Von Harald Terpe
Drogenpolitik ist in Deutschland ein Randthema der Innenund Gesundheitspolitik. In vielen Staaten in Südund Mittelamerika sowie in Südostund Zentralasien ist dies anders. Dort destabilisieren die Machtkämpfe um den illegalen Drogenhandel ganze Staaten und Regionen. Die Zivilbevölkerung leidet unter enormer, zufälliger und alltäglicher Gewalt. Polizei, Militär, Verwaltung und Politik sind durch drogenhandelbedingte Korruption nur eingeschränkt handlungsfähig. Was verbindet nun Deutschland und andere westliche Staaten mit diesen scheinbar weit entfernten Regionen der Welt? Zum einen der globale Drogenhandel, viel wichtiger jedoch die gleiche völkerrechtliche Grundlage für die nationalen Drogengesetze für alle Staaten der Welt. Dieses internationale Drogenkontrollregime besteht im Kern aus drei internationalen Verträgen, die wiederum für die nationalen Drogengesetze aller Staaten die Grundlage bilden. Unterschiede bestehen insbesondere in der Höhe der Strafen, die für Drogenbesitz, -handel oder -produktion verhängt werden. Aber auch hier zeigen sich interessante Übereinstimmungen, denn sucht man im nationalen Vergleich die strafbewehrte Handlung mit den höchsten oder sehr hohen Strafen, dann wird man in der Regel im Drogenstrafrecht fündig. Beispiele hierfür sind die Mindeststrafen für Drogendelikte, in Deutschland u.a. für Drogenhandel als Mitglied einer Bande mit fünf Jahren Gefängnis, im US-Bundesstaat Rhode Island für den Besitz von mehr als fünf Kilogramm Cannabis mit 20 Jahren Gefängnis, als Mindeststrafe wohlgemerkt. In zahlreichen Staaten werden für Drogendelikte Todesstrafen verhängt und auch in großer Fallzahl vollstreckt. Jenseits der Terrorismusbekämpfung wird kein Deliktfeld vergleichbar konsequent verfolgt oder erfordert ähnlich hohe finanzielle, personelle, polizeiliche, militärische und geheimdienstliche Mittel. Zudem bestand im Bereich der Drogenbekämpfung bis vor kurzem (Stichworte: Colorado, Washington und Uruguay) kein politischer Konflikt über die grundsätzliche Ausrichtung, dass das Drogenverbot mit allen Mitteln durchgesetzt werden muss. Dieser Konsens wird über alle ideologischen und sonstigen Differenzen der Staatengemeinschaft hinweg geteilt. Insgesamt sind dies hervorragende, praktisch einzigartige Voraussetzungen für die internationale Zusammenarbeit und die Bekämpfung des Drogenhandels und -konsums. Wäre das internationale Drogenkontrollregime nur wenige Jahre alt, würde man sagen, noch einige Jahre intensiver Drogenbekämpfung und das Problem wird sicherlich unter Kontrolle sein. Das internationale Drogenkontrollregime ist aber über 100 Jahre alt.
Das internationale Drogenverbot löst seine eigenen Versprechen nicht ein
Es ist schwierig, einen Teil des Völkerrechts auf seine Wirksamkeit und Sinnhaftigkeit hin zu überprüfen. Das internationale Drogenkontrollregime ist ein Teil des Völkerrechts und einer der ältesten Teile des Völkerrechts. In diesem Jahr jährt sich die erste internationale Opiumkonferenz in Shanghai zum 105. Mal. Das Fundament und die leitende Idee des Drogenkontrollregimes ist das Drogenverbot, verboten ist dabei praktisch jede Handlung mit Drogen, mit dem ultimativen Ziel, den Konsum zu verhindern. Ursprünglich nur den Konsum zu nicht medizinischen Zwecken, in einer Radikalisierung der internationalen Drogenpolitik auch vielfach die Verwendung von Drogen zu medizinischen Zwecken. Die Bilanz nach über 100 Jahren Drogenverbotspolitik ist mehr als ernüchternd: weder wurden durch das Drogenverbot die Zahl der Abhängigen oder die Verfügbarkeit von Drogen eingeschränkt noch war die Logik der immer härteren Strafen und der Militarisierung der Drogenpolitik erfolgreich. Noch dramatischer sind inzwischen die unbeabsichtigten Nebenwirkungen des internationalen Drogenverbots, die oben skizziert wurden. Zahlreiche wissenschaftliche Studien, internationale Untersuchungen und die Statistiken von UNODC und die Berichte der Commission on Narcotic Drugs selbst belegen das Scheitern des Drogenkontrollregimes. Zahlreiche Nichtregierungsorganisationen und immer mehr Staaten fordern zu Recht eine Änderung der internationalen Drogenpolitik. Doch meist zielen diese Reformen auf kleine Änderungen des bisherigen Systems ab – eine pragmatische Sichtweise, sicherlich – und die einzige Option innerhalb des Drogenkontrollregimes der Vereinten Nationen.
Ein Blick in die Zukunft – eine neue regulative Idee
Doch die erfolgreichen Reformen in zahlreichen OECD-Staaten und die drogenpolitischen Revolutionen in Bolivien, Uruguay und Colorado und Washington zeigen deutlich, dass der historische Scheitelpunkt des internationalen Drogenverbots überschritten ist. Im Zentrum der nächsten Jahrzehnte wird die Frage nach dem „Wie“ des Übergangs vom bisherigen Drogenkontrollregime hin zu einem neuen internationalen Drogenregulierungsregime stehen. Die neue regulative Idee wird die eines staatlich kontrollierten Drogenhandels sein. Die alte Verbotsidee hat ihre Versprechen nicht eingelöst, sie hat maßgeblich zur unkontrollierten und weltweiten Verbreitung des Drogenhandels und konsums beigetragen und gleichzeitig kriminellen Organisationen eine Geschäftsgrundlage geschaffen. Die neue Drogenpolitik muss diese jahrzehntealten Missstände korrigieren und mit einer differenzierten Risikobewertung den Zugang zu Drogen nach deren Gefährlichkeit regulieren. Jugendund Gesundheitsschutz müssen dabei an erster Stelle stehen. Strafen müssen auf ein sinnvolles Niveau abgesenkt werden, insbesondere für den Handel, der sich jenseits des staatlich regulierten Handels vollzieht. Die Regelungen für Alkohol, Tabak und Arzneimittel können hier wertvolle Anregungen geben.
Die Herausforderung – das neue Drogenregulierungsregime aufbauen
Für drogenpolitisch progressive Staaten wird die Herausforderung folgende sein: Wie baue ich ein neues internationales Drogenregulierungssystem parallel zum bestehenden Drogenverbotssystem auf? Am Anfang sollte hierbei stets die Reform der nationalen Drogengesetze stehen und die Einführung eines staatlich kontrollierten Drogenhandels am Beispiel von Cannabis oder der KokaPflanze. Die Regelungen in Neuseeland für eine kontrollierte Abgabe synthetischer Drogen in Fachgeschäften bieten ein Modell für weitergehende Schritte, wurden jedoch im Wahlkampf 2014 vorerst außer Kraft gesetzt. Im zweiten Schritt – und hier steckt der Kern des neuen Systems – schließen diese Staaten mit reformierten Drogengesetzen bilaterale Verträge über den Imund Export von Cannabisund Koka ab. Ab einer bestimmten Anzahl von Staaten, einer notwendigen kritischen Masse, wird eine internationale Konferenz ein erstes, neues völkerrechtliches Abkommen über ein internationales Drogenregulierungssystem aushandeln. Diesem neuen Abkommen werden im Laufe der Jahrzehnte die Staaten der Welt beitreten. Nicht alle, aber alle, denen die „Nebenkosten“ des Drogenverbotes für ihre Bevölkerung und ihren Staat zu hoch sind.