Von Heino Stöver und Dirk Schäffer
Das in Deutschland seit den 70er Jahren des letzten Jahrhunderts auf dem Schwarzmarkt erhältliche Heroin wird üblicherweise in einer mittleren oder schlechten Qualität (5-30% Wirkstoffgehalt) angeboten. Der geringe Wirkstoffgehalt und der hohe Preis bildeten – neben kulturellen Einflüssen 74 – die Grundlage dafür, dass der intravenöse Konsum in Deutschland zur gebräuchlichsten Konsumform für Heroin avancierte. Als wesentliche negative Folgen sind in diesem Zusammenhang nachhaltige Schädigungen der Blutgefäße, Venenerkrankungen, die Gefahr einer Überdosierung sowie die Übertragung von Krankheiten wie Hepatitis und HIV zu nennen. In den Jahren 1982 bis 1986 wurde in Studien in Berlin und Frankfurt ein starker Anstieg der HIV-Infektionsraten bei injizierenden Drogengebrauchern festgestellt (1982=18%, 1984=28%, 1986= 37% 75 . Durch die Implementierung von flächendeckenden Angeboten des Spritzentausches, dem Ausbau der Substitutionsbehandlung, und des niedrigschwelligen Hilfesystems mit Drogenkonsumräumen und Kontaktstellen, sowie medialer Angebote der Prävention liegt die aktuelle HIV-Prävalenz bei injizierenden DrogengebraucherInnen bei 1,6% in Köln und 9,1% in Frankfurt 76.
Veränderungen hinsichtlich der Applikationsformen werden im Bericht der Deutschen Beobachtungsstelle für Drogen und Drogensucht (DBDD) abgebildet. Während der Bericht des Jahres 2009 der DBDD 77 sowie der Drogen und Suchtbericht der Bundesregierung für den Zeitraum 2005 – 2009 78 einen leichten, aber kontinuierlichen Anstieg des inhalativen Konsums zu Ungunsten des intravenösen Konsums auswiesen, hat sich dieser Trend aktuell nicht mehr fortgesetzt. Der Anteil derjenigen, die Heroin rauchen, blieb im Vergleich zum Vorjahr quasi unverändert (2011: 27,0 %; 2010: 26,8 %).
Hingegen stieg der intravenöse Konsum wieder leicht an (2011: 58,9 %; 2010: 57,8 %) 79 .Trotz regionaler und einrichtungsspezifischer Unterschiede bestätigen die Rückmeldungen aus Drogenkonsumräumen insgesamt einen Anstieg des inhalativen Konsums während der letzten Jahre (z.B. die Aids-Hilfe Dortmund, Drogenkonsumraum Kick).
Vorliegende Daten und Praxiserfahrungen geben Hinweise darauf, dass das Risiko einer unbeabsichtigten Überdosierung beim Rauchen von Heroin, im Gegensatz zum Spritzen von Stoff unbekannten Reinheitsgehaltes, wesentlich herabgesetzt wird. Darüber hinaus ist das Risiko, sich über Blutkontakte mit HIV, Hepatitis B oder C zu infizieren, beim Folierauchen erheblich geringer als beim intravenösen Konsum. Trotz der erheblichen Belastungen von Lunge und Atemwegen durch den Rauchkonsum, kann der inhalative Konsum – gemessen an den Indikatoren ‚Überdosierung’ und ‚virale Infektionen’ – als deutlich weniger riskant eingestuft werden 80.
Die Ziele des Projekts „SMOKE IT“
Das Projekt „SMOKE-IT!“ hatte zum Ziel zu überprüfen, inwieweit durch die Bereitstellung neuer Konsumutensilien, wie z.B. Folien (bereits geschnitten, unbeschichtet, dicker und somit reißfester und mehrfach verwendbar), Röhrchen, sowie begleitender medialer Angebote (Flyer, Poster, Postkarten) die Änderungsbereitschaft von i.v. Konsumenten von intravenös zu inhalativ unterstützt werden kann.
Mit dieser Studie wurde in Deutschland erstmals eine valide Grundlage geschaffen, die die Wirksamkeit einer zielgerichteten Ansprache zum Wechsel der Applikationsform unter Einbeziehung neuer Konsumutensilien darstellt.
Methoden
Die Datenerhebung erfolgte mithilfe eines schriftlichen Fragebogens. Sowohl die Medien (Poster, Flyer, Postkarte), als auch ausschließlich für den inhalativen Heroinkonsum hergestellte Rauchfolien, sowie Klarsichtbeutel, die als Behältnis dienten, um den Heroinkonsumenten alle Bestandteile des SMOKEIT!-Packs aushändigen zu können, wurden an die teilnehmenden Einrichtungen abgegeben. Zudem wurde den Teilnehmenden eine unterschiedliche Anzahl von Rauchfolien ausgehändigt, die ausreichten, um nach Anleitung ein Rauchröhrchen zu erstellen sowie mehrfach die SMOKE-IT-Folien zu nutzen.
Somit konnte die Studie wie geplant am 1. April 2012 beginnen. Der Fragebogen wurde zu drei verschiedenen Zeitpunkten von den befragten Heroinkonsumenten ausgefüllt. Teil 1 unmittelbar nach der Rekrutierung der Studienteilnehmer (T1). Teil 2 nach dem FolieRauchen im Konsumraum oder nach der Wiederkehr in die Einrichtung (T2) Teil 3 frühestens 30 Tage nach der Befragung T2 (T3),
Die Ansprache potentieller Studienteilnehmer erfolgte durch die Mitarbeiter der Konsumräume. „SMOKE-IT!“ wurde als multizentrische Studie, die in Drogenkonsumräumen der Städte Frankfurt – „La Strada“ (AIDS-Hilfe Frankfurt) und „Niddastr. 49“ (Integrative Drogenhilfe) –, Berlin – „SKA“ (Fixpunkt) –, Dortmund – „KICK“ (aidshilfe dortmund) –, Hamburg – „ragazza“ (RAGAZZA) – und Bielefeld – Drogenberatung – durchgeführt:
Insgesamt sind bis zum Ende der quantitativen Studie (15.8.2012) 177 Fragebögen ausgefüllt worden. 12 Personen lehnten das Angebot des Erhalts eines SMOKE-IT!-Packs ab. Von den verbleibenden 165 Befragten konnten 141 zum Zeitpunkt T2 wiederbefragt werden. Dies entspricht einer Wiedererreichungsquote von 85,5%. An der letzten Befragung zum Zeitpunkt T3 nahmen noch 89 Personen teil (Wiedererreichungsquote in Bezug auf T1: 54,0%).
Ergebnisse
Aus Tabelle 1 lässt sich entnehmen, dass die Befragten überwiegend männlichen Geschlechts (77,0%) und im Mittel 34,7 Jahre alt sind.
Die Studienteilnehmer sind zu T1 im Mittel 34,7 Jahre alt und zu T2 und T3 nur unwesentlich jünger.
Die Studienteilnehmer konsumieren im Mittel seit 13,3 Jahren Heroin. Der intravenöse Heroinkonsum ist mit 70,9% unter den Studienteilnehmern sehr weit verbreitet. Im Mittel wird dieser seit 10,4 Jahren praktiziert. Bis auf sehr wenige Ausnahmen verfügen die befragten Heroinkonsumenten im Mittel seit 11,1 Jahren über Erfahrungen mit dem inhalativen Konsum opiathaltiger Substanzen (96,8%).Das heißt, der weit überwiegende Teil der Personen, die ein SMOKE-IT!-Pack erhalten haben, ist mit dieser Applikationsform bereits vertraut.
Tabelle 1 : Charakteristika der befragten Personen nach Befragungszeitpunkt (Anmerkung: Für Tabelle siehe pdf. Datei)
Zwei Drittel der TeilnehmerInnen rauchten anstatt zu injizieren
Die letzte Zeile der Tabelle 2 macht deutlich, dass zwei Drittel der Stichprobe (65,3%) die SMOKE-IT!-Folien für den Konsum des Opiats nutzten, statt zu injizieren. Die Tatsache, dass die Prävalenz des Rauchkonsums bei den StudienteilnehmerInnen bereits vor der Studie sehr hoch war, ist für dieses beeindruckende Ergebnis unerheblich. Die TeilnehmerInnen 106 wurden explizit gefragt, ob sie Opiate inhalativ konsumiert haben anstatt sie zu injizieren.
Geringes Risiko für Überdosierungen, HIV und Hepatitis – Hauptgründe für den Wechsel der Konsumform
Zum Abschluss der Befragung T2 sind die Studienteilnehmer gebeten worden anzugeben, warum sie das Rauchen von Heroin mithilfe von Folien praktizieren. Fast sechs von zehn (58,9%) geben als Grund an, dass diese Form des Konsums gesünder sei als das Injizieren. Ebenfalls fast die Hälfte der Befragten (49,1%) benennt Neugier als Grund für das Folie-Rauchen; Mit Blick auf die Alterskategorien sind es vor allem die jüngeren Heroinkonsumenten, die dem Folierauchen mit Neugier begegnen (62,5%).
Für etwa ein Drittel der befragten Konsumraumbesucher (35,7%) ist das geringere Risiko einer Ansteckung mit Krankheiten wie Hepatitis oder Aids von besonderer Bedeutung.
Ein Drittel der Befragten gebraucht Rauchfolien, um auf diesem Wege der Gefahr einer Überdosierung zu entgehen.
Drogengebraucher würden SMOKE-IT!Folien käuflich erwerben – wenn sie erhältlich wären (T3)
Die StudienteilnehmerInnen wurden gebeten anzugeben, wie hoch der Anteil des Rauchens an allen Heroinkonsumvorgängen war. Etwas mehr als ein Viertel (26,9% S) praktiziert ausschließlich diese Applikationsform. Es wird deutlich, dass der Anteil derer, die mehr als drei Viertel ihrer Konsumvorgänge in Form des Folierauchens praktizieren, mit dem Lebensalter stetig ansteigt. Vier Fünftel aller Befragten geben an, dass sie die SMOKE-IT!Folien auch zukünftig nutzen würden, sofern ein entsprechendes Angebot verfügbar wäre. Etwas weniger als 60% der Studienteilnehmer wären bereit, die Folien auch käuflich zu erwerben;
Die SMOKE-IT! Folien können bei einem nicht unerheblichen Teil der KonsumraumnutzerInnen zu einer Verringerung des intravenösen Konsums beitragen. Etwas mehr als die Hälfte der Befragten gibt an, das Folierauchen statt des i.v.-Konsums praktiziert zu haben. Werden die Studienteilnehmer nach den Altersgruppen unterschieden, so sind es insbesondere die Älteren, die mit einem Anteil von 63,6% von einem veränderten Applikationsverhalten berichten. In der jüngsten Altersgruppe liegt der entsprechende Anteil zehn Prozentpunkte darunter. Der geringste Effekt zeigt sich bei den 30 bis 39Jährigen; 46,3% inhalierten das Heroin, statt es intravenös zu applizieren.
Schlussfolgerungen Die Studienergebnisse machen deutlich, dass mit der Einführung neuer und hochwertiger Präventionsutensilien sowie begleitenden medialen und personalen Interventionen OpiatkonsumentInnen zur Reduktion des intravenösen Konsums zugunsten des weniger riskanten inhalativen Konsums motiviert werden können. Trotz des hohen Anteils von Opiatkonsumierenden, die bereits zum Zeitpunkt der Studie regelmäßig Opiate rauchten, zeigen die Ergebnisse, dass lediglich ein Viertel ausschließlich diese Konsumform wählt. In der Studienkohorte zeigten insbesondere junge KonsumentInnen (bis 29 Jahre) ein großes Interesse am inhalativen Konsum. Viele StudienteilnehmerInnen verbanden mit der Einführung der Rauchfolien auch eine wertschätzende Haltung der MitarbeiterInnen.
Im Resümee kann Einrichtungen, die bisher ausschließlich Angebote des Spritzentauschs vorhalten, nur empfohlen werden, ihr Angebot um die Abgabe von Rauchfolie inklusive begleitender medialer Informationen zu ergänzen. Hierbei sollte die Abgabe von Rauchfolien ebenso wie die Abgabe von Konsumutensilien zum intravenösen Konsum möglichst kostenfrei sein. Zwar zeigen die Studienergebnisse, dass ein recht hoher Prozentsatz SMOKE-IT!-Folien auch käuflich erwerben würde, aber um die Motivation der Inanspruchnahme zu erhöhen, ist sicher eine kostenfreie Abgabe zu präferieren. Um die Nutzer der Einrichtungen auf dieses neue Harm-Reduction-Angebot aufmerksam zu machen, gilt es insbesondere auf die Neuheit und Hochwertigkeit der SMOKE-IT!-Folien hinzuweisen. Bereits in der Vergangenheit wurde bei vergleichbaren Modellprojekten deutlich, dass solche Angebote keine Selbstläufer sind, sondern nur mit einem hohen Engagement der MitarbeiterInnen ihre gesundheitsfördernden Effekte entfalten können. Mit besonderen Wochenoder Monatsthemen kann das Interesse der Drogenkonsumenten auf bestimmte Inhalte und Themen gerichtet werden. Empfohlen wird daher u.a. eine „SMOKE-IT!-Woche“ anzubieten, die von verschiedenen Aktivitäten bzw. Maßnahmen begleitet wird:
‐ Videofilme mit Inhalten zum Thema Safer Use (Schwerpunkt: inhalativer Konsum)
‐ Rauchtrainings, gemeinsamer Pfeifenbzw. Röhrchenbau (auch wenn viele Konsumenten Erfahrungen mit dem inhalativen Konsum haben, kann durch Angebote des gemeinsamen Röhrchenbaus bzw. von Safer Smoke Trainings das Interesse gesteigert werden).
‐ Angebot von SMOKE IT!-Packs. Die vorliegende Studie konnte deutlich machen, dass von der Abgabe von Komplettsortimenten (SMOKE-IT!-PACKS) auch ein Signal der Wertschätzung ausgeht. Dies führte dazu, dass Nutzer der Einrichtung sich für das neue Angebot interessierten.
‐ Durch die Bereitstellung von medialen Informationen, die in den Besitz der Konsumenten übergehen, wie z.B. Flyer, Karten mit Fotos zur Rauchanleitung 81 etc., kann die Inanspruchnahme des neuen Angebots erhöht werden. Die Studie zeigt, dass ein sehr hoher Prozentsatz derjenigen denen SMOKE-IT! PACKS ausgehändigt wurden, diese auch nutzten. Das Anbringen von Postern als „Eyecatcher“ kann die Aufmerksamkeit für das neue Angebot ebenfalls erhöhen.
‐ In Deutschland werden jährlich ca. 400.000 Schachteln 82 mit unterschiedlichen Sortimenten zum intravenösen Konsum über Automaten verkauft. Um die anonyme Verfügbarkeit von Rauchutensilien in der Nacht, am Wochenende und an Feiertagen sicherzustellen, könnten Automaten um „SAFERSMOKE-Packs“ ergänzt werden.
Aus der Vor-Ort-Arbeit wird der relativ hohe Preis einer Rauchfolie (4 Eurocent) als Hürde für die Einführung von Rauchfolien genannt. Bei genauer Betrachtung zeigt sich allerdings, dass die Abgabe eines Safer-Use-Komplettsortiments zum intravenösen Konsum, bestehend aus Spritze, 2 Nadeln, Filter, Stericup, Ascorbinsäure und Wasserampulle, ca. 50 Eurocent kostet. Die Bereitstellung eines Safer-Use-Komplettsortiments zum inhalativen Konsum, bestehend aus 2 Rauchfolien (eine Folie zur Erstellung eines Röhrchens, eine Folie zum Erhitzen des Heroins), kostet hingegen nur 8 Cent, also weniger als ein Fünftel des Preises für den intravenösen Konsum. Die Einführung von Rauchfolien kann also neben infektionsprophylaktischen und gesundheitsschützenden Vorteilen auch zur Kostenreduktion beitragen.
Tabelle 2: Gebrauch und Beurteilung der SMOKE-IT! Folien ((Anmerkung: Für Tabelle siehe pdf. Datei)
74 Vgl. Brink, W.v.d. Treatment of Heroin Addiction in The Netherlands, Presentation on the Sixth Interdisciplinary Substitution Treatment Symposium. Montreal, 30 November – 1 December 2006 Amsterdam Institute for Addiction Research
75 Kleiber D, Stark K. (1991): AIDS und HIV-Infektion bei intravenös Drogenabhängigen in der Bundesrepublik Deutschland. In: Deutsche Medizinische Wochenschrift 116, 863-869
76 RKI (2013): DRUCK-Studie − Drogen und chronische Infektionskrankheiten. Infektionsund Verhaltenssurvey bei i.v.-Drogengebraucher/innen in Deutschland.
http://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/H/HIVAIDS/Stu dien/DruckStudie.html
77 DBDD (2009). Bericht 2009 des nationalen REITOX-Knotenpunkts an die EBDD DEUTSCHLAND. Neue Entwicklungen, Trends und Hintergrundinformationen zu Schwerpunktthemen. Drogensituation 2009. München.
78 Die Drogenbeauftragte der Bundesregierung (2013): Drogenund Suchtbericht 2013. Berlin
79 Bericht 2012 des nationalen REITOX-Knotenpunkts an die EBDD
80 vgl. Chandler M, Bridge J, Boid A, Wilks H (2008): The Provision of Foil in Needle and Syringe Programmes in the UK. London: National Needle
Exchange Forum; Pizzey R, Hunt N (2008): Distributing foil from needle and syringe programmes (NSPs) to promote transitions from heroin injecting to chasing. In: Harm Reduction Journal, 5:24
81 Über die Deutsche AIDS-Hilfe kostenfrei erhältlich.
82 vgl. Drogenbeauftragte 2013, a.a.O.