratungsangebot auch für bislang nicht durch das etablierte Präventionsund Hilfesystem erreichte Konsumierende darstellt.
Gegen das 1995/96 von Eve & Rave Berlin e.V. ohne jede staatliche Unterstützung durchgeführte Drug-Checking-Angebot ging die Berliner Staatsanwaltschaft vor. Obwohl das Berliner Landgericht die Klage abwies und im Drug-Checking von Eve & Rave keine Verstöße gegen das Betäubungsmittelgesetz sah, konnte das Programm nicht wieder aufgenommen werden. Danach ist es in Deutschland nicht mehr gelungen, wieder ein DrugChecking-Angebot zu implementieren, das ähnlich differenzierte und valide Substanzanalysen ermöglicht wie die inzwischen in den Niederlanden, der Schweiz, Österreich, Spanien und Portugal etablierten Angebote. 50

In Deutschland führen heute Szeneinitiativen Schnelltests durch, z. B. mit Marquis-Reagenzlösung. Schnelltests erlauben durch eine Farbreaktion bestimmte Wirkstoffgruppen zu identifizieren. Jedoch werden weder Verunreinigungen erkannt, noch können quantitative Aussagen gemacht werden. Durch das Angebot kommen Akteure aus den Initiativen aber mit Konsument/innen ins Gespräch und können sie über allgemeine Konsumrisiken aufklären und für spezielle Risiken sensibilisieren, die durch den Konsum von nicht analysierten Substanzen ausgehen.

Ein Antrag der Bundestagsfraktion von Bündnis`90/Die Grünen, „…ein wissenschaftlich begleitetes und multizentrisches Modellprojekt aufzulegen, das Wirkungen, geeignete Akteure und strukturelle Voraussetzungen der stationären und mobilen Substanzanalyse untersucht [sowie] Rechtssicherheit für die Substanzanalyse zu schaffen, bei den Ländern auf die Unterstützung von Angeboten der Substanzanalyse hinzuwirken“, 51 wurde mit Stimmen der Regierungsfraktionen aus CDU/CSU und FDP sowie der SPD im Jahr 2012 abgelehnt. 52
Die Schaffung eines Drug-Checking-Angebots ist in Deutschland jedoch auch unter den gegebenen gesetzlichen Bedingungen möglich, indem
‐ nach Antrag das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) zu „wissenschaftlichen oder anderen im öffentlichen Interesse liegenden Zwecken“ eine Ausnahmegenehmigung nach § 3 (2) BtMG erteilt oder ‐ eine Landesregierung analog dem „Frankfurter Konsumraummodell“ auf Grundlage eines Umsetzungskonzepts und gestützt durch Rechtsgutachten eine Absprache zwischen Strafverfolgungsbehörden und Betreibern des Drug-Checking-Angebots erwirkt, die letzteren Rechtssicherheit bei der Durchführung gibt und/oder
‐ Öffentliche Apotheken und KrankenhausApotheken (gemäß § 4 BtMG) Betäubungsmittel ohne weitere Erlaubnis entgegennehmen und zur Untersuchung weiterleiten.

Zwar arbeiten die amtierenden Landesregierungen in Schleswig-Holstein (SPD-GrüneSSW), Hessen (CDU-Grüne) und Berlin (SPDCDU) auf Grundlage von Koalitionsverträgen, die die Einführung eines Drug-CheckingModellprojekts vorsehen. Ernsthafte Schritte zur Schaffung eines Drug-Checking-Angebots wurden jedoch von keiner Landesregierung unternommen. Bei Nachfragen wird regelmäßig auf die fehlende Unterstützung der Bundesregierung verwiesen.
Drug-Checking fördert die Gesundheit von (potenziellen) Drogengebraucher/innen. Seine Praktikabilität und Effektivität ist hinreichend erwiesen. Es ist überfällig, dass Drogenpolitiker/innen in Bund und Ländern ihre Verantwortung wahrnehmen und ein Drug-Checking-Modellprojekt initiieren.

50 Drug-Checking-Projekte aus mehreren europäischen Ländern arbeiten inzwischen auch im Projekt Trans European Drug Information (TEDI) zusammen, siehe www.tedi-project.org.
51 Bundestags-Drucksache 17/2050, http://dip21.bundestag.de/dip21/btd/17/020/170 2050.pdf
52 In der Anhörung des Gesundheitsausschusses des Deutschen Bundestags am 28.09.2011 hatten sich neben den meisten Einzelsachverständigen auch alle Fachverbände im Drogenhilfebereich sowie der Deutsche Städtetag für die Initiierung eines DrugChecking-Modellprojekts ausgesprochen.

Information statt Vorurteile! – Das Drogeninfo-Projekt Drug Scouts aus Leipzig

Von Daniel Graubaum, Antje Kettner und Henning Arndt

Laut Deutscher Beobachtungsstelle für Drogen und Drogensucht [DBDD] haben hierzulande fast alle Menschen zwischen 18 und 26 Jahren mit Alkohol experimentiert sowie etwa die Hälfte aller jungen Männer und mehr als ein Drittel der jungen Frauen Erfahrungen mit illegalisierten Substanzen 42 . Vor allem junge Menschen probieren psychoaktive Substanzen aus und/oder konsumieren diese über einen gewissen Zeitraum, meist ohne dabei eine Abhängigkeit zu entwickeln. Die Bandbreite an Konsumformen, -dauern und –häufigkeiten ist dabei sehr groß. Drogenkonsum im Jugendalter erfüllt für Konsument_innen sehr unterschiedliche Funktionen, die mit verschiedenen Entwicklungsaufgaben von Heranwachsenden in Beziehung stehen 43 . Neben den allgemeinen Konsummotiven 44 und -trends 45 unter jungen Menschen ist bekannt, dass die Drogenaffinität in bestimmten Subkulturen höher ist als in anderen; so werden z.B. in der Szene elektronischer Tanzmusik häufiger illegale Drogen konsumiert als in der Durchschnittsbevölkerung

Drug Scouts – Anliegen
Drug Scouts wurde 1996 von jungen Menschen aus der elektronischen Musikund Partyszene auf rein ehrenamtlicher Basis gegründet. Die Arbeit konzentrierte sich vor allem darauf, Partygäste über Drogen aufzuklären und für einen weniger riskanten Umgang mit Drogen zu sensibilisieren. Seit 1998 ist das Projekt bei dem Träger SZL Suchtzentrum gGmbH angesiedelt und wird hauptsächlich durch das Leipziger Amt für Jugend, Familie und Bildung für seine Arbeit im Leipziger Stadtgebiet finanziert. Derzeit arbeiten drei hauptamtliche Sozialarbeiter/ innen (auf 1,8 Vollzeitstellen) und über 40 Ehrenamtliche im Projekt. Die Angebote richten sich hauptsächlich an junge Menschen zwischen 18 und 26 Jahren, die legale und/ oder illegalisierte Drogen konsumieren sowie an Angehörige und Multiplikator/innen (Lehrer/innen, Sozialpädagog/innen, Clubpersonal, Peers etc.).

Erklärtes Ziel des Projektes ist es, junge Menschen dabei zu unterstützen, einen kompetenten und kritischen Umgang mit legalen und illegalisierten Substanzen zu erlernen, um somatische, psychische und soziale Schädigungen zu verhindern bzw. zu minimieren. Besonderes Augenmerk liegt dabei im Rahmen selektiver Prävention auf der Gruppe der Partygänger/innen und damit verbunden der Vermittlung und Etablierung risikominimierender Maßnahmen in der Partyszene. Laut dem Bericht der DBDD 2013 sind hier besonders „die Lebenswelten der Jugendlichen zu berücksichtigen und die Aktivitäten nicht nur auf Konsumverzicht oder Konsumreduktion auszurichten […], sondern darüber hinaus Fähigkeiten wie Risikokompetenz und Risikomanagement“ zu vermitteln 46 .

Konkret geht es darum, für kurzfristige, punktuelle Risiken des Konsums (Überdosierung, Ansteckung mit Infektionskrankheiten durch gemeinsam benutzte Konsumutensilien, Hörschäden auf Partys etc.) zu sensibilisieren. Durch Aufklärung über langfristige Konsumrisiken (körperliche und psychische Folgen, Toleranzentwicklung, Abhängigkeit) und die Vermittlung von Risikokompetenz (u.a. konsequente Punktnüchternheit, ritualisierte Formen des nicht schädlichen Umgangs) soll dazu beigetragen werden, dass junge Menschen ihren Konsum kritisch reflektieren, Warnsignale eines problematischen Konsums erkennen und Hilfebedarf möglichst frühzeitig äußern.

Drug Scouts – Angebote
• Drogeninformationsladen mit Möglichkeit zu anonymen Beratungsgesprächen, Telefonberatung, Weitervermittlung an weiterführende Hilfen, Präsenzbibliothek zu Drogenthemen und Internetrechercheplätzen
• Vor-Ort-Arbeit auf Partys und Festivals (Aufklärung von Partybesucher/innen über Drogenkonsum und damit verbundene Risiken sowie über Maßnahmen zur Risikound Schadensminimierung, z.T. Betreuung in Notfallsituationen)
• Webseite http://drugscouts.de mit Drogenlexikon, Safer-Use-Hinweisen, Substanzwarnungen, Online-Beratung, Userforum für Erfahrungsberichte, News zu Drogenthemen etc.
• eigene Faltblätter und Broschüren zu psychoaktiven Substanzen und drogenbezogenen Themen (z.B. Erste Hilfe im Drogennotfall, Führerschein und Drogen, Partydrogen, neue psychoaktive Substanzen (NPS), Drug Checking, Konsumreflexion)
• Durchführung von Präventionsveranstaltungen, Workshops und Vorträgen zu verschiedenen Themen (z.B. 1. Hilfe im Drogennotfall, Drogenkonsum in Jugendszenen, Substanzkunde, Schadensminimierung im Partybereich).

Best Practice – warum?
Kennzeichnend für das Projekt Drug Scouts ist das Vertrauen und die Glaubwürdigkeit, die es bei der Zielgruppe genießt. Grundlage dafür ist die Akzeptanz jugendlicher Lebenswelten und der spezifischen Lebenslage des einzelnen Individuums. Die Anliegen und Bedürfnisse junger Menschen werden ernst genommen, ohne sie moralisch zu bewerten.
Ihnen wird zugestanden, eigene Entscheidungen zu treffen und in Handeln umzusetzen sowie Hilfsbedarf zu artikulieren und Unterstützungsangebote nach eigenem Ermessen zu nutzen. Niedrigschwelligkeit, Zieloffenheit, Empowerment und die Arbeit mit Peers bilden also die methodischen Grundlagen unserer Arbeit. Dass dieser Ansatz von Konsument/innen hoch geschätzt wird, zeigen aktuelle Studienergebnisse. 47

28.000 verteilte Faltblätter, 5.450 ausgegebene Safer-Use-Materialien (u.a. Ohrstöpsel, Kondome, Ziehröhrchen, Aktivkohlefilter, Dosierhilfen für flüssige Substanzen), 20 zum Teil mehrtägige Infostände auf Partys und Festivals bundesweit (inkl. Betreuung in Krisensituationen), 1,1 Millionen Besucher/ innen auf http://drugscouts.de im Jahr 2013, die Nutzung der Möglichkeit, Erfahrungsberichte zu schreiben und zu kommentieren, sowie persönliches Feedback von jungen Nutzer/innen unserer Angebote bestärken uns in unserem Ansatz und unserer Arbeit. Ein wichtiger Arbeitsbereich sind Workshopangebote und Schulungen für Partygäste, Partyveranstalter/innen sowie Clubpersonal. Neben der Präsenz mit Infoständen vor Ort ist uns wichtig, Clubpersonal und Partygäste für Safer-Clubbing-Aspekte zu sensibilisieren und in ihren Ressourcen und Kompetenzen zu fördern. Hier sind vor allem Schulungen zum (Misch)Konsum von Alkohol und anderen Drogen, Safer-Use-Maßnahmen sowie zum Umgang mit Notfallund Krisensituationen im Partykontext zu erwähnen, für 2013 besonders auch die Workshops zu GHB/GBLKonsum und zu Übergriffigkeit im Nachtleben. Auch von fachlicher Seite werden unser Ansatz und unsere Erfahrungen geschätzt. So erhielten wir in den letzten Jahren Einladungen zu Vorträgen (u.a. Crystal [Gesundheitsamt Leipzig], Neue psychoaktive Substanzen [Landesstelle für Suchtfragen MecklenburgVorpommern e.V.], Prävention und Schadensminimierung im Partysetting [DHS]) und Fachgesprächen („Prävention des Mischkonsums von Alkohol und illegalen Drogen im Nachtleben“ [Bundesministerium für Gesundheit] und öffentliche Anhörungen („Drug Checking“ im Bundestag).

Was wünschen wir uns von der Drogenpolitik der Regierungen von Bund und Ländern?
Trotz unserer Erfahrungen, dass Prävention mit einem akzeptierenden und auf Risikominimierung abzielenden Ansatz sinnvoll ist und von Usern angenommen wird, gibt es bundesweit leider nur wenige andere akzeptierende Projekte, die gefördert werden. Die hohe Nachfrage aus dem gesamten Bundesgebiet nach unseren Angeboten zeigt mehr als deutlich, dass der Bedarf an solchen bei weitem noch nicht gedeckt ist. Hier ist ein Ausbau dringend von Nöten. Die Amphetaminund Crystal-Studie des ZiS empfiehlt hierzu „akzeptierende Projekte und Beratungsangebote im Sinne einer Optimierung von Maßnahmen unmittelbar und zeitnah bedarfsgerecht zu unterstützen“ 48 . Hierbei sollten Erfahrungen und Anliegen von Usern ernst genommen und in die Angebotsgestaltung einbezogen werden.

Vor allem in der Vor-Ort-Arbeit, aber auch in der Mailund Telefonberatung erreichen uns immer wieder Anfragen zu Möglichkeiten, Substanzen auf ihre Inhaltsstoffe testen zu lassen. Auch die Auswertung unserer Webstatistik zeigt, dass im letzten Jahr 30% aller Zugriffe auf http://drugscouts.de im Zusammenhang mit den dort veröffentlichten Substanzwarnungen (vornehmlich aus Österreich und der Schweiz) erfolgten. Vor diesem Hintergrund fordern wir dringend die Einrichtung von Drug-Checking-Angeboten und deren Verankerung in den Bereichen der Prävention und Schadensminimierung. Detaillierte Substanztests in Laboren, verbunden mit Reflexionsgesprächen zwischen User und Berater/in sowie der Veröffentlichung von Substanzwarnungen, können Konsumentscheidungen beeinflussen, explizit zur Gesundheitsförderung beitragen und werden auch von Drogenkonsument/innen, vielen Angehörigen und Fachleuten ausdrücklich gewünscht. 49

Noch sind bundesdeutsche Drug-CheckingAngebote Zukunftsvisionen, denn der Wortlaut des Betäubungsmittelgesetzes erlaubt es Harm-Reduction-Projekten nicht ausdrücklich, illegalisierte Substanzen zu Testzwecken entgegen zu nehmen. Hier ist eine Gesetzesänderung auf Bundesebene notwendig. Des Weiteren lässt die Umsetzung bereits konzipierter regionaler Modellprojekte auf sich warten, da deren Einrichtung bisher bloße Absichtsbekundungen in einzelnen Landeskoalitionsvereinbarungen sind.

Aus unserer Sicht ist es dringend wünschenswert, dass Polizei und Bundespolizei Informationen über beschlagnahmte Substanzen und die darin ermittelten Wirkstoffkonzentrationen, Streckmittel sowie Beimengungen zeitnah veröffentlichen, damit frühzeitig auf verunreinigte, hochdosierte oder unerwartete Substanzen und deren Konsum reagiert werden kann.
Ein sinnvoller Schritt wäre auch, im Bereich der Strafverfolgung bundesweit einheitliche und nachvollziehbare Regelungen bezüglich sogenannter „geringer Mengen“ für den Besitz von Substanzen, die dem BtMG unterstellt sind, und bezüglich der Fahrtüchtigkeit bzw. dem Entzug der Fahrerlaubnis nach deren Konsum oder Besitz einzuführen, um so Rechtssicherheit für User zu schaffen.
Des Weiteren erachten wir eine ausgewogenere Vier-Säulen-Politik im Drogenund Suchtbereich hin zu einem stärkeren Ausbau von Angeboten zu Aufklärung, Prävention, Schadensminimierung, Beratung und Therapie für sinnvoll und notwendig.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass es nicht nur einer besseren Finanzierung der gesamten Strukturen der akzeptierenden Drogenhilfe bedarf, sondern auch Änderungen der gesetzlichen Grundlagen. Denn diese bebzw. verhindern momentan noch effiziente und bedarfsorientierte Angebote für junge Drogengebraucher/innen.

42 DBDD (2010): Bericht 2010 des nationalen REITOX-Knotenpunktes an die EBDD. DBDD, München
43 vgl. Settertobulte, W. (2011): Rausch als Risiko und herausforderung für Jugendliche http://www.jugendschutzniedersachsen.de/wordpress/wpcontent/uploads/2010/10/Settertobulte-RisikoHerausforderung.pdf
44 FOKUS-Institut Halle (2009): Moderne Drogenund Suchtprävention (MODRUS IV) http://www.fokus institut.org/PosterMODRUSIV_Endfassung.pdf
45 DBDD (2013): Bericht 2013 des nationalen REITOX-Knotenpunktes an die EBDD. DBDD, München
46 ebd., S.101
47 Eine Reihe von so genannten „Partyprojekten“, Online-Kommunikationsportalen und niedrigschwelligen Beratungseinrichtungen, von denen einige die vorliegende Studie unterstützt haben, engagiert sich im Bereich der Wissensvermittlung. […] Diese Akteure verfolgen durchweg einen akzeptierenden und auf Risikominimierung („Safer Use“) abzielenden Ansatz. Anhand der Befunde aus allen drei Modulen der vorliegenden Studie zeigt sich, dass sie aus Sicht von Konsumenten eine besondere Glaubwürdigkeit aufweisen und hohe Akzeptanz genießen (vgl. 7.11.2, 7.15.1) und dass „Safer Use“-Ansätze eine wichtige Möglichkeit darstellen, um Konsumenten zu erreichen (vgl. Kap. 7.11.4.4).“ Milin, S./Lotzin, A./ Degkwitz, P./ Verthein, U./ Schäfer, I. (2014): Amphetamin und Methamphetamin – Personengruppen mit missbräuchlichem Konsum und Ansatzpunkte für präventive Maßnahmen: Zentrum für Interdisziplinäre Suchtforschung (ZIS) der Universität Hamburg, Hamburg, S. 76
48 Ebd., S.78
49 Stadt Zürich – Sozialdepartment: Zehn Jahre mobiles Drug Checking und saferparty.ch, Zürich 2011, http://www.stadtzuerich.ch/content/sd/de/index/ueber_das_departe ment/medien/medienmitteilungen_aktuell/2011/okt ober/111019a.html

Prävention weiter denken

C 1-4
Florian Schulze

Prävention weiter denken

Der Konsum von Rauschmitteln, gleichgültig ob legal oder illegal, hat vielfältige Ursachen. Aus gesellschaftlichen, sozialen und individuellen Einflussfaktoren resultiert eine mehr oder weniger ausgeprägte Affinität zu künstlich hervorgerufenen positiven Gefühlen und veränderter Wahrnehmung. Diese steht in einem bestimmten Verhältnis zur Risikobereitschaft, die von ebenso vielen Determinanten beeinflusst wird.

Das Abstinenzdogma schadet
Die klassische Drogenprävention vermittelt in Umsetzung der politischen Null-Toleranz-Strategie das Bild von der ausschließlich zerstörerischen Droge, häufig gepaart mit abschreckenden Beispielen zerrütteter Existenzen. Momentan werden etwa gerne VorherNachher-Bilder von Crystal-Konsumierenden verwendet (vgl. auch Barsch in diesem Band). In der Regel wird die große Anziehungskraft, die Drogen auf einige Menschen ausüben, kaum thematisiert – geschweige denn, wie man mit dieser Anziehungskraft umgehen kann. Es wird auf die eine Seite der Medaille, die Risikobereitschaft, abgestellt, und zwar unabhängig vom tatsächlichen Schadenspotenzial der einzelnen Drogen. Häufig gibt es nur „die Drogen“, so wie es das Betäubungsmittelgesetz auch vorsieht. Wie zynisch müssen diese Darstellungen auf Jugendliche wirken, deren Eltern sich mit 5€-Schnaps legal in die Abhängigkeit getrunken haben.

Gerade in Deutschland wird zu wenig zwischen risikoarmem und riskantem Konsum unterschieden jedenfalls bei illegalisierten Rauschmitteln. Jemand, der auf einem Festival zur Ecstasy-Dosis greift, wird rechtlich und gesellschaftlich in einen Topf geworfen mit dem Crystal-Abhängigen. Dabei haben die beiden Konsumierenden, was Gefährdung, Konsummotivation und Hilfebedürftigkeit angeht, nur wenig gemeinsam. Man kann in diesem Zusammenhang darüber diskutieren, ob risikoarmem Konsum überhaupt vorgebeugt werden muss.
Es verwundert nicht, dass die Null-ToleranzPrävention nur wenig Wirkung zeigt. Zu sehr ignoriert sie nicht nur die Lebensrealität von Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen, sondern auch medizinisch-wissenschaftliche Daten und Erkenntnisse aus der Public-Health-Wissenschaft zur Wirksamkeit von Maßnahmen der Gesundheitsförderung.
Daran wird auch deutlich, dass es bei Abstinenz-Belehrungen nicht darum geht, Menschen zu befähigen, sondern darum, dass sie gehorsam sind. Sie sollen vor sich selbst geschützt werden, denn man traut ihnen nicht zu, selbstbestimmt verantwortlich zu handeln. Der erhobene Zeigefinger und die simplen Vorschriften für den „korrekten“ Umgang mit Drogen zeugen von einem Menschenbild, das eher ins neuzehnte als ins einundzwanzigste Jahrhundert gehört.

Das alte erzieherische Verständnis wurde mittlerweile in der praktischen Präventionsarbeit zum Teil von der Wirklichkeit überholt. Doch ähnlich wie etwa bei Substitutionsbehandlungen wirken akzeptierende Ansätze trotz und nicht wegen des Betäubungsmittelrechts und die Handelnden stehen teils in Gefahr, sich strafbar oder zumindest bei ihren Trägern sehr unbeliebt zu machen (siehe u.a. Ullmann in diesem Band). Ebenso wie Ärztinnen und Ärzte von Rechts wegen zum Teil internationale Leitlinien missachten müssen, wird es Menschen in der Prävention schwer gemacht, die Erkenntnisse der Public-HealthWissenschaft anzuwenden. Hier müsste die Förderung gesundheitlicher Ressourcen, drogenbezogen etwa die Förderung der Konsum-kompetenz, weit oben auf der To-do-Liste stehen.
Ohne Partizipation der Betroffenen und letztlich eine gemeinsame individuelle Entscheidungsfindung findet Präventionsarbeit nur wenig Akzeptanz. Das stört viele politisch Verantwortliche kaum, können sie doch mit ihren Kampagnen allen zeigen, wie „ernst“ sie den Kampf gegen die Drogen nehmen.

Konsumierende verstehen
Voraussetzung für eine wirksame Präventionsarbeit ist das Verständnis davon, warum jemand zu berauschenden Mitteln greift und bereit ist, dafür gesundheitliche Risiken in Kauf zu nehmen. Doch gerade die Konsummotivation und ihre Einflussfaktoren sind für viele Konsumentenund Substanzgruppen nur unzureichend untersucht. Sicherlich ist der Ausdruck „Man hat nicht das Problem wegen der Droge, sondern nimmt die Droge wegen des Problems“ zu kategorisch gedacht. Trotzdem lohnt es sich, das vorherrschende Verständnis von Ursache und Wirkung einmal umzudrehen und mit der Präventionsarbeit dort zu beginnen, wo der Wunsch nach Realitätsflucht als Problemlösungsstrategie entsteht. Wir wissen, dass sehr viele Menschen mit einer Suchterkrankung eine psychiatrische Ko-Erkrankung aufweisen. Bekannt ist auch etwa der hohe Anteil an Frauen, die vor ihrer Suchterkrankung durch sexualisierte Gewalt traumatisiert worden sind. Das macht deutlich, dass gute Drogenprävention im Rahmen einer Gesundheitsförderungsstrategie auch die Ursachen problematischen Drogenkonsums verstehen und angehen muss. Sicher entziehen sich viele individuelle Probleme der direkten politischen Beeinflussung. Aber umgekehrt müssen politische Maßnahmen auf ihre Auswirkungen auf Gesundheitschancen, auch in Bezug auf Schädigungen durch Substanzkonsum hin überprüft werden.

Drogenbezogene Probleme sind nicht allein innerhalb der Drogenpolitik lösbar Nur wer abstinent ist oder die Abstinenz anstrebt, verdient gesellschaftlichen Rückhalt – so die Botschaft, die sich wie ein roter Faden durch die Drogenpolitik der letzten Bundesregierungen zieht, nicht nur in der offiziellen Präventionsstrategie. Einige weitere Beispiele: Therapien müssen laut Gesetz bzw. Verordnung vorwiegend das Abstinenzziel verfolgen und damit zum Teil medizinische Leitlinien missachten. Konsumierende von sogenannten „harten Drogen“ werden grundsätzlich als charakterlich ungeeignet zum Führen eines Fahrzeugs angesehen – im   Gegensatz zum Umgang mit Alkoholsündern unabhängig davon, ob die Verkehrssicherheit tatsächlich gefährdet wurde (siehe Pütz in diesem Band). Wer durch schlechte Drogenqualität zu Schaden kommt, ist nach konservativer Logik selbst schuld, denn nur abstinente oder wenigstens alkoholkonsumierende Menschen verdienen einen Verbraucheroder Jugendschutz.

Der Konsum illegalisierter Drogen stellt nach vorherrschender Sicht vorwiegend ein gravierendes persönliches Versagen dar. Diese Herangehensweise widerspricht allen wissenschaftlichen Erkenntnissen, wonach der Konsum und die Abhängigkeit von Substanzen von einer Vielzahl gesellschaftlicher, sozialer und nicht zuletzt biologischer Faktoren abhängen. Sie ermöglicht es der Politik allerdings, eine Mitverantwortung für drogenbezogene Probleme von sich zu weisen. Stattdessen kauft sie sich mit „Aufklärungskampagnen“ und anderen Feigenblättern frei von ihrer Aufgabe, für gesundheitsförderliche Lebenswelten Sorge zu tragen. Drogenprävention im politischen Sinn darf nicht dabei stehen bleiben, die sozialen Auswirkungen anderer Politikfelder abzufedern.

Vielmehr spielt der salutogenetische Ansatz eine entscheidende Rolle: Welche Anforderungen stellt das Leben an mich und welche Lösungsressourcen stehen mir zur Verfügung? Aufgabe guter Gesundheitsförderung ist es, diese gegenläufigen Größen in ein „gesundes“ Verhältnis zueinander stellen. Nur so werden tatsächlich die Ursachen von problematischem Drogenkonsum angegangen und zugleich die Ursachen anderer vermeidbarer Krankheiten. Der Erhalt von Gesundheit als psychisches, physisches und soziales Wohlbefinden (Definition der Weltgesundheitsorganisation) ist der Schlüssel dafür, drogenbedingte Probleme zu vermeiden. Drogenkonsum als individuelles Defizit zu begreifen und gesetzlich zu verbieten, zeugt auch unter diesem Gesichtspunkt von bemerkenswerter Kurzsichtigkeit.

Letztlich muss es bei erfolgreicher Prävention (um bei dem drogenpolitisch gebräuchlichen Begriff zu bleiben) um die Förderung von 61  Lebenskompetenzen und Gewährleistung von Teilhabechancen gehen. Auch hier greift der paternalistische „Du sollst“-Ansatz nicht. Teilhabe und selbstbestimmtes Leben sind vor allem durch gute und gleiche Chancen etwa in Bildung, Gesundheit und gesellschaftlicher Mitbestimmung zu erreichen. Nur wer sein Leben und seine Umwelt als gestaltbar erlebt, wird Rauschmittel nicht als Problemlösung missverstehen und entsprechend mit diesen umgehen können. Dass etwa Bildungsund Gesundheitschancen und auch Drogenkonsum häufig entscheidend vom Sozialstatus abhängen, ist wissenschaftlich unumstritten. Viele Untersuchungen deuten darauf hin, dass der Weg zu mehr Chancengleichheit effektiv nur über mehr Verteilungsgerechtigkeit zu erreichen ist. Daher ist Drogenprävention – wie andere Maßnahmen der Gesundheitsförderung – hochpolitisch. Vielleicht fällt es vielen politischen Akteuren deshalb so schwer, die gesellschaftliche und wissenschaftliche Realität zur Kenntnis zu nehmen. Drogenkonsum ist immer auch ein Spiegel der Gesellschaft. Es ist kein Zufall, dass in unserer Leistungsgesellschaft die Tendenz weg von Opiaten hin zu aufputschenden und stimulierenden Substanzen geht. Auch dass etwa in Griechenland im Zuge der Staatskrise der Drogenkonsum massiv angestiegen ist, verwundert nicht. Warum fällt aber die Einsicht so schwer, dass eben nur gesellschaftliche Veränderungen effektiv das DrogenKonsumverhalten verändern können? Drogenprävention im politischen Sinn darf nicht dabei stehen bleiben, die sozialen Auswirkungen anderer Politikfelder abzufedern.

Hepatitis C und Drogengebrauch – über das Fehlen einer nationalen Strategie gegen Virushepatitis in Deutschland

Von Heino Stöver, Dirk Schäffer und Astrid Leicht

Die Virushepatitis ist laut WHO ein „weltweit bedeutendes Gesundheitsproblem“ (63. Weltgesundheitsversammlung der WHO 2010), Regierungen werden aufgefordert, multisektorielle nationale Strategien zur Prävention, Diagnostik und Behandlung von viralen Hepatitiden zu entwickeln und umzusetzen – basierend auf dem lokalen epidemiologischen Kontext (Global Commission on Drug Policy 2013; WHO 2014). Etwa 2 – 3 % der Weltbevölkerung (130 – 170 Millionen) hatte Kontakt mit dem Hepatitis-C-Virus (HCV). Hepatitis C breitete sich weltweit im 20. Jahrhundert insbesondere über eine parenterale Übertragung über die Ausbreitungswege „unsterile Injektionsutensilien“ und „injizierenden Drogenkonsum“ aus.

Auch in Deutschland sind ca. eine Million Menschen von einer chronischen Virushepatitis betroffen: 500.000 Menschen mit dem Hepatitis B(HBV), und fast ebenso viele mit dem Hepatitis C-Virus. Die jährlich an das RKI übermittelten HCV-Fälle bewegen sich über 5.000, die von HBV über 1.800 (RKI 2013, S. 262, 268). Die chronische Hepatitis C ist heutzutage der häufigste Grund für eine Lebertransplantation. Die Zahl der an den Folgen einer Virushepatitis verstorbenen Menschen ist hoch und wird in den nächsten Jahren massiv ansteigen.

Viele HBV/HCV-Infizierte wissen nichts von ihrer Infektion. Die Tatsache, dass viele Hepatitis Bund C-Infektionen unentdeckt bleiben, weil sie keine Symptome verursachen, verdeutlicht die Notwendigkeit, gezielt und verstärkt potentiell Betroffene zu informieren und den Zugang zur Testung, Impfung und Therapie der Virushepatitis zu verbessern (WHO 2013).

Neuinfektionen betreffen hauptsächlich intravenös Drogen applizierende Menschen. Bei mehr als der Hälfte der neu gemeldeten Fälle, bei denen Angaben zum möglichen Infektionsrisiko vorlagen, wurde intravenöser Drogenkonsum genannt. Unter intravenös Drogen Gebrauchenden ist die Hepatitis C Prävalenz mit 60 – 80% Hepatitis C-Antikörperprävalenz und über 40% chronischer Hepatitis CInfektion enorm hoch (RKI 2012). Dem steht eine sehr geringe Behandlungsquote gegenüber. Es bestehen immer noch eine Reihe von Barrieren und Vorbehalte gegenüber der Behandlung dieser Gruppe: die Angst vor ReInfizierungen, Annahmen geringer Compliance, Kostenargumente etc. Diese Barrieren müssen systematisch niedergerissen werden. Die Forschung hat gezeigt, dass die HCV-Behandlung – auch bei DrogengebraucherInnen – sicher und effektiv ist (Robaeys et al. 2013).

Darüber hinaus trägt eine erfolgreiche HCVBehandlung substanziell zur Steigerung der Lebensqualität bei (Grebely et al. 2013). Die noch vor einigen Jahren gestellte Frage: „Warum HCV-infizierte DrogenkonsumentInnen behandeln?“, muss umgekehrt werden in die Frage: „Warum erfolgt keine HCVBehandlung von injizierenden DrogenkonsumentInnen?“

Aktionsplan Virus-Hepatitis: Fehlanzeige in Deutschland
In Deutschland gelang es, auf der Grundlage eines nationalen HIV-/Aids-Aktionsplans der Bundesregierung die Inzidenz und Prävalenz von HIV bei DrogengebraucherInnen in den letzten 15 Jahren deutlich zu senken.

Im Gegensatz dazu blieben die Erfolge in der HCV-Prävention aus. Die höhere Infektiosität des Hepatitis C-Virus und die Vorbehalte der Medizin, Drogenabhängigen eine HCV-Therapie zu ermöglichen, sind dafür wesentliche Gründe. Umso wichtiger wäre eine abgestimmte nationale Strategie, die den politischen Willen, diese Situation zu verändern, deutlich macht und den Handlungsrahmen bietet. Andere europäische Länder (Frankreich, Schottland) haben schon seit vielen 57  Jahren Aktionspläne und können Erfolge in der Epidemiologie, Prävention und Therapie nachweisen. Die deutsche Politik hat offenbar vergeblich gehofft, über eine „HuckepackStrategie“ mit der HIV/AIDS-Bekämpfung auch Virushepatitiden angemessen und entsprechend bekämpfen zu können. Dies erweist sich als gesundheitspolitische Sackgasse.

Hepatitis C-Behandlung: der Quantensprung steht bevor
Neben verstärkten Anstrengungen, über zielgruppenahe Präventions-, Testund Beratungsangebote das Wissen bei DrogengebraucherInnen über Infektionswege und Möglichkeiten der Infektionsvermeidung detailliert zu informieren, muss es das vorrangige Ziel sein, das Instrument „Behandlung“ in einem solchen Umfang einzusetzen, dass es mittelfristig zu einer Reduzierung der Hepatitis CPrävalenz kommt.

Eine vielbeachtete Studie aus Großbritannien, der eine mathematische Modellrechnung zugrunde liegt, unterstreicht, dass die Prävalenz der Hepatitis C deutlich gesenkt werden kann: So kann mit einer Therapierate von jährlich 20 HCV-Therapien pro 1000 DrogengebraucherInnen innerhalb von 10 Jahren eine Reduzierung der Prävalenz um 30 Prozent erreicht werden (Martin et al. 2011). Dieses Ziel zu erreichen, ist durchaus realistisch und demnach äußerst erfolgversprechend.

Darüber hinaus hat die Hepatitis C-Behandlung mit dem Einsatz von Medikamenten, die direkt das Virus angreifen, einen Quantensprung vollzogen. Neben der Tatsache, dass die Rate der dauerhaften Viruselimination bei Genotyp 1 bei bis zu 90% liegt, wird die Therapiedauer auf 12 bzw. 24 Wochen gesenkt.

Diese verbesserten Behandlungsmöglichkeiten können ihre Wirkung nur entfalten, wenn es gelingt, Hepatologen und Gastroenterologen – also Ärzte, die die höchste Kompetenz in der Behandlung der HCV Therapie aufweisen – dazu zu bewegen, die Gruppe der Drogengebraucher/Innen zu behandeln. Ferner gilt es Suchtmediziner und aktuell substituierende Ärzte, die bereits DrogengebraucherInnen seit vielen Jahren zu ihren Patienten zählen, entsprechend fortzubilden, dass sie eine HCV Behandlung in hoher Qualität durchführen können.

Solange die Kriminalisierung Drogen Gebrauchender fortgesetzt wird und entsprechend DrogengebraucherInnen bis zu einem Viertel aller Inhaftierten ausmachen, wird die Situation in Haftanstalten eine besondere sein. Die beiden Interventionen „Spritzenvergabe“ und „Substitution“ sind seit mehr als 20 Jahren bekannte, evidenzbasierte und überaus erfolgreiche Strategien, um die HIV/AIDSund HCV-Ausbreitung in Freiheit einzudämmen. Im Setting „Haft“, in dem 15-20.000 Drogenabhängige leben (Stöver 2012), macht man davon keinen bzw. nur geringen Gebrauch. Nur wenige Zahlen verdeutlichen dies: in nur 0,5% aller Haftanstalten (um genau zu sein: in einer) erfolgt eine Infektionsprophylaxe einschließlich eines Spritzentausches, nur 10% aller inhaftierten Drogenkonsument/innen befinden sich in einem Opiatsubstitutionsprogramm (im Gegensatz zu 40 bis 50% in Freiheit).

Strategiegruppe „Virushepatitis“: Ein deutscher „Aktionsplan Virushepatitis“ liegt vor
Im Jahr 2011 haben sich das Aktionsbündnis „Hepatitis und Drogengebrauch“ (vertreten durch DAH, Akzept, JES, Bundesverband der Eltern und Angehörigen für akzeptierende Drogenarbeit, Deutsche Gesellschaft für Suchtmedizin), die Deutsche Leberhilfe und die Deutsche Leberstiftung zusammengefunden, um gemeinsam einen Aktionsplan für eine nationale Strategie gegen Virushepatitis in Deutschland“ zu entwerfen. Dieser wurde im Juli 2013 der Öffentlichkeit vorgestellt. Er dient als Grundlage zur Verbesserung der Situation HBV/HCV-Infizierter (Aktionsbündnis „Hepatitis und Drogengebrauch“ et al. 2013).
Den Aktionsplan haben die Fachund Betroffenenverbände „von unten“ entwickelt, weil eben nach über 20-jähriger Thematisierung der Verbreitung, Prävention und  Therapie der Virushepatitiden und der Einforderung einer erhöhten Aufmerksamkeit und zielgerichteter Aktivitäten wenig passiert ist. Zwar hat das Bundesministerium für Gesundheit für die Zielgruppe der i.v. DrogenkonsumentInnen beispielsweise mehrere Fachkonferenzen und ein Handbuch „Hepatitis C und Drogengebrauch“ (Aktionsbündnis 2013) finanziert, ohne allerdings die Versorgungsengpässe in Testung, Prävention, Beratung und Therapie substanziell anzugehen.

Der „Aktionsplan für eine nationale Strategie gegen Virushepatitis in Deutschland“ versteht sich als ein inhaltlicher Rahmen und eine Aufforderung an die Politik und Fachverwaltung, die Herausforderung „Virushepatitis“ anzunehmen. Vorrangig gilt es hierbei:
– die zielgruppenspezifische Information und Aufklärung zu intensivieren,
– szenenahe Beratungsund Testangebote zu erweitern,
– die Realisierung von HAV-/ HBV Impfkampagnen entsprechend der STIKO 41 Indikation und
– eine Strategie gegen Virushepatitis in das „Public-Health-Konzept“, als Teil einer sozialen und politischen Strategie, einzubinden.

Am Ende macht der Aktionsplan auch klare Angaben zur Umsetzung der Maßnahmen – angelehnt an Task-Force-Strukturen in den Ländern, in denen HCV-Bekämpfungspläne bereits erfolgreich durchgeführt wurden.

Im Laufe des Jahres 2014 sollte die Umsetzung des „Aktionsplans Virushepatitis“ Gestalt annehmen!

41 STIKO: ständige Impfkommission

Literatur
Aktionsbündnis „Hepatitis und Drogengebrauch (2013): Hepatitis C und Drogengebrauch. Grundlagen, Therapie, Prävention, Betreuung und Recht. Berlin 3. Auflage, http://www.akzept.org/hepatitis_c_fachtag/aktionsb undnis/pdf_13/handbuch_hepatitis_280613.pdf
Aktionsbündnis „Hepatitis und Drogengebrauch“, Deutsche Leberhilfe e.V., Deutsche Leberstiftung (2013): Aktionsplan für eine nationale Strategie gegen Virushepatitis in Deutschland. Hannover, Juli 2013 http://www.deutscheleberstiftung.de/aktuelles/aktionsplan/
Global Commission on Drug Policy (2013): The Negative Impact Of The War On Drugs On Public health: the Hidden Hepatitis C Epidemic. Report of the Global Commission on Drug Policy. www.globalcommissionondrugs.org
Grebely, J. et al. (2013): Moving the Agenda Forward: the Prevention and Management of Hepatitis C Virus Infection Among People Who Inject Drugs. CID 2013: 57, S 29-38
Martin, N.K., Vickerman, P., Foster, G.R., Hutchinson, S., Goldberg, D., & Hickman, M. (2011): Can Antiviral Therapy for Hepatitis C Reduce the Prevalence of HCV Among Injecting Drug User Populations? A Modelling Analysis of its Prevention Utility. J Hep. 54(6):1137-44.
RKI (2012): Epidemiologisches Bulletin. 20. August 2012 / Nr. 33 RKI (2013): Epidemiologisches Bulletin. 29. Juli 2013 Nr.30

Neue psychoaktive Substanzen (NPS): Spezifische Risiken und Prävention

C 1-2

Cornelia Morgenstern

Neue psychoaktive Substanzen (NPS): Spezifische Risiken und Prävention

1. Beschreibung des Phänomens Als neue psychoaktive Substanzen (NPS), in den Medien auch häufig „Legal Highs“ genannt, werden Substanzen bezeichnet, die nicht den UN-Drogenkonventionen unterliegen (Rat der Europäischen Union 2005). Es sind Substanzen, die eine Alternative oder einen Ersatz zu herkömmlichen illegalen Drogen bieten können und die in erster Linie den Vorteil haben sollen, nicht nachweisbar zu sein und einen mehr oder minder legalen Status zu haben. Mittlerweile wurden allerdings eine Vielzahl dieser sogenannten „Legal Highs“ in Deutschland in das Betäubungsmittelgesetz aufgenommen. Ein weiteres Merkmal des NPS-Phänomens ist die Verbreitung dieser Substanzen über das Internet, dazu gehört sowohl die Verfügbarkeit von Informationen über diese Substanzen in Online-Foren, Wikipedia oder Blogs als auch der Verkauf über Online-Shops. Die OnlineShops werden wiederum über Social Media wie Facebook, Twitter, Youtube und andere beworben.

Seit dem Jahr 2008, als die Räuchermischung „Spice“ (vgl. Werse / Müller 2009) in Headshops auftauchte und durch die Berichterstattung in den Medien zu einer größeren Verbreitung kam, beschäftigen sich auch Strafverfolgungsbehörden und Gesetzgeber sowie Akteure aus dem Bereich Drogenpolitik und -prävention mit NPS. Die Zahlen der Europäischen Beobachtungsstelle für Drogen und Drogensucht (EMCDDA) zu NPS klingen alarmierend: 73 neue Substanzen wurden im Jahr 2012 registriert, es wurden 693 Shops im Internet gezählt, die solche Substanzen anbieten (EMCDDA 2013) und es wird angenommen, dass es mehrere Tausend neue psychoaktive Substanzen gibt (Europäische Kommission 2013). Allerdings bleiben die Prävalenzzahlen – soweit vorhanden – eher niedrig (vgl. Werse im selben Band)

2. Spezifische Risiken Ignorieren kann man diese Substanzen sicherlich nicht, da ihr Konsum erhebliche gesundheitliche Risiken mit sich bringen kann. Dabei stehen Intoxikationen häufig in Verbindung mit Mischkonsum und falschen Dosierungen. Mischkonsum und hohe Dosierung sind dabei häufig nicht beabsichtigt, sondern beruhen auf mangelnden Informationen zu den Produkten oder auf Produktionsfehlern. Die Universitätsklinik Freiburg befasst sich mit der Datensammlung zu Notfällen in Verbindung mit dem Konsum von synthetischen Cannabinoiden (bzw. Cannabinoidmimetika): „Acute toxic symptoms associated with their use are also reported after intake of high doses of cannabis, but agitation, seizures, hypertension, emesis and hypokalaemia seem to be characteristic to the synthetic cannabinoids, which are high-affinity and high-efficacy agonists of the CB1 receptor. Thus, these effects are due probably to a strong CB1 receptor stimulation.” (Hermanns-Clausen 2013). Demnach können synthetische Cannabinoide also aufgrund ihrer Rezeptorbindung weitaus schwerwiegendere akute körperliche Auswirkungen haben als der „Originalstoff“ THC. Ähnliches dürfte auf Langzeitrisiken zutreffen, über die mangels entsprechender Daten aber bislang wenig bekannt ist.

Die EMCDDA hat zu einzelnen Substanzen bereits Risikobewertungen erstellt. Dazu gehört beispielsweise die Substanz 4-MA (4Methylamphetamin), die mit Todesfällen in Belgien, Dänemark, den Niederlanden und dem Vereinigten Königreich in Verbindung gebracht wird (EMCDDA 2014). Ein grundlegendes Risiko beim Konsum dieser Substanzen liegt in der mangelnden Erfahrung im Umgang mit ihnen und in fehlenden wissenschaftlichen Erkenntnissen über Wirkungsweisen und Langzeitfolgen des Konsums. Das eigentliche Risiko dieser Substanzen geht also von der unzureichenden Information der Konsumierenden aus (Stichwort: Risikomündigkeit).

3. Gruppen von NPS Eine Besonderheit des Phänomens der neuen psychoaktiven Substanzen ist auch das breitgefächerte Spektrum an synthetischen Substanzen, das unter diesem Begriff subsumiert wird. Die in Deutschland am weitesten verbreitete Produktgruppe der Räuchermischungen, die synthetische Cannabinoidmimetika enthalten, werden unter so kreativen Produktnamen wie Crazy Monkees, Bonzai Citrus oder Millenium Platinum in bunten Tütchen verkauft. Die synthetischen Cannabinoide, die in diesen Räuchermischungen wirken, umfassen alleine hunderte Substanzen und haben Bezeichnungen wie JWH-018, benannt nach dem Chemiker John W. Huffman, oder AM-2201, benannt nach dem Chemiker Alexandros Makriyannis. Ihre Wirkungsweise wird zum Teil ähnlich wie Cannabis beschrieben, aber von einigen Substanzen, insbesondere denen der neueren Generation, wird gesagt, dass sie von ihrer Wirkungsweise als eine „eigene Droge“ gelten können. Eine weitere große Gruppe der neuen psychoaktiven Substanzen umfasst die „Research Chemicals“, neue psychoaktive Substanzen in Reinform. Hier reicht das Spektrum der Wirkungsweise der verschiedenen Substanzen von stimulierend über halluzinogen bis sedierend. Viele dieser Substanzen wurden übrigens von Alexander Shulgin in seinen Büchern PiHKAL und TiHKAL bereits in den 90er Jahren des vergangenen Jahrhunderts beschrieben; sie erreichten eine größere Aufmerksamkeit aber erst über die Verbreitung durch das Internet zu Beginn diesen Jahrtausends. Die dritte Gruppe stellen die sogenannten „Badesalze“ oder Partypillen dar, in denen stimulierende und/ oder empathogene Stoffe enthalten sind und die als Mischungen, ähnlich wie Räucher mischungen, in bunten Tütchen verkauft werden.

4. Rechtliche Situation Die große Zahl von psychoaktiven synthetischen Substanzen führte in den vergangenen Jahren zu einer Art Wettrennen zwischen Strafverfolgung und Gesetzgebung auf der einen Seite und Händlern und Produzenten 54    von NPS auf der anderen Seite, das an das Wettrennen zwischen Hase und Igel erinnert. Während man auf der einen Seite durch Verbote und Strafen das Angebot einzudämmen versuchte, wurden auf der anderen Seite Verbote durch immer neue Substanzen, die sich häufig nur minimal von der vorhergehenden Substanz unterscheiden, umgangen. Dieses Wettrennen setzt sich bislang mit anscheinend zunehmender Geschwindigkeit fort. Ein gravierendes Problem dabei ist, dass neu auf den Markt kommende Substanzen häufig noch potenter sind als die vorangegangenen und dass man noch weniger über sie weiß. Aus diesem Grund wird auch über alternative Strategien gegenüber dem Verbot möglichst vieler Substanzen nachgedacht.

Eine alternative Strategie wird zum Beispiel in Neuseeland erprobt, indem dort gesetzliche Rahmenbedingungen für die Regulierung des Verkaufs von „Legal Highs“ geschaffen wurden (Psychoactive Substances Act 2013). Bislang unterliegen neue psychoaktive Substanzen keinen Kontrollmaßnahmen der UN. Die EU möchte zukünftig im Hinblick auf NPS schnellere Verfahren und einen abgestuften Ansatz einführen (vgl. Europäische Kommission 2013). In Deutschland werden zurzeit vorrangig immer mehr Substanzen dem BtMG unterstellt. Welche Rolle das Arzneimittelgesetz (AMG) zukünftig für NPS spielen wird, unterliegt rechtlichen Prüfungen, ebenso wie die Einführung einer Stoffgruppenregelung. Derzeit folgt man hierzulande der Rechtsauffassung, dass NPS unter den Anwendungsbereich des AMG fallen und, da sie als „bedenkliche Arzneimittel“ gelten, nicht verkauft werden dürfen; weshalb der Handel über „Headshops“ und ähnliche Geschäfte weitgehend unterbunden wurde (über ausländische Onlineshops aber ungehindert weiterläuft). Diese Rechtsauffassung ist allerdings stark umstritten und liegt derzeit dem EuGH zur Entscheidung vor (vgl. Pollähne 2013).

5. Prävention Die unüberschaubar große Anzahl von NPS bei wiederum relativ geringen Verbreitungszahlen stellen die Prävention vor spezielle  Herausforderungen: Einfache Broschüren, die über das Phänomen informieren, können nur oberflächlich und allgemein gehalten sein und sind eher an unerfahrene Neugierige oder an interessierte Fachkräfte und Eltern gerichtet. Risikominderung bei bereits Konsumierenden kann durch spezifische Beschreibungen zu den Substanzen oder auch zu Substanzgruppen erfolgen. Dazu braucht es die Voraussetzung von Websites, um entsprechende Datenmengen und Updates zu ermöglichen (z.B. legal-high-inhaltsstoffe.de; vgl. auch Erowid.org). Es müssen allerdings fortlaufend Forschungsergebnisse und Analysen von Substanzen online gestellt werden, um halbwegs aktuell und evidenzbasiert informieren zu können. Dies ist derzeit nur unzureichend möglich, da z.B. aus Rechtsgründen keine quantitativen Angaben über Inhaltsstoffe analysierter Produkte gemacht werden dürfen. Eine wichtige Rolle bei der Information der Konsumierenden spielen auch Erkenntnisse aus Drug Checking-Projekten, wie sie beispielsweise in der Schweiz durchgeführt werden (Bücheli 2012). Fachleute wie Pharmakologen, Chemiker und Mediziner sind gefragt, die zur Risikobewertung beitragen können. Dies wiederum ist aufwendig und kostspielig und ist nicht mit der Veröffentlichung einer Broschüre im Fünf-JahresRhythmus getan.

Andere Wege für ein risikominimierendes Verhalten der Konsumierenden von NPS sind nutzergenerierte Inhalte in Social Media, die von Konsumierenden weltweit zur Verfügung gestellt werden. Hier leisten Wikipedia-Einträge und Online-Foren einen wichtigen Beitrag (Werse / Morgenstern 2011). Vorteil dieser Informationswege ist zudem ihre zeitlich und räumlich nahezu unbegrenzte Verfügbarkeit, sowie die Möglichkeit, sich anonym und gleichzeitig (semi-)öffentlich auszutauschen.

6. Fazit Gerade bei dem weiten Feld der NPS ist die Risikomündigkeit der Konsumierenden von zentraler Bedeutung. Dazu ist ein möglichst freier, öffentlicher und anonymer Austausch und Zugang zu allen Informationen über die   Substanzen und Produkte notwendig. Ein umfassendes Drug Checking-Angebot würde bei NPS eine wichtige Rolle spielen, um Risiken zu vermeiden. Verbote von Substanzen und Restriktionen gegenüber Foren erhöhen das Risiko der NPS nur und gerade nationale Beschränkungen bringen hier wenig bis gar nichts. Es kommen potentere Substanzen auf den Markt, das Unwissen der Konsumierenden ist noch größer und die Suche nach einer Substanz, die noch legal und nicht nachweisbar ist, führt zu gefährlichen Ausgangsbedingungen für die Konsumierenden. Diese Erfahrungen wurden in Neuseeland bereits gemacht und die daraus notwendigen Konsequenzen wurden in der Veränderung der rechtlichen Rahmenbedingungen vollzogen, zumindest im Ansatz. Ob sich der neuseeländische Weg als erfolgversprechend zeigt, wird man abwarten müssen.

Literatur
Auwärter, V. (2011): Wovon reden wir eigentlich? Überblick über die Substanzen und ihre Wirkung; Jahrestagung der Bundesdrogenbeauftragten: Der Stoff aus dem Chemielabor. Speed, Spice & Co; Berlin,
http://www.drogenbeauftragte.de/fileadmin/dateiendba/DrogenundSucht/Illegale_Drogen/Heroin_ander e/Downloads/Auwaerter.pdf
Bücheli, A. (2012): Drug Checking und der Konsum von „Legal Highs“. Eine Zwischenbilanz nach über 15 Jahren Praxis in der Schweiz; in: Konturen. Fachzeitschrift für Sucht und soziale Fragen, 2/2012, 33. Jahrgang, Bad Orb, 28-32
Europäische Kommission 2013: Vorschlag für eine VERORDNUNG DES EUROPÄISCHEN PARLAMENTS UND DES RATES über neue psychoaktive Substanzen, Brüssel,
http://ec.europa.eu/justice/antidrugs/files/ com_2013_619_de.pdf
European Monitoring Centre for Drugs and Drug Addiction (EMCDDA) 2014: Report on the risk assessment of 4-methylamphetamine in the framework of the Council Decision on new psychoactive substance, Risk Assessments, Publications Office of the European Union, Luxembourg, http://www.emcdda.europa.eu/publications/riskassessment/4-MA
Hermanns-Clausen, M. et al. 2013: Acute toxicity due to the confirmed consumption of synthetic cannabinoids: clinical and laboratory findings; Addiction 2013 Mar;108:534-44, http://www.ncbi.nlm.nih.gov/ pubmed/22971158
Pabst, A., Kraus, L., Gomes de Matos, E. & Piontek, D. (2013). Substanzkonsum und substanzbezogene Störungen in Deutschland im Jahr 2012 [Substance use and substance use disorders in Germany in 2012]. Sucht, 59 (6), 321-331; Open Access: http://www.psycontent.com/content/946m87w0g48 12vu8/fulltext.pdf.
Psychoactive Substances Act (2013), issued by The Parliament of New Zealand, http://www.legislation.govt.nz/act/public/2013/005 3/latest/DLM5042921.html?src=qs
Pollähne, H. (2013): Legal Highs vor dem EuGH. Eine Droge ist kein Arzneimittel; in: Legal Tribune, http://www.lto.de/recht/hintergruende/h/eugh-legalhighs-amg-verkauf-strafbar/
Rat der Europäischen Union 2005: Amtsblatt der Europäischen Union. BESCHLUSS 2005/387/JI DES RATES vom 10. Mai 2005 betreffend den Informationsaustausch, die Risikobewertung und die Kontrolle bei neuen psychoaktiven Substanzen, http://eurlex.europa.eu/LexUriServ/LexUriServ.do?uri=CELEX:3 2005D0387:DE:HTML
Werse, B. / Morgenstern, C. (2011): Abschlussbericht – Online-Befragung zum Thema „Legal Highs“. Im Auftrag des Bundesministeriums für Gesundheit. Frankfurt a.M.: Goethe-Universität, Centre for Drug Research Werse, B. / Müller, O. (2009): Pilotstudie: Spice, Smoke, Sence & Co. Cannabinoidhaltige Räuchermischungen: Konsum und Konsummotivation vor dem Hintergrund sich wandelnder Gesetzgebung. Unter Mitarbeit von Christiane Bernard. Frankfurt a.M.: Goethe-Universität, Centre for Drug Research.

Schulische Sucht-Prävention? Ein – leider – grundsätzlich verfehlter Ansatz

C I Schwerpunkte der Drogen und Suchtpolitik
C 1 Prävention

C 1-1
Stephan Quensel Schulische Sucht-Prävention? Ein – leider – grundsätzlich verfehlter Ansatz 38

1. Als vornehmlich gegen Jugendliche gerichtetes Kontrollinstrument kombiniert die Suchtprävention drei scheinbar höchst plausible Kontroll-Strategien:

Zunächst (1) das aus der US-amerikanischen Mental-Health-Bewegung des 19. Jahrhunderts stammende, auf die Alkohol-‚Sucht‘ bezogene psychiatrische Sucht-Konzept. Sodann (2) die seit Beginn des 20. Jahrhunderts anlaufende juristisch-strafrechtliche Bekämpfung illegaler Drogen. Und schließlich (3) den vor allem von der Sozialarbeit als neuem Tätigkeitsfeld willig aufgenommenen Präventions-Gedanken, der den beiden aufeinander aufbauenden Maximen folgt: ‚Heilen ist besser als Strafen‘ und ‚Vorbeugen ist besser als Heilen‘.

1.1 Dabei erwies sich vor allem das SuchtKonzept als psychiatrisch-therapeutische Mehrzweck-Waffe in mehrfachem Sinne: Zunächst ist es im Common Sense ebenso verankert wie in der Gesundheitspolitik der WHO (World Health Organization). Man versucht die Sucht psychiatrisch exakt in deren ICD-10 oder im US-amerikanischen DSM IV und jüngst im DSM V stufenweise zu definieren und dann auch skalenmäßig zu erfassen. Die Sucht beherrscht den hilflos Süchtigen, exkulpiert ihn aber nicht; sie lässt sich therapieren, selbst wenn sie im Gehirn verankert sein soll; und sie droht demjenigen als nahezu unausweichliches Schicksal, der sich zum – präventiv relevanten – Beginn auf eine schiefe Bahn begibt, oder der später, nach Genuss einer einzigen Cognac-Bohne, rettungslos rückfällig werden wird.

Doch ist diese ‚Sucht‘ nichts anderes als ein – negativ als krankhaft eingefärbtes – Etikett, das bestimmte, zumeist ‚ gesellschaftlich‘ unerwünschte Verhaltensweisen mit einem zugleich entschuldigenden wie vorwurfsvollen Stempel belegt. Dessen ‚Realität‘ nicht nur autoritativ vom dazu zuständigen SuchtExperten diagnostisch festgelegt, sondern das dann auch entsprechend ambivalent vom ‚Süchtigen‘ übernommen und damit sichtbar bestätigt wird.

1.2 Auch die Anti-Drogen-Strategie, die seit der Haager Konferenz (1912: ‚International Opium Convention’) vor allem von den USAmerikanern vorangetrieben wird, reicht vom Common Sense besorgter Erwachsener und entsprechend interessierter Politiker über die Arbeit der Europäischen Beobachtungsstelle (EMCDDA/EBDD), die jährlich einen Drogenbericht publiziert, und die 2011 nach langer Beratung die ‚European Drug Prevention Quality Standards’ publiziert hat, bis in die luftigen Höhen des UNODC (United Nations Office on Drugs and Crime), das den World Drug Report sowie die International Standards of Druguse Prevention (IntStand 2013) herausgibt, und des Internationalen Narcotic Control Boards (INCB), der sich dezidiert gegen die diversen Versuche, Cannabis zu legalisieren wendet, oder die UN-Generalversammlung (UNGASS), die 1998 einen großartigen ‚Action Plan on International Cooperation on the Eradication of Illicit Drug Crops’ bis 2008 beschloss, der jedoch 2013 auf einer Evaluations-Konferenz in Wien, wie zu erwarten, kaum die erwünschten Erfolge aufweisen konnte. 1.3 Die Suchtprävention lebt von diesen beiden Konstruktionen, der Suchtund der Drogen-Gefahr, wobei sie, wie jede Prävention, drei Prämissen folgt:
(1) Sie muss, logisch, vor der zu verhütenden Gefahr einsetzen, und zwar umso früher, je tiefer ihre Wurzeln in die Vergangenheit reichen, weshalb man mitunter auf den Kindergarten oder auf die Beratung von ‚Problem-Müttern‘ durch geschulte Familienhebammen zurückgreifen will (‚prenatal and infancy visitation’). Dabei nimmt man „stärker als in der Vergangenheit nicht nur die Abhängigkeit in den Blick, sondern auch riskantes Konsumverhalten, das gesundheitsschädlich und entwicklungseinschränkend ist, auch wenn es nicht zwingend zu einer Abhängigkeit führt“. (DBDD 2012, S. 9).
(2) Diese Prävention soll zudem möglichst ‚umfassend‘ angelegt werden. Und zwar sowohl hinsichtlich der zu erfassenden Personen, zumal dann, wenn man die künftig Gefährdeten nicht zureichend prognostizieren kann, oder wenn man bei entsprechend ‚sekundär präventiver‘, ‚indizierter’ Auslese deren frühzeitige Stigmatisierung befürchten muss. ‚Umfassend‘ aber auch hinsichtlich der empirisch erhobenen – korrelativen, also nicht kausalen – Fülle möglicher ‚Risiko-Faktoren‘. Weswegen man nicht nur auf verallgemeinernde ‚Kompetenz-Trainings‘ zurückgreift, sondern möglichst auch Lehrer, Eltern und die ganze Gemeinde (‚Community-based multi-component initiatives’) in solche Präventions-Kampagnen einbezieht. Eine Frage also der Ausdauer, des verfügbaren Personals und der Kosten, die der Suchtprävention ein nahezu unbegrenzbares Tätigkeitsfeld eröffnet.
(3) Schließlich muss man eine künftig als möglich angesehene Gefahr schon heute realiter bekämpfen. Sei es ganz direkt dadurch, dass man die gefährdenden Böcke von den gefährdeten Schafen trennt, also den ertappten Cannabis-Sünder von der Schule weist, oder indem man diejenigen Schulklassen, in denen mehr als 10 Prozent schon einmal geraucht haben, aus dem ‚Be-smartdon‘t-start‘Programm ausschließt. Oder sei es dadurch, dass man im angepriesenen Kompetenz-Training übt ‚nein zu sagen‘, auch wenn solche unschuldigen Novizen auf diese Weise ihre sozialen Kontakte völlig verlieren. Geradezu paradox wirkt sich diese Strategie dann aus, wenn man es vermeidet, über einen angemessenen Umgang mit der Droge aufzuklären. Weil Novizen dann mühsam und gefahrenträchtig ihren, von diversen erwachsenen und jugendlichen Mythen gepflasterten eigenen Weg finden müssen. Obwohl, wie unsere Untersuchung zeigte, zwar die NochAbstinenten glaubten, schon alles über die Abhängigkeit zu wissen, während die Konsumierenden dagegen sich, selbst von der Schule, weitere Drogen-Informationen wünschten.

Eine paradoxe Situation, die etwa dazu führt, dass auf privaten Abiturfeiern die Unerfahrenen die Alkohol-Opfer stellen, die zum Glück von ihren kompetenteren Freunden inzwischen verstärkt dem ärztlichen Notdienst überantwortet werden; womit man steigende Krankenhaus-Zahlen ebenso belegen kann, wie die Sorge, dass das Koma-Saufen immer mehr auch die jüngeren und ‚besseren Kreise‘ erfasse. Um nun mit einem besonders gelobten Programm – HaLT (Hart am LimiT), das inzwischen bundesweit umgesetzt wurde – u.a. diese Sünder gleich am Krankenbett in ‚ihrer kritischen Phase‘ – wieder in gleicher Weise Gefahren-orientiert – zu bearbeiten. Anstatt darauf zu setzen, dass viele dieser Jugendlichen aus Scham über ihr ‚AlkoholVersagen’ in Zukunft etwas ‚vernünftiger’ Alkohol konsumieren werden; was sich sogar, mangels zureichender Kontrollgruppen, evaluativ als Programm-Erfolg verkaufen ließe.

2. Das Geschäft der Suchtprävention hat sich inzwischen, einmal mehr unter der Führung des ‚puritanischen’ US-Amerika, zu einer regelrechten Präventions-Industrie ausgewachsen. Ähnlich wie in der Sucht-Therapie, und häufig Hand in Hand mit ihr, gelang es, gestützt auf das US-amerikanische Vorbild, staatlich gefördert und dotiert, die ursprünglich laienhaft naiven Ansätze in größerem Maßstab zu professionalisieren, zu ‚evaluieren’, zu beforschen und zu vermarkten: So verwertet und empfiehlt etwa das IFT München (Institut für Therapieforschung) vorwiegend die US-amerikanische DrogenLiteratur, während das namensgleiche norddeutsche IFT Nord (Institut für Therapie und Gesundheitsforschung) aus Kiel seit 1997 das u.a. von der BZgA, der AOK und der Deutschen Krebshilfe geförderte ‚Be-SmartDon‘t-Start‘-Programm realisiert.

Inzwischen hat diese ‚Präventions-Industrie’ ein erstaunlich hohes, sich selbst stabilisierendes Maß an Professionalisierung erreicht. Eine Professionalisierung, die sich einerseits mit einem hohen quasi-wissenschaftlichem Anspruch ‚institutionell’, nach außen abschotten kann, wie dies etwa im vom BZgA betriebenen ‚Dot.sys. 3.0’, einer Sammlung einschlägiger Suchtpräventions-Programme, und im ‚Prevnet’ mit 900 Einrichtungen und rund 1.400 Mitgliedern – „der größten OnlinePlattform für die Fachexperten der Suchtvorbeugung“ – zu beobachten ist, in der man nur als überprüfter ‚Fachexperte’ Mitglied werden kann.
Und die sich andererseits als Profession weithin selber positiv ‚evaluiert’, so sehr freilich von neutraler Hand betriebene Evaluationen eher keine, wenn nicht sogar negative (iatrogene) Erfolge zu Tage fördern. Weswegen man in betriebseigenen Evaluationen alle legitimen methodischen und statistischen Tricks einsetzt – indem man etwa die Zahl der befragten Probanden oder der überprüften Befunde so hoch ansetzt, dass sich Signifikanzen kaum vermeiden lassen, während die praktische Relevanz gegen Null tendiert; oder sich dazu verführen lässt, die Auswertung so anzusetzen, dass der normale – politische oder finanzierende – Empfänger den dahinter liegenden bewussten oder so nicht bedachten Betrug kaum durchschauen kann. 39
Man kann aber auch, wie etwa der Drogenund Suchtbericht der Bundes-Drogenbeauftragten (2009), die von der renommierten Firma Prognos bestätigte korrekte Durchführung des HaLT-Programms (‚ProzessEvaluation’) als ‚evaluative Bestätigung’ werten, obwohl dies, ähnlich dem Prüfbericht über eine richtig aufgebaute Anlage für AutoCrash-Tests, zwar eine notwendige, doch keineswegs eine hinreichende Aussage über das erwartete Ergebnis liefert.

3. ‚Objekt‘, nicht jedoch Subjekt, dieser Suchtprävention sind – mit gewisser altersmäßiger Variation – üblicherweise Jugendliche, die die Schule besuchen, da man sie hier am besten erreichen kann. Als noch ‚unmündig‘ begriffen, unverständig und schutzbedürftig ‚leben‘ sie jedoch in ihrer eigenen, von den ‚Erwachsenen‘ wenig verstandenen Welt, in der sie sich behaupten müssen, ‚heute‘ ihren Lebens-Sinn finden und das ‚Morgen‘ einüben sollen. In einer eigenständigen Lebensweise, in einer – mannigfach gebrochenen – ‚Jugendkultur‘, in der sie sich im Peergruppen-Kontext – und zwar vor allem auch im Party-Kontakt mit dem anderen Geschlecht – bewegen und bewähren müssen. Ein Kontext, der zum Leidwesen der Erwachsenen weniger schuldenn freizeitbezogen ausfällt, und in dem ‚harte‘ jugendkulturelle Sitten und sich mitunter rasch wandelnde Moden dominieren, die heute, im Zeitalter der Internet-Kommunikation, stärker das Auf und Ab von Drogen-Wellen bestimmen als jede erfolgreiche Prävention. Mit einem Musik-, Sprach-, Kleidungs- und Körper-Stil, dem man folgen sollte, sofern man die für die Identität notwendige Anerkennung der anderen Jugendlichen, doch nicht unbedingt die der Erwachsenen, gewinnen will. Stil-Figuren, mit denen man sich – zumindest partiell – ‚von den anderen‘, also von den ‚Braven’ und insbesondere von der Lebensweise der Erwachsenen abheben will, wenn dies auch heute in manchen Bereichen schwerer fällt als in früheren Zeiten.

Zu diesem Jugend-Stil gehören auch einige, von den Erwachsenen als ‚abweichend‘ definierte Verhaltensweisen, wie etwa der jugendlich laute Alkohol-Konsum und das ‚verfrühte’ Rauchen; bei den Jungen die kleinere Delinquenz und manche ‚Gewalt’; bei den Mädchen noch immer das ‚risky sexual behaviour’ und der bisher präventiv noch wenig beachtete Konsum von Tabletten aller Art; und schließlich für beide der besonders eng mit dem Musik-Stil verbundene, Modeabhängige Konsum so genannter ‚Legal Highs’ oder ‚Party-Drogen‘, die man so nicht nennen soll, da dies das Problem verharmlosen würde.
Zusammengenommen bilden diese Verhaltensweisen – mit jeweils variierenden Schwerpunkten – einen über die europäischen Grenzen hinweg reichenden, für Jungen wie Mädchen gemeinsamen, positiv besetzten jugendlichen Freizeitstil, an dem nicht nur gemessen wird, wer und was ‚in‘ und wer ‚out‘ ist, sondern der zugleich auch die zukunftsträchtige Möglichkeit bietet, sich eigenständig zu bewähren. Mit zwei unerwünschten Konsequenzen:

3.1 Wer sich diesem Stil verweigert, riskiert, sofern er/sie nicht anderweitig, insbesondere in anderen Gruppen-Kontexten abgesichert ist – wie z.B. in manchen präventiv immer wieder empfohlenen, doch häufig dem Alkohol geneigten Sportarten – sozial isoliert zu werden. Mit zwei typischen weiteren Folgen: Häufig versuchen jüngere Novizen, unerfahren und noch ohne den schützenden Gruppen-Kontext – durch selbst auferlegte und von außen geförderte ‚Mutproben‘ – in solchen verpönten, jugend-kulturell jeweils vorgeformten Verhaltensbereichen Anerkennung und damit Aufnahme in die Gruppe zu erwerben. Koma-Saufen-Unfälle liegen dann ebenso nahe, wie ‚Horror‘-Erfahrungen im weiteren Party-Drogen-Bereich; die übrigens umso seltener auftreten, je erfahrener die Konsumenten insgesamt mit diesen Drogen umgehen können.
Misslingen solche Anbiederungsversuche, liegt es nahe – was in unserer Untersuchung deutlich sichtbar wurde –, die in diesem Alter besonders intensiv erlebte soziale Isolation depressiv zu verarbeiten, wofür als Beispiel das ‚einsam heimliche Trinken‘ späterer Altersstufen stehen mag.

3.2 Schulprobleme treten auch ohne den begleitenden Drogen-Konsum auf; während um50    gekehrt, im Präventions-Denken unerwartet, viele Schüler selbst mit einem intensiveren ‚normalen‘ Drogen-Konsum kompetent umgehen können, ohne solche Schulprobleme zu haben. Wenn beide ‚Probleme‘, Schulversagen wie Drogenkonsum, zusammentreffen, bleibt offen, welcher dieser beiden Bereiche vorrangig ist, da sie sich im Laufe eines längeren Prozesses gegenseitig hochschaukeln werden. Dabei ließe sich die schulische Komponente, wenn nicht von Anfang an, so doch im Laufe dieses Prozesses, leichter beheben, als ihre – häufig eher in Reaktion auf dieses Schulversagen kompensierend angelegte – jugendspezifisch gruppenorientierte Drogen-Komponente.
Wir haben also für eine schulspezifische Prävention – neben einer zureichenden und erwünschten ‚realistischen’ Aufklärung, wie sie etwa in www.drugscouts.de angeboten oder im risikopädagogischen Rebound-Proversucht gramm (www.my-rebound.eu) werden soll – mit zwei sich deutlich abzeichnenden Problem-Gruppen zu tun: Eine brave, depressiv eingefärbte Gruppe der mehr oder weniger sozial Isolierten einerseits, und die häufig kompensatorisch Drogen konsumierenden ‚Schulversager‘ andererseits. Während im Normalfall der ‚normale‘ jugendspezifische Drogenkonsum eher soziale Kontakte begünstigt und ohne schulische Folgen bleibt. Beide ‚Problemgruppen‘ sind – ohne großen Aufwand und ohne Drogen-Stigma-Folgen – leicht für entsprechende ‚Fördermaßnahmen‘ zu erkennen.

3.3 Diese jugendspezifische ‚Drogen-Normalität‘ kann nicht nur gegen die befürchteten Süchte ‚immunisieren’, sondern wird sich gewöhnlich von selber ‚auswachsen‘, ohne notwendigen Zusammenhang mit eventuell später auftretenden erwachsenen ‚Sucht -Problemen‘, die doch eine darauf ausgerichtete Sucht-Prävention begründen sollen. Man kennt das aus der Delinquenz-Entwicklung, die mit dem Eintritt in das ErwachsenenAlter zunehmend versiegt, wie aus den üblichen Cannabis-Verläufen – zumal der Konsum von Cannabis, entgegen dem propagandistischen Fehlschluss, bei den Junkies eher als Ausstiegsdenn als Einstiegs-Droge  wirksam wird – weil sie mit dem Auslaufen der Zugehörigkeit zur Jugendkultur an Reiz verlieren, sofern sie nicht ganz normal in eine erwachsene ‚work-hard-live-easy‘-Kultur als Entspannungsmittel eingebaut werden.

4. So sehr die derzeit übliche Suchtprävention weitgehend ohne evaluativ nachweisbare dauerhafte Erfolge agiert, so kann sie doch das ursprünglich definierte ‚Drogen-Problem‘ in doppelter Weise weiter verschärfen:

4.1 Bei den noch ‚Braven’ wächst das Risiko der sozialen Isolation. Den ‚Gefährdeten’ bietet sie einen Schul-‚Status’, der kompensatorisch die Schulproblematik vertiefen kann. Leicht führt dies zu einer frühzeitigen Stigmatisierung. Sei es, weil eine Mehrzahl ängstlich-intoleranter Schüler, Eltern oder aufgeschreckter Lehrer den präventiv angeratenen Ausschluss solcher Sündenböcke realisieren. Oder sei es, dass sekundär bzw. ‚indiziert’ präventiv gezielt darauf angesetzte Maßnahmen dieses ‚Gefahren‘-Merkmal, aus seinem jugendkulturellen Hintergrund herausgelöst, zum Master-Status-Merkmal erklären. In beiden Fällen, Isolation wie ‚Gefährdung‘, schürt die gegenwärtige Suchtprävention ebenso Intoleranz und unsolidarische Ausgrenzung wie sucht-spezifische Ängste und Erklärungsmuster, anstatt zureichend über die konkreten Gefahren in der Art und Weise des Drogen-Konsums und über brauchbare Nothilfen (!) im Rahmen eines ‚Erste-HilfeKurses’ aufzuklären.

4.2 Problematischer sind die indirekten Auswirkungen dieser Suchtprävention auf die Eltern der Schüler, insbesondere, wenn sie dieser altersspezifischen ‚Jugendkultur und deren Freizeitverhalten eher fremd gegenüberstehen. Die ihnen professionell und pseudowissenschaftlich vermittelten Informationen fördern, wenn sie wie üblich den allgemeinen Common-Sense-Befürchtungen entsprechen, solche mit Angst besetzte Abhängigkeits-Stereotypen, die nach unserer Untersuchung mit zunehmenden Alter und abnehmendem Bildungsstand immer ausgeprägter auftreten. Und zwar immer dann, wenn man, durch eine solche Aufklärung verunsichert,   weniger auf die isoliert Braven, denn auf die Drogen-Sündenböcke achtet. Oder wenn man in erweiterten Präventions-Programmen – wie etwa in der nach US-amerikanischen Vorbildern entwickelten und gepriesenen MDFT (Multidimensionale Familientherapie) 40 – mit eben dieser stereotypen ‚Suchtpräventions’Perspektive nunmehr auch noch „familiäre und institutionelle Bezugspersonen“ (Lehrer, Sozialarbeiter, Polizisten?) unmittelbar in eine solche Präventionsarbeit einbeziehen will.

Wobei die meisten dieser merkantilen Suchtpräventions-Programme mit ihren typischen Mittelschicht-Werten auf Jugendliche aus eben dieser sozialen Schicht ausgerichtet sind, während etwa, wie im ‚Be-Smart-Don‘tStart‘-Programm, Hauptschüler und andere Migranten nur schlecht erreicht werden. Ebenso, wie man solche MittelschichtJugendliche eher in den neuartigen CannabisTherapie-Angeboten – etwa im internationalen INCANT-Projekt (International Cannabis Need of Treatment) des Berliner Therapieladens – wieder findet. Während man den anderen in den – von der renommierten Beratungsfirma FOGS lediglich im Hinblick auf die Durchführung Prozess-evaluierten – polizeilich geleiteten FreD-Programmen (Frühintervention bei erstauffälligen Drogenkonsumenten) für ertappte Cannabis-Konsumenten begegnen wird.

Wie so oft bei solchen sogenannten ‚sozialen Problemen’ erweist es sich auch bei der ‚Sucht’-Prävention, dass zweifellos gegebene riskante und gelegentlich auch problematische Situationen dann, wenn sie in die Hände von organisierten und politischen Interessenten geraten, leider ein unerwünschtes Eigenleben entwickeln, in dem diese Akteure – häufig, jedoch keineswegs immer, mit bestem Wollen – das ‚Problem’ vorantreiben, wenn nicht gar selber produzieren werden.

38  Der Beitrag ist eine gekürzte Fassung meines Artikels ‚Schulische Suchtprävention. Zur Pathologisierung von Jugendlichen.’ In: Marcus Balzereit, Roland Anhorn (Hrsg) (2014): Handbuch Therapeutisierung und Soziale Arbeit. (im Druck). Dort findet man auch einen weiterführenden Anmerkungsapparat. Bei meinen Ausführungen stütze ich mich auf meine beiden Bücher ‚Das Elend der Suchtprävention’ und ‚Wer raucht der stiehlt… Zur Interpretation quantitativer Daten in der Jugendsoziologie’ (Quensel 2009 & 2010), in denen ich die hier angeschnittenen Fragen zunächst eher ‚theoretisch’, dann stärker ‚empirisch’ an Hand einer Umfrage unter 4.000 15-Jährigen aus 5 europäischen Großstädten analysiert habe

39  vgl. meine Kritik an der ‚Be-Smart-Don’t-Start’ Evaluation in Quensel 2007.

40  „Mit der MDFT liegt ein evidenzbasierter, integrativer Behandlungsansatz vor, bei dem bestehende familiäre und institutionelle Bezugspersonen einbezogen werden, um ihre erzieherische, beraterische und betreuende Kompetenz zu optimieren. Um zu helfen, ‚Drogenkarrieren’ der benachteiligten Jugendlichen zu verhindern, soll die MDFT bundesweit bekannt gemacht und umgesetzt werden. Zu diesem Zweck fördert das BMG seit Herbst 2012 die Qualifizierung von Fachkräften aus Einrichtungen der Jugendund Suchthilfe zu MDFT-Fachkräften bzw. MDFT-Supervisoren.“ (Drogenbeauftragte 2013, S. 144)

Literatur
DBDD (2012): Bericht 2012 des nationalen REITOX-Knotenpunkts an die EBDD; (www.dbdd.de › Publikationen )
Die Drogenbeauftragte der Bundesregierung (2009): Drogenund Suchtbericht 2009. Berlin: Bundes-ministerium für Gesundheit.
Die Drogenbeauftragte der Bundesregierung (2013): Drogenund Suchtbericht 2013. Berlin: Bundes-ministerium für Gesundheit.
Quensel, S. (2007): Staatsforschung: Wie „Be Smart-Don’t-Start“ sich selber evaluiert. In: Kriminologisches Journal 39, 1, S. 68-79.
Quensel, S. (2009): Wer raucht, der stiehlt…: Zur Interpretation quantitativer Daten in der Jugendsoziologie. Eine jugendkriminologische Studie. Wiesbaden: VS.
Quensel, S. (2010): Das Elend der Suchtprävention: Analyse Kritik – Alternative. 2. Aufl. Wiesbaden: VS. 52