Tod durch Cannabis? Eine kritische Betrachtung

B 4-4

Maximilian Plenert

Tod durch Cannabis? Eine kritische Betrachtung

Am 25.2.2014 erschien in der Rheinischen Post der Artikel „Cannabis erstmals als Todesursache nachgewiesen“. Darin wird Dr. Benno Hartung, Rechtsmediziner und Mitautor des zugrundeliegenden Fallberichts, der in der Fachzeitschrift „Forensic Science International“ erschienen ist (Hartung et al. 2014), mit den Worten zitiert: „Nach unserem Wissen sind das weltweit die ersten Cannabis-Todesfälle, die komplett nach den heutigen wissenschaftlichen Standards aufgearbeitet wurden“. Zu diesem Ergebnis kamen er und seine Kollegen, nachdem sie THC im Blut der Toten gefunden hatten und ihrer Meinung nach alle anderen möglichen Ursachen ausgeschlossen hatten. Das Medienecho auf diese Meldung ist enorm, sie findet auch international Beachtung. Bei näherer Betrachtung ist der vermeintliche Beweis keiner und auch die Neuigkeit ist keine.
Die Studie kann aus mehreren Blickwinkeln betrachtet werden. Neben einer Kritik an der Studie selbst kann auch das vermeintlich gefundene Risiko in der Gesamtdebatte betrachtet werden.

1. Kritik an der Studie selbst
Die Untersuchung von Hartung und Kollegen weist viele Schwächen auf. Insbesondere die Vorgehensweise „Wir haben alles andere ausgeschlossen, darum muss es Cannabis sein“ ist fragwürdig. Zudem litt beispielsweise einer der Toten an einer hypertrophen Kardiomyopathie. Plötzliche Todesfälle von Menschen unter 35 Jahren sind häufig auf Sport und eine unbemerkte Hypertrophe Kardiomyopathie zurückzuführen.
Dazu Franjo Grotenhermen (Arbeitsgemeinschaft Cannabis als Medizin): „Meistens findet man bei plötzlichem Herztod keine Ursache, und wenn man jetzt bei Betroffenen THC findet, dann sagt das ja über die Ursache nichts aus.“   In der ZEIT haben sich bereits Michael Tsokos, Leiter der Rechtsmedizin an der Berliner Charité, Frank Mußhoff vom Forensisch Toxikologischen Centrum München und Rainer Thomasius, Leiter des Deutschen Zentrums für Suchtfragen des Kindesund Jugendalters in Hamburg zu Wort gemeldet (Zeit Online 2014). Zur Frage der ZEIT: „Belegen die ausführlichen Obduktionsergebnisse der beiden Männer nun, dass sie am Hasch starben?“ sagte Tsokos: „Die einzelnen Befunde stützen das nicht“. „Aus ihnen geht hervor, dass der 23-jährige Verstorbene schwer am Herzen vorerkrankt war. Hätte er nicht zufällig am Tag vor seinem Tod Cannabis geraucht, wäre ein Zusammenhang mit seinem Tod gar nicht hergestellt worden. […] Fälle, in denen die Todesursache unklar ist, haben wir vereinzelt immer wieder. Cannabis als Ursache zu vermuten, ist für mich eine Verlegenheitsdiagnose.“ Tsokos betont: „Hier geht es um Koinzidenz und nicht um Kausalität.“ Mußhoff wird mit folgenden Worten zitiert: „Da nach den Analysen nichts anderes mehr auftauchte, haben sich Hartung und sein Team auf Cannabis verstiegen“. Er weist auch auf die niedrigen THCund THCOOH-Werte im Blut der Toten hin. Diese sprechen gegen eine aktuelle Rauschwirkung. Rainer Thomasius, den niemand der Cannabisliebe verdächtigen würde, sagte: „Menschen mit Herzschäden, Blutfettstoffwechselstörungen oder Gefäßerkrankungen haben ein erhöhtes Infarktrisiko, wenn sie Cannabis konsumieren [..] Das ist aber keine neue Erkenntnis. […] Das betrifft aber nur einen Bruchteil von Menschen und ist sehr selten“ Der ehemalige oberste Drogenberater der britischen Regierung Prof. David Nutt hatte sich jüngst ähnlich in einem ähnlichen Fall einer „Cannabistoten“ in Großbritannien geäußert (Nutt 2014).

2. „Wie gefährlich ist Cannabis?” ist nicht die entscheidende Frage
Raphael Gaßmann, Geschäftsführer der Deutschen Hauptstelle für Suchtfragen, sagte 31 bei der “Cannabis Social Clubs”Anhörung im Bundestag hierzu 34 :

“Aus Sicht der Deutschen Hauptstelle für Suchtfragen ist die entscheidende Frage nicht, ob Cannabiskonsum abhängig machen kann und ob es schädlich ist. Die entscheidende Frage ist die des Cannabisverbots. Nutzt das Cannabisverbot im positiven Sinne? Bewirkt das Verbot, dass weniger Menschen Cannabis konsumieren und dass jene, die Cannabis konsumieren, auf Grund des Verbots weniger konsumieren. Das ist die entscheidende Frage und nicht die Frage, ob Cannabis abhängig machen kann.”
Dies gilt insbesondere, wenn es sich um sehr seltene Probleme handelt, wie in diesem Fall oder auch das angeblich um 70 % gestiegene Hodenkrebsrisiko bei 7 Hodenkrebsfällen pro 100.000 Männer pro Jahr (Spiegel Online 2009).

3. Cannabis kann zu gesundheitlichen Schäden führen
Der Konsum von Cannabis, insbesondere geraucht und mit Tabak, kann zu gesundheitlichen Problemen führen. Besonders Schwangere, Menschen mit Schizophrenie oder Herzproblemen sollten generell vorsichtig sein. Cannabis, insbesondere geraucht und mit Tabak, erhöht die Herzfrequenz und das kann im ungünstigsten Fall tödlich sein. Bei unbemerkten Vorerkrankungen ist dies ein nicht vermeidbares Risiko.
Gleichwohl ist dieses Risiko auch bei anderen Handlungen, die zu Herzrasen führen, gegeben, z.B. Sex, Sport, Saunagänge, Horrorfilme, Streitigkeiten, Besuche beim Jobcenter, Mobbing, gefährliche Situationen im Verkehr oder die Lektüre der Rheinischen Post zum Thema Cannabistote.
Wenn man genug Personen über einen ausreichend langen Zeitraum beobachtet, stirbt auch jemand. So ist z.B. 1 (Herz-)Toter pro Berlinmarathon durchaus „normal“ (Welt Online 2013).
Damit ist diese Aussage von Hartung eine Nullaussage: „Das Problem ist: Wir können nicht abschätzen, wer die Herzrhythmusstörungen bekommt. Wir gehen jedoch davon aus, dass es theoretisch jeden CannabisKonsumenten treffen kann, auch wenn er vorher schon einmal gekifft hat, ohne dass er Symptome entwickelt hat.“
In den Aussagen von Hartung ist erkennbar, dass er mit seiner Untersuchung dringend etwas finden wollte, um einer angeblichen Verharmlosung von Cannabis entgegenzuwirken: „Bislang hieß es häufig, Cannabis könne nichts anrichten“. Cannabis werde allgemein als Droge mit „euphorisierendem Effekt ohne Nebenwirkungen“ wahrgenommen.
Er kritisiert in seinem Artikel „little public awareness of the potentially hazardous cardiovascular effects associated with the consumption of cannabis“ (Hartung et al. 2014) – angesichts des relativen Risikos sei dies jedoch angebracht.
Zur Höhe des Risikos im Vergleich zu anderen Substanzen sagte Franjo Grotenhermen: „Wenn man über jedes Medikament sagen könnte, nachdem man es jahrzehntelang verwendet hat, ‚wir haben jetzt die ersten beiden Todesfälle ausgewiesen’, dann sollte man eigentlich total begeistert sein“, erklärt der Experte. „Das werden Sie bei kaum einem Medikament finden.“

4. Politische Wirkung
Politisch ist diese Studie Wasser auf die Mühlen der „Cannabis ist gefährlich“ Fraktion. Wie schon bei der „Kiffen macht dumm“Studie (vgl. Wurth/ Werse in diesem Band) wird bei ihnen sowie in der Öffentlichkeit nur die erste Überschrift im Gedächtnis bleiben, jede noch so fundierte Kritik wird kaum abgedruckt und beachtet werden. Damit hat Hartung vielleicht mutwillig, aber zumindest fahrlässig zu einer Verunsachlichung der Debatte beigetragen.
Zur Motivation von Hartung können wir nur spekulieren. Vielleicht war es schlicht wissenschaftliche Neugier. Allerdings konnten die Wissenschaftler ahnen – auch aufgrund von Erfahrungen ihrer Kollegen, die sich mit ähnlichen Fällen befasst hatten – welche Medienresonanz ihre These erzeugen würde. Der Wunsch, groß in die Öffentlichkeit zu kommen, wäre damit eine mögliche Motivation. Der Effekt auf die politische Debatte und die Verortung ihrer selbst ist klar.

33 http://www.alternativedrogenpolitik.de/2013/03/15/dr-raphael-gasmanngeschaftsfuhrer-der-dhs-bei-der-cannabis-socialclubs-anhorung/

Literatur
Hartung, B., Kauferstein, S., Ritz-Timme, S., Daldrup, T. (2014): Sudden unexpected death under acute influence of cannabis. Forensic Science International, 237, e11-e13.
Nutt, D. (2014): Death by cannabis? Blog post, 31.1.2014, Drug Science (Independent Scientific Committee on Drugs).
http://drugscience.org.uk/blog/2014/01/31/deathby-cannabis/
Rheinische Post (2014): Cannabis erstmals als Todesursache nachgewiesen. 25.2.2014. http://www.rp-online.de/leben/gesundheit/zumersten-mal-cannabis-als-todesursache-nachgewiesenaid-1.4061016
Spiegel Online (2009): Marihuana-Konsum: Joints erhöhen Hodenkrebs-Risiko. 9.2.2009.
http://www.spiegel.de/wissenschaft/mensch/marihu ana-konsum-joints-erhoehen-hodenkrebs-risiko-a606391.html