Drogenkonsumräume retten Menschenleben

Von Dirk Schäffer und Urs Köthner

Vor fast genau 20 Jahren eröffneten in Hamburg und Frankfurt die ersten Drogenkonsumräume Deutschlands. Die rechtliche Grundlage für die Einrichtung dieser Räumlichkeiten bis zur Novellierung des Betäubungsmittelgesetzes im Jahr 2000 bildete das Rechtsgutachten des damaligen Frankfurter Oberstaatsanwalts Dr. Körner, dem Leiter der Zentralstelle zur Bekämpfung der Betäubungsmittelkriminalität.
Dass in diesen Räumlichkeiten Drogengebrauchern keine Gelegenheit verschafft wird, Drogen zu konsumieren, sondern nur „die Möglichkeit“ geboten wird, die bereits mitgebrachten Substanzen „hygienisch und stressfrei“ zu konsumieren, war damals eine Minderheitenmeinung. Sie diente allerdings bis zur bundesgesetzlichen Regelung im Jahre 2000 als ausreichende Rechtsgrundlage für die Einrichtung von Drogenkonsumräumen in Frankfurt, Hamburg, Hannover (1997) und Saarbrücken (1999).
Erst mit der Einfügung des §10a BtMG durch das Dritte Gesetz zur Änderung des Betäubungsmittelgesetzes vom 28. März 2000 wurde für den Betrieb von Drogenkonsumräumen in Deutschland eine rechtliche Grundlage geschaffen, die die bis zu diesem Zeitpunkt bestehende Rechtsunsicherheit beseitigte.
Aufgrund der in Deutschland bestehenden föderalen Strukturen bedarf der Betrieb eines Drogenkonsumraums einer Erlaubnis der zuständigen obersten Landesbehörde (§ 10a I 1 BtMG). Somit bleibt eine Einrichtung von Drogenkonsumräumen zunächst vom politischen Willen der jeweiligen Landesregierung abhängig. Kommunale Interessen können ohne den politischen Willen des Landes nicht realisiert werden.

Inzwischen sind 24 Drogenkonsumräume in 15 Städten und sechs Bundesländern (Berlin, Hamburg, Hessen, Niedersachsen, NordrheinWestfalen und Saarland) in Betrieb.
Die bislang erzielten Ergebnisse der Drogenkonsumräume (DKR) sind beeindruckend. Alle intendierten Zielsetzungen wurden erreicht, ungeachtet der Tatsache, dass noch Entwicklungsaufgaben anstehen:
• DKR leisten einen entscheidenden Beitrag zur Überlebenshilfe und Risikominimierung beim Konsum illegalisierter Drogen. Durch hygienische Konsumbedingungen, Vermittlung von Safer-Use-Regeln und erste Hilfe vor Ort wird Notfällen vorgebeugt und werden Infektionsrisiken wie HIV und Hepatitiden minimiert.
• Seit der Eröffnung des ersten Drogenkonsumraums vor 20 Jahren konnten Drogentodesfälle, z.B. infolge einer Überdosis, durch Erste-Hilfe-Maßnahmen gänzlich vermieden werden.
• DKR bieten mit ihren niedrigschwelligen und akzeptanzorientierten Kontaktmöglichkeiten eine Brückenfunktion in weiterführende Angebote. Der positive Kontakt, geprägt durch die „Dienstleistung“ des Drogenkonsumraums, öffnet den Raum für weiterführende Hilfen insbesondere für solche Drogenkonsumenten, die vorher schwer erreicht wurden.
• Durch das direkte Erleben des Szenegeschehens und der Konsumgewohnheiten bekommt die Drogenhilfe einmal mehr die Möglichkeit, ihre Angebote zielgruppenund regionalspezifisch auszurichten.
• DKR leisten einen wesentlichen Beitrag bei der Reduzierung von Problemen durch offene Drogenszenen in den Städten.
…. aber warum gibt es Drogenkonsumräume eigentlich nicht in allen Bundesländern?

Trotz der dargestellten erfolgreichen Arbeit von Drogenkonsumräumen kann 14 Jahre nach der Veränderung des Betäubungsmittelgesetzes kein durchweg positives Fazit gezogen werden. So hat sich die große Mehrzahl der Bundesländer (10 von 16) aus politisch-ideologischen Gründen oder aus der Einschätzung eines fehlenden Bedarfs bisher gegen die Einrichtung von Drogenkonsumräumen ausgesprochen.
Im Hinblick auf dringend notwendige Maßnahmen zur Überlebenssicherung wirken sich diese überkommenen Ideologien und fehlenden Fachkompetenzen, z.B. im Fall der bayerischen Landesregierung, in fataler Weise aus.
Die bereits in den Jahren 2006 bis 2009 exorbitant hohe Zahl von drogenbedingten Todesfällen in Bayern (2006: 191 Tote, 2007: 242 Tote, 2008: 247 Tote, 2009: 250 Tote) erreichte 2010 mit 262 Todesfällen ihren unerfreulichen Höhepunkt 73 . Nach einer drastischen Abnahme der Todesfälle im Jahr 2011 (177) stieg die Prävalenz von Drogentodesfällen bereits im Folgejahr 2012 wieder auf unglaubliche 213 Todesfälle, zumeist infolge von Opiatüberdosierungen.

Bezogen auf die Gesamtbevölkerung führt Nürnberg die traurige Statistik der Städte an, in denen die meisten Drogen gebrauchenden Menschen, u.a. aufgrund fehlender Drogenkonsumräume, einen sinnlosen und vermeidbaren Tod in Bahnhofstoiletten, Parkanlagen oder der eigenen Wohnung sterben. Dort hat sich die Zahl der Drogen bedingten Todesfälle von 2005 zu 2010 nahezu verfünffacht (6 zu 29) und bewegt sich weiterhin auf einem sehr hohen Niveau.

Trotz der seit vielen Jahren fast kontinuierlich abnehmenden Prävalenzraten von Drogentodesfällen wird auch in anderen Bundesländern und deren größten Städten ein dringender Handlungsbedarf deutlich. So besteht keinerlei Zweifel am immer noch viel zu hohen Niveau von 127 drogenbedingten Todesfällen im Jahr 2012 in Baden Württemberg. Es wäre jedoch zu einfach, die Versäumnisse immer nur bei der Landespolitik zu suchen. Während in München und Nürnberg die Drogenund AIDS-Hilfen unermüdlich den Bedarf für Drogenkonsumräume auf unterschiedlichen Ebenen kommunizieren, zeigt sich die Drogenhilfe in Stuttgart als eher desinteressiert, wenn es um das Thema „Drogenkonsumräume“ geht. Auch die erfolgreichen Bemühungen um die Implementierung der Diamorphinbehandlung in Stuttgart (Beginn April 2014) dürfen hier nicht als Entschuldigung gelten.
Anpassungen der Rechtsverordnungen sind dringend geboten
Aber auch in jenen Bundesländern und Städten, in denen es Drogenkonsumräume gibt, zeigen sich Defizite, die eine Anpassung der Rechtsverordnung erforderlich machen. So hat der AK Konsumraum, eine seit dem Jahr 2000 offene Arbeitsgemeinschaft aller Betreiber von Drogenkonsumräumen in Deutschland, bereits 2011 folgende Veränderungsnotwendigkeiten festgestellt:
– Aufgrund fehlender Finanzen entsprechen sowohl die Öffnungszeiten als auch die Anzahl der vorgehaltenen Konsumplätze (3-20 Plätze) häufig nicht dem Bedarf. Damit Drogenkonsumräume ihre Potenziale entfalten können, müssen sie mit entsprechenden Finanzen ausgestattet werden, um Öffnungszeiten auszuweiten und Konsumplätze zu erhöhen.
– In einigen Drogenkonsumräumen ist der inhalative Konsum untersagt, da es an entsprechenden Vorkehrungen wie separaten Rauchräumen mit Abluftanlagen fehlt. Trotz der erheblichen Belastungen der Atemwege durch den Rauchkonsum ist der inhalative Konsum im Gegensatz zum i.v. Konsum – gemessen an den Indikatoren ‚Überdosierung’ und ‚virale Infektionen’ – deutlich weniger riskant. Daher gilt es die gesetzliche Beschränkung dieser Applikationsform zu revidieren.

Von der Nutzung ausgeschlossene Personengruppen Durch Landesverordnungen wird der Zugang zum Drogenkonsumraum zum Beispiel dann verweigert, wenn der Wohnort in der jeweiligen Stadt nicht nachgewiesen werden kann. So kann konsumentschlossenen Drogenkonsumenten aus den umliegenden Städten und Gemeinden, Personen ohne Meldeadresse oder nach Haftentlassung der Zutritt verwehrt werden.
Besonders problematisch ist der Ausschluss von substituierten Personen aus dem Kreis der Nutzungsberechtigten: Die langjährigen Erfahrungen mit dieser Behandlungsform zeigen, dass in dieser Klientel ein Konsum von Alkohol und Medikamenten sowie anderen illegalisierten Substanzen praktiziert wird. Da dieser Konsum im Rahmen der Substitution eine Potenzierung gesundheitlicher Gefährdungen darstellen kann, ist es zwingend geboten, dass alle Rechtsverordnungen dem Hamburger Beispiel folgen und auf die Nennung von Substituierten bei dem auszuschließenden Personenkreis verzichten. Es sollte allen konsumentschlossenen Personen der Zutritt zum Drogenkonsumraum gewährt werden.

Erlaubte und verbotene Substanzen
In den jeweiligen Rechtsverordnungen werden erlaubte Substanzen wie z.B. Opiate, Kokain, Amphetamine und deren Derivate benannt. Nicht aufgeführte, aber im Konsumspektrum von polyvalent Konsumierenden benutzte Substanzen wie z.B. Benzodiazepine oder andere Arzneimittel/Medikamente sind im Drogenkonsumraum vielfach nicht erlaubt. Die Abweisung dieser Konsumbedürfnisse führt in der Regel zum Konsum im Umfeld, mit allen bekannten Risiken. Gerade dieser „Risikokonsum“ sollte in einem Drogenkonsumraum stattfinden, da dort Erste-Hilfe-Maßnahmen, Einflussund Vermittlungsmöglichkeiten zur Verfügung stehen.

Dementsprechend steht eine umfassende Revision der Länderverordnungen an. Aufgrund der Tatsache, dass Drogenkonsumräume einen entscheidenden Beitrag zur Überlebenshilfe leisten und Drogentodesfälle in hoher Zahl vermeiden, gilt es die Ausweitung dieses Angebots zu unterstützen. Hierbei sind neben der Politik insbesondere die Einrichtungen der Drogenund AIDS-Hilfe gefragt, den Bedarf deutlich zu artikulieren.

73 Falldatei Rauschgift, www.bka.de

Literatur
Drogenkonsumräume in Deutschland – Eine Bestandaufnahme, Deutsche AIDS-Hilfe e.V., akzept und AK Konsumraum, 2011 http://www.akzept.org/pdf/aktuel_pdf/DKR07web.p df http://drogenkonsumraum.net/

Drogennotfälle 2013 in Drogenkonsumräumen
Im Rahmen des jährlichen Treffens des Arbeitskreises Drogenkonsumräume (AK Konsumraum), an dem MitarbeiterInnen aus fast allen Drogenkonsumräumen und Drogentherapeutischen Ambulanzen in NRW teilnehmen, gelang es, ein bundesweit einheitliches Dokumentationssystem für Drogennotfälle zu erarbeiten.
So wurde die Basis dafür geschaffen, bundesweite Daten z.B. zur Anzahl, den Orten und Schweregraden von Drogennotfällen zu erheben. Darüber hinaus bietet die Dokumentation die Möglichkeit, Risikofaktoren für Intoxikation zu erkennen sowie Symptome und Maßnahmen im Notfall abzubilden.
Für das Jahr 2013 liegen Daten aus 18 Einrichtungen und 15 Städten vor. Von den insgesamt dokumentierten 584 Drogennotfällen betrafen 77% (450) Männer und 23% (134) Frauen.

Opiate Hauptursache für Todesfälle
Von den für das Jahr 2013 insgesamt dokumentierten 584 Drogennotfällen wurde in 392 Fällen Heroin als die Substanz definiert, die mutmaßlich für das Eintreten des Notfalls verantwortlich war.

Schweregrad von Drogennotfällen Für insgesamt 503 Notfälle wurden Angaben zum Schweregrad gemacht. Während 309 Drogennotfälle (61,5%) als leicht oder mittelschwer eingestuft wurden, wiesen 194 Drogennotfälle (38,5%) schwere und lebensbedrohliche Merkmale auf.
Bei schweren Notfällen sind die Vitalfunk-tionen (Bewusstsein, Atmung, Kreislauf) lebensbedrohlich gefährdet und eine Unterstützung durch den Rettungsdienst/Notarzt sowie ein Transport ins Krankenhaus wird notwendig.
Nach Einschätzung der im Konsumraum tätigen MitarbeiterInnen wären diese schweren Drogennotfälle potenziell tödlich verlaufen, wenn sich die Konsumenten alleine im häuslichen Umfeld oder im öffentlichen Raum befunden hätten.

Drogenkonsumräume haben also im letzten Jahr fast 200 Menschen das Leben gerettet. Dies wäre auch in München, Stuttgart, Kiel, Mannheim, Leipzig, Bremen und anderen Städten möglich.