Alkoholpolitik – Stillstand auf niedrigem Niveau

B 1-2
Raphael Gaßmann und Gabriele Bartsch

Alkoholpolitik – Stillstand auf niedrigem Niveau

Vor mehr als fünfzehn Jahren (1997) veröffentlichte die Deutsche Hauptstelle für Suchtfragen (DHS) einen ersten „Aktionsplan Alkohol“, in dem die Folgen des Alkoholkonsums in Deutschland detailliert geschildert und der gesundheitsbezogene Ansatz einer umfassenden Alkoholpolitik erläutert wurden. Im Jahr 2008 wurde ein neuer DHSAktionsplan Alkohol erarbeitet, der sich an den damals aktuellen Entwicklungen orientierte. Er berücksichtigte neueste wissenschaftliche Erkenntnisse und benannte neben den wirksamen alkoholpräventiven Maßnahmen auch die für die Umsetzung zuständigen Akteure.

Alkoholprävention liegt nicht zuletzt im Interesse staatlicher Gesundheitspolitik. Sie ist eine Aufgabe des Bundes, der Bundesländer und der Kommunen. Es gilt, die Bevölkerung vor den mit dem Alkoholkonsum verbundenen Gefährdungen und Schädigungen zu schützen, und zwar sowohl die Konsumierenden selbst als auch ihr Umfeld. Um dies zu gewährleisten, wurden in der Vergangenheit das Jugendschutzgesetz sowie das Gaststättengesetz erlassen und die Grenzwerte für Alkohol am Steuer an neue Erkenntnisse und Technologien angepasst. Eine europäische Richtlinie „Fernsehen ohne Grenzen“ reguliert europaweit im audiovisuellen Bereich neben dem Verbot von Tabakwerbung u.a. den Schutz Minderjähriger. Hierunter fällt auch das Verbot von Alkoholwerbung, die sich an Jugendliche richtet. Darüber hinaus werden von Bund und Ländern Praxisund Forschungsprojekte gefördert, die dazu beitragen sollen, gesundheitsgefährdenden Alkoholkonsum zu senken und Maßnahmen zu entwickeln und zu bewerten, die zu einer Reduzierung der Schäden beitragen können.

Aber reichen diese Maßnahmen für einen wirkungsvollen Schutz aus?
Alkohol ist eine toxische und abhängig machende Substanz, eine Droge, deren Konsum verantwortlich ist für das europaweit dritthöchste Risiko zu erkranken und vorzeitig zu sterben. Alkohol gehört neben Tabak, Fehlernährung und Bewegungsmangel zu den vier Hauptfaktoren für die Ausbildung der häufigsten Zivilisationskrankheiten. Alkohol ist beteiligt an der Entstehung von HerzKreislauferkrankungen (Herzinfarkt), Krebs und Leberzirrhose (WHO 2011a&b).

Der Alkoholkonsum in Deutschland stagniert seit Jahren auf hohem Niveau. Der Pro-Kopf Verbrauch der Gesamtbevölkerung an reinem Alkohol liegt bei ca. 10 Litern jährlich. Wenn in Deutschland für alle Menschen ab 16 Jahren ein relativ risikoarmer Konsum von täglich 24 g für Männer und 12 g für Frauen angenommen würde, läge der durchschnittliche Pro-Kopf-Konsum an reinem Alkohol bei ca. 7,1 Liter im Jahr. Diese Zahl sollte als Benchmark für eine erfolgreiche Alkoholpolitik gelten. Der Pro-Kopf-Konsum alkoholischer Getränke ist einer der wichtigsten Indikatoren für zu erwartende alkoholbezogene Probleme in der Bevölkerung, besonders für gesundheitliche Probleme. In Deutschland gibt es jährlich etwa 74.000 Todesfälle, bei denen Alkohol ursächlich beteiligt ist. Ca. 10 Mio. Deutsche konsumieren Alkohol in gesundheitlich riskanter Weise oder missbräuchlich. Die Diagnose „Psychische und Verhaltensstörungen durch Alkohol“ ist bei Männern die häufigste Diagnose der vollstationär behandelten Patienten in Krankenhäusern. Am Hauptziel der Alkoholprävention, der Senkung des durchschnittlichen Alkoholkonsums, führt also kein Weg vorbei, wenn alkoholbedingte Risiken und Schädigungen gesenkt werden sollen.

Wirksame Präventionsmaßnahmen sind bekannt: Preiserhöhungen durch Besteuerung von Alkoholika sowie die Reduzierung der Verfügbarkeit von Alkohol haben nachweislich die größten Effekte auf die Reduzierung des Alkoholkonsums und sind daher die wichtigsten staatlichen Steuerungsinstrumente. Diese Präventionsmaßnahmen sind zudem nicht nur wirkungsvoll, sondern auch besonders kostengünstig (Chisholm et al. 2009).

Da alkoholbezogenen Störungen aus dem Konsum aller alkoholhaltigen Getränke resultieren, gibt es keinen Grund, einzelne Getränke als mehr oder weniger gefährlich einzustufen. Deshalb fordert die Deutsche Hauptstelle für Suchtfragen e.V. (DHS) einen einheitlichen Steuersatz für den Liter Reinalkohol von derzeit mindestens ca. 15,00 Euro. Das schließt eine erstmalige Besteuerung von Wein ein und bedeutet eine höhere Belastung des meist getrunkenen Alkoholgetränks Bier.

Werbung und Marketing haben besonders auf die Ausprägung der Bedürfnisse und des Lebensstils Jugendlicher und Erwachsener Einfluss. Bezogen auf alkoholische Getränke fördern sie derzeit die Vorstellung, Alkoholika seien etwas Positives und Normales, ihr Konsum ein kontrollierbares und wünschenswertes Risiko. Aufgrund der großen Bedeutung für die Imagebildung von Alkohol darf die Regulierung von Alkoholwerbung, -marketing und -sponsoring nicht denjenigen überlassen werden, die ein wirtschaftliches Interesse am Verkauf dieser Produkte haben, sondern muss gesetzlich verankert sein, Verstöße müssen von einem unabhängigen Gericht geahndet werden können.

Um eine kritische gesellschaftliche Auseinandersetzung mit Alkoholkonsum zu fördern und der Bagatellisierung von riskantem Alkoholkonsum entgegenzuwirken, sind die oben beschriebenen Präventionsmaßnahmen durch Medienkampagnen zu unterstützen; auch verhaltenspräventive Maßnahmen in verschiedenen Settings wie Schule, Betrieb, Freizeiteinrichtungen u.a. müssen weitergeführt werden.

Das gut ausgebaute Beratungsund Behandlungssystem für Alkoholkranke in Deutschland muss durch Früherkennung und Frühintervention ergänzt werden, um auch diejenigen zu erreichen, die durch die bestehenden Hilfeangebote bisher nicht zu einer Verhaltensänderung motiviert werden konnten.

Die oben genannten verhältnispräventiven Maßnahmen – einheitliche und höhere Besteuerung von Alkoholika, Reduzierung der Verfügbarkeit, gesetzliche Regulierung von Alkoholmarketing – tragen darüber hinaus dazu bei, weitere wesentliche Ziele zu erreichen, wie die Anhebung des Einstiegsalters und die Reduzierung des Rauschtrinkens bei Jugendlichen und Erwachsenen. Darüber hinaus bilden sie die Basis für den Schutz Betroffener im Umfeld Alkoholkonsumierender: Angehörige (Kinder, Partner/innen u.a.), Schutz des ungeborenen Lebens, von Gewalt Betroffene, Verkehrsteilnehmer/innen und Arbeitskollegen und -kolleginnen.

Obwohl sich Präventionsund Suchtexperten und -expertinnen einig sind, dass ein Mehr an Verhaltensprävention keine Alternative zum Policy Mix von verhältnisund verhaltenspräventiven Maßnahmen darstellt, spiegelt sich dieser Fokus nicht in den „Aktionsplänen“ oder „Präventionsstrategien“ der beiden vergangenen Bundesregierungen wider. Sie berücksichtigten die wirksamsten Präventionsmaßnahmen zur Erlangung des obersten Präventionsziels „Reduzierung des Pro-KopfKonsums“ leider nicht. Bislang wurden weder zielführende gesetzliche Maßnahmen verabschiedet und implementiert noch die Durchsetzung der bestehenden Gesetze ausreichend kontrolliert.

Fazit: Statt evidenzbasierte Prävention zu fördern, setzt Gesundheitspolitik auf Konzepte, die kaum Breitenwirkung entfalten. Eine Alkoholprävention, die alle Bevölkerungsgruppen erreicht und ausreichend finanziert ist, ist noch nicht in Sicht.

Zur Lektüre empfohlen und leider nicht verjährt: der Aktionsplan Alkohol der DHS 2008:
http://www.dhs.de/fileadmin/user_upload/p df/dhs_stellungnahmen/aktionsplan_alkohol _der_dhs_2008final_din.pdf

Literatur
Chisholm, D.; Rehm; J.; Frick,U.; Anderson, P.(2009). Alcohol Policy Cost-effectiveness Briefing Notes for 22 European Countries. Institute of Alcohol Studies, London
WHO (2011a): Europäischer Aktionsplan zur Verringerung des schädlichen Alkoholkonsums (2012– 2020).
http://www.euro.who.int/__data/assets/pdf_file/0009/148068/RC61_wd13G_Alcohol_111374_ver2012.pdf
WHO (2011b): Aktionsplan zur Umsetzung der Europäischen Strategie zur Prävention und Bekämpfung nichtübertragbarer Krankheiten (2012–2016). http://www.euro.who.int/__data/assets/pdf_file/000 4/147730RC61_gdoc12.pdf