Archiv der Kategorie: C I Schwerpunkte der Drogen und Suchtpolitik

JES

Von Marco Jesse

Die positiven Effekte der Selbsthilfe im Drogenbereich sind seit Jahren bekannt und akzeptiert. Eine deutliche Stärkung im Wunsch nach Konsumkontrolle oder Abstinenz ist hier ebenso zu nennen wie Verbesserungen des physischen und psychischen Zustandes.
Der Drogenselbsthilfeverband „JES Junkies, Ehemalige und Substituierte“ vereint landesweite Zusammenschlüsse, verschiedene regionale Gruppen und Einzelaktivisten zu einem einmaligen Netzwerk. Bestimmte Zielgruppen werden durch JES wesentlich besser erreicht als über sonstige Zugangswege, was aus dem Blickwinkel der Schadensminimierung und der HIVund HepatitisPrävention von besonderem Wert ist. Die eigentliche Besonderheit dieses Selbsthilfezusammenschlusses ist jedoch der Respekt vor jeglicher Entscheidung des Einzelnen – auch der Entscheidung, mit Drogen leben zu wollen. Die Bereitschaft, Drogenkonsum als Teil des Lebensstils mit allen daraus folgenden Konsequenzen zu akzeptieren und dafür einzutreten, dass die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen dem nicht entgegenstehen, ist ein wesentliches Charakteristikum von JES. Das Recht auf Selbstverwirklichung (bis hin zur Selbstschädigung) ist einer unserer gesellschaftlichen Grundbausteine.

Daraus folgt für JES ein klarer Auftrag: Es gilt den gesetzlichen und gesellschaftlichen Rahmen so zu gestalten, dass der Konsum psychoaktiver Substanzen kontrolliert möglich ist. Konkret bedeutet dies die Abschaffung der strafrechtlich relevanten Anteile des BtmG zugunsten einer Regulierung über die „normalen“ Wege des Verbraucherschutzes, der Gesundheitsfürsorge, der Straßenverkehrsordnung usw., usw. Derartige Forderungen finden sich in keiner anderen drogenbezogenen Selbsthilfe. Betrachtet man die deutsche Realität, könnte der Eindruck entstehen, dass die Einbeziehung von Betroffenenkompetenz an diesen Stellen nach wie vor eine „Feigenblattfunktion“ hat. Obwohl der JES-Bundesverband die Qualität und Konstanz seiner Arbeit über nahezu ein Vierteljahrhundert unter Beweis gestellt hat und so mit einzelnen Projekten auch Erwähnung im Drogenund Suchtbericht der Bundesregierung fand, ist es bisher nicht gelungen, die Arbeit des Bundesverbands personell und strukturell abzusichern. Öffnet man den Blick und schaut über die Grenzen Deutschlands hinaus, wird ein weiteres Mal deutlich, dass eine stabile Unterstützung von JES sinnvoll ist. . Angesichts dessen, dass Deutschland eine zentrale Rolle in der europäischen Politik zukommt, muss sich Deutschland auch daran beteiligen, europaweite Selbsthilfestrukturen zu entwickeln und zu fördern. Hierfür wiederum ist eine aktive und starke Selbsthilfe im Land unerlässlich und die gibt es nicht zum Nulltarif.

Die Chancen, die sich durch eine enge Einbeziehung von akzeptierender Selbsthilfe ergeben, sind die Bemühungen wert. Es ist noch ein weiter Weg zurückzulegen bis hin zu einer grundsätzlich anderen Drogenpolitik ohne Abstinenzparadigma und ein noch weiterer Weg hin zu einer gesellschaftlichen Akzeptanz von Drogenkonsum.
Eine Vielzahl von Themenfeldern kann auf diesem Weg von den Sichtweisen der Betroffenen profitieren. So konnten Defizite in der Substitutionsbehandlung frühzeitig identifiziert und angegangen werden. Über Befragungen der JES-Mitglieder und ihres Umfelds, ergänzt durch Erfahrungsberichte der Patienten, konnten fehlende Behandlungszugänge ebenso erkannt werden, wie Herausforderungen in anderen Bereichen. Die erlangten Erkenntnisse fanden z.B. Berücksichtigung bei der Gestaltung einer (europäischen) Internetseite zur Substitutionsbehandlung (http://meinebehandlungmeinewahl.eu/).
Dort können sich Opiatabhängige aus allen beteiligten Ländern über die Behandlungszugänge und -konditionen in ihrem Land umfassend und neutral informieren. Die Seite stellt so eine unmittelbare Hilfe für die Betroffenen dar.  Ähnliches gilt für die Therapie der chronischen Hepatitis C. Auch hier bietet der unmittelbare Kontakt zu den Usern die Möglichkeit, Präventionskonzepte zu entwickeln und/oder zu verbessern. Besonders problematisch ist hier das völlige Fehlen jeglicher Instrumente zur Schadensminimierung in den bundesdeutschen Haftanstalten. Diese Versorgungslücke öffnet (Re-)Infektionen Tür und Tor. Vor dem Hintergrund, dass die Therapiemöglichkeiten sich in den letzten 2-3 Jahren erheblich verbessert haben, ist dies ein geradezu skandalöser Zustand. Heute ist es möglich, mit den zur Verfügung stehenden Kombinationstherapien Heilungsquoten von über 75% zu erreichen. Die Behandlungen sind aber mit erheblichen Kosten verbunden und für die Patienten extrem anstrengend. Umso wichtiger ist es daher, Reinfektionen zu vermeiden. Spritzentauschangebote in den Vollzugsanstalten wären hierzu eine ideale Voraussetzung. Nicht nur diese praktischen Felder bedürfen der Aufmerksamkeit – auch der alltäglichen Stigmatisierung von Drogengebrauchern tritt JES mit seiner Arbeit entgegen. Deren Folgen für den Einzelnen sind massiv und führen direkt in die soziale Isolation. Die permanente Diffamierung von Menschen als defizitär und krank widerspricht dem Recht auf Menschenwürde und bildet bei weitem nicht die Realität ab. Im Gegenteil, sie resultiert aus der Fokussierung auf jenen Teil der Drogen gebrauchenden Menschen, die (zu bestimmten Zeitpunkten) Unterstützung und Hilfe bedürfen.

Genauso dramatisch ist dieser allgemeine Umgang mit dem Thema Drogengebrauch für die präventive Arbeit. Dies erschwert die Zugänge und fördert den Konsum und das „Ausprobieren“ auf eigene Faust und im Geheimen.
So bleiben für die akzeptierende Drogenselbsthilfe „JES Junkies, Ehemalige und Substituierte“ auch in den kommenden Jahren mehr als genug Herausforderungen zu bewältigen. Die Unterstützung und Wertschätzung dieses Einsatzes auf der politischen Ebene wäre ein Schritt in die richtige Richtung.

SMOKE-IT! – Unterstützung zur Veränderung der Drogenapplikationsform (von intravenös zu inhalativ)

Von Heino Stöver und Dirk Schäffer

Das in Deutschland seit den 70er Jahren des letzten Jahrhunderts auf dem Schwarzmarkt erhältliche Heroin wird üblicherweise in einer mittleren oder schlechten Qualität (5-30% Wirkstoffgehalt) angeboten. Der geringe Wirkstoffgehalt und der hohe Preis bildeten – neben kulturellen Einflüssen 74 – die Grundlage dafür, dass der intravenöse Konsum in Deutschland zur gebräuchlichsten Konsumform für Heroin avancierte. Als wesentliche negative Folgen sind in diesem Zusammenhang nachhaltige Schädigungen der Blutgefäße, Venenerkrankungen, die Gefahr einer Überdosierung sowie die Übertragung von Krankheiten wie Hepatitis und HIV zu nennen. In den Jahren 1982 bis 1986 wurde in Studien in Berlin und Frankfurt ein starker Anstieg der HIV-Infektionsraten bei injizierenden Drogengebrauchern festgestellt (1982=18%, 1984=28%, 1986= 37% 75 . Durch die Implementierung von flächendeckenden Angeboten des Spritzentausches, dem Ausbau der Substitutionsbehandlung, und des niedrigschwelligen Hilfesystems mit Drogenkonsumräumen und Kontaktstellen, sowie medialer Angebote der Prävention liegt die aktuelle HIV-Prävalenz bei injizierenden DrogengebraucherInnen bei 1,6% in Köln und 9,1% in Frankfurt 76.
Veränderungen hinsichtlich der Applikationsformen werden im Bericht der Deutschen Beobachtungsstelle für Drogen und Drogensucht (DBDD) abgebildet. Während der Bericht des Jahres 2009 der DBDD 77 sowie der Drogen und Suchtbericht der Bundesregierung für den Zeitraum 2005 – 2009 78 einen leichten, aber kontinuierlichen Anstieg des inhalativen Konsums zu Ungunsten des intravenösen Konsums auswiesen, hat sich dieser Trend aktuell nicht mehr fortgesetzt. Der Anteil derjenigen, die Heroin rauchen, blieb im Vergleich zum Vorjahr quasi unverändert (2011: 27,0 %; 2010: 26,8 %).
Hingegen stieg der intravenöse Konsum wieder leicht an (2011: 58,9 %; 2010: 57,8 %) 79 .Trotz regionaler und einrichtungsspezifischer Unterschiede bestätigen die Rückmeldungen aus Drogenkonsumräumen insgesamt einen Anstieg des inhalativen Konsums während der letzten Jahre (z.B. die Aids-Hilfe Dortmund, Drogenkonsumraum Kick).

Vorliegende Daten und Praxiserfahrungen geben Hinweise darauf, dass das Risiko einer unbeabsichtigten Überdosierung beim Rauchen von Heroin, im Gegensatz zum Spritzen von Stoff unbekannten Reinheitsgehaltes, wesentlich herabgesetzt wird. Darüber hinaus ist das Risiko, sich über Blutkontakte mit HIV, Hepatitis B oder C zu infizieren, beim Folierauchen erheblich geringer als beim intravenösen Konsum. Trotz der erheblichen Belastungen von Lunge und Atemwegen durch den Rauchkonsum, kann der inhalative Konsum – gemessen an den Indikatoren ‚Überdosierung’ und ‚virale Infektionen’ – als deutlich weniger riskant eingestuft werden 80.

Die Ziele des Projekts „SMOKE IT“
Das Projekt „SMOKE-IT!“ hatte zum Ziel zu überprüfen, inwieweit durch die Bereitstellung neuer Konsumutensilien, wie z.B. Folien (bereits geschnitten, unbeschichtet, dicker und somit reißfester und mehrfach verwendbar), Röhrchen, sowie begleitender medialer Angebote (Flyer, Poster, Postkarten) die Änderungsbereitschaft von i.v. Konsumenten von intravenös zu inhalativ unterstützt werden kann.
Mit dieser Studie wurde in Deutschland erstmals eine valide Grundlage geschaffen, die die Wirksamkeit einer zielgerichteten Ansprache zum Wechsel der Applikationsform unter Einbeziehung neuer Konsumutensilien darstellt.

Methoden
Die Datenerhebung erfolgte mithilfe eines schriftlichen Fragebogens. Sowohl die Medien (Poster, Flyer, Postkarte), als auch ausschließlich für den inhalativen Heroinkonsum hergestellte Rauchfolien, sowie Klarsichtbeutel, die als Behältnis dienten, um den Heroinkonsumenten alle Bestandteile des SMOKEIT!-Packs aushändigen zu können, wurden an die teilnehmenden Einrichtungen abgegeben. Zudem wurde den Teilnehmenden eine unterschiedliche Anzahl von Rauchfolien ausgehändigt, die ausreichten, um nach Anleitung ein Rauchröhrchen zu erstellen sowie mehrfach die SMOKE-IT-Folien zu nutzen.
Somit konnte die Studie wie geplant am 1. April 2012 beginnen. Der Fragebogen wurde zu drei verschiedenen Zeitpunkten von den befragten Heroinkonsumenten ausgefüllt. Teil 1 unmittelbar nach der Rekrutierung der Studienteilnehmer (T1). Teil 2 nach dem FolieRauchen im Konsumraum oder nach der Wiederkehr in die Einrichtung (T2) Teil 3 frühestens 30 Tage nach der Befragung T2 (T3),
Die Ansprache potentieller Studienteilnehmer erfolgte durch die Mitarbeiter der Konsumräume. „SMOKE-IT!“ wurde als multizentrische Studie, die in Drogenkonsumräumen der Städte Frankfurt – „La Strada“ (AIDS-Hilfe Frankfurt) und „Niddastr. 49“ (Integrative Drogenhilfe) –, Berlin – „SKA“ (Fixpunkt) –, Dortmund – „KICK“ (aidshilfe dortmund) –, Hamburg – „ragazza“ (RAGAZZA) – und Bielefeld – Drogenberatung – durchgeführt:

Insgesamt sind bis zum Ende der quantitativen Studie (15.8.2012) 177 Fragebögen ausgefüllt worden. 12 Personen lehnten das Angebot des Erhalts eines SMOKE-IT!-Packs ab. Von den verbleibenden 165 Befragten konnten 141 zum Zeitpunkt T2 wiederbefragt werden. Dies entspricht einer Wiedererreichungsquote von 85,5%. An der letzten Befragung zum Zeitpunkt T3 nahmen noch 89 Personen teil (Wiedererreichungsquote in Bezug auf T1: 54,0%).

Ergebnisse
Aus Tabelle 1 lässt sich entnehmen, dass die Befragten überwiegend männlichen Geschlechts (77,0%) und im Mittel 34,7 Jahre alt sind.
Die Studienteilnehmer sind zu T1 im Mittel 34,7 Jahre alt und zu T2 und T3 nur unwesentlich jünger.

Die Studienteilnehmer konsumieren im Mittel seit 13,3 Jahren Heroin. Der intravenöse Heroinkonsum ist mit 70,9% unter den Studienteilnehmern sehr weit verbreitet. Im Mittel wird dieser seit 10,4 Jahren praktiziert. Bis auf sehr wenige Ausnahmen verfügen die befragten Heroinkonsumenten im Mittel seit 11,1 Jahren über Erfahrungen mit dem inhalativen Konsum opiathaltiger Substanzen (96,8%).Das heißt, der weit überwiegende Teil der Personen, die ein SMOKE-IT!-Pack erhalten haben, ist mit dieser Applikationsform bereits vertraut.

Tabelle 1 : Charakteristika der befragten Personen nach Befragungszeitpunkt  (Anmerkung: Für Tabelle siehe pdf. Datei)

Zwei Drittel der TeilnehmerInnen rauchten anstatt zu injizieren
Die letzte Zeile der Tabelle 2 macht deutlich, dass zwei Drittel der Stichprobe (65,3%) die SMOKE-IT!-Folien für den Konsum des Opiats nutzten, statt zu injizieren. Die Tatsache, dass die Prävalenz des Rauchkonsums bei den StudienteilnehmerInnen bereits vor der Studie sehr hoch war, ist für dieses beeindruckende Ergebnis unerheblich. Die TeilnehmerInnen 106    wurden explizit gefragt, ob sie Opiate inhalativ konsumiert haben anstatt sie zu injizieren.

Geringes Risiko für Überdosierungen, HIV und Hepatitis – Hauptgründe für den Wechsel der Konsumform
Zum Abschluss der Befragung T2 sind die Studienteilnehmer gebeten worden anzugeben, warum sie das Rauchen von Heroin mithilfe von Folien praktizieren. Fast sechs von zehn (58,9%) geben als Grund an, dass diese Form des Konsums gesünder sei als das Injizieren. Ebenfalls fast die Hälfte der Befragten (49,1%) benennt Neugier als Grund für das Folie-Rauchen; Mit Blick auf die Alterskategorien sind es vor allem die jüngeren Heroinkonsumenten, die dem Folierauchen mit Neugier begegnen (62,5%).
Für etwa ein Drittel der befragten Konsumraumbesucher (35,7%) ist das geringere Risiko einer Ansteckung mit Krankheiten wie Hepatitis oder Aids von besonderer Bedeutung.
Ein Drittel der Befragten gebraucht Rauchfolien, um auf diesem Wege der Gefahr einer Überdosierung zu entgehen.

Drogengebraucher würden SMOKE-IT!Folien käuflich erwerben – wenn sie erhältlich wären (T3)
Die StudienteilnehmerInnen wurden gebeten anzugeben, wie hoch der Anteil des Rauchens an allen Heroinkonsumvorgängen war. Etwas mehr als ein Viertel (26,9% S) praktiziert ausschließlich diese Applikationsform. Es wird deutlich, dass der Anteil derer, die mehr als drei Viertel ihrer Konsumvorgänge in Form des Folierauchens praktizieren, mit dem Lebensalter stetig ansteigt. Vier Fünftel aller Befragten geben an, dass sie die SMOKE-IT!Folien auch zukünftig nutzen würden, sofern ein entsprechendes Angebot verfügbar wäre. Etwas weniger als 60% der Studienteilnehmer wären bereit, die Folien auch käuflich zu erwerben;

Die SMOKE-IT! Folien können bei einem nicht unerheblichen Teil der KonsumraumnutzerInnen zu einer Verringerung des intravenösen Konsums beitragen. Etwas mehr als die Hälfte der Befragten gibt an, das  Folierauchen statt des i.v.-Konsums praktiziert zu haben. Werden die Studienteilnehmer nach den Altersgruppen unterschieden, so sind es insbesondere die Älteren, die mit einem Anteil von 63,6% von einem veränderten Applikationsverhalten berichten. In der jüngsten Altersgruppe liegt der entsprechende Anteil zehn Prozentpunkte darunter. Der geringste Effekt zeigt sich bei den 30 bis 39Jährigen; 46,3% inhalierten das Heroin, statt es intravenös zu applizieren.

Schlussfolgerungen Die Studienergebnisse machen deutlich, dass mit der Einführung neuer und hochwertiger Präventionsutensilien sowie begleitenden medialen und personalen Interventionen OpiatkonsumentInnen zur Reduktion des intravenösen Konsums zugunsten des weniger riskanten inhalativen Konsums motiviert werden können. Trotz des hohen Anteils von Opiatkonsumierenden, die bereits zum Zeitpunkt der Studie regelmäßig Opiate rauchten, zeigen die Ergebnisse, dass lediglich ein Viertel ausschließlich diese Konsumform wählt. In der Studienkohorte zeigten insbesondere junge KonsumentInnen (bis 29 Jahre) ein großes Interesse am inhalativen Konsum. Viele StudienteilnehmerInnen verbanden mit der Einführung der Rauchfolien auch eine wertschätzende Haltung der MitarbeiterInnen.

Im Resümee kann Einrichtungen, die bisher ausschließlich Angebote des Spritzentauschs vorhalten, nur empfohlen werden, ihr Angebot um die Abgabe von Rauchfolie inklusive begleitender medialer Informationen zu ergänzen. Hierbei sollte die Abgabe von Rauchfolien ebenso wie die Abgabe von Konsumutensilien zum intravenösen Konsum möglichst kostenfrei sein. Zwar zeigen die Studienergebnisse, dass ein recht hoher Prozentsatz SMOKE-IT!-Folien auch käuflich erwerben würde, aber um die Motivation der Inanspruchnahme zu erhöhen, ist sicher eine kostenfreie Abgabe zu präferieren. Um die Nutzer der Einrichtungen auf dieses neue Harm-Reduction-Angebot aufmerksam zu machen, gilt es insbesondere auf die Neuheit und Hochwertigkeit der SMOKE-IT!-Folien hinzuweisen. Bereits in der Vergangenheit wurde bei vergleichbaren Modellprojekten deutlich, dass solche Angebote keine Selbstläufer sind, sondern nur mit einem hohen Engagement der MitarbeiterInnen ihre gesundheitsfördernden Effekte entfalten können. Mit besonderen Wochenoder Monatsthemen kann das Interesse der Drogenkonsumenten auf bestimmte Inhalte und Themen gerichtet werden. Empfohlen wird daher u.a. eine „SMOKE-IT!-Woche“ anzubieten, die von verschiedenen Aktivitäten bzw. Maßnahmen begleitet wird:
‐ Videofilme mit Inhalten zum Thema Safer Use (Schwerpunkt: inhalativer Konsum)
‐ Rauchtrainings, gemeinsamer Pfeifenbzw. Röhrchenbau (auch wenn viele Konsumenten Erfahrungen mit dem inhalativen Konsum haben, kann durch Angebote des gemeinsamen Röhrchenbaus bzw. von Safer Smoke Trainings das Interesse gesteigert werden).
‐ Angebot von SMOKE IT!-Packs. Die vorliegende Studie konnte deutlich machen, dass von der Abgabe von Komplettsortimenten (SMOKE-IT!-PACKS) auch ein Signal der Wertschätzung ausgeht. Dies führte dazu, dass Nutzer der Einrichtung sich für das neue Angebot interessierten.
‐ Durch die Bereitstellung von medialen Informationen, die in den Besitz der Konsumenten übergehen, wie z.B. Flyer, Karten mit Fotos zur Rauchanleitung 81 etc., kann die Inanspruchnahme des neuen Angebots erhöht werden. Die Studie zeigt, dass ein sehr hoher Prozentsatz derjenigen denen SMOKE-IT! PACKS ausgehändigt wurden, diese auch nutzten. Das Anbringen von Postern als „Eyecatcher“ kann die Aufmerksamkeit für das neue Angebot ebenfalls erhöhen.
‐ In Deutschland werden jährlich ca. 400.000 Schachteln 82 mit unterschiedlichen Sortimenten zum intravenösen Konsum über Automaten verkauft. Um die anonyme Verfügbarkeit von Rauchutensilien in der Nacht, am Wochenende und an Feiertagen sicherzustellen, könnten Automaten um „SAFERSMOKE-Packs“ ergänzt werden.
Aus der Vor-Ort-Arbeit wird der relativ hohe Preis einer Rauchfolie (4 Eurocent) als Hürde für die Einführung von Rauchfolien genannt. Bei genauer Betrachtung zeigt sich allerdings, dass die Abgabe eines Safer-Use-Komplettsortiments zum intravenösen Konsum, bestehend aus Spritze, 2 Nadeln, Filter, Stericup, Ascorbinsäure und Wasserampulle, ca. 50 Eurocent kostet. Die Bereitstellung eines Safer-Use-Komplettsortiments zum inhalativen Konsum, bestehend aus 2 Rauchfolien (eine Folie zur Erstellung eines Röhrchens, eine Folie zum Erhitzen des Heroins), kostet hingegen nur 8 Cent, also weniger als ein Fünftel des Preises für den intravenösen Konsum. Die Einführung von Rauchfolien kann also neben infektionsprophylaktischen und gesundheitsschützenden Vorteilen auch zur Kostenreduktion beitragen.

Tabelle 2: Gebrauch und Beurteilung der SMOKE-IT! Folien ((Anmerkung: Für Tabelle siehe pdf. Datei)

74 Vgl. Brink, W.v.d. Treatment of Heroin Addiction in The Netherlands, Presentation on the Sixth Interdisciplinary Substitution Treatment Symposium. Montreal, 30 November – 1 December 2006 Amsterdam Institute for Addiction Research
75 Kleiber D, Stark K. (1991): AIDS und HIV-Infektion bei intravenös Drogenabhängigen in der Bundesrepublik Deutschland. In: Deutsche Medizinische Wochenschrift 116, 863-869
76 RKI (2013): DRUCK-Studie − Drogen und chronische Infektionskrankheiten. Infektionsund Verhaltenssurvey bei i.v.-Drogengebraucher/innen in Deutschland.
http://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/H/HIVAIDS/Stu dien/DruckStudie.html
77 DBDD (2009). Bericht 2009 des nationalen REITOX-Knotenpunkts an die EBDD DEUTSCHLAND. Neue Entwicklungen, Trends und Hintergrundinformationen zu Schwerpunktthemen. Drogensituation 2009. München.
78 Die Drogenbeauftragte der Bundesregierung (2013): Drogenund Suchtbericht 2013. Berlin
79 Bericht 2012 des nationalen REITOX-Knotenpunkts an die EBDD
80 vgl. Chandler M, Bridge J, Boid A, Wilks H (2008): The Provision of Foil in Needle and Syringe Programmes in the UK. London: National Needle
Exchange Forum; Pizzey R, Hunt N (2008): Distributing foil from needle and syringe programmes (NSPs) to promote transitions from heroin injecting to chasing. In: Harm Reduction Journal, 5:24
81 Über die Deutsche AIDS-Hilfe kostenfrei erhältlich.
82 vgl. Drogenbeauftragte 2013, a.a.O.

Qualitätsentwicklung in der Konsumutensilien-Vergabe

Von Fixpunkt Verein für suchtbegleitende Hilfen e. V., Berlin, Astrid Leicht

Die Vergabe von Konsumutensilien für Menschen, die injizierbare Drogen konsumieren, gilt bei Fixpunkt als qualifizierte Tätigkeit und wird dementsprechend von Fachpersonal (Sozialarbeiter/innen, Pflegefachkräften) oder entsprechend gut eingearbeiteten Unterstützungskräften geleistet. Die Vergabe ist stets gekoppelt an ein individuell ausgerichtetes Informationsund Bera-tungsangebot zum Safer Use und Safer Sex.

Als Resultat eines mehrjährigen Entwicklungsprozesses hat Fixpunkt in den letzten zwei Jahren die Modalitäten der Konsummaterialvergabe verändert und damit einen „Paradigmenwechsel“ eingeleitet. Basierte in früheren Jahren die Vergabe von sterilen bzw. hygienischen Materialien auf einem mehr oder weniger strikten „Eins-zu-Eins“-Tauschprinzip, eruieren der oder die Kon-sument/in gemeinsam mit dem oder der FixpunktMitarbeiter/in nun den tatsächlichen individuellen Bedarf. Kriterien hierfür sind z. B. die Häufigkeit der Drogenapplikation und die Gewohnheiten bzw. Mög-ichkeiten, sich mit hygienischen bzw. sterilen Utensilien zu versorgen. Thematisiert wird auch die Möglichkeit, sich je nach persönlicher Finanzlage an den Materialkosten zu beteiligen.

Damit Hepatitis C-Infektionen nicht über gebrauchte Filter, Löffel bzw. Pfännchen an andere Konsument/innen weitergegeben werden, sind besonders für diese Utensilien, die normalerweise nicht zum „Spritzentausch“-Programm zählen, bedarfsgerechte Vergabemodalitäten wichtig. Ebenso bedeutsam sind Desinfektionsmittel für Hände und Haut.

Es ist weiterhin möglich, potenziell infektiöse Spritzen und Nadeln in den Fixpunkt-Einrichtungen und –Mobilen zu entsorgen. Zusätzlich sind stichsichere und verschließbare Behältnisse in verschiedenen Größen und Varianten verfügbar, so dass infektiöses Material von den Drogenkonsumierenden sicher an Ort und Stelle entsorgt werden kann und nicht mehr über teilweise weite Strecken transportiert werden muss.
Einen stärkeren Stellenwert als bislang haben solche Konsumutensilien erhalten, die eine nicht-injizierende Drogenapplikation ermöglichen: Sniefröhrchen, Rauchfolien und Zubehör erweitern das Sortiment.

Die bedarfsbezogene Form der Vergabe eröffnet neue Möglichkeiten, mit den Konsument/innen über ihre individuellen Bedürfnisse und Konsumgewohnheiten ins Gespräch zu kommen, genauso wie es die Konsument/innen dazu bewegen kann, sich verstärkt mit ihrem Konsumverhalten und ihren „handwerklichen Kenntnissen und Fähigkeiten“ bei der Drogenapplikation auseinanderzusetzen.

Die bedarfsbezogene Konsumutensilienvergabe kostet mehr Geld als das „1:1“Tauschprinzip. Vor allem Entsorgungsbehältnisse und Desinfektionsmittel sowie Filter, Pfännchen und steriles Wasser sind Kostenfaktoren.

Mit den veränderten Vergabemodalitäten folgt Fixpunkt den Empfehlungen der WHO und EMCDDA. Mit gutem Beispiel geht nun auch die Berliner Landespolitik mit fachlicher Unterstützung durch die Senatsverwaltung für Gesundheit voran. Diese hat einer merklichen Aufstockung von Zuwendungsmitteln zur verbesserten Ausstattung des Konsumutensilienvergabe-Angebots ab dem Jahr 2014 zugestimmt.

Drogenabhängige suchen Kontakt zum normalen Leben – BuddyCare verbindet Menschen und Lebenswelten

Von Sandra Köhler

„Es wäre so schön, mal was anderes zu erleben“ „Manchmal guck’ ich zu, wie die Leute im Straßencafé sitzen und sich einfach miteinander unterhalten. Sie essen Eis oder trinken Kaffee. Das sieht schön aus. So entspannt. So normal.“
Jessica, 32 Jahre alt

„Ich kann mir gar nicht vorstellen, dass jemand freiwillig mit mir ins Kino oder Theater geht. Aber vielleicht habe ich ja Glück.”
Frank, 46 Jahre alt

„Ich weiß eigentlich gar nicht genau, was mir Spaß machen würde. Das hab ich wohl irgendwie verlernt. Ich bin total gespannt, wen und was ich kennenlernen werde.”
Markus, 24 Jahre alt

BuddyCare – Was ist das? Die Integrative Drogenhilfe e.V. in Frankfurt am Main startete BuddyCare im Jahr 2009 als erstes Projekt seiner Art in der Bundesrepublik. Das Konzept basiert auf den Erkenntnissen der in den Niederlanden seit Jahren erfolgreich laufenden Buddy-Projekte. Es ermöglicht regelmäßige Kontakte und Begegnungen zwischen Drogenabhängigen und ganz normalen Menschen.
Schirmherrin von BuddyCare ist Rosemarie Heilig, Dezernentin für Umwelt und Gesundheit der Stadt Frankfurt/M.
Als Projektpatin engagiert sich Steffi Jones, Direktorin für Frauenund Mädchenfußball beim DFB.

Was möchten wir mit BuddyCare bewirken?
– Wir ermöglichen drogenabhängigen Menschen die für sie so wichtigen sozialen   Kontakte außerhalb ihres gewohnten Lebensbereichs und der Drogenszene.
– Wir bieten sozial engagierten Bürgerinnen und Bürgern aus Frankfurt und Umgebung die Gelegenheit, eine sinnvolle ehrenamtliche Tätigkeit zu übernehmen, die mit den eigenen Hobbys und Interessen gut zu verbinden ist.

Warum haben wir BuddyCare entwickelt?
Für drogenabhängige Menschen gibt es vielfältige professionelle Hilfe: z.B. unterschiedliche niedrigschwellige Angebote, Beratungsstellen, Substitutionsprogramme, medizinische und psychosoziale Betreuung, therapeutische Unterstützung. Durch diese Angebote können sich viele Drogenabhängige wieder stabilisieren und neue Lebensperspektiven entwickeln. Die TeilnehmerInnen des BuddyCare-Projekts sind bereits auf einem guten Weg. Sie brauchen aber zusätzlich noch eine ganz andere Art der Unterstützung: Soziale Kontakte außerhalb der Drogenszene und jenseits professioneller Hilfen. Einfach von Mensch zu Mensch. Aber aufgrund ihrer belasteten Vergangenheit und dem jahrelangen Dasein am Rande der Gesellschaft haben sie erhebliche Hemmschwellen und Ängste, selbst auf andere Menschen zuzugehen. Viele haben den Kontakt zu Familie und Freunden verloren. Sie fühlen sich einsam und vom gesellschaftlichen Miteinander isoliert und ausgegrenzt. Dabei wollen sie sehr gerne ein bisschen Normalität erleben, wieder mehr dazugehören. BuddyCare will hier eine soziale Brücke schlagen zwischen Menschen und ihren völlig unterschiedlichen Lebenswelten.

Bei der Begleitung durch einen Buddy steht daher immer „der Mensch“ im Vordergrund des Kontaktes und nicht „der Drogenabhängige“. Ebenbürtigkeit und Geselligkeit stehen an erster Stelle. Die durch BuddyCare entstehenden neuen Kontakte, Erlebnisse und Erkenntnisse schaffen Selbstvertrauen und stärken das Selbstwertgefühl der Drogenabhängigen.

Was ist ein Buddy?
Buddys interessieren sich für drogenabhängige Menschen, sind offen für deren Lebenswelt und für neue Erfahrungen. Ein Buddy ist freiwillig ehrenamtlich tätig und bietet einem drogenabhängigen Menschen für einen bestimmten Zeitraum seine freundschaftliche Begleitung an: soziale, emotionale und praktische Unterstützung. Buddys übernehmen keine sozialarbeiterischen Tätigkeiten für Drogenabhängige, sondern verstehen sich als wertvolle Ergänzung zu professionellen Hilfen. Sie teilen ihre Freizeit für einige Stunden mit den TeilnehmerInnen, erweitern damit deren Erlebnishorizont und vermitteln ihnen ein Stück Lebensqualität. Bei einer Buddybegleitung geht es immer um den Kontakt auf Augenhöhe – von Mensch zu Mensch.

Ein Buddy und sein/e Projekt-TeilnehmerIn treffen sich über den Zeitraum von einem Jahr in der Regel einmal pro Woche und überlegen gemeinsam, was sie unternehmen wollen: einen Spaziergang, einen Kaffee trinken oder ins Kino gehen, ein gutes Gespräch führen, einen Museumsbesuch, ein Picknick im Park, eine kleine Radtour, zusammen etwas kochen – einfach Kontakt halten, Zeit gemeinsam verbringen und ansprechbar sein.

Was bietet die idh den Buddys?
• ein ausführliches Erstgespräch
• ein zweitägiges Basistraining zur Vorbereitung auf die Tätigkeit
• eine monatlich stattfindende angeleitete Buddygruppe zur Praxisreflexion • eine Ansprechperson bei allen Fragen rund um die Buddytätigkeit • Einzelberatung bei auftretenden schwierigen Situationen
• ein Budget zur Erstattung der Auslagen für die Teilnehmenden
• die Erstattung von Fahrtkosten
• Versicherungsschutz (Haftpflicht und Unfall)
• jede Menge neue Erfahrungen.

Was sind die bisherigen Erfahrungen?
Die Resonanz auf das Projekt BuddyCare ist von Seiten der Buddys wie auch der TeilnehmerInnen sehr positiv.
Anfängliche Unsicherheiten im Kontakt (insbesondere von Seiten der Drogenabhängigen) lösen sich in der Regel schnell auf, Gemeinsamkeiten werden entdeckt, Vertrauen entsteht.
Der regelmäßige Kontakt und die gemeinsamen Unternehmungen sind für die TeilnehmerInnen oft der Höhepunkt der Woche. Sie erleben zusammen mit ihrem Buddy ein Stück Normalität, entdecken neue Interessen, fühlen sich akzeptiert. Die TeilnehmerInnen werden selbstsicherer im Umgang mit anderen Menschen, gewinnen zunehmend an Selbstbewusstsein und machen die Erfahrung, dass man ohne Drogen eine gute Zeit erleben kann.
Die Buddys erleben in dem Kontakt hautnah, wie sehr sich die Lebenswelt ihres Gegenübers von ihrer eigenen unterscheidet – und wie viel sie dennoch miteinander verbindet. Im Laufe des Jahres entstehen oft sehr freundschaftliche Beziehungen, die auch nach Abschluss einer Buddybegleitung weiter bestehen.

„Psychosoziale Betreuung“ in der Opioid-Substitutionsbehandlung

Von Ralf Gerlach und Heino Stöver

Die Opioid-Substitutionstherapie (OST) ist heute mit nur noch wenigen Ausnahmen (etwa Russland) – weltweit die Methode der Wahl in der Behandlung opioidabhängiger Menschen. Ihre Wirksamkeit und Wirtschaftlichkeit ist auch in Deutschland wissenschaftlich belegt. Die Kombination von medizinischer und pharmakologischer Behandlung mit psychosozialer Unterstützung erhöht nach aktuellem Wissensstand ihren Wirkungsgrad. Ein im internationalen Vergleich vorwiegend deutsches Spezifikum stellt jedoch die rechtsverbindliche Verknüpfung des medizinischen Teils der Behandlung mit psychosozialen Interventionsformen dar, die gemeinhin unter dem Titel „Psychosoziale Betreuung“ (PSB) geführt werden. In der Praxis erweist sich dieses rechtsverankerte Koppelungsmodell allerdings nicht selten als Hemmnis zur Behandlungsaufnahme oder –fortführung einer zum Teil lebensrettenden Therapie (Gerlach & Stöver 2009).

Unscharfe Definition von „PSB“
PSB ist ein Sammelbegriff für eine breite Palette möglicher psychologischer und sozialpädagogischer Maßnahmen, die idealiter am individuellen Patientenbedürfnis ressourcenorientiert und genderspezifische Aspekte berücksichtigend ausgerichtet werden.
Obwohl rechtlich und fachlich eingefordert, fehlt nach 25 Jahren Substitutionsbehandlung in Deutschland noch immer eine klare Definition dessen, wie dieses für den nichtmedizinischen Teil der Behandlung verwendete Standardkürzel arbeitsinhaltlich und methodisch ausgestaltet werden soll: Bundeseinheitlich akzeptierte fachliche Leitlinien seitens der Kostenträger und Leistungserbringer fehlen. So konnten sich auch die in der DHS zusammengeschlossenen Verbände nicht auf die Verabschiedung eines gemeinsamen Konsenspapieres zur PSB einigen. Es   bestehen lediglich ältere Versionen von Leitlinien von Fachverbänden (akzept e.V.; FDR) oder eher regional ausgerichtete Empfehlungen: So hat die Bayerische Akademie für Suchtund Gesundheitsfragen Empfehlungen für die psychosoziale Betreuung substituierter opiatabhängiger Frauen und Männer vorgelegt (Resing et al. 2014).
Allgemein gilt, dass im Zielfokus psychosozialer Unterstützungsangebote die Förderung eines menschenwürdigen, selbständigen Lebens unter psychosozialer und gesundheitlicher Stabilisierung steht (Normalisierung, Wiedereingliederung und Teilhabe).
Heterogene Versorgungslage
Zwar heißt es in den Richtlinien der Bundesärztekammer zur Durchführung der substitutionsgestützten Behandlung Opiatabhängiger vom 19.02.2010: „Gegenstand der psychosozialen Maßnahmen ist es, die Erreichung der individuellen Therapieziele durch geeignete Hilfen zu befördern. Dies erfordert die Einbeziehung von Einrichtungen und Professionen des Suchthilfesystems. Eine psychosoziale Betreuung (PSB) erfolgt nach den von der Drogenhilfe erarbeiteten Standards. Art und Umfang richten sich nach der individuellen Situation und dem Krankheitsverlauf des Patienten. Ihre Verfügbarkeit ist von den zuständigen Kostenträgern sicherzustellen.“ (Bundesärztekammer, 2010, S. 512)

Die konkrete Praxisumsetzung von PSB (Organisation und Finanzierung) gestaltet sich jedoch äußerst heterogen und ist durch eine Vielzahl an konzeptionellen Ansätzen gekennzeichnet, die sich bezüglich Inhalt, Zielfokus, Bedeutung, Stellenwert, Organisation, aber auch Finanzierung teils sehr deutlich voneinander unterscheiden. Menschenbild, Suchtverständnis und therapeutische Haltung der einzelnen Träger und Mitarbeiter führen zu unterschiedlichen Angeboten. Daneben haben sich differierende Organisationsformen entwickelt, in denen die Substitution und PSB angeboten wird (Schwerpunktpraxen, Hausarztpraxen, Substitutionsambulanzen, einzelfallfinanzierte aufsuchende PSB, pauschalfinanzierte Suchtberatungsstellen in Kooperation mit Ärzten etc.).

Die psychosoziale Betreuung – in ihrer spezifischen Organisationsform in Deutschland wurde jedoch nie umfassend auf ihre Effizienz und Nachhaltigkeit hin überprüft. Die Versorgungslage reicht von niedrigschwelligen, an Harm Reduction bis zu hochschwelligen an Abstinenz orientierten Betreuungsangeboten. Auch die Handhabung des Nachweises einer PSB zu Beginn und im Verlauf einer OST variiert regional, aber auch oft innerhalb einer Stadt erheblich und hängt maßgeblich von den Einstellungen der substituierenden Ärzte und der örtlichen Drogenhilfeträger ab, was in einer großen Variationsbreite der Versorgungsqualität resultiert. Versorgungsdiskrepanzen bestehen insbesondere zwischen urbanem und ländlichem Raum, sowie Freiheit und Haft.

Aktueller Forschungsstand
Der überwiegende Teil der Studien zur Evidenz-Basierung von PSB stammt aus dem USamerikanischen Raum. Eine Generalisierbarkeit der Ergebnisse für die Bedingungen in Deutschland unterliegt daher erheblichen Einschränkungen. Unter diesem Vorbehalt lässt sich zusammenfassen, dass eine Kombination von pharmakologischer Behandlung mit psychosozialen Interventionen, vor allem Beratungsangeboten, Verhaltenstherapie und Contingency Management, bessere Ergebnisse in Bezug auf Haltequote, Compliance, Reduktion des primären Substanzgebrauches, psychiatrischer Symptomatiken und der Schwere der Abhängigkeit aufweist, als eine pharmakologische Behandlung allein (Wessel 2009). In Deutschland liegt bisher allerdings keine differenzierte Forschungsarbeit vor, die für Ausgestaltung, Zeitpunkt, Zeitdauer und Intensität der PSB realistische Planungsgrößen liefern könnte.

Die deutsche Heroinstudie zeigt, dass die Nutzer der PSB günstigere Behandlungsergebnisse zeigen als Nichtnutzer. Das Problem bei einer heterogenen Patientenschaft ist, dass es keine Hinweise darauf gibt, welche Betreuungsformen und psychosoziale Interventionen für welche Klientengruppen wann indiziert sind und wie lange durchgeführt werden müssen.
Richtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses zur substitutionsgestützten Therapie Opiatabhängiger
Gemäß der Richtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses zur substitutionsgestützten Behandlung Opiatabhängiger (G-BARichtlinie) hat der Arzt ein Therapiekonzept zu erstellen, das die Ermittlung des Hilfebedarfs an PSB durch eine psychosoziale Drogenberatungsstelle beinhalten muss. Der Dokumentation des Arztes muss darüber hinaus eine aktuelle schriftliche Bestätigung der psychosozialen Beratungsstelle über die Aufnahme, die Fortführung oder die Nichterforderlichkeit einer PSB beigefügt werden. In vielen Bezirken der Kassenärztlichen Vereinigungen ist es mittlerweile aber Routinevorgehen, einer OST zu Lasten der GKV nur dann durch die zuständige KV-Kommission zustimmen zu lassen, wenn der Nachweis einer stattfindenden PSB erfolgt.
Praxisproblem Therapiezugang
Der Zugang zu einer OST wird oftmals allein schon deshalb erschwert, weil in vielen Regionen Deutschlands (z. B. in den neuen Bundesländern und in ländlichen Bereichen) PSB gar nicht in Anspruch genommen werden kann, da entweder keine Unterstützungsstellen existieren oder weil diese z.T. lange Wartelisten führen. Darüber hinaus geschieht es nicht selten – im krassen Gegensatz zu Patienten mit anderen Krankheitsbildern -, dass Patienten von der Behandlung ausgeschlossen werden, wenn sie keine PSB in Anspruch nehmen wollen. Mit dem Junktim („Nur-wenn-dann…“) bzw. der Kopplung oder mit der Vorschaltung eines psychosozialen Filters in Form von Clearingverfahren vor Behandlungseintritt wird Opioidabhängigen der ohnehin schwierige Zugang zu einer international anerkannten medizinischen Behandlung ihrer Krankheit oftmals verwehrt bzw. er verzögert sich krankheitsunangemessen lang. Die OST ist z.T. (über-)lebenswichtig; sie sollte deshalb begonnen werden, wenn die ärztliche Indikation gestellt und die medizinischen Voraussetzungen erfüllt sind, und nicht verschoben werden auf einen Zeitpunkt der Klärung des  psychosozialen Betreuungsbedarfs. Diese Klärung kann später erfolgen, sie ist nicht lebensnotwendig wichtig.

Praxisproblem Kooperation
Die gezielte Koordinierung unterschiedlicher fachlicher Kompetenzen ist die zentrale Aufgabe von PSB-Fachkraft und Arzt in der OST. Beide müssen die sozialen und die medizinischen Krankheitsfaktoren in ihr Behandlungskonzept integrieren, sie müssen die zersplitterte Zuständigkeit verschiedener Institutionen, Organisationen und Ämter für den Klienten/Patienten überbrücken und jeweils die Aspekte der anderen Profession im Auge behalten. Zwar existieren mancherorts gut funktionierende interdisziplinäre multiprofessionelle Kooperationsformen zwischen Drogenhilfe und substituierenden Ärzten unter gegenseitiger Respektierung der jeweiligen Profession und fachlichen Kompetenz, doch sind diese positiven Erfahrungen keineswegs generalisierbar, denn nach wie vor gibt es vielerorts noch gravierende Kooperationsmängel. Mögliche Gründe sind u.a. fehlende zeitliche Ressourcen, mangelndes Interesse, Überforderung und fachliche Konflikte.
Tatsächlich treten nicht selten schwerwiegende Kompetenz-Konflikte auf, die sich sogar gelegentlich quasi zu einer „ZeroKooperation“ ausprägen, wobei entweder Drogenberatungsstellen von bestimmten Ärzten prinzipiell keine Klienten mehr übernehmen oder Ärzte zu bestimmten Beratungseinrichtungen strikt keine Patienten mehr vermitteln. Omnipotenzgehabe auf beiden Seiten ist angesichts der herausragenden Bedeutung der Substitutionsbehandlung für die Überlebenssicherung von Opiatabhängigen jedoch völlig unangemessen.

Richtlinien der Weltgesundheitsorganisation (WHO)
Die in 2009 aktualisierten WHO Guidelines für Substitutionsbehandlungen legen zwar ein besonderes Gewicht auf die Kombination pharmakologischer Behandlungen mit psychosozialen Unterstützungsangeboten, da sich dies als den Behandlungserfolg fördernd erwiesen hat, allerdings wird mit Nachdruck   hervorgehoben, dass die Hilfsangebote auf die individuellen Bedürfnisse der Patienten zugeschnitten und die Teilnahme daran freiwillig sein sollen (WHO 2009). Die NichtTeilnahme an PSB darf demnach keinen Behandlungsabbruch bedingen oder die Therapieaufnahme verhindern!

Richtlinien der Bundesärztekammer
Auch die aktuell geltenden Bundesärztekammer-Richtlinien aus 2010 gehen auf den Stellenwert der PSB in der OST ein: „Eine Opiatabhängigkeit wird in der Regel von psychischen und somatischen Erkrankungen sowie psychosozialen Problemlagen begleitet. Sie erfordert daher für ihre Behandlung die Vorhaltung sowie Einbeziehung entsprechender Maßnahmen.“
Und folgerichtig: „Psychosoziale Betreuung und ärztliche Behandlung sollen laufend koordiniert werden. Der substituierende Arzt wirkt darauf hin, dass die aktuell erforderlichen begleitenden Maßnahmen in Anspruch genommen werden.“
Und schließlich: „Zur Abwehr akuter gesundheitlicher Gefahren kann die Substitution ausnahmsweise auch dann erfolgen, wenn und solange eine psychosoziale Betreuung nicht möglich ist.“ Wenn diese Richtlinien zwar nur bedingt den WHO-Guidelines folgen, so ist mit dieser Neubewertung dennoch ein erster wichtiger Schritt zum Verlassen der deutschen Sonderposition unternommen worden, wird doch zumindest der Druck aus der nach wie vor als notwendig erachteten Verquickung von PSB und OST entschärft.

Empfehlungen
Auf der Grundlage bisher vorliegender Studienergebnisse und Praxiserfahrungen sind folgende Maßnahmen für eine psychosozialunterstützte OST zu empfehlen:
• Rechtliche Entkoppelung von pharmakologischer Behandlung und PSB;
• Rechtsanspruch für die Patienten auf Wiedereingliederung und Teilhabe i.S.d. SGB II und XII, d.h. die Abgabe des Substituts ist mit dem Angebot psychosozialer Unterstützung zu kombinieren, wobei allerdings die Nicht-Teilnahme an PSB 99  weder die Behandlungsaufnahme verzögern noch zum Behandlungsabbruch führen darf. Dieses Angebot (bei Nicht-Inanspruchnahme) ist periodisch zu überprüfen und evtl. zu erneuern;
• Die angemessene Form der psychosozialen Intervention/Unterstützung beruht auf umfassender Abklärung und individueller Behandlungsplanung in Absprache mit den Patienten;
• Forschung zur Effizienz und Effektivität von PSB;
• Qualifizierung („Fachkundenachweis“) für Professionelle, die PSB anbieten • Regelmäßige gemeinsame Qualitätszirkel aller beteiligten Fachrichtungen/Professionen
• Erarbeitung verbandsübergreifender, bundeseinheitlicher Leitlinien.

Literatur
Bundesärztekammer (2010) Richtlinien der Bundesärztekammer zur Durchführung der substitutionsgestützten Behandlung Opiatabhängiger vom 19.02.2010. In: Deutsches Ärzteblatt. 107. Jahrgang. Nr. 11. S. 511-516.
Gerlach R, Stöver H (Hrsg.) (2009): Psychosoziale Unterstützung in der Substitutionsbehandlung. Freiburg: Lambertus
Resing M., Stürmer M., Steininger S., Wiggenhauser K. (2014): Empfehlungen für die psychosoziale Betreuung substituierter opiatabhängiger Frauen und Männer. Bayerische Akademie für Suchtund Gesundheitsfragen hat 5.vollständig überarbeitete und erweiterte Auflage 2014 http://www.basmuenchen.de/fileadmin/documents/pdf/Publikation en/BAS_EmpfehlungenPSB_2014.pdf
Wessel T (2009): Welche Bedeutung haben die neuen Guidelines der WHO für die PSB-unterstützte Substitutionsbehandlung? Vortrag auf Akzept e.V. Substitutionsbehandlung 2009, Berlin 2.12.2009 WHO (2009): Guidelines for the psychosocially assisted pharmacological treatment of opioid dependence. World Health Organisation. Geneva

Drogenkonsumräume retten Menschenleben

Von Dirk Schäffer und Urs Köthner

Vor fast genau 20 Jahren eröffneten in Hamburg und Frankfurt die ersten Drogenkonsumräume Deutschlands. Die rechtliche Grundlage für die Einrichtung dieser Räumlichkeiten bis zur Novellierung des Betäubungsmittelgesetzes im Jahr 2000 bildete das Rechtsgutachten des damaligen Frankfurter Oberstaatsanwalts Dr. Körner, dem Leiter der Zentralstelle zur Bekämpfung der Betäubungsmittelkriminalität.
Dass in diesen Räumlichkeiten Drogengebrauchern keine Gelegenheit verschafft wird, Drogen zu konsumieren, sondern nur „die Möglichkeit“ geboten wird, die bereits mitgebrachten Substanzen „hygienisch und stressfrei“ zu konsumieren, war damals eine Minderheitenmeinung. Sie diente allerdings bis zur bundesgesetzlichen Regelung im Jahre 2000 als ausreichende Rechtsgrundlage für die Einrichtung von Drogenkonsumräumen in Frankfurt, Hamburg, Hannover (1997) und Saarbrücken (1999).
Erst mit der Einfügung des §10a BtMG durch das Dritte Gesetz zur Änderung des Betäubungsmittelgesetzes vom 28. März 2000 wurde für den Betrieb von Drogenkonsumräumen in Deutschland eine rechtliche Grundlage geschaffen, die die bis zu diesem Zeitpunkt bestehende Rechtsunsicherheit beseitigte.
Aufgrund der in Deutschland bestehenden föderalen Strukturen bedarf der Betrieb eines Drogenkonsumraums einer Erlaubnis der zuständigen obersten Landesbehörde (§ 10a I 1 BtMG). Somit bleibt eine Einrichtung von Drogenkonsumräumen zunächst vom politischen Willen der jeweiligen Landesregierung abhängig. Kommunale Interessen können ohne den politischen Willen des Landes nicht realisiert werden.

Inzwischen sind 24 Drogenkonsumräume in 15 Städten und sechs Bundesländern (Berlin, Hamburg, Hessen, Niedersachsen, NordrheinWestfalen und Saarland) in Betrieb.
Die bislang erzielten Ergebnisse der Drogenkonsumräume (DKR) sind beeindruckend. Alle intendierten Zielsetzungen wurden erreicht, ungeachtet der Tatsache, dass noch Entwicklungsaufgaben anstehen:
• DKR leisten einen entscheidenden Beitrag zur Überlebenshilfe und Risikominimierung beim Konsum illegalisierter Drogen. Durch hygienische Konsumbedingungen, Vermittlung von Safer-Use-Regeln und erste Hilfe vor Ort wird Notfällen vorgebeugt und werden Infektionsrisiken wie HIV und Hepatitiden minimiert.
• Seit der Eröffnung des ersten Drogenkonsumraums vor 20 Jahren konnten Drogentodesfälle, z.B. infolge einer Überdosis, durch Erste-Hilfe-Maßnahmen gänzlich vermieden werden.
• DKR bieten mit ihren niedrigschwelligen und akzeptanzorientierten Kontaktmöglichkeiten eine Brückenfunktion in weiterführende Angebote. Der positive Kontakt, geprägt durch die „Dienstleistung“ des Drogenkonsumraums, öffnet den Raum für weiterführende Hilfen insbesondere für solche Drogenkonsumenten, die vorher schwer erreicht wurden.
• Durch das direkte Erleben des Szenegeschehens und der Konsumgewohnheiten bekommt die Drogenhilfe einmal mehr die Möglichkeit, ihre Angebote zielgruppenund regionalspezifisch auszurichten.
• DKR leisten einen wesentlichen Beitrag bei der Reduzierung von Problemen durch offene Drogenszenen in den Städten.
…. aber warum gibt es Drogenkonsumräume eigentlich nicht in allen Bundesländern?

Trotz der dargestellten erfolgreichen Arbeit von Drogenkonsumräumen kann 14 Jahre nach der Veränderung des Betäubungsmittelgesetzes kein durchweg positives Fazit gezogen werden. So hat sich die große Mehrzahl der Bundesländer (10 von 16) aus politisch-ideologischen Gründen oder aus der Einschätzung eines fehlenden Bedarfs bisher gegen die Einrichtung von Drogenkonsumräumen ausgesprochen.
Im Hinblick auf dringend notwendige Maßnahmen zur Überlebenssicherung wirken sich diese überkommenen Ideologien und fehlenden Fachkompetenzen, z.B. im Fall der bayerischen Landesregierung, in fataler Weise aus.
Die bereits in den Jahren 2006 bis 2009 exorbitant hohe Zahl von drogenbedingten Todesfällen in Bayern (2006: 191 Tote, 2007: 242 Tote, 2008: 247 Tote, 2009: 250 Tote) erreichte 2010 mit 262 Todesfällen ihren unerfreulichen Höhepunkt 73 . Nach einer drastischen Abnahme der Todesfälle im Jahr 2011 (177) stieg die Prävalenz von Drogentodesfällen bereits im Folgejahr 2012 wieder auf unglaubliche 213 Todesfälle, zumeist infolge von Opiatüberdosierungen.

Bezogen auf die Gesamtbevölkerung führt Nürnberg die traurige Statistik der Städte an, in denen die meisten Drogen gebrauchenden Menschen, u.a. aufgrund fehlender Drogenkonsumräume, einen sinnlosen und vermeidbaren Tod in Bahnhofstoiletten, Parkanlagen oder der eigenen Wohnung sterben. Dort hat sich die Zahl der Drogen bedingten Todesfälle von 2005 zu 2010 nahezu verfünffacht (6 zu 29) und bewegt sich weiterhin auf einem sehr hohen Niveau.

Trotz der seit vielen Jahren fast kontinuierlich abnehmenden Prävalenzraten von Drogentodesfällen wird auch in anderen Bundesländern und deren größten Städten ein dringender Handlungsbedarf deutlich. So besteht keinerlei Zweifel am immer noch viel zu hohen Niveau von 127 drogenbedingten Todesfällen im Jahr 2012 in Baden Württemberg. Es wäre jedoch zu einfach, die Versäumnisse immer nur bei der Landespolitik zu suchen. Während in München und Nürnberg die Drogenund AIDS-Hilfen unermüdlich den Bedarf für Drogenkonsumräume auf unterschiedlichen Ebenen kommunizieren, zeigt sich die Drogenhilfe in Stuttgart als eher desinteressiert, wenn es um das Thema „Drogenkonsumräume“ geht. Auch die erfolgreichen Bemühungen um die Implementierung der Diamorphinbehandlung in Stuttgart (Beginn April 2014) dürfen hier nicht als Entschuldigung gelten.
Anpassungen der Rechtsverordnungen sind dringend geboten
Aber auch in jenen Bundesländern und Städten, in denen es Drogenkonsumräume gibt, zeigen sich Defizite, die eine Anpassung der Rechtsverordnung erforderlich machen. So hat der AK Konsumraum, eine seit dem Jahr 2000 offene Arbeitsgemeinschaft aller Betreiber von Drogenkonsumräumen in Deutschland, bereits 2011 folgende Veränderungsnotwendigkeiten festgestellt:
– Aufgrund fehlender Finanzen entsprechen sowohl die Öffnungszeiten als auch die Anzahl der vorgehaltenen Konsumplätze (3-20 Plätze) häufig nicht dem Bedarf. Damit Drogenkonsumräume ihre Potenziale entfalten können, müssen sie mit entsprechenden Finanzen ausgestattet werden, um Öffnungszeiten auszuweiten und Konsumplätze zu erhöhen.
– In einigen Drogenkonsumräumen ist der inhalative Konsum untersagt, da es an entsprechenden Vorkehrungen wie separaten Rauchräumen mit Abluftanlagen fehlt. Trotz der erheblichen Belastungen der Atemwege durch den Rauchkonsum ist der inhalative Konsum im Gegensatz zum i.v. Konsum – gemessen an den Indikatoren ‚Überdosierung’ und ‚virale Infektionen’ – deutlich weniger riskant. Daher gilt es die gesetzliche Beschränkung dieser Applikationsform zu revidieren.

Von der Nutzung ausgeschlossene Personengruppen Durch Landesverordnungen wird der Zugang zum Drogenkonsumraum zum Beispiel dann verweigert, wenn der Wohnort in der jeweiligen Stadt nicht nachgewiesen werden kann. So kann konsumentschlossenen Drogenkonsumenten aus den umliegenden Städten und Gemeinden, Personen ohne Meldeadresse oder nach Haftentlassung der Zutritt verwehrt werden.
Besonders problematisch ist der Ausschluss von substituierten Personen aus dem Kreis der Nutzungsberechtigten: Die langjährigen Erfahrungen mit dieser Behandlungsform zeigen, dass in dieser Klientel ein Konsum von Alkohol und Medikamenten sowie anderen illegalisierten Substanzen praktiziert wird. Da dieser Konsum im Rahmen der Substitution eine Potenzierung gesundheitlicher Gefährdungen darstellen kann, ist es zwingend geboten, dass alle Rechtsverordnungen dem Hamburger Beispiel folgen und auf die Nennung von Substituierten bei dem auszuschließenden Personenkreis verzichten. Es sollte allen konsumentschlossenen Personen der Zutritt zum Drogenkonsumraum gewährt werden.

Erlaubte und verbotene Substanzen
In den jeweiligen Rechtsverordnungen werden erlaubte Substanzen wie z.B. Opiate, Kokain, Amphetamine und deren Derivate benannt. Nicht aufgeführte, aber im Konsumspektrum von polyvalent Konsumierenden benutzte Substanzen wie z.B. Benzodiazepine oder andere Arzneimittel/Medikamente sind im Drogenkonsumraum vielfach nicht erlaubt. Die Abweisung dieser Konsumbedürfnisse führt in der Regel zum Konsum im Umfeld, mit allen bekannten Risiken. Gerade dieser „Risikokonsum“ sollte in einem Drogenkonsumraum stattfinden, da dort Erste-Hilfe-Maßnahmen, Einflussund Vermittlungsmöglichkeiten zur Verfügung stehen.

Dementsprechend steht eine umfassende Revision der Länderverordnungen an. Aufgrund der Tatsache, dass Drogenkonsumräume einen entscheidenden Beitrag zur Überlebenshilfe leisten und Drogentodesfälle in hoher Zahl vermeiden, gilt es die Ausweitung dieses Angebots zu unterstützen. Hierbei sind neben der Politik insbesondere die Einrichtungen der Drogenund AIDS-Hilfe gefragt, den Bedarf deutlich zu artikulieren.

73 Falldatei Rauschgift, www.bka.de

Literatur
Drogenkonsumräume in Deutschland – Eine Bestandaufnahme, Deutsche AIDS-Hilfe e.V., akzept und AK Konsumraum, 2011 http://www.akzept.org/pdf/aktuel_pdf/DKR07web.p df http://drogenkonsumraum.net/

Drogennotfälle 2013 in Drogenkonsumräumen
Im Rahmen des jährlichen Treffens des Arbeitskreises Drogenkonsumräume (AK Konsumraum), an dem MitarbeiterInnen aus fast allen Drogenkonsumräumen und Drogentherapeutischen Ambulanzen in NRW teilnehmen, gelang es, ein bundesweit einheitliches Dokumentationssystem für Drogennotfälle zu erarbeiten.
So wurde die Basis dafür geschaffen, bundesweite Daten z.B. zur Anzahl, den Orten und Schweregraden von Drogennotfällen zu erheben. Darüber hinaus bietet die Dokumentation die Möglichkeit, Risikofaktoren für Intoxikation zu erkennen sowie Symptome und Maßnahmen im Notfall abzubilden.
Für das Jahr 2013 liegen Daten aus 18 Einrichtungen und 15 Städten vor. Von den insgesamt dokumentierten 584 Drogennotfällen betrafen 77% (450) Männer und 23% (134) Frauen.

Opiate Hauptursache für Todesfälle
Von den für das Jahr 2013 insgesamt dokumentierten 584 Drogennotfällen wurde in 392 Fällen Heroin als die Substanz definiert, die mutmaßlich für das Eintreten des Notfalls verantwortlich war.

Schweregrad von Drogennotfällen Für insgesamt 503 Notfälle wurden Angaben zum Schweregrad gemacht. Während 309 Drogennotfälle (61,5%) als leicht oder mittelschwer eingestuft wurden, wiesen 194 Drogennotfälle (38,5%) schwere und lebensbedrohliche Merkmale auf.
Bei schweren Notfällen sind die Vitalfunk-tionen (Bewusstsein, Atmung, Kreislauf) lebensbedrohlich gefährdet und eine Unterstützung durch den Rettungsdienst/Notarzt sowie ein Transport ins Krankenhaus wird notwendig.
Nach Einschätzung der im Konsumraum tätigen MitarbeiterInnen wären diese schweren Drogennotfälle potenziell tödlich verlaufen, wenn sich die Konsumenten alleine im häuslichen Umfeld oder im öffentlichen Raum befunden hätten.

Drogenkonsumräume haben also im letzten Jahr fast 200 Menschen das Leben gerettet. Dies wäre auch in München, Stuttgart, Kiel, Mannheim, Leipzig, Bremen und anderen Städten möglich.

Prävention der Hepatitis C – die Qualitätsverbesserung der Spritzen- und Konsumutensilien-Angebote ist überfällig!

Von Fixpunkt Verein für suchtbegleitende Hilfen e. V., Berlin, Astrid Leicht

Die Vergabe von Konsumutensilien für Menschen, die injizierbare Drogen konsumieren, gilt bei Fixpunkt als qualifizierte Tätigkeit und wird dementsprechend von Fachpersonal (Sozialarbeiter/innen, Pflegefachkräften) oder entsprechend gut eingearbeiteten Unterstützungskräften geleistet. Die Vergabe ist stets gekoppelt an ein individuell ausgerichtetes Informationsund Bera-tungsangebot zum Safer Use und Safer Sex.

Als Resultat eines mehrjährigen Entwicklungsprozesses hat Fixpunkt in den letzten zwei Jahren die Modalitäten der Konsummaterialvergabe verändert und damit einen „Paradigmenwechsel“ eingeleitet. Basierte in früheren Jahren die Vergabe von sterilen bzw. hygienischen Materialien auf einem mehr oder weniger strikten „Eins-zu-Eins“-Tauschprinzip, eruieren der oder die Kon-sument/in gemeinsam mit dem oder der FixpunktMitarbeiter/in nun den tatsächlichen individuellen Bedarf. Kriterien hierfür sind z. B. die Häufigkeit der Drogenapplikation und die Gewohnheiten bzw. Mög-ichkeiten, sich mit hygienischen bzw. sterilen Utensilien zu versorgen. Thematisiert wird auch die Möglichkeit, sich je nach persönlicher Finanzlage an den Materialkosten zu beteiligen.

Damit Hepatitis C-Infektionen nicht über gebrauchte Filter, Löffel bzw. Pfännchen an andere Konsument/innen weitergegeben werden, sind besonders für diese Utensilien, die normalerweise nicht zum „Spritzentausch“-Programm zählen, bedarfsgerechte Vergabemodalitäten wichtig. Ebenso bedeutsam sind Desinfektionsmittel für Hände und Haut.

Es ist weiterhin möglich, potenziell infektiöse Spritzen und Nadeln in den Fixpunkt-Einrichtungen und –Mobilen zu entsorgen. Zusätzlich sind stichsichere und verschließbare Behältnisse in verschiedenen Größen und Varianten verfügbar, so dass infektiöses Material von den Drogenkonsumierenden sicher an Ort und Stelle entsorgt werden kann und nicht mehr über teilweise weite Strecken transportiert werden muss.
Einen stärkeren Stellenwert als bislang haben solche Konsumutensilien erhalten, die eine nicht-injizierende Drogenapplikation ermöglichen: Sniefröhrchen, Rauchfolien und Zubehör erweitern das Sortiment.

Die bedarfsbezogene Form der Vergabe eröffnet neue Möglichkeiten, mit den Konsument/innen über ihre individuellen Bedürfnisse und Konsumgewohnheiten ins Gespräch zu kommen, genauso wie es die Konsument/innen dazu bewegen kann, sich verstärkt mit ihrem Konsumverhalten und ihren „handwerklichen Kenntnissen und Fähigkeiten“ bei der Drogenapplikation auseinanderzusetzen.

Die bedarfsbezogene Konsumutensilienvergabe kostet mehr Geld als das „1:1“Tauschprinzip. Vor allem Entsorgungsbehältnisse und Desinfektionsmittel sowie Filter, Pfännchen und steriles Wasser sind Kostenfaktoren.

Mit den veränderten Vergabemodalitäten folgt Fixpunkt den Empfehlungen der WHO und EMCDDA. Mit gutem Beispiel geht nun auch die Berliner Landespolitik mit fachlicher Unterstützung durch die Senatsverwaltung für Gesundheit voran. Diese hat einer merklichen Aufstockung von Zuwendungsmitteln zur verbesserten Ausstattung des Konsumutensilienvergabe-Angebots ab dem Jahr 2014 zugestimmt.

Diagnosen für Cannabis-Verschreibungen

Von Maximilian Plenert

Mit dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 19.05.2005 (BVerwG, 3 C 17.04,
http://www.bverwg.de/190505U3C17.04.0) wurde das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) gezwungen Anträge zur medizinischen Verwendung von Cannabis zu genehmigen. Seitdem haben laut BfArM für 488 Patientinnen und Patienten beim BfArM Anträge auf Erteilung einer Ausnahmeerlaubnis nach § 3 Absatz 2 BtMG zum Erwerb von Cannabis zur Anwendung im Rahmen einer medizinisch betreuten und begleiteten Selbsttherapie gestellt. 277 Patientinnen und Patienten erhielten eine entsprechende Erlaubnis, davon sind aktuell noch etwa 200 gültig. Die Ausnahmeerlaubnisse wurden für folgende Diagnosen erteilt:
-(chronische) Schmerzen: 149 Patientinnen und Patienten
– Multiple Sklerose: 47 Patientinnen und Patienten
– Tourette-Syndrom: 17 Patientinnen und Patienten
– Depressive Störungen: 21 Patientinnen und Patienten
– ADHS: 21 Patientinnen und Patienten

Weitere Diagnosen: Blasenkrämpfe nach mehrfachen Operationen im Urogenitalbereich, Blepharospasmus, Borreliose, Chronische Polyarthritis, Chronisches Schmerzsyndrom nach Polytrauma, Chronisches Wirbelsäulensyndrom, Epilepsie, Fibromyalgie, Hepatitis C & HIV-Infektion, Hereditäre motorisch-sensible Neuropathie mit Schmerzzuständen und Spasmen, HWSund LWS-Syndrom, Kopfschmerzen, Lupus erythematodes, Migraine accompagnée, Migräne, Mitochondropathie, Morbus Bechterew, Morbus Crohn, Morbus Sudeck, Posner-Schlossmann-Syndrom, Posttraumatische Belastungsstörung, Psoriasis, Reizdarm, Rheuma, Sarkoidose, schmerzhafte Spastik bei Syringomyelie, Systemische Sklerodermie, Tetraspastik nach infantiler Cerebralparese, Thalamussyndrom bei Zustand nach Apoplex, Thrombangitis obliterans, Tinnitus, Urtikaria unklarer Genese, Zervikobrachialgie, Zustand nach Schädel-Hirn-Trauma.
Diese Liste ist nicht vollständig. Quellen, weitere Informationen sowie Aktualisierungen: http://www.alternative-drogenpolitik.de/2014/05/12/ausnahmegenehmigungen-fuer-den-erwerb-von-cannabisblueten-aus-einer-apotheke-antraege-diagnosen/

Cannabis als Medizin – Probleme und Handlungsbedarf aus Patientensicht

Von Axel Junker

Die Bundesregierungen der vergangenen Legislaturperioden hatten und haben kein Interesse am Thema Cannabis als Medizin, geschweige denn am Leiden der Betroffenen.
„Schwarz-Gelb gibt grünes Licht für CannabisArzneien“ hieß es 2010 anlässlich der 25. BtMÄndVo, welche die Zulassung von Fertigarzneimitteln auf Cannabisbasis ermöglichte. Diese Änderung ist und bleibt bis heute eine bloße „Lex Sativex“, die aktuell ausschließlich ein Medikament bei lediglich einer Indikation marktfähig gemacht hat. Diese Mini-Änderung der Gesetzgebung wurde im Drogenund Suchtbericht 2011 noch gefeiert. Im Bericht 2012 herrscht seither wieder Schweigen – obwohl FDP und SPD bei der Anhörung im Bundestag einen Handlungsbedarf erkannten. Cannabisblüten als Medizin sind weiterhin nur für einen Bruchteil der Patienten erhältlich. So übersteigt der Anteil der registrierten Erlaubnis-Inhaber an der Gesamtbevölkerung in Ländern wie Kanada oder Israel den für Deutschland um ein Vielfaches (siehe Grotenhermen in diesem Band).
Aus Sicht der Betroffenen sind folgende Punkte dringend notwendig, um die Achtung der Menschenrechte und die gesundheitlichen Interessen von Cannabis nutzenden Patienten sicherzustellen.

1. Lockerung der Kriterien für eine Cannabis-Ausnahmeerlaubnis
Die Hürden für eine Erlaubnis durch die Bundesopiumstelle zum Erwerb von Cannabis sind weiterhin enorm hoch.
Einer der häufigsten Ablehnungsgründe ist eine (fern-)diagnostische Prognose (respektive eine prognostische Diagnose) „möglicher Cannabis-Abhängigkeit“, die von mitunter eigenartig fachfremden Ärzten beim Bundesamt für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) erstellt wird. Ausnahmeerlaubnis-Anträge je doch negativ zu bescheiden, nur weil „der starke Wunsch Cannabis zu konsumieren“ besteht, macht bei kranken Menschen, denen Cannabis Linderung verschafft, keinen Sinn.

Ein zweiter häufiger Grund, die Erlaubnis zu versagen, ist der Status des Patienten, so lange dessen Krankheit nicht als „austherapiert“ gilt und es noch Pharmaprodukte gibt, die der zu behandelnde Kranke bislang nicht probiert hat, und die von ihm deshalb wochenoder monatelang mit allen ggf. auftretenden Nebenwirkungen regelrecht „getestet“ werden müssen.
Diese Forderung als Antragsvoraussetzung namens des BfArM macht Patienten zwangsweise zu „Medikamente-Versuchskarnickeln“. Sie müssen daher nicht selten eine Vielzahl pharmakologischer Produkte mit teilweise erheblichen Nebenwirkungen – und wiederum Medikamente gegen diese Nebenwirkungen – einnehmen, obwohl oft schon bekannt – aber ggf. nicht dokumentiert – ist, dass viele dieser Mittel nicht ausreichend wirken und/oder zu viele zu starke unerwünschte und gesundheitsschädigende Effekte zeigen.
In den meisten dieser Fälle weiß der Patient allerdings schon geraume Zeit vor Antragstellung, dass Cannabis ihm die erwünschte Linderung verschafft. Einen Antrag zu stellen, der medizinisch nicht gerechtfertigt wäre und nur den Genussgründen des Antragstellers dienen sollte, ist schon allein wegen des großen finanziellen Mehr-Aufwands auszuschließen. Insoweit kann davon ausgegangen werden, dass Anträge auf eine Ausnahmeerlaubnis in aller Regel gesundheitliche Ursachen haben.

Es sollte demnach vollkommen ausreichend sein, wenn ein Arzt feststellt, dass der Einsatz von Cannabis als Medizin beim Erkrankten sinnvoll erscheint, zumal es bei Patienten mit schweren Erkrankungen (wie beispielsweise Epilepsie) Monate und Jahre dauern kann, bis der Kranke als „austherapiert“ bezeichnet werden kann.

Die Liste schwerer Nebenwirkungen selbst alltäglicher Medikamente wie etwa Diclofenac und Metoclopramid wächst durch neue Erkenntnisse immer weiter. Patienten seitens der klinischen Abteilung beim BfArM auf solche Mittel zu verweisen und deren Einnahme zu propagieren, bevor Cannabis erlaubt werden kann, ist schlichte Nötigung und widerspricht aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnissen zu derlei bedenklichen Arzneimitteln.

Cannabis darf nicht das allerletzte Mittel der Wahl sein. Im Gegenteil: Es sollte durchaus vorrangig empfohlen werden. Für die Anwendung von Cannabis-Medikamenten sollte ebenso wie bei der Behandlung anderer Krankheiten mit anderen Mitteln für Arzt und Patienten Therapiefreiheit herrschen.

2. Cannabis-Patienten-Residenzpflicht auf den Prüfstand
Für Grenzübertritte innerhalb Europas mit erlaubtem Cannabis werden – anders als etwa in den Niederlanden – keine Genehmigungen vom Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte erteilt.
Das SCM-Mitglied Liliane Moriello monierte als in Deutschland lebende Dänin bei der EUKommission ihre Residenzpflicht bzw. Reisefreiheits-Beschränkung, die einerseits Folge der Einstufung von Cannabis in die Anlage I des BtMG ist, andererseits auch Folge eines Mangels an Schaffung(swille) entsprechend zeitgemäßer Verwaltungsvorschriften.
Das BfArM hat der mit der Sache befassten Stelle bei der EU-Kommission Kompromissvorschläge zur Lösung des Problems unterbreitet; diese sind aber für die Ausnahmeerlaubnis-Inhaberin Moriello weder praktikabel, noch deuten diese eher hilflos wirkenden Lösungsversuche seitens des BfArM auf tatsächliche Sachoder Fachkenntnisse der Cannabis-Situation in Dänemark hin.
3. Erstattung Dronabinol, Sativex und Cannabisblüten
Dronabinol, Sativex und Cannabisblüten werden von den Gesetzlichen Krankenkassen in aller Regel nicht erstattet bzw. bei Sativex nur bei Spastiken infolge multipler Sklerose. Auch ohne eine Zulassung mit Indikation ist eine Erstattung prinzipiell möglich, sei es als freiwillige Leistung der Krankenkasse oder auf Beschluss des Gemeinsamen Bundes88    ausschuss (G-BA). Der GKV-Spitzenverband stellt allerdings (seit Jahren) keinen entsprechenden Antrag beim Gemeinsamen Bundesausschuss. Fortschreitende soziale Verelendung und gesundheitliche Destabilisierung von Cannabis nutzenden Patienten sind die direkten Folgen dieser Untätigkeit.
Medizinischer Cannabis wird in Apotheken derzeit mit Gramm-Preisen zwischen knapp über 12 und 21 € gehandelt. Für viele, wenn nicht sogar die meisten Kranken, ist damit der Monatsbedarf an Cannabisblüten nur kurzfristig zu decken. Bei einem Konsumbedarf von mehren Gramm täglich ergeben sich schnell Kosten über 1000 Euro pro Monat. Im Falle des Bezugs von Hilfe zum Lebensunterhalt (Hartz IV) ist CannabisMedizin für Erkrankte generell unerschwinglich.
Über die Widersinnigkeit des vorherrschenden Mangels einer Dronabinol-Kostenerstattung gibt Ute Köhlers Schicksal seit vielen Jahren Auskunft. Ihr Fall zeigt die verheerenden gesundheitspolitischen Fehleinschätzungen in Sachen medizinisches Potenzial von Cannabis auf.
Er gibt aber auch Auskunft über die daraus resultierenden unmenschlichen Konsequenzen für Frau Köhler mit ihrem stark Schmerzgeprägten Dasein zwischen Selbstanzeige, Selbstaufgabe und selbstlosem Einsatz für die gerechte Sache MedikamentenkostenErstattung, die 2013 überraschend in die Verleihung der Bundesverdienst-Medaille mündete. Jedoch noch immer nicht zur Erstattung der Kosten für das Dronabinol durch die AOK Thüringen.

4. Private Anbau-Genehmigungen zu medizinischen Zwecken
Ein unkomplizierter Ausweg aus zu hohen Cannabismedizin-Preisen und eine Alternative zu immer wiederkehrenden Lieferausfällen seitens des Cannabis-Importeurs und auch eine Alternative zur eingeschränkten SortenAuswahl (minimale Produktpalette des europäischen Cannabismedizin-Monopolisten Bedrocan) wäre der Eigenanbau von Cannabispflanzen durch Patienten.
BfArM und BMG sind durch zahlreiche Urteile der höchsten Gerichte aktuell im Zugzwang bezüglich der Erteilung von Genehmigungen zum Anbau von Cannabis. Denn…
• Cannabis als Medizin ist zu teuer.
• Cannabis als Medizin ist nicht für jeden Patienten zugänglich.
• Cannabis als Medizin ist zu rar.
• Cannabis als Medizin zieht überdies einen Rattenschwanz an bürokratischem Aufwand mit viel zu hohen Folgekosten für den Kranken nach sich.

All das nicht selten, wenn es „nur“ um Leben und Tod geht.
Ähnlich wie bei der Erteilung von Genehmigungen zur ärztlich begleiteten Selbsttherapie werden im Falle von Erlaubnis-Erteilungen für den privaten Anbau allerdings unverhältnismäßig hohe Sicherheitsanforderungen durch das BfArM gestellt. Diese Anforderungen – so lassen erste Schreiben des Bundesinstituts erahnen – sind maßlos überzogen und lassen die durchschnittliche finanzielle Ausstattung chronisch Kranker unberücksichtigt. Die Argumente für die ablehnende Haltung zum Eigenanbau beispielsweise der Bundesärztekammer sind haltund sinnlos, denn sie ignorieren die Alternative zur nicht-standardisieren Versorgung durch Eigenanbau: Keine Versorgung.

5. Anbau-Genossenschaft nach dem Vorbild Cannabis Social Club zulassen Die europaweite Diskussion über das Modell des Cannabis Social Clubs ist gerade für Patienten interessant. Das starke Bedürfnis nach finanziell erschwinglicher CannabisMedizin-Versorgung sorgt für ersten konstruktiven Meinungs-Austausch zwischen SCM – Mitgliedern in Sachen Gründung einer oder mehrerer solidarischer Anbau-Genossenschaft/en. Für solche Social Clubs mit vorwiegend medizinischem Charakter müssen Anbau-Genehmigungen erteilt werden.
Schlussendlich muss eine juristische Duldung medizinisch begründeter SelbstversorgerMaßnahmen erfolgen; ähnlich wie dies in Belgien bei „Trekt uw Plant“ der Fall ist. Hier sind gemeinsam erarbeitete Bestimmungen des Bundesjustizministeriums unter Heiko   Maas und Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe dringend erforderlich.

6. Sorten-Auswahl – Angebotsvielfalt vergrößern Die rasch voranschreitende Forschung an medizinischen Cannabis-Sorten zur optimalen Versorgung verschiedener Krankheitsbilder hat weltweit zu einer Sortenvielfalt geführt, welche sämtliche medizinisch genau definierten Symptomkomplexe abdecken kann. Die vier in Deutschland vom Produzenten Bedrocan erhältlichen Sorten können entsprechend nur mit Einschränkung wirksam sein. Mit der Zugabe neu entwickelter medizinischer Sorten im Eigenanbau könnte die Versorgung von Patienten daher enorm optimiert werden.
Der Geschäftsführer von Bedrocan B.V. hat in einem Interview auf arte verlautbart, dass es auch in seinem Sinne sei, wenn es künftige weitere Cannabis-Anbieter zur Versorgung des stetig steigenden europäischen Bedarfs gäbe.

Fazit
Die Gesamtsituation Deutschlands in Sachen Versorgung mit Cannabismedizin im Vergleich zu anderen Ländern wie z.B. USA, Kanada, Niederlande, Spanien muss aufgrund vorliegender Erkenntnisse als gesundheitsund rechtspolitisch gewollt desolat und als erschreckendes medizinisches Entwicklungsgebiet zugleich bezeichnet werden – einer fortschrittlichen Nation jedenfalls absolut unwürdig.

Der Stand der medizinischen Versorgung mit Cannabis und Cannabinoiden in Deutschland

Von Franjo Grotenhermen

1. Möglichkeiten der medizinischen Verwendung von Cannabisprodukten in Deutschland
In Deutschland können einige Medikamente auf Cannabisbasis auf einem Betäubungsmittelrezept verschrieben werden. Zudem besteht die Möglichkeit einer Ausnahmegenehmigung zur Verwendung von Cannabisblüten aus der Apotheke.

1.1 Verschreibung von Cannabismedikamenten mittels BTM-Rezept Fertigarzneimittel mit den Wirkstoffen Nabilon (Cesamet®) und Dronabinol (Marinol®) sind in den USA und Großbritannien sowie anderen Ländern im Verkehr und können auf Grundlage des § 73 Abs. 3 Arzneimittelgesetz (AMG) auch in Deutschland rezeptiert werden. Die Kosten für das Fertigarzneimittel Marinol® sind jedoch höher als die für Rezepturarzneimittel, die Dronabinol enthalten.
Grundsätzlich können Ärzte aller Fachrichtungen – ohne besondere Zusatzqualifikation – Dronabinol (sowohl als Fertigals auch als Rezepturarzneimittel), Nabilon und der Cannabisextrakt Sativex auch außerhalb der zugelassenen Indikationen (off-label) im Rahmen eines individuellen Heilversuchs verordnen, wenn sich Arzt und Patient hiervon einen Nutzen versprechen.
Eine solche off-label Behandlung mit Cannabismedikamenten wird in der täglichen Praxis allerdings dadurch erschwert, dass die gesetzlichen Krankenkassen meist eine Kostenübernahme ablehnen. Die monatlichen Kosten für eine Behandlung mit Dronabinol belaufen sich bei einem durchschnittlichen Tagesbedarf von 10-15 mg auf etwa 250 bis 400 €, die von den Patienten im Allgemeinen selbst aufgebracht werden müssen.

1.2 Behandlung mit Cannabis auf Grundlage einer Ausnahmeerlaubnis nach BtMG
Alternativ können Patienten bei der Bundesopiumstelle des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) eine Ausnahmeerlaubnis nach § 3 Abs. 2 BtMG zum Erwerb von Medizinal-Cannabisblüten zur Anwendung im Rahmen einer ärztlich begleiteten Selbsttherapie beantragen. Eine solche Erlaubnis ist nach dem Gesetz zwar „nur für wissenschaftliche oder andere im öffentlichen Interesse liegende Zwecke“ möglich. Allerdings hat das Bundesverwaltungsgericht in einem Urteil vom 19. Mai 2005 festgestellt, dass auch die medizinische Versorgung der Bevölkerung ein solches „öffentliches Interesse“ darstellt. Im Antrag muss der Patient darlegen, dass andere Therapien nicht ausreichend wirksam waren und eine Behandlung mit anderen Cannabismedikamenten nicht möglich ist, etwa weil die Kosten einer Behandlung mit verschreibungsfähigen Cannabismedikamenten nicht von der Krankenkasse übernommen werden. Dem Antrag muss zudem eine ärztliche Stellungnahme beigefügt werden.
Nach Erteilung der Erlaubnis wird das im Auftrag des niederländischen Gesundheitsministeriums von einem niederländischen Unternehmen hergestellte Cannabiskraut an eine vom Patienten benannte deutsche Apotheke geliefert. Die Kosten für diese Behandlung müssen vom Patienten getragen werden. Cannabisblüten aus der Apotheke kosten etwa 15-25 € pro Gramm. Bei einem Tagesbedarf von 0,5-1 g ergeben sich monatliche Kosten von etwa 300 bis 600 €.

2. Der medizinische Bedarf an Medikamenten auf Cannabisbasis
Es liegen keine zuverlässigen Schätzungen zur Zahl der Patienten in Deutschland, die Cannabisprodukte aus medizinischen Gründen verwenden bzw. von einer Verwendung profitieren würden, vor. Es existieren jedoch einige Daten zur Verwendung von Medikamenten auf Cannabisbasis aus anderen Ländern, die eine Abschätzung der Größenordnung des Bedarfs ermöglichen.

2.1 Dronabinol und Nabilon Nach Insight Health (http://www.insighthealth.de/) wurden im Jahr 2013 insgesamt 10.800 Einheiten Dronabinol mit einem Gesamtwert von 1,3 Mio. Euro abgegeben. Diese Daten liegen vermutlich etwas höher, da weitgehend nur der Großhandel berücksichtigt wird und Dronabinol vom Hersteller THC Pharm direkt an die Apotheken geliefert wird. Unter der Annahme eines Umsatzes im Gesamtwert von 2 Millionen Euro und einem Abgabepreis an die Apotheken von 90 € für 250 mg wurden von den beiden Herstellern in Deutschland (THC Pharm und Bionorica Ethics) etwa 5,5 kg an deutschen Apotheken abgegeben. Nabilon kommt wegen seines höheren Preises nur selten zum Einsatz.
Bei einem angenommenen Tagesbedarf von 15 mg Dronabinol werden jährlich von einem Patienten etwa fünf Gramm Dronabinol benötigt, sodass unter dieser Annahme mit 5,5 kg Dronabinol etwa 1100 Patienten kontinuierlich versorgt werden können. Die Kosten der Behandlung werden durch die Krankenkassen nur selten erstattet, da Dronabinol in Deutschland arzneimittelrechtlich nicht zugelassen ist und daher keine Erstattungspflicht besteht.

2.2 Sativex
Seit 2011 ist in Deutschland der Cannabisextrakt Sativex (Hersteller: GW Pharmaceuticals; Vermarktung in Deutschland durch Almirall) für die Behandlung mittelschwerer bis schwerer Spastik bei erwachsenen Patienten mit Multipler Sklerose, bei denen andere Behandlungsverfahren nicht ausreichend wirksam sind, arzneimittelrechtlich zugelassen. Nur für diese Indikation sind die Krankenkassen zu einer Kostenübernahme verpflichtet. Nach Insight Health (http://www.insight-health.de/) wurden im Jahr 2013 insgesamt 16.200 Einheiten verkauft. Eine Einheit enthält 810 mg Dronabinol. Unter der Annahme eines durchschnittlichen Monatsverkaufs von 1350 Einheiten und eines Tagesbedarfs von 15 mg Dronabinol (THC) wurden 2430 Patienten mit Sativex behandelt.

2.3 Cannabis In Kanada, den Niederlanden, Israel und 20 Staaten der USA ist die medizinische Verwendung von Cannabis mit einer ärztlichen Empfehlung bzw. Verordnung erlaubt.
In Kanada (Einwohnerzahl: 33 Millionen) besaßen im Dezember 2012 28.115 Personen eine Erlaubnis zum Besitz von Cannabis für medizinische Zwecke nach den Marihuana Medical Access Regulations (MMAR) sowie 18.063 Personen eine Erlaubnis zum Anbau von Cannabis für medizinische Zwecke für sich selbst und 3.405 eine Erlaubnis für den Anbau für einen bestimmten Patienten. 57 Danach besaßen 0,085 % der Bevölkerung oder 850 von 1 Million eine Erlaubnis zum Besitz von Cannabis für medizinische Zwecke. Es wird in den kommenden Jahren eine deutliche Steigerung der Patientenzahl erwartet. Am 1. Oktober 2013 begann Kanada entsprechend eines neuen Gesetzes mit dem Aufbau einer kontrollierten privaten medizinischen Cannabis-Industrie, von der erwartet wird, dass sie innerhalb von 10 Jahren 1 Milliarde kanadische Dollar umsetzen wird (Time Magazine vom 2. Oktober 2013).
Im Jahr 2013 überstieg die Zahl der Patienten in Israel, die Cannabis zu medizinischen Zwecken verwenden dürfen, 12.000 (bei einer Einwohnerzahl von 8,0 Millionen). 58 Dies entspricht 0,15 % der Bevölkerung. In den kommenden Jahren wird eine Gesamtzahl von 40.000 Patienten oder 0,5 % der Bevölkerung erwartet.
In den Vereinigten Staaten dürfen im Staat Oregon 60.516 Personen Cannabis für medizinische Zwecke besitzen (Stand: 1. Januar 2014). 59 Dies entspricht bei einer Einwohnerzahl von 3,4 Millionen etwa 1,8 % der Bevölkerung oder 18.000 von 1 Million. Demnach verwenden zwischen etwa 0,1 und 2 % der Bevölkerung Cannabis aus medizinischen Gründen oder würden ihn verwenden, wenn dies möglich wäre, was für Deutschland 80.000 bis 1,6 Millionen Patienten entspricht. In Deutschland besitzen nur sehr wenige Patienten – etwa 230 – eine Ausnahmeerlaubnis für die Verwendung von Cannabisblüten aus der Apotheke.

3. Zu Argumenten gegen eine Erlaubnis zur medizinischen Verwendung von Cannabis
Das wichtigste Argument für die anhaltende Kriminalisierung von Patienten, die sich Cannabisprodukte aus der Apotheke nicht leisten können, ist die Behauptung, dass Patienten vor nicht qualitätsgeprüften Cannabisprodukten geschützt werden sollten.
Von einem Arzneimittel aus der Apotheke muss man erwarten können, dass die Inhaltsstoffe des Präparates angegeben sind, ihre Konzentrationen bekannt sind und keine Verunreinigungen bestehen. Das soll und muss nach Auffassung der ACM auch für Arzneimittel auf Cannabisoder Cannabinoidbasis aus der Apotheke gelten.

Die Forderung, dass Patienten, die (illegalisierten) Cannabis aus medizinischen Gründen verwenden, nicht länger einer Strafverfolgung ausgesetzt sein dürfen, bezieht sich nicht auf Arzneimittel aus der Apotheke. Die betroffenen Patienten wissen, dass sie, wenn sie selbst angebauten Cannabis verwenden, kein Arzneimittel nach dem Arzneimittelrecht einnehmen. Darauf hat bereits das Bundesverwaltungsgericht in einem Urteil vom 19. Mai 2005 hingewiesen, indem es zur Legitimierung der Verwendung von selbst angebautem Cannabis ausführt: „Dabei ist sich der Betroffene bewusst, dass es keinerlei Gewähr für die therapeutische Wirksamkeit des eingesetzten Betäubungsmittels gibt.“ 60 Wenn gegen die Verwendung von Dronabinol und von Cannabis mit einer arzneilichen Qualität rechtlich nichts einzuwenden ist, so würde sich die Aufrechterhaltung der Strafbarkeit der medizinischen Verwendung von Cannabis ohne arzneiliche Qualität nicht gegen die Verwendung von Cannabis selbst, sondern gegen seine mangelnde Qualität (beispielsweise Verunreinigung mit Pestiziden, fehlende Standardisierung auf wichtige Inhaltsstoffe) richten. Die Verwendung von Cannabis wäre danach grundsätzlich nicht strafbar, sondern man möchte mit dem Strafrecht gegen die Verwendung von Pestiziden und anderen Qualitätsmängeln vorgehen. Da diese möglicherweise mangelhafte Qualität in anderen Lebensbereichen der Selbstversorgung (zum Beispiel beim Anbau von Tabak oder Gemüse im eigenen Garten) keine strafrechtliche Rolle spielt, ist diese Position unhaltbar.
Zudem sei an dieser Stelle betont, dass der Grund für mögliche schädliche Beimengungen die gegenwärtige Rechtslage ist, die viele Patienten zwingt, sich auf dem Schwarzmarkt mit Cannabis zu versorgen. Sobald ein Patient eine Genehmigung zum Import von Cannabis aus den Niederlanden oder zum Eigenanbau besitzt, wird er die Möglichkeit haben, ein qualitativ hochwertiges Produkt aus einer niederländischen Apotheke erwerben zu können oder ein biologisch hochwertiges Produkt selbst anzubauen.

4. Zweiklassenmedizin beim Einsatz von Cannabisprodukten
Die Verwendung von Dronabinol, Nabilon oder Sativex erfordert entweder eine Kostenübernahme durch die Krankenkasse, die mit Ausnahme von Sativex bei der Indikation Spastik bei multipler Sklerose überwiegend verweigert wird, oder eine Selbstfinanzierung des Medikamentes. Auch Cannabis aus der Apotheke ist für viele Patienten nicht erschwinglich. Ausnahmegenehmigungen zum preiswerteren Eigenanbau von Cannabis wurden von der Bundesopiumstelle bisher nicht erteilt.
Daher sind vermögende Patienten in Deutschland hinsichtlich der Möglichkeiten der medizinischen Nutzung von Cannabisprodukten deutlich besser gestellt als weniger vermögende Patienten. Es besteht daher in diesem Bereich eine Zweiklassenmedizin. Dies wurde bereits auch von einigen Strafgerichten im Zusammenhang mit einem Vorwurf des illegalen Cannabisbesitzes bzw. Eigenanbaus durch chronisch Kranke entsprechend berücksichtigt. Denn es wurden bereits einige Patienten vom Vorwurf des illegalen Cannabisanbaus aus Notstandsgesichtspunkten freigesprochen, die sich die verschreibungsfähigen Cannabinoide und auch die Cannabisblüten aus der Apotheke finanziell nicht leisten konnten. 61

5. Schlussfolgerung: Unterversorgung der deutschen Bevölkerung
Die Fakten zeigen, dass die Versorgung der deutschen Bevölkerung mit Medikamenten auf Cannabisbasis unzureichend ist und vom Vermögen der Patienten abhängt. Zudem können gelegentlich angeführte Argumente gegen die dringend notwendige Verbesserung der gesundheitlichen Lage der betroffenen Patienten nicht überzeugen.

Nach den vorliegenden Daten erhalten in Deutschland weniger als 4000 Patienten eine Behandlung mit einzelnen Cannabinoiden, Cannabisextrakten oder Cannabisblüten. Dies bedeutet, dass gemessen am Bedarf, wie er in Ländern wie Kanada, Israel und einigen Staaten der USA ermittelt wurde, nur ein Bruchteil der Patienten, die eine solche Behandlung benötigen, Zugang zu einer entsprechenden Therapie haben. Der in diesen Ländern ermittelte Bedarf beläuft sich auf 0,1-2 % der Bevölkerung oder 80.000 bis 1,6 Millionen Patienten in Deutschland. Es besteht daher eine deutliche Unterversorgung der deutschen Bevölkerung mit Medikamenten auf Cannabisbasis.

57 Kanadisches Gesundheitsministerium (Health Canada): Stakeholder Statistics. Verfügbar online unter: http://www.hc-sc.gc.ca/dhp-mps/marihuana/stat/index-eng.php
58 IACM-Webseite. http://www.cannabis-med.org/german/bulletin/ww_de_db_cannabis_artikel.php?id =391#10
59 Oregon Department of Human Services. Oregon Medical Marijuana Program (OMMP). Statistics. Verfügbar online unter: http://public.health.oregon.gov/DiseasesConditions/ ChronicDisease/MedicalMarijuanaProgram/Pages/da ta.aspx
60 BverwG 3 C 17.04 vom 19.5.2005. Verfügbar online unter: http://www.bundesverwaltungsgericht.de
61 Vgl. Urteil des Oberlandesgerichts Karlsruhe vom 24. Juni 2004 (3 Ss 187/03). Pressemitteilung verfügbar unter: http://www.cannabis-med.org/ german/germany/olg_karlsruhe.pdf.

Literatur
BverwG 3 C 17.04 vom 19.5.2005. Verfügbar online unter:
http://www.bundesverwaltungsgericht.de (Abgerufen am 10.02.2014).
IACM-Webseite. http://www.cannabismed.org/german/bulletin/ww_de_db_cannabis_artik el.php?id=391#10 (Abgerufen am 10.02.2014).
Kanadisches Gesundheitsministerium (Health Canada). Stakeholder Statistics. Verfügbar online unter: http://www.hc-sc.gc.ca/dhp-mps/marihuana/ stat/index-eng.php (Abgerufen am 10.02.2014).
Oregon Department of Human Services. Oregon Medical Marijuana Program (OMMP). Statistics. Verfügbar online unter: http://public.health.oregon.gov/DiseasesConditions/ ChronicDisease/MedicalMarijuanaProgram/Pages/da ta.aspx (Abgerufen am 10.02.2014).
Urteil des Oberlandesgerichts Karlsruhe vom 24. Juni 2004 (3 Ss 187/03). Pressemitteilung verfügbar unter: http://www.cannabis-med.org/german/ germany/olg_karlsruhe.pdf. Weitere Urteile zum Thema Cannabis als Medizin finden sich hier: http://www.cannabismed.org/index.php?tpl=page&id=59&lng=de.