Archiv des Autors: drogenbeauftragter

Für eine konsequente Tabakprävention – Forderungen des Aktionsbündnisses Nichtrauchen e.V. (ABNR)

B 2 Tabak

B 2-1 Inga Jesinghaus / Uwe Prümel-Philippsen

Für eine konsequente Tabakprävention Forderungen des Aktionsbündnisses Nichtrauchen e.V. (ABNR)

Ausgangssituation:
Der Konsum von Tabakprodukten führt in Deutschland jährlich zum vorzeitigen Tod von mehr als 100.000 Menschen. Das sind mehr Todesfälle als durch Alkohol, illegale Drogen, Verkehrsunfälle, AIDS, Morde und Selbstmorde zusammen verursacht werden. Zusätzlich sterben hierzulande jedes Jahr mehr als 3.000 Menschen durch Passivrauchen. 2

Die Gefahren des Rauchens sind hinlänglich bekannt. Dessen ungeachtet rauchen in Deutschland immer noch ca. 30 Prozent der Erwachsenen. Da Tabak in hohem Maße suchterzeugend ist, können Aufklärungskampagnen alleine nicht zu einem relevanten Rückgang der Raucherquoten führen. Erforderlich sind daher konsequente regulatorische und gesetzliche Maßnahmen, die das Rauchen insbesondere für junge Manschen weniger attraktiv machen. In anderen EULändern (z.B. Finnland, Schweden) konnte die Raucherquote durch strikte Tabakprävention bereits auf unter 20 Prozent reduziert werden. Der dringende Nachholbedarf Deutschlands bei der Tabakkontrolle wird unterstrichen durch das blamable Ergebnis der neuesten Europäischen Tabak-Kontroll-Skala 2013, wonach Deutschland unter den befragten 34 Ländern den vorletzten Platz einnimmt.3

2   vgl. Homepage der Drogenbeauftragten der Bundesregierung: http://www.drogenbeauftragte.de/drogen-undsucht/tabak/situation-in-deutschland.html (abgerufen am 16.04.2014)
3   Joossens L, Raw M: The Tobacco Control Scale 2013 in Europe. Präsentiert auf der Sixth European Conference Tobacco or Health (TCToH), Istanbul, 26.-29. März 2014.

Den Rahmen für Tabakprävention auf nationaler Ebene setzen insbesondere das WHORahmenübereinkommen zur Eindämmung des Tabakgebrauchs (FCTC) und die Tabakproduktrichtlinie der Europäischen Union sowie weitere Richtlinien der Europäischen Union, z.B. zum Tabakmarketing oder zur Tabakwerbung.

Anforderungen an eine konsequente Tabakprävention:
Um den Tabakkonsum in allen Teilen der Bevölkerung langfristig zu senken und die Bürgerinnen und Bürger besser vor Passivrauch zu schützen, sind vor allem effektive regulatorische Maßnahmen notwendig. 4
Zentrale Forderungen des ABNR sind deshalb:
1. Nichtraucherschutz gesetzlich verbessern und vereinheitlichen
2. Tabakwerbung, Promotion und Sponsoring in jeder Form verbieten
3. Tabaksteuern kontinuierlich und deutlich erhöhen
4. Vertriebsmöglichkeiten von Tabakwaren einschränken
5. Hilfen zum Rauchstopp verbessern
6. E-Zigaretten und E-Shishas wirksam regulieren
7. Einflussnahme der Tabakindustrie transparent machen und eindämmen.

1. Nichtraucherschutz gesetzlich verbessern und vereinheitlichen …in allen Arbeitsstätten
Arbeitgeber sind seit 2002 gesetzlich verpflichtet, die nicht rauchenden Beschäftigten in der Arbeitsstätte wirksam vor Tabakrauch zu schützen (§ 5 Arbeitsstättenverordnung ArbStättV). In Arbeitstätten mit Publikumsverkehr sind Schutzmaßnahmen allerdings „ … nur insoweit zu treffen, als die Natur des Betriebes und die Art der Beschäftigung es zulassen.“ Daher sind Beschäftigte in der Gastronomie, in Friseursalons etc. durch die Arbeitsstättenverordnung nicht ausreichend vor Tabakrauch am Arbeitsplatz geschützt.
Erforderlich ist daher ein wirksamer Schutz ausnahmslos aller Beschäftigten vor Tabakrauch.

…in allen öffentlich zugänglichen Innenräumen
Der Nichtraucherschutz in Deutschland gleicht einem „Flickenteppich“ aus einem Bundesgesetz und 16 verschiedenen Landesgesetzen. Eine bundeseinheitliche gesetzliche Regelung wäre nicht nur rechtlich möglich, sondern auch aus Gründen der besseren Umsetzung und der Vermeidung der zurzeit unübersichtlichen Ausnahmeregelungen auch geboten. Erforderlich ist daher ein ausnahmsloses und bundeseinheitliches Rauchverbot zum Schutz von Nichtrauchern in öffentlich zugänglichen Innenräumen durch ein umfassendes Bundesgesetz. Vorbildhaft dafür sind die gesetzlichen Regelungen der Länder Bayern, Nordrhein-Westfalen und Saarland.

2. Tabakwerbung, Promotion und Sponsoring in jeder Form verbieten Seit 2006 ist Tabakwerbung in Printmedien, im Internet und bei grenzüberschreitenden Veranstaltungen grundsätzlich verboten. Auch in Funk und Fernsehen darf nicht für Tabakprodukte geworben werden. Plakatwerbung, Werbung an Verkaufsstellen und Werbefilme im Kino nach 18:00 Uhr sind allerdings immer noch erlaubt. Die Promotion von Tabakprodukten (z. B. Sonnenschirme mit Markenaufdruck für die Gastronomie) und das Sponsoring von öffentlichen Veranstaltungen sind ebenfalls weiterhin zulässig, sofern sie nicht grenzüberschreitend sind. Ferner nutzt die Tabakindustrie ihre Zigarettenverpackungen als wichtige für sie verbleibende Werbefläche.

Erforderlich ist ein absolutes Werbe-, Promotionsund Sponsoringverbot. Hierzu ist Deutschland schon aufgrund des WHO-Rahmenübereinkommens verpflichtet. Deutschland sollte außerdem den nationalen Spielraum im Rahmen der neuen Tabakproduktrichtlinie nutzen und neutrale Verpackungen (Plain Packaging) einführen.

3. Tabaksteuern kontinuierlich und deutlich erhöhen Preiserhöhungen für Tabakwaren führen erwiesenermaßen zu einem Rückgang des Tabakkonsums. Tabaksteuererhöhungen sind, wenn sie mit spürbaren Preiserhöhungen einhergehen, eines der wirksamsten Mittel der Tabakprävention. In der Gruppe der jugendlichen Raucherinnen und Raucher bewirkt ein Preisanstieg für Tabakwaren sogar eine überproportionale Reduzierung des Tabakkonsums.5

Erforderlich sind kontinuierlich vorzunehmende Tabaksteuererhöhungen, die zu einer spürbaren Preiserhöhung führen. Dabei sollten alle Tabakwaren wie Fabrikzigaretten, Zigarillos sowie loser und vorportionierter Feinschnitt gleich hoch besteuert werden.

4. Vertriebsmöglichkeiten von Tabakwaren einschränken
Tabakwaren sind in Deutschland fast rund um die Uhr erhältlich: z.B. in Supermärkten, an Tankstellen und Zigarettenautomaten. Von einer Million Zigarettenautomaten in der EU stehen über 400.000 allein in Deutschland. Technische Jugendschutzvorrichtungen zur Altersprüfung an Zigarettenautomaten sind unzureichend.
Erforderlich ist ein Verbot aller Zigarettenautomaten und eine Lizenzierung von Tabakverkaufsstellen.

5. Hilfen zum Rauchstopp verbessern Rauchen ist die führende Ursache für Krankheiten, wird aber dennoch oft als „Life-Style“Phänomen verharmlost, das allein der freien Willensentscheidung unterläge. Ein Großteil der Raucherinnen und Raucher hingegen erfüllt die Kriterien einer Tabakabhängigkeit. Wissenschaftlich anerkannte, qualitätsgesicherte Angebote, die individuell auf Raucherinnen und Raucher abgestimmt sind, können dazu geeignet sein, Menschen beim Rauchausstieg zu unterstützen.
Erforderlich ist eine Regelung, die die Kostenübernahme für wissenschaftlich gesicherte Methoden der Tabakentwöhnung bei bestehender Abhängigkeit ermöglicht.

6. E-Zigaretten und E-Shishas wirksam regulieren
Elektronische Inhalationsprodukte wie EZigaretten und E-Shishas – häufig als die gesündere Alternative zu Tabkzigaretten beworben erobern zunehmend den Markt. Die gesundheitlichen Gefahren, die mit ihrem Konsum verbunden sind, sind derzeit aufgrund der geringen Datenlage nicht abschätzbar. Bisher unterliegen E-Zigaretten und EShishas keiner gesetzlichen Regelung. Künftig werden sie, sofern sie Nikotin enthalten, im Rahmen der europäischen Tabakproduktrichtlinie reguliert. Sie können in Zukunft je nach Nikotingehalt entweder als Tabakerzeugnisse oder als Arzneimittel eingestuft werden. Bei einer Einstufung als Tabakprodukt unterliegen E-Zigaretten den gleichen Werbebeschränkungen wie Zigaretten und müssen wie diese mit Warnhinweisen versehen werden.

E-Zigaretten, die kein Nikotin enthalten, fallen allerdings wie nikotinfreie E-Shishas nicht unter die Tabakproduktrichtlinie und bleiben damit unreguliert und frei verkäuflich. Dies ist aus Sicht des ABNR höchst problematisch. Aktuelle Studienergebnisse weisen darauf hin, dass E-Zigaretten durch die Nachahmung des Rauchens als Einstiegsprodukt in das Rauchen dienen können.6 Es ist zu befürchten, dass dies auch für E-Shishas gilt.7 Nicht geregelt werden außerdem Aromastoffe in EZigaretten und E-Shishas. Hier besteht dringender Handlungsbedarf, da derzeit eine bunte Palette an Aromastoffen in Liquids für E-Zigaretten und E-Shishas eingesetzt wird, die vor allem auf junge Menschen abzielen. Insbesondere E-Shishas gewinnen in jüngster Zeit in alarmierendem Maße an Beliebtheit bei Kindern und Jugendlichen.

Erforderlich ist eine zügige und konsequente Umsetzung der in der europäischen Tabakproduktrichtlinie vorgesehenen Maßnahmen zur Regulierung von E-Zigaretten, die Nikotin enthalten. Darüber hinaus ist dringend eine Regulierung von E-Zigaretten und E-Shishas, die kein Nikotin enthalten, erforderlich. Für sie sollten die gleichen Regeln bezüglich Altersbeschränkung, Werbeverbot, Verbot von charakteristischen Aromastoffen und Warnhinweisen wie für Tabakprodukte gelten.

7. Einflussnahme der Tabakindustrie transparent machen und eindämmen
Die Etablierung und Umsetzung einer wirksamen Tabakprävention wurde und wird in Deutschland durch die starke politische Einflussnahme der Tabakindustrie erschwert oder sogar verhindert. In 2008 legte die WHO internationale Leitlinien für den Umgang von politischen Entscheidungsträgern mit Vertretern der Tabakindustrie vor. In den Leitlinien, an deren Entwicklung sich Deutschland beteiligt hat, wird der fundamentale und unüberbrückbare Konflikt zwischen den Interessen der Tabakindustrie und gesundheitspolitischen Interessen beschrieben. Die Leitlinien sehen vor, dass im Umgang mit der Tabakindustrie Maßnahmen zu ergreifen sind, die die Transparenz der Interaktionen zwischen staatlichen Stellen und der Tabakindustrie gewährleisten und die die Interaktionen mit der Tabakindustrie insgesamt beschränken.

Erforderlich ist die konsequente Umsetzung und Beachtung der WHO-Leitlinien für den Umgang von politischen Entscheidungsträgern mit Vertretern der Tabakindustrie.

4  Deutsches Krebsforschungszentrum (Hrsg.): Tabakprävention in Deutschland – was wirkt wirklich? Aus der Wissenschaft für die Politik, Heidelberg, 2014

5  Deutsches Krebsforschungszentrum (Hrsg.): Tabakprävention in Deutschland – was wirkt wirklich? Aus der Wissenschaft für die Politik, Heidelberg, 2014

6  Dutra LM, Glantz SA (2014): Electronic Cigarettes and Conventional Cigarette Use Among US Adolescents A Cross-sectional Study, JAMA Pediatr. Published online March 06, 2014. doi:10.1001/ jamapediatrics.2013.5488

7  Deutsches Krebsforschungszentrum (2014) Informationen für Schulen: E-Zigaretten und E-Shishas. Fakten zum Rauchen, Heidelberg

Alkoholpolitik – Stillstand auf niedrigem Niveau

B 1-2
Raphael Gaßmann und Gabriele Bartsch

Alkoholpolitik – Stillstand auf niedrigem Niveau

Vor mehr als fünfzehn Jahren (1997) veröffentlichte die Deutsche Hauptstelle für Suchtfragen (DHS) einen ersten „Aktionsplan Alkohol“, in dem die Folgen des Alkoholkonsums in Deutschland detailliert geschildert und der gesundheitsbezogene Ansatz einer umfassenden Alkoholpolitik erläutert wurden. Im Jahr 2008 wurde ein neuer DHSAktionsplan Alkohol erarbeitet, der sich an den damals aktuellen Entwicklungen orientierte. Er berücksichtigte neueste wissenschaftliche Erkenntnisse und benannte neben den wirksamen alkoholpräventiven Maßnahmen auch die für die Umsetzung zuständigen Akteure.

Alkoholprävention liegt nicht zuletzt im Interesse staatlicher Gesundheitspolitik. Sie ist eine Aufgabe des Bundes, der Bundesländer und der Kommunen. Es gilt, die Bevölkerung vor den mit dem Alkoholkonsum verbundenen Gefährdungen und Schädigungen zu schützen, und zwar sowohl die Konsumierenden selbst als auch ihr Umfeld. Um dies zu gewährleisten, wurden in der Vergangenheit das Jugendschutzgesetz sowie das Gaststättengesetz erlassen und die Grenzwerte für Alkohol am Steuer an neue Erkenntnisse und Technologien angepasst. Eine europäische Richtlinie „Fernsehen ohne Grenzen“ reguliert europaweit im audiovisuellen Bereich neben dem Verbot von Tabakwerbung u.a. den Schutz Minderjähriger. Hierunter fällt auch das Verbot von Alkoholwerbung, die sich an Jugendliche richtet. Darüber hinaus werden von Bund und Ländern Praxisund Forschungsprojekte gefördert, die dazu beitragen sollen, gesundheitsgefährdenden Alkoholkonsum zu senken und Maßnahmen zu entwickeln und zu bewerten, die zu einer Reduzierung der Schäden beitragen können.

Aber reichen diese Maßnahmen für einen wirkungsvollen Schutz aus?
Alkohol ist eine toxische und abhängig machende Substanz, eine Droge, deren Konsum verantwortlich ist für das europaweit dritthöchste Risiko zu erkranken und vorzeitig zu sterben. Alkohol gehört neben Tabak, Fehlernährung und Bewegungsmangel zu den vier Hauptfaktoren für die Ausbildung der häufigsten Zivilisationskrankheiten. Alkohol ist beteiligt an der Entstehung von HerzKreislauferkrankungen (Herzinfarkt), Krebs und Leberzirrhose (WHO 2011a&b).

Der Alkoholkonsum in Deutschland stagniert seit Jahren auf hohem Niveau. Der Pro-Kopf Verbrauch der Gesamtbevölkerung an reinem Alkohol liegt bei ca. 10 Litern jährlich. Wenn in Deutschland für alle Menschen ab 16 Jahren ein relativ risikoarmer Konsum von täglich 24 g für Männer und 12 g für Frauen angenommen würde, läge der durchschnittliche Pro-Kopf-Konsum an reinem Alkohol bei ca. 7,1 Liter im Jahr. Diese Zahl sollte als Benchmark für eine erfolgreiche Alkoholpolitik gelten. Der Pro-Kopf-Konsum alkoholischer Getränke ist einer der wichtigsten Indikatoren für zu erwartende alkoholbezogene Probleme in der Bevölkerung, besonders für gesundheitliche Probleme. In Deutschland gibt es jährlich etwa 74.000 Todesfälle, bei denen Alkohol ursächlich beteiligt ist. Ca. 10 Mio. Deutsche konsumieren Alkohol in gesundheitlich riskanter Weise oder missbräuchlich. Die Diagnose „Psychische und Verhaltensstörungen durch Alkohol“ ist bei Männern die häufigste Diagnose der vollstationär behandelten Patienten in Krankenhäusern. Am Hauptziel der Alkoholprävention, der Senkung des durchschnittlichen Alkoholkonsums, führt also kein Weg vorbei, wenn alkoholbedingte Risiken und Schädigungen gesenkt werden sollen.

Wirksame Präventionsmaßnahmen sind bekannt: Preiserhöhungen durch Besteuerung von Alkoholika sowie die Reduzierung der Verfügbarkeit von Alkohol haben nachweislich die größten Effekte auf die Reduzierung des Alkoholkonsums und sind daher die wichtigsten staatlichen Steuerungsinstrumente. Diese Präventionsmaßnahmen sind zudem nicht nur wirkungsvoll, sondern auch besonders kostengünstig (Chisholm et al. 2009).

Da alkoholbezogenen Störungen aus dem Konsum aller alkoholhaltigen Getränke resultieren, gibt es keinen Grund, einzelne Getränke als mehr oder weniger gefährlich einzustufen. Deshalb fordert die Deutsche Hauptstelle für Suchtfragen e.V. (DHS) einen einheitlichen Steuersatz für den Liter Reinalkohol von derzeit mindestens ca. 15,00 Euro. Das schließt eine erstmalige Besteuerung von Wein ein und bedeutet eine höhere Belastung des meist getrunkenen Alkoholgetränks Bier.

Werbung und Marketing haben besonders auf die Ausprägung der Bedürfnisse und des Lebensstils Jugendlicher und Erwachsener Einfluss. Bezogen auf alkoholische Getränke fördern sie derzeit die Vorstellung, Alkoholika seien etwas Positives und Normales, ihr Konsum ein kontrollierbares und wünschenswertes Risiko. Aufgrund der großen Bedeutung für die Imagebildung von Alkohol darf die Regulierung von Alkoholwerbung, -marketing und -sponsoring nicht denjenigen überlassen werden, die ein wirtschaftliches Interesse am Verkauf dieser Produkte haben, sondern muss gesetzlich verankert sein, Verstöße müssen von einem unabhängigen Gericht geahndet werden können.

Um eine kritische gesellschaftliche Auseinandersetzung mit Alkoholkonsum zu fördern und der Bagatellisierung von riskantem Alkoholkonsum entgegenzuwirken, sind die oben beschriebenen Präventionsmaßnahmen durch Medienkampagnen zu unterstützen; auch verhaltenspräventive Maßnahmen in verschiedenen Settings wie Schule, Betrieb, Freizeiteinrichtungen u.a. müssen weitergeführt werden.

Das gut ausgebaute Beratungsund Behandlungssystem für Alkoholkranke in Deutschland muss durch Früherkennung und Frühintervention ergänzt werden, um auch diejenigen zu erreichen, die durch die bestehenden Hilfeangebote bisher nicht zu einer Verhaltensänderung motiviert werden konnten.

Die oben genannten verhältnispräventiven Maßnahmen – einheitliche und höhere Besteuerung von Alkoholika, Reduzierung der Verfügbarkeit, gesetzliche Regulierung von Alkoholmarketing – tragen darüber hinaus dazu bei, weitere wesentliche Ziele zu erreichen, wie die Anhebung des Einstiegsalters und die Reduzierung des Rauschtrinkens bei Jugendlichen und Erwachsenen. Darüber hinaus bilden sie die Basis für den Schutz Betroffener im Umfeld Alkoholkonsumierender: Angehörige (Kinder, Partner/innen u.a.), Schutz des ungeborenen Lebens, von Gewalt Betroffene, Verkehrsteilnehmer/innen und Arbeitskollegen und -kolleginnen.

Obwohl sich Präventionsund Suchtexperten und -expertinnen einig sind, dass ein Mehr an Verhaltensprävention keine Alternative zum Policy Mix von verhältnisund verhaltenspräventiven Maßnahmen darstellt, spiegelt sich dieser Fokus nicht in den „Aktionsplänen“ oder „Präventionsstrategien“ der beiden vergangenen Bundesregierungen wider. Sie berücksichtigten die wirksamsten Präventionsmaßnahmen zur Erlangung des obersten Präventionsziels „Reduzierung des Pro-KopfKonsums“ leider nicht. Bislang wurden weder zielführende gesetzliche Maßnahmen verabschiedet und implementiert noch die Durchsetzung der bestehenden Gesetze ausreichend kontrolliert.

Fazit: Statt evidenzbasierte Prävention zu fördern, setzt Gesundheitspolitik auf Konzepte, die kaum Breitenwirkung entfalten. Eine Alkoholprävention, die alle Bevölkerungsgruppen erreicht und ausreichend finanziert ist, ist noch nicht in Sicht.

Zur Lektüre empfohlen und leider nicht verjährt: der Aktionsplan Alkohol der DHS 2008:
http://www.dhs.de/fileadmin/user_upload/p df/dhs_stellungnahmen/aktionsplan_alkohol _der_dhs_2008final_din.pdf

Literatur
Chisholm, D.; Rehm; J.; Frick,U.; Anderson, P.(2009). Alcohol Policy Cost-effectiveness Briefing Notes for 22 European Countries. Institute of Alcohol Studies, London
WHO (2011a): Europäischer Aktionsplan zur Verringerung des schädlichen Alkoholkonsums (2012– 2020).
http://www.euro.who.int/__data/assets/pdf_file/0009/148068/RC61_wd13G_Alcohol_111374_ver2012.pdf
WHO (2011b): Aktionsplan zur Umsetzung der Europäischen Strategie zur Prävention und Bekämpfung nichtübertragbarer Krankheiten (2012–2016). http://www.euro.who.int/__data/assets/pdf_file/000 4/147730RC61_gdoc12.pdf

Alkoholkonsum im Jugendalter

Von John Litau

In der öffentlichen Debatte zum Thema  Alkohol kommt der Bevölkerungsgruppe der  Jugendlichen eine gesonderte Aufmerksamkeit zu. Besonders der riskante Alkoholkonsum im Jugendalter – bekannt als Phänomen  des „Rauschtrinkens“, „Komasaufens“ oder  „Binge Drinking“ – und dessen Folgen und Zusammenhänge mit Gewaltbereitschaft, erhöhter Verletzungs- und Unfallgefahr, Verkehrsdelikten,ungeschütztem Sexualverhalten oder  Schulversagen, stehen dabei im Vordergrund  des öffentlichen sowie drogen- und suchtpolitischen Interesses. Übersehen wird häufig  hingegen, dass die jugendkulturelle Trinkkultur an gängige gesellschaftliche Konsummuster angelehnt ist, die in der Peergroup im  Hinblick auf Trinkrituale, Anlässe, Motive und  Getränke re-ritualisiert werden (Sting 2008).  Alkohol kann als Kulturgut unserer Gesellschaft betrachtet werden und ist damit gebunden an eine übergreifende lebensweltliche Relevanz, wodurch für Jugendliche eine  Art Auseinandersetzungspflicht mit dem  Thema Alkohol besteht. Individuell wird Alkohol den eigenen Bedürfnissen entsprechend  funktionalisiert, was sich in der damit verbundenen spielerischen Bewältigung von unterschiedlichen Herausforderungen zeigen kann,  denen sich Jugendliche während der Adoleszenz stellen müssen (z.B. Übergang ins Erwachsenenalter oder Integration und Initiation  in die Peergroup) (Litau 2013).

Sieht man von der medialen Berichterstattung  ab und konzentriert sich auf die tatsächliche  Datenlage, auf die sich beim Phänomen des  Rauschtrinkens häufig bezogen wird, lässt  sich lediglich der rasante Anstieg von alkoholbedingten Krankenhauseinweisungen bei  Jugendlichen als besorgniserregendes Element der Debatte identifizieren. Basierend  auf der Datenlage des Statistischen Bundesamtes (2013) hat sich die Zahl der wegen     akuter Alkoholintoxikationen stationär im  Krankenhaus behandelten Jugendlichen im  Alter von 10 bis 20 Jahren in den letzten 12  Jahren mehr als verdoppelt (von 9.514 auf  26.673 Fälle). Diese Zahlen sind auf den  ersten Blick erschreckend, relativieren sich  jedoch bei einem genaueren Blick. So stellen  die 26.673 Fälle der 10- bis 20-Jährigen nur  21,9% aller 121.595 Fälle von akuten Alkoholintoxikationen im Jahr 2012 dar. 29,2%  (35.592) der Fälle entfallen dabei auf die 30bis 40-Jährigen und 44,6% (54.291) auf die  40- bis 70-Jährigen, also die Erwachsenenbevölkerung, bei der sich im selben Zeitraum  die Fälle ebenfalls mehr als verdoppelt haben  (GBE 2014). Erwähnenswert ist auch, dass  bei den 10- bis 15-Jährigen, also der Altersgruppe, der per Jugendschutzgesetz der Konsum noch nicht gestattet ist und deshalb  präventionspolitisch die größte Aufmerksamkeit zukommt, seit 2009 ein tendenzieller  Abwärtstrend bei den alkoholbedingten Krankenhauseinweisungen zu verzeichnen ist, der  lediglich 2011 (4.330 Fälle) unterbrochen  wurde (2008: 4.512 Fälle; 2012: 3.999  Fälle).

Die unterschiedlichen Facetten dieser häufig  zitierten Statistik sind wichtig, um die Relationen und Kontexte zu verdeutlichen, in  denen die Entwicklung des auffälligen Konsums bei Jugendlichen zu betrachten ist.  Angemerkt sei auch, dass damit ein Bild einer  bestimmten auffällig gewordenen Gruppe von  Jugendlichen entsteht, welches weder Rückschlüsse auf die Gesamtbevölkerung junger  Menschen erlaubt, noch detaillierte Aussagen  über diese spezielle Gruppe von Jugendlichen  zulässt, da die Umstände, Konstellationen  und Schwere der Intoxikation die zur Krankenhauseinweisung geführt haben höchst  divergent sein können (Kraus et al. 2013).  Relativ wenig lässt sich daher auf der  Grundlage der Krankenhausstatistik über den  Großteil der wenig bis exzessiv konsumierenden Jugendlichen aussagen, die nicht  durch einen Krankenhausaufenthalt auffällig  geworden sind. Verallgemeinerungen hinsichtlich zunehmendem Alkoholkonsum im Jugendalter auf der Basis von Krankenhausstatistiken sind daher widerspruchsvoll.

Hinsichtlich empirischer Evidenz lässt sich die  Debatte noch weiter explizieren. Aufschlussreich ist hier die „Drogenaffinitätsstudie“ der  Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung, eine regelmäßige Repräsentativbefragung der 12- bis 25- jährigen Bevölkerung  in Deutschland hinsichtlich des Konsums von  Alkohol, Tabak und illegalen Drogen. Mit Hilfe  der letzten vorliegenden Erhebung aus dem  Jahr 2011 (BZgA 2012) soll im Folgenden die  Entwicklung von drei Merkmalen des Alkoholkonsums im Jugendalter nachgezeichnet  werden: Das Einstiegsalter, der regelmäßige  Konsum sowie der als exzessiv deklarierte  Konsum bzw. das sogenannte „Rauschtrinken“.

Zusammengenommen zeigen die ersten  beiden Merkmale, dass der Alkoholkonsum  bei Jugendlichen im Alter von 12 bis 25  Jahren in den letzten zehn Jahren kontinuierlich zurückgegangen ist und später beginnt.  So hat sich der Erstkonsum (erstes Glas  Alkohol) im Durchschnitt von 14,1 Jahren im  Jahr 2004 auf 14,5 Jahre im Jahr 2011 nach  hinten verschoben. Ähnlich verschoben hat  sich auch der erste Alkoholrausch von 15,5  Jahren 2004 auf 15,9 Jahre im Jahr 2011.  Bei der Teilstichprobe der 12- bis 17-Jährigen  sind die Verschiebungen sogar noch deutlicher (2004: von 13,0 auf 13,6 Jahre bei  Erstkonsum und 2008: 14,3 auf 14,9 Jahre  bei erstem Rausch). Was den regelmäßigen  Konsum betrifft, ist bei Jugendlichen, die  mindestens einmal in der Woche Alkohol  konsumieren, ein eindeutig fallender Trend zu  erkennen. Während 1973 noch 67,1% der  18- bis 25-Jährigen regelmäßig getrunken  haben, waren es 2011 noch 39,8%. Auch bei  den 12- bis 17-Jährigen ging der regelmäßige  Konsum von 25,4% (1979) auf 14,2% im Jahr  2011 zurück. Die 30-Tages-Prävalenz, also  der Anteil derjenigen, die in den letzten 30  Tagen Alkohol konsumiert haben, ging bei den  12- bis 17-Jährigen von 58,4% im Jahr 2004  auf 42,0% und bei den 18- bis 25- Jährigen  von 84,4% im Jahr 2004 auf 81,9% im Jahr  2011 zurück.

Interessant ist auch die Veränderung des  dritten Merkmals, der 30-Tages-Prävalenz des Rauschtrinkens, also dem Konsumindikator,  der für den als exzessiv deklarierten oder  riskanten Konsum steht und häufig auch als  Binge Drinking bezeichnet wird. Das Trinkverhalten, welches darunter gefasst wird, entspricht in der BZgA-Studie dem hintereinander  folgenden Konsum von fünf oder mehr  Gläsern Alkohol in den letzten 30 Tagen. Dies  betrifft im Vergleich zu 2004 (22,6%) nur  noch 15,2% der 12- bis 25-Jährigen. Bei den  12- bis 15-Jährigen hat sich die 30-TagesPrävalenz sogar mehr als halbiert. Gleichermaßen ist auch das häufige Rauschtrinken  (mindestens viermal in den letzten 30 Tagen)  seit 2004 signifikant zurückgegangen und  betrifft nur 3,7% der 12- bis 17- Jährigen.  Neben dem kontinuierlichen Rückgang bei  der 30-Tages-Prävalenz des Rauschtrinkens  sei auf einen weiteren Aspekt verwiesen: Die  Konzentration auf diesen Indikator als Maß  für problematischen Konsum, ist selbst nicht  unproblematisch. Für Prävalenzraten nützlich  ist der Versuch einer objektiv formellen  Quantifizierung des Rausches bzw. des Alkoholkonsums über die „hintereinander“ konsumierte Menge. Internationale Studien, wie  ESPAD oder HBSC (s. unten) beziehen sich  dabei etwas deutlicher als die BZgA-Studie,  auf den Konsum von mindestens fünf  sogenannten Standardgetränken (gemessen  am Reinalkoholgehalt in Gramm) bei Männern  und vier Standardgetränken bei Frauen innerhalb eines Trinkereignisses in den letzten 30  Tagen. Ein gewisses wissenschaftsmethodisches Problem steckt jedoch in der Zeitdimension, die in beiden Fällen dem Konsum  zu Grunde gelegt wird (Martinic/ Measham  2008). So wird die spezifische Trinkgelegenheit, in der die (Standard-) Getränke konsumiert werden (können), nicht weiter konkretisiert. Die Settings, in denen Jugendliche  Alkohol konsumieren, können aber sehr  unterschiedlich sein und sich im Verlauf der  Trinkereignisse verändern. So kann eine  Trinkgelegenheit den Konsum von fünf Gläsern Alkohol innerhalb einer halben Stunde  umfassen, dieselbe Konsummenge kann aber  auch auf eine ganze Nacht verteilt sein. Da  zudem eine Intoxikation per Definition keine  zwingende Folge dieses Indikators sein muss, kann ein Jugendlicher mit einer gewissen  Trinkerfahrung oder Alkoholtoleranz als  Rauschtrinker deklariert werden, ohne dass  dieser überhaupt einen subjektiven Rauschzustand erreicht hat. Daher lassen sich auf  dieser Grundlage nur sehr eingeschränkte  Aussagen bezüglich situativ riskantem Konsum treffen.

Ohne im Detail darauf eingehen zu können,  bestätigt sich der Trend zu weniger Alkoholkonsum unter deutschen Jugendlichen auch  in internationalen Studien, wie in der europäischen ESPAD-Studie zum Konsumverhalten von 15- und 16-jährigen Schülerinnen und  Schülern (Hibell et al. 2012) oder in der  internationalen HBSC-Studie zur Gesundheit  und zum gesundheitsrelevanten Verhalten  von 11- bis 15-jährigen Schülerinnen und  Schülern der WHO (Currie et al. 2012).  Ähnliche Entwicklungstendenzen konnte auch  Werse (2014) auf lokaler Ebene in einer  deutschen Großstadt (Frankfurt) nachzeichnen. Zwar lassen sich die Untersuchungen auf  Grund der unterschiedlichen Stichproben und  Studiendesigns nicht direkt miteinander vergleichen, sie bestätigen jedoch die Tendenz  und eine kontinuierliche Entwicklung zu  generell geringerem Alkoholkonsum im Jugendalter. Die internationale Perspektive zeigt  auch, dass sich unter Jugendlichen neue  Formen des Umgangs mit Alkohol abzeichnen,  die sich in einer jugendkulturell geprägten  „neuen Kultur des Rausches“ (Measham/Brain 2005; Järvinen/Room 2007) abbilden,  welche sich beispielsweise dadurch kennzeichnet, dass sich die Trinkpraktiken von  Jungen und Mädchen, vor allem aber ihre  Motive und Begründungsmuster immer ähnlicher werden und sich weniger zwischen als  innerhalb der Geschlechtergruppen unterscheiden (Demant/Törrönen 2011; Litau/  Stauber 2012). Kennzeichnend ist dabei nicht  die Absicht eines komatösen Betrunkenheitszustandes, sondern eher ein „kontrollierter  Kontrollverlust“ (Measham 2002; Measham/Brain 2005), bei dem die negativen körperlichen und sozialen Folgen des Rausches  durch Selbst- und Gruppenkontrolle vermieden werden sollen.     Vor dem Hintergrund der dargelegten, insgesamt eher positiv zu bewertenden Konsumentwicklungen des Alkoholkonsums im Jugendalter, scheint es unverständlich, warum  das Thema nach wie vor eine so stabile  Konjunktur genießt und sich vor allem der zu  Grunde liegende skandalisierende Duktus der  Debatte nicht allmählich verändert. Durchaus  ist aus der Jugendforschung das Phänomen  bekannt, dass gesellschaftliche Probleme auf  eine nicht weiter definierte Gruppe der  „Jugend“ verschoben werden und in diesem  Rahmen problematisiert und verhandelt werden (Griese 2007). Der Alkoholkonsum der  Jugendlichen steht so stellvertretend und als  „Seismograph“ einer Gesellschaft, in der das  Keltern, Brauen und Brennen die nationale  Kultur und regionale Traditionen seit Jahrhunderten geprägt haben. Die Objektivität der  Berichterstattung bleibt daher fraglich, da sie  offensichtlich eher auf Sensationsbefriedigung abzielt. Durch die mediale Aufmerksamkeit des Themas muss aber davon ausgegangen werden, dass es auch zu einer Aufmerksamkeitsverschiebung und so zu einer Sensibilisierung für trinkende Jugendliche gekommen ist – dies sowohl bei der Gesamtbevölkerung, als auch bei den Jugendlichen  selbst. Somit stehen die gestiegenen alkoholbedingten Krankenhauseinweisungen bei  einem gleichzeitigen Abwärtstrend von regelmäßigem und exzessivem Konsum auch für  eine sinkende Schwelle, im Zweifelsfall einen  Notruf zu tätigen, worauf beispielsweise der  Trend zur kontinuierlich fallenden durchschnittlichen Blutalkoholkonzentration bei  Krankenhauseinweisungen in Bayern hindeutet (Wurdak et al. 2013). Das hat zum  einen Einfluss auf die immer weiter steigenden Zahlen von Alkoholintoxikationen, zeigt  zum anderen aber auch den positiven Nebeneffekt, dass die Gefahren eines Alkoholrauschs aktuell offensichtlich ernster genommen werden als zuvor.

Alle oben zitierten Studien machen deutlich,  dass die meisten im Verlauf ihrer Adoleszenz  mit Alkohol in Kontakt kommen. Die Motive  des jugendlichen Konsums sind in der Regel  spaßorientiert, zielen auf Enthemmung und  zeigen sich weniger in Form von Problembewältigung (Stumpp et al. 2009). Der  Umgang mit Alkohol ist bei Jugendlichen nicht  willkürlich, sondern häufig verbunden mit  detailliertem Orientierungswissen hinsichtlich  der sozialen Situation, der Zusammensetzung  der Trinkgruppe und der Getränkeart. Das  Orientierungswissen resultiert aus positiven  und negativen Erfahrungen im Umgang mit  Alkohol, die handlungsleitend und identitätsstiftend sein können, gerade in einem Alter,  das von Unsicherheiten geprägt ist (Litau  2011). Die Gruppe, in der in den meisten  Fällen getrunken wird, bietet den Jugendlichen dabei einen wichtigen Erfahrungsraum  und ist in dieser Funktion ambivalent, da sie  einerseits einen Risikoraum darstellt, in dem  Jugendliche über einen vereinfachten Zugang  zu Alkohol verfügen und zum Konsum animiert werden. Andererseits stellt die Gruppe  einen Schutzraum dar, in dem Normen für  das Trinken durch Regeln festgelegt und Vorkehrungen getroffen werden, damit ein  bestimmtes Verhaltenslimit nicht überschritten wird (Stumpp et al. 2009). Bei den  meisten lässt der intensive Konsum nach  einer unbestimmten Zeit nach und mündet in  Abstinenz oder „normalen“ bzw. gesellschaftlich akzeptierten Konsum (Clark 2004). Ein  erhöhtes Suchtrisiko besteht dagegen nur,  wenn zu einem exzessiven Alkoholkonsum  weitere Suchtgefährdungsfaktoren hinzukommen, die sich grob unter mangelnder Impulssteuerung oder erhöhter Komorbidität mit  psychischen Störungen zusammenfassen lassen (Wells et al. 2004). Wie genau aber ein  Großteil der Jugendlichen den Umgang mit  Alkohol erlernen, darüber weiß man, im Unterschied zur Prävalenz von Alkoholkonsum im  Jugendalter, noch relativ wenig. Dies sollte  daher in Zukunft gerade auch aus präventionspolitischen Interessen stärker fokussiert  werden.

Für die Zukunft ist eine erweiterte und nicht  ausschließlich problemorientierte Perspektive  auf das Thema Alkoholkonsum im Jugendalter  erforderlich, um dieses aktuell und den Prämissen gesellschaftlicher Entwicklung angemessen einordnen und somit drogen- und  suchtpolitische Strategien begründen zu können. Eine solche Perspektive mahnt auch zu einem kritischeren öffentlichen Umgang mit  wissenschaftlichen Daten und ihren unterschiedlichen Lesarten und Interpretationen,  besonders hinsichtlich gesellschaftlich sensibler Themen.

Literatur
Clark, D. B. (2004): The natural history of  adolescent alcohol use disorders. In: Addiction, Jg.  99, S. 2, S. 5-22.
Currie, C./Zanotti, C./Morgan, A./Currie, D./de  Looze, M./Roberts, C./Samdal, O./Smith, O. R.  F./Barnekow, V. (2012): Social determinants of  health and well-being among young people. Health  Behaviour in School-aged Children (HBSC) study:  international report from the 2009/2010 survey.  Copenhagen: WHO Regional Office for Europe.
Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung  (BZgA) (2012): Die Drogenaffinität Jugendlicher in der  Bundesrepublik Deutschland 2011. Der Konsum von  Alkohol, Tabak und illegalen Drogen: aktuelle  Verbreitung und Trends. Köln: Bundeszentrale für  gesundheitliche Aufklärung.
Demant, J./Törrönen, J. (2011): Changing Drinking  Styles in Denmark and Finland. Fragmentation of  Male and Female Drinking Among Young Adults. In:  Substance Use & Misuse, Jg. 46, H. 10, S. 12441255.
Gesundheitsberichterstattung des Bundes (GBE)  (2014): Tabelle. Aus dem Krankenhaus entlassene  vollstationäre Patienten (einschl. Sterbe- und Stundenfälle)
F10.0 – Psychische und Verhaltensstörungen durch  Alkohol – Akute Intoxikation (akuter Rausch).  http://www.gbe-bund.de/oowa921install/servlet/oowa/aw92/dboowasys921.xwdevkit/  xwd_init?gbe.isgbetol/xs_start_neu/&p_aid=i&p_aid  =71898393&nummer=594&p_sprache=D&p_indsp  =100&p_aid=94221246#LINKS (17.03.2014)
Griese, H. M. (2007): Aktuelle Jugendforschung und  klassische Jugendtheorien. Ein Modul für erziehungsund sozialwissenschaftliche Studiengänge. Berlin: LIT  Verlag.
Hibell, B./Guttormsson, U./Ahlström, S./Balakireva,  O./Bjarnason, T./Kokkevi, A./Kraus, L. (2012): The  2011 ESPAD Report. Substance Use Among Students  in 36 European Countries. Stockholm: The Swedish  Council for Information on Alcohol and Other Drugs  (CAN).
Järvinen, M./Room, R. (2007): Youth Drinking  Cultures: European Experience. In: Järvinen,  M./Room, R. (Hg.): Youth Drinking Cultures. European  Experience. Aldershot, Hamshire: Ashgate, S. 1-16.
Kraus, L./Hannemann, T.-V./Pabst, A./Müller,  S./Kronthaler, F./Grübl, A./Stürmer, M./Wolstein, J.  (2013): Stationäre Behandlung von Jugendlichen mit  akuter Alkoholintoxikation: Die Spitze eines Eisbergs?  In: Gesundheitswesen, Jg. 75, S. 456-464.
Litau, J. (2011): Risikoidentitäten. Alkohol, Rausch  und Identität im Jugendalter. Weinheim: Juventa.
Litau, J./Stauber, B. (2012): Riskante Identitätsarbeit? Zur Herstellung von Männlichkeiten und  Weiblichkeiten in jugendkulturellem Rauschtrinken.  In: Moser, V./Rendtorff, B. (Hg.): Riskante Leben?  Geschlechterordnungen der reflexiven Moderne.  Band 8 des Jahrbuchs Frauen- und Geschlechterforschung in der Erziehungswissenschaft. Opladen:  Barbara Budrich Verlag, S. 141-156.
Litau, J. (2013): Alkohol, Rausch und Identitätsarbeit. Zur Funktion jugendkulturellen Rausch   trinkens. In: Hößelbarth, S./Schneider, J.M./ Stöver,  H. (Hg.): Kontrollierter Kontrollverlust. Jugend,  Gender, Alkohol. Frankfurt am Main: Fachhochschulverlag, S. 29-44.
Martinic, M./Measham, F. (2008): Extreme  Drinking. In: Martinic, M./Measham, F. (Hg.):  Swimming with crocodiles. The culture of Extreme  Drinking. New York, London: Routledge. S. 1-12.
Measham, F. (2002): „Doing gender“ – „doing  drugs“: conceptualizing the gendering of drugs  cultures. In Contemporary Drug Problems 29, 2, S.  335-373.
Measham, F./Brain, K. (2005): ‚Binge‘ drinking,  British alcohol policy an the new culture of  intoxication. In: Crime, Media, Culture, H.1, S. 262283.
Statistisches  Bundesamt  (2013):  Tabelle.  Krankenhäuser. Aus dem Krankenhaus entlas-sene  vollstationäre Patienten (einschließlich Sterbe- und  Stundenfälle) 2003 bis 2012
F10.0 – Psychische und Verhaltensstörungen durch  Alkohol Akute Intoxikation (akuter Rausch).  https://www.destatis.de/DE/ZahlenFakten/Gesellsch  aftStaat/Gesundheit/Krankenhaeuser/Tabellen/Diag  noseAlkoholJahre.html (17.03.2014)
Sting, S. (2008) Jugendliche Rauschrituale als  Beitrag zur Peergroup-Bildung. In: Bogner, R./Stipsits,  R. (Hrsg.): Jugend im Fokus. Pädago-gische Beiträge  zur Vergewisserung einer Generation. Wien: Löcker,  S. 139-147.
Stumpp, G./Stauber, B./Reinl, H. (2009):  Einflussfaktoren, Motivation und Anreize zum  Rauschtrinken bei Jugendlichen. Berlin: Bundesministerium für Gesundheit.
Wells, E. J./Horwood, J. L./Fergusson, D. M. (2004):  Drinking  patterns  in  mid-adolescence  and  psychosocial outcomes in late adolescence and early  adulthood. Addiction, Jg. 99, H. 12, S. 1529-1541.
Werse, B. (2014): Die Mär von der immer  besoffeneren Jugend. Alkohol-Konsumtrends und  unter Heranwachsenden und die öffentliche Meinung.  In: Groenemeyer, A./Hoffmann, D. (Hg.): Jugend als  soziales Problem – soziale Probleme der Jugend?  Diagnosen, Diskurse und Heraus-forderungen.  Weinheim: Beltz Juventa. S. 199-217.
Wurdak, M./Ihle, K./Stürmer, M./Dirnberger,  I./Fischer, U. C./Funk, T./Kraus, L./Wolstein, J.  (2013): Indikatoren für das Ausmaß jugendlichen  Rauschtrinkens in Bayern. In: SUCHT, Jg. 59, H.4, S.  225-233.

Evidenzbasierte, integrierte Drogen- und Suchtpolitik

Von Bernd Werse, Heino Stöver, Maximilian Plenert und Dirk Schäffer

Warum ein Alternativer Drogen- und Suchtbericht? Immerhin erscheint jährlich seit mehr  als 15 Jahren bereits ein Drogen- und Suchtbericht der Bundesregierung, der durchaus  detailliert auf Drogenhilfeprojekte und Entwicklungen im Suchtbereich in Deutschland  eingeht. Allerdings lässt dieser „offizielle“  Bericht zentrale Fragen der Drogenpolitik und,  daraus folgend, der Drogenhilfepraxis unbeantwortet, z.B. Fragen

• nach kurz-, mittel- und langfristigen Zielen  der Drogenpolitik und wie diese Ziele innerhalb von Aktionsprogrammen umsetzbar und  kontrollierbar wären,
• nach dem Erfolg und der Angemessenheit  der Drogenkontrolle mit Mitteln des Strafrechts,
• nach den Auswirkungen der gegenwärtigen  Form der Drogenkontrolle, oder besser  ‚Kontrollversuche‘ auf die Drogengebraucherinnen und -gebraucher, auf deren soziales Umfeld und auf die Glaubwürdigkeit  eines Gesundheits- und Strafrechtspolitikfeldes an sich,
• nach den Auswirkungen der selektiven  Prohibition auf die Drogenhilfe und deren  konkrete Arbeitsmöglichkeiten, und danach,  inwiefern das Drogenverbot die Arbeit an  den Folgen der Sucht verhindert, zumal  stattdessen stetig die drogenpolitikinduzierten Probleme der Klientel bearbeitet  werden müssen, und
• nach angemessenen Politikschritten gegenüber den legalen Drogen Alkohol, Tabak und  Medikamente sowie nicht-stoffgebundenen  Risiken zwischen den Interessen der Anbieter auf der einen Seite und den Interessen  der Nutzerinnen und Nutzer auf der anderen  Seite.

Die Vielzahl der Beiträge in diesem Alternativen Drogen- und Suchtbericht macht  deutlich, dass viele der Kernforderungen der  Fachverbände, Drogenhilfeträger und Expertinnen und Experten nach Verbesserung und  Zielgenauigkeit der Drogenpolitik nicht nur  nicht erfüllt, sondern sogar von der Tagesordnung der Drogenpolitik verschwunden sind.  Uns erscheint es, als würde die Lücke zwischen dem Wissen über das, was drogenpolitisch wirkt und dem, was tatsächlich umgesetzt worden ist, immer größer.
Wissenschaftliche Erkenntnisse gehen –  wenn überhaupt – nur zögerlich in eine  Anpassung der Drogenpolitik ein. Gleichzeitig  werden weiterhin Unsummen für eine in  weiten Teilen unwirksame, für die Betroffenen  aber teils existenzbedrohende Strafverfolgung  ausgegeben, während bei legalen Drogen  bzw. Suchtmitteln kaum am Status quo  gekratzt wird.
Deshalb haben sich die Herausgeber entschlossen, mit dem Format eines Alternativberichtes eine Gegenöffentlichkeit zu den offiziellen Verlautbarungen zu schaffen. Das  Ziel ist es, den bei einer Vielzahl von drogenpolitikbedingten Fragen feststellbaren Reformstau zu thematisieren: Wir verlangen von  der Bundesdrogenpolitik eine verstärkte strategische Steuerung in Drogenfragen auf der  Grundlage evidenzbasierten Wissens. Vor  allem bei neu auftretenden Phänomenen ist  es enorm wichtig, schnell und entschlossen  zu handeln, um die Verbraucher zu informieren und zu leiten, die Drogenhilfepraxis zu  bestärken und – wo es notwendig und erlaubt  ist – die Hersteller zu begrenzen und zu  kontrollieren.
Dabei sollen die Interessen der handelnden  Akteure stärker zusammengebracht werden,  um, im Interesse aller, Risiken der Suchtentwicklungen möglichst bereits im Entstehen, auf jeden Fall aber, wenn sie bereits  aufgetreten sind, zu reduzieren.

Beispiele für den Reformstau in der Drogenpolitik sind unter anderem:
• Verbot von Alkohol-/Tabakwerbung,
• Entkriminalisierung des Drogengebrauchs  mit klaren Grenzen zum Eigenbedarf 1 ,
• Aufzeigen von Wegen für ein Gesetz zur  Regulierung des Cannabismarktes auf der  Grundlage der Erfahrungen in Ländern mit  entsprechenden Gesetzen,
• gesetzliche Regelungen zu E-Zigaretten und  E-Shishas,
• Belebung eines Aktionsplans zu Hepatitis C  und
• Verbesserung der Substitutionsbehandlung.

Wir wollen mit diesem nun jährlich erscheinenden Alternativen Drogen- und  Suchtbericht die Unzufriedenheiten mit der nationalen Drogenpolitik bündeln, Wege der Veränderungen beschreiben und ein dringend erforderliches Gegengewicht zu den  wenig zielgerichteten Drogen- und Suchtberichten der Bundesregierung aufbauen.

1 Dem in letzter Zeit öfters gehörten Gegenargument  hierzu, Cannabiskonsum sei doch quasi schon entkriminalisiert, seien die Zahlen der Polizeilichen  Kriminalstatistik zu „Allgemeinen Verstößen mit  Cannabis und Zubereitungen“ (also Verfahren wegen  Konsumdelikten) entgegengestellt, die seit dem  sogenannten „Haschisch-Urteil“ 1994 fast um das  Dreifache und allein zwischen 2012 und 2013 um  10,6% angewachsen sind (BKA: Polizeiliche Kriminalstatistik, Grundtabelle ohne Tatortverteilung, Wiesbaden 2014, http://www.bka.de).

Frankfurt, Berlin, 2.7.2014  Die Herausgeber