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Niedrigschwellige Drogenhilfe bleibt weiterhin bedroht – zu den Vorfällen um das Café Balance in Mainz

Von Urs Köthner

Die Durchsuchung im städtischen Drogenhilfezentrum „Café Balance“ war in seiner Art und Weise rechtswidrig! Dies hat das Landgericht Mainz, 1 1⁄2 Jahr nach dem Vorfall, in einem Revisionsverfahren am 28.10.2013 nun endlich entschieden. Was war geschehen:

Rund 100 Polizeibeamte hatten bei einer Großrazzia am 08.05.2012 das Drogenhilfezentrum Café Balance und zwei Wohnungen in Mainz durchsucht. Hintergrund war ein Ermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaft wegen des gewerbsmäßigen Handels mit Rauschgift. Im Verdacht standen auch einige Mitarbeiter des Café Balance. Ihnen wurde vorgeworfen, den Handel von Drogen insbesondere bei einer Person aktiv gefördert zu haben, und zwar durch Gewähren einer Gelegenheit zum Verkauf und Erwerb von Drogen, Betrieb von Warnvorrichtungen vor der Polizei und Qualitätskontrollen der Drogen (Drug Checking).

Nach fünfstündiger Durchsuchung der Räumlichkeiten, der Besucher und des Personals war das Ergebnis: Im Café Balance wurden keinerlei Beweismittel oder Drogen gefunden, sondern nur ein paar Krümel Haschisch bei einigen Besuchern, die alle am Eingang abgefangen wurden. Zwei bestehende Haftbefehle wurden vollstreckt.

Die Kernaussagen in der Begründung des Urteils:
Der Einsatz von 100 Polizeibeamten am Durchsuchungstag war vollkommen überdimensioniert und hat durch die Art und Weise der Durchführung, insbesondere dem Timing der Maßnahme während der Öffnungszeiten, vermeidbaren großen Schaden für die Arbeit   der Drogenhilfe und die betroffenen Mitarbeiter angerichtet.
Ein Großteil der Urteilsbegründung bestätigt jedoch die grundsätzliche Erforderlichkeit und Angemessenheit der Maßnahme zum Zeitpunkt der ermittlungsrichterlichen Überprüfung für die Durchsuchung. Von der Genehmigung bis zur Durchführung der Maßnahme hatte der Ermittlungsstand jedoch eine erhebliche Minderung der Vorwürfe gegen die Mitarbeiter der Drogenhilfeeinrichtung Cafe Balance ergeben, was sich vor dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz mildernd auf die Art und Weise der Durchführung hätte auswirken müssen. Die bestehenden Haftbefehle hätten auch jederzeit anderswo vollstreckt werden können.

Wenn man das Urteil aus der Distanz auf sich wirken lässt, liest es sich eigentlich wie ein Freispruch nach allen Seiten. Die Mitarbeiter sind freigesprochen worden und auch die Ermittlungsbehörden und Polizei haben im Großen und Ganzen nichts falsch gemacht, außer zum Schluss, als sie bei der Durchführung der Maßnahme allerletzte Ermittlungsergebnisse nicht berücksichtigten.

„Ist doch alles gut“, könnte man jetzt salopp denken, „eigentlich hat ja keiner wirklich was falsch gemacht…“

Aber genau hier beginnt das Dilemma in der Niedrigschwelligkeit: Der Konflikt war vorhersehbar, ebenso sein Ergebnis; es war nur eine Frage der Zeit, wann und wo er sich wieder inszeniert. Mainz ist nicht der erste Fall rund um niedrigschwellige Einrichtungen der Drogenhilfe. Die Tatvorwürfe ähneln sich immer wieder und die Ergebnisse der oft jahrelangen Ermittlungen und Prozesse laufen zumeist auf Freisprüche und Einstellungen hinaus. Was bleibt, sind immense Kollateralschäden und (Folge-)Kosten.

Ein prägendes Beispiel hierfür sind sicherlich die „Bielefelder Prozesse“ und ihre Folgewirkungen:
Am 3.2.03 wurde vor dem Landgericht in Bielefeld nach einer dreijährigen intensiven Ermittlungsphase der Prozess gegen zwei Vorstandsmitglieder und einen Mitarbeiter der Drogenberatung e.V. Bielefeld und gegen die Bielefelder Polizeiführung eröffnet. Die Anklage gründete sich auf den Verdacht des Gewährens einer Gelegenheit zum unbefugten Erwerb und zur unbefugten Abgabe von Drogen in den Räumlichkeiten der Drogenberatung und der niedrigschwelligen Hilfsangebote sowie die Förderung der Prostitution, und dies „im gemeinschaftlichen Zusammenwirken“ mit der damaligen Polizeiführung. Der Prozess ist zwar gegen Zahlung einer Geldbuße eingestellt worden, hat aber nicht zu einer rechtlichen Klarstellung beigetragen, so dass eine Rechtssicherheit für Mitarbeiter/innen und Nutzer/innen niedrigschwelliger Drogenhilfseinrichtungen sowie für die Polizei weiterhin nicht gegeben ist. Während die Leitung der Drogenberatung weiter arbeiten konnte, wurde dem damaligen Polizeipräsidenten Horst Kruse sein Amt entzogen.

In Bochum führten die Vorermittlungen zu diesem Prozess dazu, dass die Verhandlungen um die Einrichtung eines Drogenkonsumraums für zwei weitere Jahre nicht zum Abschluss kamen, weil der damalige Polizeipräsident Thomas Wenner mit Verweis auf die Bielefelder Prozesse die notwendige Zustimmung verweigerte. Im Dezember 2002 kam es zu einer groß angelegten Razzia im niedrigschwelligen Kontaktladen der Krisenhilfe Bochum e.V. (ausgesprochen vergleichbar mit der jetzigen Durchsuchung im Cafe Balance und genauso erfolglos) und in den folgenden Jahren zu täglichen engmaschigen Kontrollen und Überwachung der Besucher direkt vor und auch im Kontaktladen. Der damalige Bochumer Polizeipräsident stellte nicht die Sinnhaftigkeit der Angebote in Frage, sondern berief sich auf das Urteil im Prozess, wonach er keine „Schutzzone um Drogenhilfeeinrichtungen“ dulden oder fordern kann („Verführung eines Untergebenen zu einer Straftat…“) und die Teilnahme an Arbeitskreisen schon eine Mitwisserschaft bedeuten würde.

Hier zeigte sich für alle Beteiligten ein Dilemma:
Einerseits ist die Polizei an das Legalitätsprinzip gebunden und darf rund um eine Drogenhilfeeinrichtung keinen rechtsfreien Raum entstehen lassen, sonst macht sie sich selber strafbar, andererseits behindern/ verhindern beständige Ermittlungen vor der Drogenberatung den Besuch von Menschen, die illegalisierte Drogen konsumieren, Hilfe suchen und um ihre Anonymität bemüht sind.

Wie nachhaltig solche Ermittlungen und Maßnahmen auch heute, mehr als 10 Jahre nach dem Prozess, noch wirken, zeigt die Stellungnahme des ehemaligen Bielefelder Polizeipräsidenten Horst Kruse auf dem internationalen akzept-Kongress im Oktober 2013. Er beschreibt das Dilemma und seine schadhaften Folgewirkungen aus Sicht der Polizei eindrücklich und bemängelt in aller Deutlichkeit die fehlende Bereitschaft der Politik, die Konsequenzen aus diesen Erfahrungen zu ziehen. Aufgrund dieser Rede verweigerten aktuell verantwortliche Mitarbeiter der Staatsanwaltschaft und Polizei jegliche Stellungnahme und die Teilnahme an einer fest zugesagten Podiumsdiskussion auf dem Kongress. 147

Schon die „Bielefelder Prozesse“ 2000 bis 2003 und die Großrazzia im niedrigschwelligen Kontaktladen in Bochum 2002 haben neben weiteren Beispielen deutlich gezeigt, dass durch massive repressive Maßnahmen rund um Drogenhilfeeinrichtungen der Drogenhandel nur marginal gestört werden kann, demgegenüber aber die Angebote der Hilfeeinrichtungen, die Mitarbeiter/innen und Hilfesuchenden umso mehr unter den Auswirkungen jahrelang leiden: Die Atmosphäre in den Einrichtungen wird unruhiger und aggressiver durch die Verunsicherung einer potenziellen Strafverfolgung.

In diesem Klima ist der Aufbau von vertrauensvollen Beziehungen zwischen Mitarbeiter/innen und Klient/innen, als Basis für weiterführende Hilfen, sehr erschwert. Die Arbeit der Sozialarbeiter/innen verschiebt sich zunehmend Richtung Ordnungsfunktionen und rigider Auslegung der Hausregeln um nicht selber potentiell straffällig zu werden.
Ein Nebeneffekt ordnungspolitischer Strategien ist, dass der wesentliche Inhalt und Wirkmechanismus von niedrigschwelligen Hilfeangeboten stark beeinträchtigt wird und in den Hintergrund tritt.

Kontakt- und Beziehungsarbeit, welche auf Vertrauen, Akzeptanz und Anteilnahme gegenüber den Hilfesuchenden basiert, darf nicht durch Kontrolle dominiert werden. Der notwendige Spielraum für Beziehungsarbeit, sozialarbeiterische, therapeutische Hilfen, Kriseninterventionen und deeskalierende Maßnahmen wird stark einschränkt. Die Mitarbeiter/innen werden zunehmend nur noch als „Aufpasser“ und verlängerter Arm der Strafverfolgung erlebt, obwohl sie selber bedroht sind, potenziell straffällig zu werden, nur weil sie ihrer Arbeit nachgehen.

Der Betrieb von niedrigschwelligen Drogenhilfeeinrichtungen bleibt im Rahmen der Prohibitionspolitik ein juristischer Drahtseilakt für alle Beteiligten. Die Grenzen müssen in der täglichen Praxis immer wieder mühsam ausgehandelt werden, was nicht zu einem Gefühl von Sicherheit für Konsument/innen, Mitarbeiter/innen, Strafverfolgungsund Ordnungsbehörden führt. Unter diesen Bedingungen agieren zu müssen, ist für alle Beteiligten eine psychische Belastung und große Herausforderung. Zudem verschlingt die rechtliche Brisanz niedrigschwelliger Drogenhilfeangebote zunehmend personelle Kapazitäten in den Hilfseinrichtungen, die sich mit dieser Problematik beschäftigen müssen. Das alles kostet Zeit, die in der wichtigen Beziehungs- und Kontaktarbeit dann fehlt.

Gut funktionierende Ordnungspartnerschaften sind leider kein Garant für Rechtssicherheit. Dies wurde uns gerade in Mainz wieder einmal vors Auge geführt, und es wird wieder passieren, wenn die Politik nicht bald handelt.

Hier geht es um den Paragraphen 29.1.(10,11) des BtMG: „Mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe wird bestraft, wer eine Gelegenheit zum unbefugten Verbrauch, Erwerb oder zur unbefugten Abgabe von Betäubungsmitteln öffentlich oder eigennützig mitteilt, eine solche Gelegenheit einem anderen verschafft oder gewährt oder ihn zum unbefugten Verbrauch von Betäubungsmitteln verleitet“. Im Rahmen der Drogenhilfe lässt es sich jedoch niemals vermeiden, dass Nutzer/innen entsprechender Einrichtungen Straftaten nach dem BtMG begehen, indem sie beispielsweise illegalisierte Substanzen besitzen (sonst könnten sie ja nicht konsumieren) und im Umfeld der Drogenszene und der Einrichtungen Drogenvermittlungsgeschäfte tätigen.

Die Drogenpolitik auf Bundesebene hat es versäumt, hier eindeutig rechtliche Rahmenbedingungen zu schaffen, welche die Rechtssicherheit für Mitarbeiter/innen und Nutzer/ innen niedrigschwelliger Drogenhilfe und die Strafverfolgungsbehörden gewährleisten.

Die „Bielefelder Prozesse“ 2003 führten leider nicht zu einer notwendigen Klarstellung, so dass „Mainz“ passieren konnte. Die schon damals gemachten Forderungen sind noch immer aktuell und sollten zeitnah umgesetzt werden.

Damals wie heute fordert akzept e.V. und andere Fachverbände eine politische und juristische Klärung der rechtlichen Absicherung entsprechender Hilfsangebote durch das Bundesministerium für Gesundheit und die Bundesländer. Das Betäubungsmittelgesetz ist dahingehend zu ändern, dass ähnlich wie bei Spritzentauschprogrammen und Drogenkonsumräumen die Überlebenshilfen im niedrigschwelligen Drogenarbeitsbereich keinen Verstoß gegen das Betäubungsmittelgesetz darstellen. Konkret bedeutet dies als ersten Schritt die Streichung des § 29.1.(10) BtMG, so wie es die Drogen- und Suchtkommission schon 2002 gefordert hat. Zumindest wäre aber die Ergänzung dieses Paragraphen durch folgenden Satz zwingend: „Dies gilt nicht für Mitarbeiter/innen im Rahmen staatlich geförderter Drogenhilfeangebote“.

Weiterhin fordern wir die Entpönalisierung konsumvorbereitender Handlungen wie Besitz und Erwerb als Herabstufung zu einer Ordnungswidrigkeit und die Einführung eines Opportunitätsprinzips auf polizeilicher Ermittlungsebene.

Mitarbeiter/innen und Konsument/innen müssen vor Strafverfolgungen, Verdächtigungen und Diskriminierungen geschützt werden. Ohne eine rechtliche Absicherung stehen alle Angebote der Drogenhilfe (Substitution, niedrigschwellige Hilfen, ambulante und stationäre Unterstützungen), insbesondere aber die Beschäftigten und Träger, unweigerlich weiterhin an der Grenze zur Illegalität mit allen Risiken strafund zivilrechtlicher Inanspruchnahme. Ohne eine rechtliche Änderung im Betäubungsmittelgesetz muss Drogenhilfe als bewährte Unterstützungsmaßnahmen im Hinblick auf Schadensminimierung, psychosoziale Stabilisierung und Ausstiegsförderung weiterhin unter dem nicht kalkulierbaren Risiko einer individuellen staatsanwaltschaftlichen Verfolgung arbeiten oder ihre Arbeit einstellen. Dies kann nicht gewollt sein.

Auch wenn der Vorfall sinnlos war und viele lang wirkende Kollateralschäden für Drogenkonsumierende und Hilfseinrichtungen verursacht, war der Einsatz ja nicht umsonst… der kostet nämlich richtig viel Geld: 100 Polizeibeamte am Ermittlungstag und erhebliche personelle Kapazitäten für Vorund Nachermittlungen; der Aufwand bei Gericht, Staatsanwaltschaft und für Anwälte… Da kommen beträchtliche Kosten zu Stande, die durch Steuermittel finanziert werden müssen, völlig ins Leere laufen und sich kontraproduktiv auswirken. Das alles war vorhersehbar und wird sich mit Sicherheit wiederholen, die Frage ist nur, wo und wann?

Dies ist ein kleines Praxisbeispiel für die zentralen Ergebnisse der IfT-Studie (Mostardt et al. 2009) zu den Ausgaben der öffentlichen Hand im Bereich illegale Drogen: 60-70 % der Mittel fließen in den Bereich Repression und nur 30-40 % in den Bereich der Hilfen.

Noch immer ist in Deutschland der Drogenkonsum und die Abhängigkeit von illegalisierten Drogen vor allem ein juristischer Akt; gesundheitspolitische Aspekte, Prävention und Hilfen spielen allenfalls eine begleitende Rolle, sind budgetabhängig und nicht bedarfsabhängig finanziert. Viel Geld wird für die Repression ausgegeben, welches an anderer Stelle bei Hilfsangeboten dringend benötigt wird.

Wollen wir uns das wirklich weiter leisten?

Quellen: Beschluss des Landgerichts Mainz im Revisionsverfahren gegen einen Mitarbeiter der Drogenhilfe vom 28.10.2013

Stellungnahme akzept e.V. zu den Vorfällen in Mainz: „Ungeschickt, unverhältnismäßig, unverschämt!“ vom 10.05.2013: http://www.akzept.org/pdf/drogenpolitik/akzeptPMm ainz10_05_12.pdf

Mostardt, S., Flöter, S., Neumann, A., Wasem, J. & Pfeiffer-Gerschel, T. (2009): Schätzung der Ausgaben der öffentlichen Hand durch den Konsum illegaler Drogen in Deutschland. Das Gesundheitswesen, 71, A190 4 I Internationales

147 Die Rede von Horst Kruse kann auf dem akzeptPortal bei You Tube angesehen werden: http://www.youtube.com/watch?v=Fkazoo1w-s8

Legalisierung aus Sicht der Eltern

Von Heidrun Behle und Jürgen Heimchen

Wie alle Eltern hatten auch wir den Wunsch, dass unsere Kinder sich nicht vom rechten Pfade abbringen ließen, insbesondere keine verbotenen Früchte probierten, und ihren Lebensweg weitab jeglicher Straffälligkeit beschreiten würden. Mit voller Wucht riss uns die Realität ins scheinbar Bodenlose, als wir vom Drogenkonsum unserer Kinder – auch noch Heroin ! – erfuhren. Die Abwärtsspirale der Familie war in Gang gesetzt: die Drogen konsumierenden Kinder gerieten mit dem Gesetz in Konflikt, hauptsächlich durch Beschaffungskriminalität, verloren die Arbeitsstelle oder waren nicht mehr in der Lage, ihre Ausbildung zum Abschluss zu bringen. Die Eltern kämpften nach allen Seiten: gegen ihre Kinder, die aufhören sollten damit; gegen ihre Ängste, dass der – illegale – Drogenkonsum in der Nachbarschaft und der Verwandtschaft auffallen könnte, dass die Polizei die Kinder erwischte; und zuletzt kämpften sie gegen ihre ständige Angst um das Leben ihrer Kinder an. Energie raubende und krank machende Umstände. Was liegt da näher als der Wunsch, die Drogen aus der Welt zu schaffen!?

Im Jahr 1993 fand der 2. Drogenkongress von akzept e. V. in Hamburg statt, den wir Eltern erstmalig besuchten. Wir wollten mithelfen, die Verelendung und das Sterben der Drogenkonsumenten zu stoppen. So weit waren wir dann schon. Aber die, aus unserer damaligen Sicht provokante, These des Kongresses „Ohne Legalisierung geht es nicht“ erschütterte uns zutiefst. Unsere Hoffnungen lagen bis dahin allein in den „Clean-Therapien“ und das Abstinenzdogma war verinnerlicht. Wieso forderten Vertreter der professionellen Drogenhilfe, Professoren und Ärzte die Legalisierung des Teufelszeugs?
Die täglich erlebte Realität des Drogen-Alltags unserer Kinder zwang uns zum Nachdenken. Die „Drogenkarriere“ ließ sich von uns nicht aufhalten. Wir erkannten, dass wir unsere 160    Kräfte anders einsetzen mussten. Wir konnten unsere Kinder nicht ändern, aber versuchen, die diskriminierenden Lebensbedingungen zu verbessern zugunsten menschenwürdiger Lebensmöglichkeiten. Wir wollten nicht länger gegen „die“ Drogen kämpfen, was ja hieß, alle Konsumenten illegaler Drogen, somit auch unsere eigenen Kinder, zu bekämpfen. Sie stattdessen in ihrer Sucht anzunehmen und zu helfen, wenn sie es wünschten, machten wir uns zur Aufgabe.

Das bedeutete auch, uns mehr Informationen über Abhängigkeit und Sucht zu beschaffen, die Wirkungsweisen der verschiedenen Drogen zu verstehen und uns auch mit der Geschichte der Drogen in den unterschiedlichen Epochen zu befassen. Wir lernten, dass psychoaktive Substanzen schon seit jeher Wegbegleiter der Menschheit über Jahrhunderte hinweg waren und zeitweise als Allheilmittel galten, aber genauso immer wieder verteufelt wurden – je nachdem, für was, für wen oder wozu es gerade passend war. Aus dem für uns neuen Blickwinkel heraus und mit dem Wissen, dass Cannabis bis ins 20. Jahrhundert gesellschaftlich integriert war, d. h., dass es bis dahin wirtschaftlich, medizinisch und genussorientiert genutzt wurde, entschlossen sich Eltern und Angehörige unseres Landesverbandes NRW im Mai 1997 eine Unterschriftenaktion für die Legalisierung von Cannabis am Hauptbahnhof in Essen durchzuführen. Innerhalb weniger Stunden sammelten sie über 3000 (dreitausend!) Unterschriften hierfür. Die Bildzeitung titelte am 12. Mai 1997: „Freigabe von Hasch – Eltern kämpfen dafür!“. Nach dieser Aktion wurde es etwas ruhiger bezüglich dieser Forderung, denn wir Eltern waren in den Folgejahren stark um das Überleben unserer opiatabhängigen Kinder und Angehörigen bemüht. Die Anzahl der Menschen, die Opfer der repressiven Drogenpolitik wurden, immer mehr verelendeten und starben, wuchs ständig.
Schließlich kamen wir nicht umhin, das Abstinenzparadigma zu hinterfragen. Wie kam es überhaupt dazu? Ein Paradigma ist ein kollektives Denkmodell, eine bestimmte Sache betreffend, das zur Gewohnheit wird und meist von einem ganzen Zeitalter geteilt wird. Es schafft eine gewisse Stabilität, aber auch Bequemlichkeit. So fragt man irgendwann nicht mehr, ob ein Gedanke richtig, nützlich oder hilfreich ist. Es genügt, dass alle es sagen. Die Achtsamkeit ist verschwunden, die Kreativität, anders zu denken, lässt nach. Außerdem ist der Abstinenzgedanke eng verknüpft mit der Prohibition, woraus wiederum die Tendenz entspringt, zu moralisieren und stigmatisieren.
Hier setzte bei uns abermals ein Umdenken ein. Denn etwas musste falsch sein am Abstinenzdogma. Wieso schränkten auch drastische Strafen, ja sogar Inhaftierung, den Konsum der illegalen Drogen nicht ein? Die vielen abgebrochenen Entgiftungen und nicht zu Ende geführten Langzeittherapien vor Augen und unsere inzwischen gewonnenen Kenntnisse veranlassten uns nun, Forderungen nach Konsumräumen, Spritzenvergabe in Haftanstalten, Heroinvergabe und weiteren Überlebenshilfen zu stellen. Heute, im Jahr 2014, sind einige dieser Forderungen erfüllt. So ist es an der Zeit, unsere Legalisierungsbestrebungen wieder nach vorne zu bringen. Unsere Erkenntnisse heute:

Die Trennung in legale / illegale Drogen ist politischer Natur und kulturhistorisch nicht zu begründen. Durch die Illegalisierung und Verbotspolitik entstehen gravierende Probleme. Die Prohibition kann niemals gesondert von den sozialen Begleiterscheinungen gesehen werden:
• Illegalität verhindert realistische Aufklärung, fördert Tabuisierung, hat Unwissenheit, Ignoranz und Diskriminierung zur Folge.
• Illegalität hat Beschaffungskriminalität und somit die Kriminalisierung der Konsumenten zur Folge, einhergehend mit immens hohen Kosten für die Strafverfolgungsbehörden bzw. für unsere Gesellschaft.
• Illegalität hat die Bildung mafioser, gefährlicher Strukturen zur Folge.
• Illegalität bietet keinerlei Sicherheiten bezüglich der Reinheit der Substanzen.
• Illegalität begünstigt Übertragung und Ausbreitung von Krankheiten wie Aids und Hepatitis. Illegalität und drastische Strafen schränken den Konsum kaum ein.

Eine Legalisierung hingegen würde unserer Meinung nach die oben aufgeführten Auswirkungen umkehren. Den letztgenannten Punkt betreffend: Die Anzahl der Drogengebraucher würde durch die Legalisierung kaum steigen! Die Erfahrungen in anderen Ländern zeigen das eindeutig und können dieses Argument der Legalisierungsgegner entkräften.
Unsere Vorstellungen von der Aufhebung der Prohibition haben wir festgehalten in einem Grundlagenpapier. Zu beachten ist, dass wir, gemäß unseren Erfahrungen und des jeweiligen Suchtpotenzials, unterschiedliche Vorgehensweisen bei Heroin und Cannabis gewählt haben.

Grundlagenpapier zur Legalisierung illegalisierter Drogen
1. Straffreiheit für den Besitz illegalisierter Drogen. Neben dem bereits straffreien Konsum illegalisierter Drogen soll auch der Besitz und Erwerb zum Eigenverbrauch straffrei sein.
2. Kontrollierte Vergabe von Originalsubstanzen an Drogengebraucher/innen. Substituierte, deren medizinische Behandlungen sich mit L-Polamidon bzw. Methadon und ähnlichen Produkten als erfolglos herausstellen, sollen die Möglichkeit bekommen, über eine kontrollierte Vergabe den Originalstoff zu erhalten. Die flächendeckende kontrollierte Vergabe von Heroin an Drogengebraucher/-innen soll nur über Ärzte und Apotheken erfolgen.
3. Kauf und Verkauf von Cannabis Kauf und Verkauf von Cannabis soll in Coffeeshop ähnlichen Geschäften wie z. B. in den Niederlanden mit geschultem Personal (Drogenfachkräfte) und der entsprechenden gewerblichen Lizenz erfolgen. Aufklärung und Beratung sollen über Drogenfachkräfte zwingend gewährleistet sein. Einschränkungen ergeben sich grundsätzlich aus dem Jugendschutzgesetz (Alter 16 Jahre) und der Straßenverkehrsordnung (Fahren ohne Drogeneinfluss) und dem Eigentumbzw. Hausrecht in dem Sinne, dass der Konsum nur dort erlaubt ist, wo die Rechte Dritter nicht berührt werden.
4. Werbung Allgemeines Werbeverbot für alle Drogen.
5. Qualitätsüberwachung Zum Schutz der Drogengebraucher/-innen soll durch die Lebensmittelüberwachung der Reinheitsgrad und die Qualität von Drogen sichergestellt werden.
6. Produkthaftung Bei fehlerhafter Herstellung und Verunreinigung der Produkte soll der Hersteller wie üblich haftbar gemacht werden.
7. Steuern Die aus dem Verkauf von Drogen erhobenen Steuern sollen ausschließlich an Hilfeeinrichtungen und in die Forschung im Drogenbereich fließen.
8. Aufklärung Grundsätzlich soll die allgemeine Aufklärung der Bevölkerung über Drogen und ihre möglichen Auswirkungen schon frühzeitig einsetzen und gesichert sein.

Schlussbemerkungen:
Legalisierung ohne Wenn und Aber! Und wir meinen auch L e g a l i s i e r u n g, nicht Entkriminalisierung. Denn zwangsläufig würde eine Legalisierung aller Drogen ja die Konsumenten tatsächlich ent-kriminalisieren. Der Begriff Entkriminalisierung allein ist für uns nicht aussagekräftig genug, denn er überließe den Ländern wieder Entscheidungsund Handlungsspielräume! Die Forderung nach Legalisierung bedeutet für unsere Gesellschaft letztendlich Kontrolle! Heute bestimmen Kriminelle nicht nur den Preis, sondern auch die Qualität, wer den Stoff verkauft, wohin der Gewinn fließt und an wen verkauft wird. Über die legalen Drogen (Alkohol, Tabletten, Kaffee, Nikotin) bestimmt der Staat bis ins kleinste Detail den Ablauf der Vermarktung. Es ist für uns nicht nachvollziehbar, dass die Politik Verbrechern das Geschäft überlässt und diese ungeschoren bleiben, während die Konsumenten per Gesetz zu Kriminellen gemacht werden. 162    Es wird höchste Zeit, diese Zustände zu ändern. Die Kontrolle aller Drogen gehört in die Hände unseres Staates.

Gleichwohl sind wir uns bewusst, dass es immer Menschen geben wird, die an einer Droge „hängen bleiben“ und süchtig werden. Das ist keine private Angelegenheit, sondern wir sind als Gesellschaft gefordert, die Hintergründe und Dispositionen der Konsumenten zu betrachten, die zu exzessivem Konsum und/oder zur Sucht führen. Und genau dort ansetzen mit Hilfen.
Francis Picabia formulierte den Spruch mit dem wir unsere Ausführungen beenden:

“Der Kopf ist rund, damit das Denken die Richtung ändern kann“.

Erstveröffentlichung: Entkriminalisierung von Drogenkonsumenten-Legalisierung von Drogen (Hg.: Ralf Gerlach, Heino Stöver) – Fachhochschulverlag, Frankfurt. Band 32. Überarbeitete Fassung, April 2014

Legalisierung von unten – Wie die Realität neue Wege in der Drogenpolitik aufzwingt

Von Jonas Schemmel und Werner Graf

Einleitung
Die Diskussion um die Einrichtung legaler Abgabestellen für Cannabis („Coffeeshop“) im Berliner Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg hat in Deutschland und teilweise sogar europaund weltweit für Aufsehen gesorgt. Im Folgenden sollen Hintergrund und Ziel dieser Idee beschrieben sowie die einzelnen Schritte dorthin kurz skizziert werden. Abschließend wird auf die Reaktionen verschiedenster Akteure eingegangen. Insgesamt zeigt sich eine prinzipielle Offenheit für eine progressivere Drogenpolitik in Bevölkerung und Medien sowie breites Interesse an einer differenzierten Debatte. Politische Gegner einer Entkriminalisierung verweisen oft auf rechtlich-formale Hindernisse und diskutieren selten auf politisch-fachlicher Ebene, was den Eindruck einer gewissen argumentativen Hilflosigkeit vermittelt. Der Vorwurf der Verharmlosung des Cannabiskonsums scheint dabei ein letztes Argument zu sein.. Dabei wird auch von Befürwortern einer CannabisEntkriminalisierung stets auf die Risiken hingewiesen, während auf der anderen Seite deren Gegner nicht bereit scheinen, die Schäden durch Strafverfolgung ernst zu nehmen.

Hintergrund und Entstehung – wie kam es zu der Initiative?
Dass auch in einem illegalisierten Markt die Nachfrage das Angebot bestimmt, wurde Sommer 2013 im Görlitzer Park in Kreuzberg immer deutlicher. Obwohl schon immer ein Ort, an dem insbesondere Cannabis gehandelt wurde, hatte es 2013 eine spürbare Zunahme des Drogenhandels im Park gegeben 126 . Immer mehr Händler sprachen teilweise aufdringlich und offensiv Passant/ innen und Parknutzer/innen an. Der Unmut darüber wuchs gerade in Teilen der Anwohnerschaft und selbst zur Zurückhaltung mahnende Stimmen gestanden ein, dass etwas passieren müsse 127 . Kritik und Beschwerden blieben dabei bemerkenswert differenziert: Im Fokus standen vor allem die als Belästigung empfundene Art und Weise des Handels, seine stark gestiegene, nicht mehr tolerierbare Präsenz an den Eingängen des flächenmäßig kleinen Parks sowie die teils abstrakte, teils konkrete Sorge um vermeintlich angesprochene Kinder. Dabei wurde stets Verständnis für die Situation der Händler geäußert, welche zu einem Großteil afrikanische Flüchtlinge waren und sind. 128
Vor allem Medien griffen das Thema während des Sommerlochs dankbar auf und trugen durch teils skandalisierende und überzogene Berichterstattung („Im Görlitzer Park eskaliert die Gewalt“ 129 ) zur Verschärfung des Konflikts und seiner Diskussion über die Bezirksgrenzen hinaus bei 130 . Die Polizei steigerte die Zahl der Razzien und Durchsuchungen und zeigte fast täglich Präsenz im Park. In den ersten drei Quartalen 2013 kam die Polizei auf 113 Einsätze und 7.749 Einsatzstunden 131 . Wie unter einem Brennglas zeigte die Situation im Görlitzer Park die Nutzlosigkeit der Prohibition auf, denn trotz täglicher Polizeikontrollen gab es nicht die geringste Entschärfung; der Handel blieb davon weitestgehend unbeeindruckt 132 . Während der Innensenator die Bemühungen seitens der Polizei betonte, konnte er keine Angaben zur sichergestellten Menge an Drogen, Ergebnissen der Ermittlungsverfahren oder Kosten der Einsätze machen 133 und verstärkte damit den Eindruck der Erfolglosigkeit der polizeilichen Strategie 134 . In dieser medial aufgeheizten Situation und vor dem Hintergrund weitgehend wirkungsloser Razzien schlug der damalige Bezirksbürgermeister von Friedrichshain-Kreuzberg, Franz Schulz, eine legale Verkaufsstelle für Cannabis vor. Sein Ziel: dem Schwarzmarkt das Wasser abgraben 135 . Diese Idee wurde von Anwohner/innen an ihn herangetragen. Unter seiner Nachfolgerin Monika Herrmann, die gleichzeitig Stadträtin für Jugend und Gesundheit ist, wurde diese Idee gemeinsam mit der grünen Fraktion im Bezirksparlament und dem bezirklichen Parteivorstand der Grünen nicht nur aufgenommen, sondern gesundheitsund jugendpolitisch qualifiziert: Auf Antrag der Grünen beauftragte das Bezirksparlament von Friedrichshain-Kreuzberg mit Stimmen der SPD, Linken und Piraten Ende November 2013 die Bezirksbürgermeisterin damit, eine Ausnahmegenehmigung im Sinne von §3 des Betäubungsmittelgesetzes zu stellen, um eine legale, kontrollierte Abgabe von Cannabis am Görlitzer Park sowie an weiteren Stellen in Friedrichshain-Kreuzberg zu ermöglichen 136 . Dies erfordere das Nachweisen eines wissenschaftlichen oder anderen öffentlichen Interesses. Ausdrücklich wird darauf hingewiesen, dass eine kontrollierte Abgabe im Sinne von Prävention, Gesundheitsund Jugendschutz sowie einer frühzeitigeren Erreichbarkeit von Menschen mit problematischen Konsummustern erfolgen müsse.

Rechtliche Möglichkeiten und Schritte zur Realisierung
Die Initiative möchte einen Spielraum nutzen, den das Betäubungsmittelgesetz (BtMG) lässt. In §3 (2) BtMG heißt es, dass „das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte nur ausnahmsweise zu wissenschaftlichen oder anderen im öffentlichen Interesse liegenden Zwecken [eine Ausnahme vom absoluten Verkehrsverbot] erteilen [kann]“. Ziel ist es, eine solche Ausnahmegenehmigung zu erhalten, also Cannabis kontrolliert und legal abgeben und vielleicht sogar produzieren zu dürfen. Dazu muss nicht nur das besagte öffentliche oder andere wissenschaftliche Interesse nachgewiesen, sondern auch die in §5 BtMG definierten Gründe für das Versagen einer Erlaubnis nach §3 BtMG ausgeschlossen werden.

Vorgesehen sind mehrere Fachkonferenzen mit Expert*innen, welche zu spezifischen Fragestellungen tagen sollen, z.B. welche wissenschaftlichen Fragestellungen im Zuge einer kontrollierten Abgabe wie untersucht werden können, wie viele Abgabestellen im Bezirk nötig sein würden, woher das Cannabis bezogen werden könnte etc. Explizit erwünscht ist auch die Einbindung von Anwohner/innen. Wissenschaftliche Fragestellungen könnten sein: Lässt sich mit einer kontrollierten Abgabe ein besserer Jugendschutz durchsetzen? Kann Präventionsarbeit effektiver erfolgen, z.B. durch enge Anbindung bzw. Zusammenarbeit mit einem Träger? Ist ein wirksamer Verbraucher/innenschutz und somit auch ein gezielterer Konsum durch eine legale Abgabe möglich? Wird dem Schwarzmarkt die Nachfrage entzogen?

Am Ende dieses Klärungsprozesses soll ein Antrag auf eine Ausnahmegenehmigung an das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) gestellt werden.

Reaktionen auf die Initiative
Hatte der Vorschlag von Franz Schulz bereits hohe Wellen in der Berliner Presselandschaft geschlagen, eroberte das Thema im Lauf des Spätsommers und Herbstes auch überregionale Medien (ZDF, RTL, Spiegel, Stern, Zeit etc.). Die Antragstellung und –beschließung im Kommunalparlament sorgte für weiteres Medienecho, vom Rolling Stone über Vice bis nach Italien und Spanien. Selbst Radio Moskau und einige brasilianische Journalisten zeigten Interesse. Dabei wich die anfangs eher schlagwort-orientierte Berichterstattung („Coffeeshop in Kreuzberg“) bald einer differenzierteren, in der Expert/innen zu Wort kamen, pro und contra abgewogen und Erfolgschancen bewertet wurden 137 138 . Zusätzlichen Aufwind bekam das Thema durch die Entkriminalisierung in Uruguay sowie im US-Bundesstaat Colorado ab 2014 und durch die Petition von Prof. Dr. Lorenz Böllinger, der gemeinsam mit fast der Hälfte aller deutschen Strafrechtsprofessor*innen den Bundestag auffordert, Cannabis zu entkriminalisieren 139 . Insgesamt kann man feststellen, dass sich gerade vor dem Hintergrund eines immer mehr als gescheitert betrachteten „War on Drugs“, die Entkriminalisierung von Cannabis weltweit als gangbare Option mehr und mehr durchsetzt.

Innerhalb der Anwohnerschaft stieß die Idee auf kritisches Interesse. Schnell zeichnete sich ab, dass dem prinzipiellen Anliegen einer Entkriminalisierung nicht viele entgegen standen. Gegenstand lebhafter Diskussion waren vielmehr Details konkreter Ausgestaltungen, z.B. drohender Drogentourismus, Zukunft der mit Gras handelnden Personen, konkreter Umgang mit der Situation im Park etc.
Träger der Drogen- und Suchtberatung zeigten sich offen für die Diskussion des Projekts und signalisierten teilweise Zustimmung. So sagte Edgar Wiehler von der Kreuzberger Drogenberatungsstelle Misfit in der Berliner Zeitung, er sei „von der Idee begeistert, weil sie der Diskussion eine neue Richtung gibt“ und fordert den Senat auf, die Idee aufzugreifen 140 . Astrid Leicht von fixpunkt e.V. äußerte sich ähnlich positiv 141 . Auffällig dabei ist, dass die Zustimmung dort am größten ist, wo der direkte Kontakt mit konsumierenden Klient/innen besteht. Doch auch in anderen Teilen der Fachwelt stößt die Idee auf Interesse. Prof. Dr. Ulrich Gassner von der Universität Augsburg räumte dem Projekt rechtliche Chancen ein und stellte heraus, dass ein öffentliches Interesse wie im Gesetz gefordert durchaus bestehen könne. Zudem kritisierte er die machtvolle Stellung des BfArM als „Schiedsrichter über wissenschaftliche Wertigkeit“ 142 .

Innerhalb der Politik wurde die Initiative vom konservativen Lager abgelehnt, wobei bemerkenswerterweise vor allem formal und wenig inhaltlich argumentiert wurde. Berlins Gesundheitssenator Czaja (CDU) sagte Anfang November im Berliner Abgeordnetenhaus, erklärte er halte das Vorhaben für unrealistisch und falsch. Es liege kein öffentliches Interesse vor 143 . Ähnlich äußerten sich Justizsenator Heilmann (CDU) und Innen                                                             senator Henkel (CDU), welcher immerhin zugestand, dass Polizeieinsätze das Problem nicht lösen könnten 144 . Auch die Drogenbeauftragte des Landes Berlin, Christine Köhler-Azara, teilt die Skepsis. In einem Interview mit dem Inforadio des RBB am 28.1.2014 145 räumte sie zwar ein, dass es viele Cannabis-User gebe, die „mit ihrem Konsum einigermaßen zurechtkommen“. Das Problem sei allerdings komplex und mit einer Legalisierung nicht zu lösen. Zudem sei ein öffentliches bzw. wissenschaftliches Interesse, wie laut Gesetz erforderlich, nicht ersichtlich. Es sei darüber hinaus zunehmender Drogen-Tourismus zu befürchten. All diesen Äußerungen ist gemein, dass sie sich kaum mit dem Thema selbst auseinandersetzen, nämlich den Auswirkungen der aktuellen Drogenpolitik. Bis auf ein paar Allgemeinplätze wie „Cannabis ist keine harmlose Substanz“ (Heilmann) oder einen eher vagen Verweis auf die Gefahren für Jugendliche wird kaum auf die inhaltlichen, drogenpolitischen Argumente für eine entkriminalisierte Abgabe eingegangen, geschweige denn die aktuelle Situation im Görlitzer Park zur Kenntnis bzw. das Interesse der Anwohner/innen ernst genommen. Insbesondere ist auffällig, dass keine Alternativvorschläge zur Lösung des Problems vorgebracht werden (können). Der Eindruck, der so entsteht, ist der einer defensiven, wenig fachlichen Herangehensweise an die Auswirkungen der aktuellen Drogenpolitik seitens konservativer Politiker/ innen, welche mitunter hilflos und ideologisch wirkt.

Ein vorgebrachter fachlicher Einwand gegen eine Entkriminalisierung betrifft die vermeintliche Signalwirkung einer Entkriminalisierung v.a. auf Jugendliche. So warnte Nicolo Witte von „Keine Macht den Drogen“ vor einem verharmlosenden Signal, weil vermittelt                                                              würde, die Schäden durch Cannabis-Konsum seien nicht so groß wie bisher angenommen 146 . Ebenso wurde vereinzelt stark gemacht, dass man neben Alkohol und Tabak nicht noch eine weitere legale Droge gebrauchen könne. Dabei wird jedoch vergessen, dass gerade die Nebenwirkungen des Verbotes meist größer sind – weder Jugendnoch Verbraucherschutz kann in der Prohibition effektiv betrieben werden, von einer frühzeitigen Aufklärung ganz zu schweigen. Dennoch ist Akteuren wie Herrn Witte zuzugestehen, dass sie Interesse an einer fachlichen Debatte des Vorschlags zeigen, auch wenn das dahinter stehende Ziel einer möglichst abstinenten Gesellschaft fachlich und politisch äußerst diskussionswürdig ist.

Fazit
Die Diskussionen um legale Abgabestellen für Cannabis in Friedrichshain-Kreuzberg haben gezeigt, dass deutschlandweit die Bereitschaft besteht, die Kriminalisierung des Konsums von Cannabis kritisch zu diskutieren, sowohl seitens der Bevölkerung als auch in der Fachwelt. Zudem scheint gesamtgesellschaftlich zumindest ein Problembewusstsein zu existieren, wobei die Gegner einer Entkriminalisierung entweder, so von politischer Seite, defensiv formal und eher inhaltsarm argumentieren oder, vonseiten mancher Verbände, vor der gesellschaftlichen Signalwirkung einer Entkriminalisierung warnen. Hier muss zukünftig insbesondere auf die bisherige Wirkungslosigkeit der Strafverfolgung auf die Konsumprävalenz hingewiesen werden. Der Vorwurf, man wolle Drogenkonsum verharmlosen oder gar bewerben, sollte konsequent ausgeräumt werden. Sinnvoll ist darüber hinaus die Betonung der Präventionsund Jugendschutzbelange des Projekts. Denn eines ist klar: Die Prohibition ist gescheitert und muss endlich auf den Prüfstand.

126 http://www.tagesspiegel.de/berlin/drogenumschlagp latz-in-berlin-kreuzberg-ich-gebe-den-jungs-hier-keineschuld-meinungen-zum-drogenhandel/85250582.html

127 http://www.morgenpost.de/bezirke/friedrichshainkreuzberg/article118399116/Im-Goerlitzer-Park-inKreuzberg-eskaliert-die-Gewalt.html

128 http://www.spiegel.de/spiegel/print/d91768486.html

129 http://www.morgenpost.de/bezirke/friedrichshainkreuzberg/article118399116/Im-Goerlitzer-Park-inKreuzberg-eskaliert-die-Gewalt.html

130 http://www.faz.net/aktuell/gesellschaft/kriminalitaet /drogenhandel-im-goerlitzer-park-ein-spalier-ausdealern-12614165.html

131 http://www.berlin.de/sen/inneres/presse/pressemitt eilungen/2013/pressemitteilung.35844.php

132 http://www.berliner-zeitung.de/polizei/drogen-imgoerlitzer-park-nach-der-razzia-ist-vor-derrazzia,10809296,24922256.html

133 http://dirk-behrendt.net/wpcontent/uploads/2014/01/AnfrageDrogenrazzienGoerli.pdf 134 http://www.taz.de/!131167/

135 http://www.taz.de/1/archiv/digitaz/artikel/?ressort= ba&dig=2013%2F07%2F23%2Fa0123&cHash=c558 2d8acb7744d1fa643b8ed4594042

134 http://www.taz.de/!131167/

136 http://www.berlin.de/ba-friedrichshainkreuzberg/bvvonline/___tmp/tmp/45081036193231637/193231 637/00060396/96.pdf

137 http://www.n-tv.de/politik/Der-Irrweg-derdeutschen-Drogenpolitik-article11907176.html

138 http://www.zeit.de/gesellschaft/201312/coffeeshops-in-berlin

139 http://www.lto.de/recht/hintergruende/h/strafrechtl er-petition-bundestag-cannabis/; siehe auch Böllinger in diesem Band

140 http://www.berliner-zeitung.de/ueber-berlinreden/drogenberatung-misfit-die-drogen-derkreativen-in-berlin,20812554,25863594.html

141 http://www.berliner-zeitung.de/berlin/goerlitzerpark-kreuzberg-coffeeshop—einen-versuch-ist-eswert,10809148,25468494.html

142 http://www.lto.de/recht/hintergruende/h/cannabismarihuana-berlin-coffeeshop-kreuzberg/2/

143 http://www.rbbonline.de/politik/beitrag/2013/11/bezirk-und-senatstreiten-um-coffeeshop-in-kreuzberg.html

144 http://www.berlin.de/sen/inneres/presse/pressemitt eilungen/2013/pressemitteilung.35844.php

145 http://www.rbbonline.de/politik/beitrag/2014/01/coffeeshopgoerlitzer-park-berlin-drogenbeauftragte-koehlerazara.html

146 http://www.sueddeutsche.de/panorama/drogenums chlagplatz-goerlitzer-park-coffeeshop-fuer-diewissenschaft-1.1831530