Der sogenannte Drogenkrieg in Mexiko 2006-2012 und die aktuelle Politik der PRI-Regierung im Umgang mit Drogenhandel und organisierter Kriminalität – Ein kurzer Einblick

Von Annette von Schönfeld

Der sogenannte Drogenkrieg in Mexiko 2006-2012 und die aktuelle Politik der PRI-Regierung im Umgang mit Drogenhandel und organisierter KriminalitätEin kurzer Einblick Mexiko und die USA teilen eine mehr als dreitausend Kilometer lange Landgrenze. Seit es sie gibt, wird dort geschmuggelt. Viel mehr als Drogen, aber Drogen spielten und spielen eine wichtige Rolle. 80% des in den USA konsumierten Kokains gelangt aus Kolumbien über Mexiko in die USA. Heroin und Methamphetamin werden aus Mexiko direkt geliefert. War Mexiko lange vor allem Transitland für Drogen aus Kolumbien in die USA, haben spätestens seit der Schwächung der kolumbianischen Kartelle im Rahmen des Plan Colombia 148 die mexikanischen Kartelle die Oberhand im amerikanischen Drogengeschäft gewonnen. Sie halten den Löwenanteil im Transitgeschäft und Mexiko ist heute größter Produzent von Methamphetamin weltweit, aber auch Heroin wird in beträchtlichen Mengen produziert. Opiumanbau gibt es besonders in den nördlichen Bundesstaaten Mexikos schon seit Anfang des 20. Jahrhunderts und es wurde sowohl während der Prohibition schon illegal in die USA geschmuggelt, als auch z.B. während des 2. Weltkriegs von höchster Stelle angefordert um den Morphiumbedarf für die verwundeten US-Soldaten zu decken. Marihuana wird besonders im klimatisch heißen Süden von Michoacán angebaut, wo auch der wichtigste Güterhafen Mexikos, Lazaro Cardenas, liegt. Lazaro Cardenas geht in den letzten Monaten häufig durch die Medien, weil eine neue umfängliche Handelsroute bekannt geworden ist: Schiffsladungen illegal abgebauten Eisenerzes gehen nach China und Grundstoffe für die Herstellung von Methamphetamin kommen auf demselben Weg zurück nach Mexiko. Lange Zeit verlief der Drogenschmuggel in die USA weitgehend gewaltlos, zumindest so, dass keine Unbeteiligten von der Gewalt betroffen waren. Und auch als sich in den 80er Jahren größere Kartellstrukturen bildeten, vor allem um den Kokain-Transport aus Kolumbien in die USA zu managen, war das Geschäft lange regional unter den diversen Kartellen aufgeteilt. Es ist ein offenes Geheimnis, dass sich während der mehr als 70jährigen Regierungszeit der PRI149 korrupte Strukturen im Staatsapparat etablieren konnten, die am Drogenschmuggel mitverdienten und gleichzeitig zur regionalen Aufteilung des Geschäfts und damit zu einer Art friedlichem Nebeneinander der Kartelle beitrugen. Für die Bevölkerung in den zumeist sehr armen Anbau- und Grenzregionen standen und stehen die Kartelle auch für Arbeitsplätze, Macht und ökonomischen Erfolg und repräsentieren fast die einzige Möglichkeit, schnell zu Geld zu kommen. Gerade die Illegalität macht den Drogenhandel extrem lukrativ und viele, gerade Jugendliche ziehen den kurzen Ruhm der langen Trostlosigkeit vor. Vielerorts besingen sogenannte „Narcocorridos“ (Loblieder) die Taten der Drogenbosse, stilisieren sie zu Helden und befördern damit deren Attraktivität und eine Kultur der Gewalt.

Mit der zunehmenden Globalisierung nach dem Fall der Mauer, den neuen Freihandelsverträgen wie NAFTA 150, offeneren Grenzen und einer gleichzeitig bleibenden „Abschottung“ der USA nach Süden, wurden neben dem Drogenhandel auch etliche andere illegale Geschäftszweige attraktiver. Für die Grenze zwischen Mexiko und den USA gilt das z.B. für den Menschenhandel und -schmuggel oder Waffenhandel. Heute sind die Kartelle in zahlreichen Geschäftsfeldern aktiv, zu denen auch die Geldwäsche gehört und die damit verbundene stärkere Verquickung von illegalen und legalen Geschäften.

Mit der Abwahl der PRI im Jahr 2000 war das Stillhalten der Kartelle vorbei und die Gewalt und Unsicherheit im Zusammenhang mit dem Drogenhandel nahmen zu. Als 2006 Präsident Felipe Calderon von der PAN 151 sein Amt antrat, erklärte er den Kampf gegen den Drogenhandel mit harter Hand zur Chefsache mit oberster Priorität und ging buchstäblich mit aller Gewalt gegen die Kartelle vor. Da die Polizei sowohl auf Ebene des Bundes als auch der Bundesstaaten als extrem korrupt galt und gilt (Präsident Calderon selbst sprach von einem Anteil korrupter Polizei von 80%), wurde zum ersten Mal in der mexikanischen Geschichte das Militär im Inland eingesetzt, um in den Drogenkrieg einzugreifen und für Sicherheit zu sorgen. Die Situation eskalierte während der gesamten Amtszeit Calderons. 70.000 bis 100.000 Tote hat der Drogenkrieg zwischen 2006 und 2012 gefordert, mehr als 25.000 Menschen sind darüber hinaus verschwunden. Schauplatz waren, nach einer anfänglichen gescheiterten Offensive des Militärs in Michoacán, vor allem die nördlichen Bundesstaaten an der Grenze zu den USA. Unter den Opfern finden sich auch sehr viele Menschen, die weder den Kartellen noch den staatlichen Sicherheitskräften angehörten. Ihre Familien haben oft bis heute damit zu kämpfen, dass den Toten der Makel des „Irgendetwas werden sie sich schon haben zuschulden kommen lassen“ anhaftet, der sich auch auf sie überträgt. Wie stark das soziale Gefüge durch die Gewalt geschädigt ist, wird erst langsam deutlich. Allmählich entsteht ein Bewusstsein dafür, dass es sehr lange dauern kann, bis das Trauma dieses Krieges – so er denn ein Ende findet – überwunden werden kann. Heute, unter Präsident Enrique Peña Nieto und einer erneuten PRI-Regierung wird nicht mehr vom Drogenkrieg gesprochen. Die Regierung hat die Narrative verändert. Gewalt, Unsicherheit und Kartelle sind nicht mehr die Themen der Titelseiten in den Medien. Nur gezielt, bei besonderen Ereignissen, wie z.B.

anlässlich der Verhaftung von Joaquin “El Chapo“ Guzman, Ende Februar 2014, dem Chef des Sinaloa-Kartells und meistgesuchten Drogenbosses, der mehrere Jahre auf der Forbes-Liste der reichsten Männer der Welt geführt wurde, füllen entsprechende Erfolgsmeldungen die Presse. Nach dem Amtsantritt von Peña Nieto wurden neue Akzente der Sicherheitspolitik vorgestellt: eine neue, besonders ausgebildete, Gendarmerie auf Bundesebene, außerdem ein Präventionsprogramm. Die neue Gendarmerie wird frühestens Ende 2014 ihre Arbeit aufnehmen, mindestens anderthalb Jahre später als geplant. Darüber, wer diese Gendarmerie bilden wird und wo rekrutiert wird, gibt es so gut wie keine öffentlichen Informationen, und ob ein 40-Stunden-Kurs zum Thema „Kultur der Legalität“ ausreicht, um in einem Land mit 98% Straflosigkeit wirklich neue Akzente in der Polizeiarbeit zu setzen, bleibt abzuwarten. Auch vom Präventionsprogramm ist bislang wenig bekannt. Lediglich eine Initiative zur Verteilung von Brillen an sehschwache Schüler/innen, damit diese dem Unterricht folgen können und nicht vorzeitig die Schule verlassen (und straffällig werden), ist bekannt und mit gewissem Staunen aufgenommen worden. Die Zahl der Morde ist seit Amtsantritt der PRI je nach Informationsquelle kaum oder gar nicht zurückgegangen, bzw. noch angestiegen. Definitiv angestiegen sind die Zahlen von Entführungen und Erpressungen, durch deren Einnahmen sehr häufig Einkommenseinbußen im Drogengeschäft und anderen Geschäftszweigen der Organisierten Kriminalität ausgeglichen werden, wenn es zu Preisrückgang oder Ausfällen kommt. Der regionale Fokus der Gewalt hat sich mit der neuen Regierung verändert. Die Gewalt an der Nordgrenze ist zurückgegangen, auch dadurch, dass ein großer Teil des Militärs dort abgezogen wurde. Hotspot der Gewalt sind heute die Bundesstaaten Guerrero und vor allem Michoacán im Südwesten des Landes. Gerade in Michoacán hat sich die Gemengelage noch dadurch verschärft, dass seit gut einem Jahr in etlichen Gemeinden bewaffnete sog. „Selbstverteidigungsgruppen“ (Grupos de Autodefensa) entstehen. Diese beanspruchen für sich, dort, wo der Staat geringen bis gar keinen Einfluss hat, oder wo die direkte Zusammenarbeit lokaler Politiker mit der Organisierten Kriminalität vermutet wird, für Ordnung zu sorgen und die lokale Bevölkerung vor den Kartellen zu schützen, was besonders für den südlichen Teil des Bundesstaates zutrifft. Sie schwächen dadurch das Gewaltmonopol des Staates allerdings noch weiter. Ein Versuch der Regierung, diese Selbstverteidigungsgruppen in den regulären Polizeiapparat einzubinden, indem ein großer Teil von ihnen registriert wird und eine kurze Ausbildung erhält, die übrigen allerdings für illegal erklärt und bekämpft werden, ist bislang an der Unübersichtlichkeit der Gruppen gescheitert.

In der Bevölkerung wird kaum mehr vom Krieg gegen die Drogen gesprochen, wohl aber von der nach wie vor extremen Bedrohung durch die Organisierte Kriminalität und der bleibenden alltäglichen Unsicherheit, wegen der ein großer Teil der Bevölkerung das eigene Alltagsverhalten verändert hat. Mit den heftigen Militäreinsätzen in Michoacán Anfang 2014 ist zudem der Eindruck verstärkt worden, die Kartelle rückten mit ihren Aktionen immer näher an die Hauptstadt heran. Geradezu zynisch wirken dann Zeitungsüberschriften wie die aus der Zeitung Reforma vom 22.01. 2014: „Mancera (der Bürgermeister von Mexiko-Stadt) panzert die Hauptstadt gegen den Cucaracha-Effekt“, also den Effekt, dass Ungeziefer, wenn man ihm zu Leibe rückt, irgendwo anders wieder auftaucht. Die Illegalität des Drogenanbaus und, mehr noch, des Drogenhandels haben in Mexiko entscheidend zur Entstehung und zum Anwachsen der mexikanischen Kartelle in ihrer heutigen Stärke beigetragen und auch das Ausmaß der Gewalt stark beeinflusst. Immer deutlicher wird allerdings, dass Drogen heute nur (noch) einen Teil der Geschäfte der Organisierten Kriminalität ausmachen und dass eine Veränderung der Drogenpolitik, z. B. hin zu einer Entkriminalisierung, der Organisierten Kriminalität heute zwar Einbußen bescheren, sie aber nicht grundsätzlich treffen würde. Immerhin würden mit einer Entkriminalisierung oder Legalisierung vermutlich die Gewalt und die Mordzahlen vor allem auf der Ebene des Einzelhandels zurückgehen. In der Drogenpolitik Mexikos unterscheidet sich die Bundesebene von der Politik der Hauptstadt. Setzt die Bundesebene nach wie vor auf Kriminalisierung von Besitz, Konsum und Handel, ist in der Hauptstadt der Besitz in kleinen Mengen straffrei. Dort werden auch Debatten darüber geführt, den Drogenkonsum unter dem Blickwinkel öffentlicher Gesundheit zu betrachten und von Behandlung statt Kriminalisierung zu sprechen. Vorstöße hin zu einer Legalisierung oder Regulierung von Drogenkonsum und -besitz hatten bislang in Mexiko keinen Erfolg.

148 Zum großen Teil von den USA finanzierte Politik der harten Hand gegen Drogenproduzenten und –händler

149 PRI: Partido Revolucionario Institucional – Institutionalisierte Revolutionäre Partei

150 NAFTA: North American Free Trade Agreement

151 PAN: Partido de Alianza Nacional – Partei der Nationalen Allianz