Archiv der Kategorie: C 2.1 Behandlung, Versorgung, Schadensminderung – Beispiele Guter Praxis

JES

Von Marco Jesse

Die positiven Effekte der Selbsthilfe im Drogenbereich sind seit Jahren bekannt und akzeptiert. Eine deutliche Stärkung im Wunsch nach Konsumkontrolle oder Abstinenz ist hier ebenso zu nennen wie Verbesserungen des physischen und psychischen Zustandes.
Der Drogenselbsthilfeverband „JES Junkies, Ehemalige und Substituierte“ vereint landesweite Zusammenschlüsse, verschiedene regionale Gruppen und Einzelaktivisten zu einem einmaligen Netzwerk. Bestimmte Zielgruppen werden durch JES wesentlich besser erreicht als über sonstige Zugangswege, was aus dem Blickwinkel der Schadensminimierung und der HIVund HepatitisPrävention von besonderem Wert ist. Die eigentliche Besonderheit dieses Selbsthilfezusammenschlusses ist jedoch der Respekt vor jeglicher Entscheidung des Einzelnen – auch der Entscheidung, mit Drogen leben zu wollen. Die Bereitschaft, Drogenkonsum als Teil des Lebensstils mit allen daraus folgenden Konsequenzen zu akzeptieren und dafür einzutreten, dass die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen dem nicht entgegenstehen, ist ein wesentliches Charakteristikum von JES. Das Recht auf Selbstverwirklichung (bis hin zur Selbstschädigung) ist einer unserer gesellschaftlichen Grundbausteine.

Daraus folgt für JES ein klarer Auftrag: Es gilt den gesetzlichen und gesellschaftlichen Rahmen so zu gestalten, dass der Konsum psychoaktiver Substanzen kontrolliert möglich ist. Konkret bedeutet dies die Abschaffung der strafrechtlich relevanten Anteile des BtmG zugunsten einer Regulierung über die „normalen“ Wege des Verbraucherschutzes, der Gesundheitsfürsorge, der Straßenverkehrsordnung usw., usw. Derartige Forderungen finden sich in keiner anderen drogenbezogenen Selbsthilfe. Betrachtet man die deutsche Realität, könnte der Eindruck entstehen, dass die Einbeziehung von Betroffenenkompetenz an diesen Stellen nach wie vor eine „Feigenblattfunktion“ hat. Obwohl der JES-Bundesverband die Qualität und Konstanz seiner Arbeit über nahezu ein Vierteljahrhundert unter Beweis gestellt hat und so mit einzelnen Projekten auch Erwähnung im Drogenund Suchtbericht der Bundesregierung fand, ist es bisher nicht gelungen, die Arbeit des Bundesverbands personell und strukturell abzusichern. Öffnet man den Blick und schaut über die Grenzen Deutschlands hinaus, wird ein weiteres Mal deutlich, dass eine stabile Unterstützung von JES sinnvoll ist. . Angesichts dessen, dass Deutschland eine zentrale Rolle in der europäischen Politik zukommt, muss sich Deutschland auch daran beteiligen, europaweite Selbsthilfestrukturen zu entwickeln und zu fördern. Hierfür wiederum ist eine aktive und starke Selbsthilfe im Land unerlässlich und die gibt es nicht zum Nulltarif.

Die Chancen, die sich durch eine enge Einbeziehung von akzeptierender Selbsthilfe ergeben, sind die Bemühungen wert. Es ist noch ein weiter Weg zurückzulegen bis hin zu einer grundsätzlich anderen Drogenpolitik ohne Abstinenzparadigma und ein noch weiterer Weg hin zu einer gesellschaftlichen Akzeptanz von Drogenkonsum.
Eine Vielzahl von Themenfeldern kann auf diesem Weg von den Sichtweisen der Betroffenen profitieren. So konnten Defizite in der Substitutionsbehandlung frühzeitig identifiziert und angegangen werden. Über Befragungen der JES-Mitglieder und ihres Umfelds, ergänzt durch Erfahrungsberichte der Patienten, konnten fehlende Behandlungszugänge ebenso erkannt werden, wie Herausforderungen in anderen Bereichen. Die erlangten Erkenntnisse fanden z.B. Berücksichtigung bei der Gestaltung einer (europäischen) Internetseite zur Substitutionsbehandlung (http://meinebehandlungmeinewahl.eu/).
Dort können sich Opiatabhängige aus allen beteiligten Ländern über die Behandlungszugänge und -konditionen in ihrem Land umfassend und neutral informieren. Die Seite stellt so eine unmittelbare Hilfe für die Betroffenen dar.  Ähnliches gilt für die Therapie der chronischen Hepatitis C. Auch hier bietet der unmittelbare Kontakt zu den Usern die Möglichkeit, Präventionskonzepte zu entwickeln und/oder zu verbessern. Besonders problematisch ist hier das völlige Fehlen jeglicher Instrumente zur Schadensminimierung in den bundesdeutschen Haftanstalten. Diese Versorgungslücke öffnet (Re-)Infektionen Tür und Tor. Vor dem Hintergrund, dass die Therapiemöglichkeiten sich in den letzten 2-3 Jahren erheblich verbessert haben, ist dies ein geradezu skandalöser Zustand. Heute ist es möglich, mit den zur Verfügung stehenden Kombinationstherapien Heilungsquoten von über 75% zu erreichen. Die Behandlungen sind aber mit erheblichen Kosten verbunden und für die Patienten extrem anstrengend. Umso wichtiger ist es daher, Reinfektionen zu vermeiden. Spritzentauschangebote in den Vollzugsanstalten wären hierzu eine ideale Voraussetzung. Nicht nur diese praktischen Felder bedürfen der Aufmerksamkeit – auch der alltäglichen Stigmatisierung von Drogengebrauchern tritt JES mit seiner Arbeit entgegen. Deren Folgen für den Einzelnen sind massiv und führen direkt in die soziale Isolation. Die permanente Diffamierung von Menschen als defizitär und krank widerspricht dem Recht auf Menschenwürde und bildet bei weitem nicht die Realität ab. Im Gegenteil, sie resultiert aus der Fokussierung auf jenen Teil der Drogen gebrauchenden Menschen, die (zu bestimmten Zeitpunkten) Unterstützung und Hilfe bedürfen.

Genauso dramatisch ist dieser allgemeine Umgang mit dem Thema Drogengebrauch für die präventive Arbeit. Dies erschwert die Zugänge und fördert den Konsum und das „Ausprobieren“ auf eigene Faust und im Geheimen.
So bleiben für die akzeptierende Drogenselbsthilfe „JES Junkies, Ehemalige und Substituierte“ auch in den kommenden Jahren mehr als genug Herausforderungen zu bewältigen. Die Unterstützung und Wertschätzung dieses Einsatzes auf der politischen Ebene wäre ein Schritt in die richtige Richtung.

SMOKE-IT! – Unterstützung zur Veränderung der Drogenapplikationsform (von intravenös zu inhalativ)

Von Heino Stöver und Dirk Schäffer

Das in Deutschland seit den 70er Jahren des letzten Jahrhunderts auf dem Schwarzmarkt erhältliche Heroin wird üblicherweise in einer mittleren oder schlechten Qualität (5-30% Wirkstoffgehalt) angeboten. Der geringe Wirkstoffgehalt und der hohe Preis bildeten – neben kulturellen Einflüssen 74 – die Grundlage dafür, dass der intravenöse Konsum in Deutschland zur gebräuchlichsten Konsumform für Heroin avancierte. Als wesentliche negative Folgen sind in diesem Zusammenhang nachhaltige Schädigungen der Blutgefäße, Venenerkrankungen, die Gefahr einer Überdosierung sowie die Übertragung von Krankheiten wie Hepatitis und HIV zu nennen. In den Jahren 1982 bis 1986 wurde in Studien in Berlin und Frankfurt ein starker Anstieg der HIV-Infektionsraten bei injizierenden Drogengebrauchern festgestellt (1982=18%, 1984=28%, 1986= 37% 75 . Durch die Implementierung von flächendeckenden Angeboten des Spritzentausches, dem Ausbau der Substitutionsbehandlung, und des niedrigschwelligen Hilfesystems mit Drogenkonsumräumen und Kontaktstellen, sowie medialer Angebote der Prävention liegt die aktuelle HIV-Prävalenz bei injizierenden DrogengebraucherInnen bei 1,6% in Köln und 9,1% in Frankfurt 76.
Veränderungen hinsichtlich der Applikationsformen werden im Bericht der Deutschen Beobachtungsstelle für Drogen und Drogensucht (DBDD) abgebildet. Während der Bericht des Jahres 2009 der DBDD 77 sowie der Drogen und Suchtbericht der Bundesregierung für den Zeitraum 2005 – 2009 78 einen leichten, aber kontinuierlichen Anstieg des inhalativen Konsums zu Ungunsten des intravenösen Konsums auswiesen, hat sich dieser Trend aktuell nicht mehr fortgesetzt. Der Anteil derjenigen, die Heroin rauchen, blieb im Vergleich zum Vorjahr quasi unverändert (2011: 27,0 %; 2010: 26,8 %).
Hingegen stieg der intravenöse Konsum wieder leicht an (2011: 58,9 %; 2010: 57,8 %) 79 .Trotz regionaler und einrichtungsspezifischer Unterschiede bestätigen die Rückmeldungen aus Drogenkonsumräumen insgesamt einen Anstieg des inhalativen Konsums während der letzten Jahre (z.B. die Aids-Hilfe Dortmund, Drogenkonsumraum Kick).

Vorliegende Daten und Praxiserfahrungen geben Hinweise darauf, dass das Risiko einer unbeabsichtigten Überdosierung beim Rauchen von Heroin, im Gegensatz zum Spritzen von Stoff unbekannten Reinheitsgehaltes, wesentlich herabgesetzt wird. Darüber hinaus ist das Risiko, sich über Blutkontakte mit HIV, Hepatitis B oder C zu infizieren, beim Folierauchen erheblich geringer als beim intravenösen Konsum. Trotz der erheblichen Belastungen von Lunge und Atemwegen durch den Rauchkonsum, kann der inhalative Konsum – gemessen an den Indikatoren ‚Überdosierung’ und ‚virale Infektionen’ – als deutlich weniger riskant eingestuft werden 80.

Die Ziele des Projekts „SMOKE IT“
Das Projekt „SMOKE-IT!“ hatte zum Ziel zu überprüfen, inwieweit durch die Bereitstellung neuer Konsumutensilien, wie z.B. Folien (bereits geschnitten, unbeschichtet, dicker und somit reißfester und mehrfach verwendbar), Röhrchen, sowie begleitender medialer Angebote (Flyer, Poster, Postkarten) die Änderungsbereitschaft von i.v. Konsumenten von intravenös zu inhalativ unterstützt werden kann.
Mit dieser Studie wurde in Deutschland erstmals eine valide Grundlage geschaffen, die die Wirksamkeit einer zielgerichteten Ansprache zum Wechsel der Applikationsform unter Einbeziehung neuer Konsumutensilien darstellt.

Methoden
Die Datenerhebung erfolgte mithilfe eines schriftlichen Fragebogens. Sowohl die Medien (Poster, Flyer, Postkarte), als auch ausschließlich für den inhalativen Heroinkonsum hergestellte Rauchfolien, sowie Klarsichtbeutel, die als Behältnis dienten, um den Heroinkonsumenten alle Bestandteile des SMOKEIT!-Packs aushändigen zu können, wurden an die teilnehmenden Einrichtungen abgegeben. Zudem wurde den Teilnehmenden eine unterschiedliche Anzahl von Rauchfolien ausgehändigt, die ausreichten, um nach Anleitung ein Rauchröhrchen zu erstellen sowie mehrfach die SMOKE-IT-Folien zu nutzen.
Somit konnte die Studie wie geplant am 1. April 2012 beginnen. Der Fragebogen wurde zu drei verschiedenen Zeitpunkten von den befragten Heroinkonsumenten ausgefüllt. Teil 1 unmittelbar nach der Rekrutierung der Studienteilnehmer (T1). Teil 2 nach dem FolieRauchen im Konsumraum oder nach der Wiederkehr in die Einrichtung (T2) Teil 3 frühestens 30 Tage nach der Befragung T2 (T3),
Die Ansprache potentieller Studienteilnehmer erfolgte durch die Mitarbeiter der Konsumräume. „SMOKE-IT!“ wurde als multizentrische Studie, die in Drogenkonsumräumen der Städte Frankfurt – „La Strada“ (AIDS-Hilfe Frankfurt) und „Niddastr. 49“ (Integrative Drogenhilfe) –, Berlin – „SKA“ (Fixpunkt) –, Dortmund – „KICK“ (aidshilfe dortmund) –, Hamburg – „ragazza“ (RAGAZZA) – und Bielefeld – Drogenberatung – durchgeführt:

Insgesamt sind bis zum Ende der quantitativen Studie (15.8.2012) 177 Fragebögen ausgefüllt worden. 12 Personen lehnten das Angebot des Erhalts eines SMOKE-IT!-Packs ab. Von den verbleibenden 165 Befragten konnten 141 zum Zeitpunkt T2 wiederbefragt werden. Dies entspricht einer Wiedererreichungsquote von 85,5%. An der letzten Befragung zum Zeitpunkt T3 nahmen noch 89 Personen teil (Wiedererreichungsquote in Bezug auf T1: 54,0%).

Ergebnisse
Aus Tabelle 1 lässt sich entnehmen, dass die Befragten überwiegend männlichen Geschlechts (77,0%) und im Mittel 34,7 Jahre alt sind.
Die Studienteilnehmer sind zu T1 im Mittel 34,7 Jahre alt und zu T2 und T3 nur unwesentlich jünger.

Die Studienteilnehmer konsumieren im Mittel seit 13,3 Jahren Heroin. Der intravenöse Heroinkonsum ist mit 70,9% unter den Studienteilnehmern sehr weit verbreitet. Im Mittel wird dieser seit 10,4 Jahren praktiziert. Bis auf sehr wenige Ausnahmen verfügen die befragten Heroinkonsumenten im Mittel seit 11,1 Jahren über Erfahrungen mit dem inhalativen Konsum opiathaltiger Substanzen (96,8%).Das heißt, der weit überwiegende Teil der Personen, die ein SMOKE-IT!-Pack erhalten haben, ist mit dieser Applikationsform bereits vertraut.

Tabelle 1 : Charakteristika der befragten Personen nach Befragungszeitpunkt  (Anmerkung: Für Tabelle siehe pdf. Datei)

Zwei Drittel der TeilnehmerInnen rauchten anstatt zu injizieren
Die letzte Zeile der Tabelle 2 macht deutlich, dass zwei Drittel der Stichprobe (65,3%) die SMOKE-IT!-Folien für den Konsum des Opiats nutzten, statt zu injizieren. Die Tatsache, dass die Prävalenz des Rauchkonsums bei den StudienteilnehmerInnen bereits vor der Studie sehr hoch war, ist für dieses beeindruckende Ergebnis unerheblich. Die TeilnehmerInnen 106    wurden explizit gefragt, ob sie Opiate inhalativ konsumiert haben anstatt sie zu injizieren.

Geringes Risiko für Überdosierungen, HIV und Hepatitis – Hauptgründe für den Wechsel der Konsumform
Zum Abschluss der Befragung T2 sind die Studienteilnehmer gebeten worden anzugeben, warum sie das Rauchen von Heroin mithilfe von Folien praktizieren. Fast sechs von zehn (58,9%) geben als Grund an, dass diese Form des Konsums gesünder sei als das Injizieren. Ebenfalls fast die Hälfte der Befragten (49,1%) benennt Neugier als Grund für das Folie-Rauchen; Mit Blick auf die Alterskategorien sind es vor allem die jüngeren Heroinkonsumenten, die dem Folierauchen mit Neugier begegnen (62,5%).
Für etwa ein Drittel der befragten Konsumraumbesucher (35,7%) ist das geringere Risiko einer Ansteckung mit Krankheiten wie Hepatitis oder Aids von besonderer Bedeutung.
Ein Drittel der Befragten gebraucht Rauchfolien, um auf diesem Wege der Gefahr einer Überdosierung zu entgehen.

Drogengebraucher würden SMOKE-IT!Folien käuflich erwerben – wenn sie erhältlich wären (T3)
Die StudienteilnehmerInnen wurden gebeten anzugeben, wie hoch der Anteil des Rauchens an allen Heroinkonsumvorgängen war. Etwas mehr als ein Viertel (26,9% S) praktiziert ausschließlich diese Applikationsform. Es wird deutlich, dass der Anteil derer, die mehr als drei Viertel ihrer Konsumvorgänge in Form des Folierauchens praktizieren, mit dem Lebensalter stetig ansteigt. Vier Fünftel aller Befragten geben an, dass sie die SMOKE-IT!Folien auch zukünftig nutzen würden, sofern ein entsprechendes Angebot verfügbar wäre. Etwas weniger als 60% der Studienteilnehmer wären bereit, die Folien auch käuflich zu erwerben;

Die SMOKE-IT! Folien können bei einem nicht unerheblichen Teil der KonsumraumnutzerInnen zu einer Verringerung des intravenösen Konsums beitragen. Etwas mehr als die Hälfte der Befragten gibt an, das  Folierauchen statt des i.v.-Konsums praktiziert zu haben. Werden die Studienteilnehmer nach den Altersgruppen unterschieden, so sind es insbesondere die Älteren, die mit einem Anteil von 63,6% von einem veränderten Applikationsverhalten berichten. In der jüngsten Altersgruppe liegt der entsprechende Anteil zehn Prozentpunkte darunter. Der geringste Effekt zeigt sich bei den 30 bis 39Jährigen; 46,3% inhalierten das Heroin, statt es intravenös zu applizieren.

Schlussfolgerungen Die Studienergebnisse machen deutlich, dass mit der Einführung neuer und hochwertiger Präventionsutensilien sowie begleitenden medialen und personalen Interventionen OpiatkonsumentInnen zur Reduktion des intravenösen Konsums zugunsten des weniger riskanten inhalativen Konsums motiviert werden können. Trotz des hohen Anteils von Opiatkonsumierenden, die bereits zum Zeitpunkt der Studie regelmäßig Opiate rauchten, zeigen die Ergebnisse, dass lediglich ein Viertel ausschließlich diese Konsumform wählt. In der Studienkohorte zeigten insbesondere junge KonsumentInnen (bis 29 Jahre) ein großes Interesse am inhalativen Konsum. Viele StudienteilnehmerInnen verbanden mit der Einführung der Rauchfolien auch eine wertschätzende Haltung der MitarbeiterInnen.

Im Resümee kann Einrichtungen, die bisher ausschließlich Angebote des Spritzentauschs vorhalten, nur empfohlen werden, ihr Angebot um die Abgabe von Rauchfolie inklusive begleitender medialer Informationen zu ergänzen. Hierbei sollte die Abgabe von Rauchfolien ebenso wie die Abgabe von Konsumutensilien zum intravenösen Konsum möglichst kostenfrei sein. Zwar zeigen die Studienergebnisse, dass ein recht hoher Prozentsatz SMOKE-IT!-Folien auch käuflich erwerben würde, aber um die Motivation der Inanspruchnahme zu erhöhen, ist sicher eine kostenfreie Abgabe zu präferieren. Um die Nutzer der Einrichtungen auf dieses neue Harm-Reduction-Angebot aufmerksam zu machen, gilt es insbesondere auf die Neuheit und Hochwertigkeit der SMOKE-IT!-Folien hinzuweisen. Bereits in der Vergangenheit wurde bei vergleichbaren Modellprojekten deutlich, dass solche Angebote keine Selbstläufer sind, sondern nur mit einem hohen Engagement der MitarbeiterInnen ihre gesundheitsfördernden Effekte entfalten können. Mit besonderen Wochenoder Monatsthemen kann das Interesse der Drogenkonsumenten auf bestimmte Inhalte und Themen gerichtet werden. Empfohlen wird daher u.a. eine „SMOKE-IT!-Woche“ anzubieten, die von verschiedenen Aktivitäten bzw. Maßnahmen begleitet wird:
‐ Videofilme mit Inhalten zum Thema Safer Use (Schwerpunkt: inhalativer Konsum)
‐ Rauchtrainings, gemeinsamer Pfeifenbzw. Röhrchenbau (auch wenn viele Konsumenten Erfahrungen mit dem inhalativen Konsum haben, kann durch Angebote des gemeinsamen Röhrchenbaus bzw. von Safer Smoke Trainings das Interesse gesteigert werden).
‐ Angebot von SMOKE IT!-Packs. Die vorliegende Studie konnte deutlich machen, dass von der Abgabe von Komplettsortimenten (SMOKE-IT!-PACKS) auch ein Signal der Wertschätzung ausgeht. Dies führte dazu, dass Nutzer der Einrichtung sich für das neue Angebot interessierten.
‐ Durch die Bereitstellung von medialen Informationen, die in den Besitz der Konsumenten übergehen, wie z.B. Flyer, Karten mit Fotos zur Rauchanleitung 81 etc., kann die Inanspruchnahme des neuen Angebots erhöht werden. Die Studie zeigt, dass ein sehr hoher Prozentsatz derjenigen denen SMOKE-IT! PACKS ausgehändigt wurden, diese auch nutzten. Das Anbringen von Postern als „Eyecatcher“ kann die Aufmerksamkeit für das neue Angebot ebenfalls erhöhen.
‐ In Deutschland werden jährlich ca. 400.000 Schachteln 82 mit unterschiedlichen Sortimenten zum intravenösen Konsum über Automaten verkauft. Um die anonyme Verfügbarkeit von Rauchutensilien in der Nacht, am Wochenende und an Feiertagen sicherzustellen, könnten Automaten um „SAFERSMOKE-Packs“ ergänzt werden.
Aus der Vor-Ort-Arbeit wird der relativ hohe Preis einer Rauchfolie (4 Eurocent) als Hürde für die Einführung von Rauchfolien genannt. Bei genauer Betrachtung zeigt sich allerdings, dass die Abgabe eines Safer-Use-Komplettsortiments zum intravenösen Konsum, bestehend aus Spritze, 2 Nadeln, Filter, Stericup, Ascorbinsäure und Wasserampulle, ca. 50 Eurocent kostet. Die Bereitstellung eines Safer-Use-Komplettsortiments zum inhalativen Konsum, bestehend aus 2 Rauchfolien (eine Folie zur Erstellung eines Röhrchens, eine Folie zum Erhitzen des Heroins), kostet hingegen nur 8 Cent, also weniger als ein Fünftel des Preises für den intravenösen Konsum. Die Einführung von Rauchfolien kann also neben infektionsprophylaktischen und gesundheitsschützenden Vorteilen auch zur Kostenreduktion beitragen.

Tabelle 2: Gebrauch und Beurteilung der SMOKE-IT! Folien ((Anmerkung: Für Tabelle siehe pdf. Datei)

74 Vgl. Brink, W.v.d. Treatment of Heroin Addiction in The Netherlands, Presentation on the Sixth Interdisciplinary Substitution Treatment Symposium. Montreal, 30 November – 1 December 2006 Amsterdam Institute for Addiction Research
75 Kleiber D, Stark K. (1991): AIDS und HIV-Infektion bei intravenös Drogenabhängigen in der Bundesrepublik Deutschland. In: Deutsche Medizinische Wochenschrift 116, 863-869
76 RKI (2013): DRUCK-Studie − Drogen und chronische Infektionskrankheiten. Infektionsund Verhaltenssurvey bei i.v.-Drogengebraucher/innen in Deutschland.
http://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/H/HIVAIDS/Stu dien/DruckStudie.html
77 DBDD (2009). Bericht 2009 des nationalen REITOX-Knotenpunkts an die EBDD DEUTSCHLAND. Neue Entwicklungen, Trends und Hintergrundinformationen zu Schwerpunktthemen. Drogensituation 2009. München.
78 Die Drogenbeauftragte der Bundesregierung (2013): Drogenund Suchtbericht 2013. Berlin
79 Bericht 2012 des nationalen REITOX-Knotenpunkts an die EBDD
80 vgl. Chandler M, Bridge J, Boid A, Wilks H (2008): The Provision of Foil in Needle and Syringe Programmes in the UK. London: National Needle
Exchange Forum; Pizzey R, Hunt N (2008): Distributing foil from needle and syringe programmes (NSPs) to promote transitions from heroin injecting to chasing. In: Harm Reduction Journal, 5:24
81 Über die Deutsche AIDS-Hilfe kostenfrei erhältlich.
82 vgl. Drogenbeauftragte 2013, a.a.O.

Qualitätsentwicklung in der Konsumutensilien-Vergabe

Von Fixpunkt Verein für suchtbegleitende Hilfen e. V., Berlin, Astrid Leicht

Die Vergabe von Konsumutensilien für Menschen, die injizierbare Drogen konsumieren, gilt bei Fixpunkt als qualifizierte Tätigkeit und wird dementsprechend von Fachpersonal (Sozialarbeiter/innen, Pflegefachkräften) oder entsprechend gut eingearbeiteten Unterstützungskräften geleistet. Die Vergabe ist stets gekoppelt an ein individuell ausgerichtetes Informationsund Bera-tungsangebot zum Safer Use und Safer Sex.

Als Resultat eines mehrjährigen Entwicklungsprozesses hat Fixpunkt in den letzten zwei Jahren die Modalitäten der Konsummaterialvergabe verändert und damit einen „Paradigmenwechsel“ eingeleitet. Basierte in früheren Jahren die Vergabe von sterilen bzw. hygienischen Materialien auf einem mehr oder weniger strikten „Eins-zu-Eins“-Tauschprinzip, eruieren der oder die Kon-sument/in gemeinsam mit dem oder der FixpunktMitarbeiter/in nun den tatsächlichen individuellen Bedarf. Kriterien hierfür sind z. B. die Häufigkeit der Drogenapplikation und die Gewohnheiten bzw. Mög-ichkeiten, sich mit hygienischen bzw. sterilen Utensilien zu versorgen. Thematisiert wird auch die Möglichkeit, sich je nach persönlicher Finanzlage an den Materialkosten zu beteiligen.

Damit Hepatitis C-Infektionen nicht über gebrauchte Filter, Löffel bzw. Pfännchen an andere Konsument/innen weitergegeben werden, sind besonders für diese Utensilien, die normalerweise nicht zum „Spritzentausch“-Programm zählen, bedarfsgerechte Vergabemodalitäten wichtig. Ebenso bedeutsam sind Desinfektionsmittel für Hände und Haut.

Es ist weiterhin möglich, potenziell infektiöse Spritzen und Nadeln in den Fixpunkt-Einrichtungen und –Mobilen zu entsorgen. Zusätzlich sind stichsichere und verschließbare Behältnisse in verschiedenen Größen und Varianten verfügbar, so dass infektiöses Material von den Drogenkonsumierenden sicher an Ort und Stelle entsorgt werden kann und nicht mehr über teilweise weite Strecken transportiert werden muss.
Einen stärkeren Stellenwert als bislang haben solche Konsumutensilien erhalten, die eine nicht-injizierende Drogenapplikation ermöglichen: Sniefröhrchen, Rauchfolien und Zubehör erweitern das Sortiment.

Die bedarfsbezogene Form der Vergabe eröffnet neue Möglichkeiten, mit den Konsument/innen über ihre individuellen Bedürfnisse und Konsumgewohnheiten ins Gespräch zu kommen, genauso wie es die Konsument/innen dazu bewegen kann, sich verstärkt mit ihrem Konsumverhalten und ihren „handwerklichen Kenntnissen und Fähigkeiten“ bei der Drogenapplikation auseinanderzusetzen.

Die bedarfsbezogene Konsumutensilienvergabe kostet mehr Geld als das „1:1“Tauschprinzip. Vor allem Entsorgungsbehältnisse und Desinfektionsmittel sowie Filter, Pfännchen und steriles Wasser sind Kostenfaktoren.

Mit den veränderten Vergabemodalitäten folgt Fixpunkt den Empfehlungen der WHO und EMCDDA. Mit gutem Beispiel geht nun auch die Berliner Landespolitik mit fachlicher Unterstützung durch die Senatsverwaltung für Gesundheit voran. Diese hat einer merklichen Aufstockung von Zuwendungsmitteln zur verbesserten Ausstattung des Konsumutensilienvergabe-Angebots ab dem Jahr 2014 zugestimmt.

Drogenabhängige suchen Kontakt zum normalen Leben – BuddyCare verbindet Menschen und Lebenswelten

Von Sandra Köhler

„Es wäre so schön, mal was anderes zu erleben“ „Manchmal guck’ ich zu, wie die Leute im Straßencafé sitzen und sich einfach miteinander unterhalten. Sie essen Eis oder trinken Kaffee. Das sieht schön aus. So entspannt. So normal.“
Jessica, 32 Jahre alt

„Ich kann mir gar nicht vorstellen, dass jemand freiwillig mit mir ins Kino oder Theater geht. Aber vielleicht habe ich ja Glück.”
Frank, 46 Jahre alt

„Ich weiß eigentlich gar nicht genau, was mir Spaß machen würde. Das hab ich wohl irgendwie verlernt. Ich bin total gespannt, wen und was ich kennenlernen werde.”
Markus, 24 Jahre alt

BuddyCare – Was ist das? Die Integrative Drogenhilfe e.V. in Frankfurt am Main startete BuddyCare im Jahr 2009 als erstes Projekt seiner Art in der Bundesrepublik. Das Konzept basiert auf den Erkenntnissen der in den Niederlanden seit Jahren erfolgreich laufenden Buddy-Projekte. Es ermöglicht regelmäßige Kontakte und Begegnungen zwischen Drogenabhängigen und ganz normalen Menschen.
Schirmherrin von BuddyCare ist Rosemarie Heilig, Dezernentin für Umwelt und Gesundheit der Stadt Frankfurt/M.
Als Projektpatin engagiert sich Steffi Jones, Direktorin für Frauenund Mädchenfußball beim DFB.

Was möchten wir mit BuddyCare bewirken?
– Wir ermöglichen drogenabhängigen Menschen die für sie so wichtigen sozialen   Kontakte außerhalb ihres gewohnten Lebensbereichs und der Drogenszene.
– Wir bieten sozial engagierten Bürgerinnen und Bürgern aus Frankfurt und Umgebung die Gelegenheit, eine sinnvolle ehrenamtliche Tätigkeit zu übernehmen, die mit den eigenen Hobbys und Interessen gut zu verbinden ist.

Warum haben wir BuddyCare entwickelt?
Für drogenabhängige Menschen gibt es vielfältige professionelle Hilfe: z.B. unterschiedliche niedrigschwellige Angebote, Beratungsstellen, Substitutionsprogramme, medizinische und psychosoziale Betreuung, therapeutische Unterstützung. Durch diese Angebote können sich viele Drogenabhängige wieder stabilisieren und neue Lebensperspektiven entwickeln. Die TeilnehmerInnen des BuddyCare-Projekts sind bereits auf einem guten Weg. Sie brauchen aber zusätzlich noch eine ganz andere Art der Unterstützung: Soziale Kontakte außerhalb der Drogenszene und jenseits professioneller Hilfen. Einfach von Mensch zu Mensch. Aber aufgrund ihrer belasteten Vergangenheit und dem jahrelangen Dasein am Rande der Gesellschaft haben sie erhebliche Hemmschwellen und Ängste, selbst auf andere Menschen zuzugehen. Viele haben den Kontakt zu Familie und Freunden verloren. Sie fühlen sich einsam und vom gesellschaftlichen Miteinander isoliert und ausgegrenzt. Dabei wollen sie sehr gerne ein bisschen Normalität erleben, wieder mehr dazugehören. BuddyCare will hier eine soziale Brücke schlagen zwischen Menschen und ihren völlig unterschiedlichen Lebenswelten.

Bei der Begleitung durch einen Buddy steht daher immer „der Mensch“ im Vordergrund des Kontaktes und nicht „der Drogenabhängige“. Ebenbürtigkeit und Geselligkeit stehen an erster Stelle. Die durch BuddyCare entstehenden neuen Kontakte, Erlebnisse und Erkenntnisse schaffen Selbstvertrauen und stärken das Selbstwertgefühl der Drogenabhängigen.

Was ist ein Buddy?
Buddys interessieren sich für drogenabhängige Menschen, sind offen für deren Lebenswelt und für neue Erfahrungen. Ein Buddy ist freiwillig ehrenamtlich tätig und bietet einem drogenabhängigen Menschen für einen bestimmten Zeitraum seine freundschaftliche Begleitung an: soziale, emotionale und praktische Unterstützung. Buddys übernehmen keine sozialarbeiterischen Tätigkeiten für Drogenabhängige, sondern verstehen sich als wertvolle Ergänzung zu professionellen Hilfen. Sie teilen ihre Freizeit für einige Stunden mit den TeilnehmerInnen, erweitern damit deren Erlebnishorizont und vermitteln ihnen ein Stück Lebensqualität. Bei einer Buddybegleitung geht es immer um den Kontakt auf Augenhöhe – von Mensch zu Mensch.

Ein Buddy und sein/e Projekt-TeilnehmerIn treffen sich über den Zeitraum von einem Jahr in der Regel einmal pro Woche und überlegen gemeinsam, was sie unternehmen wollen: einen Spaziergang, einen Kaffee trinken oder ins Kino gehen, ein gutes Gespräch führen, einen Museumsbesuch, ein Picknick im Park, eine kleine Radtour, zusammen etwas kochen – einfach Kontakt halten, Zeit gemeinsam verbringen und ansprechbar sein.

Was bietet die idh den Buddys?
• ein ausführliches Erstgespräch
• ein zweitägiges Basistraining zur Vorbereitung auf die Tätigkeit
• eine monatlich stattfindende angeleitete Buddygruppe zur Praxisreflexion • eine Ansprechperson bei allen Fragen rund um die Buddytätigkeit • Einzelberatung bei auftretenden schwierigen Situationen
• ein Budget zur Erstattung der Auslagen für die Teilnehmenden
• die Erstattung von Fahrtkosten
• Versicherungsschutz (Haftpflicht und Unfall)
• jede Menge neue Erfahrungen.

Was sind die bisherigen Erfahrungen?
Die Resonanz auf das Projekt BuddyCare ist von Seiten der Buddys wie auch der TeilnehmerInnen sehr positiv.
Anfängliche Unsicherheiten im Kontakt (insbesondere von Seiten der Drogenabhängigen) lösen sich in der Regel schnell auf, Gemeinsamkeiten werden entdeckt, Vertrauen entsteht.
Der regelmäßige Kontakt und die gemeinsamen Unternehmungen sind für die TeilnehmerInnen oft der Höhepunkt der Woche. Sie erleben zusammen mit ihrem Buddy ein Stück Normalität, entdecken neue Interessen, fühlen sich akzeptiert. Die TeilnehmerInnen werden selbstsicherer im Umgang mit anderen Menschen, gewinnen zunehmend an Selbstbewusstsein und machen die Erfahrung, dass man ohne Drogen eine gute Zeit erleben kann.
Die Buddys erleben in dem Kontakt hautnah, wie sehr sich die Lebenswelt ihres Gegenübers von ihrer eigenen unterscheidet – und wie viel sie dennoch miteinander verbindet. Im Laufe des Jahres entstehen oft sehr freundschaftliche Beziehungen, die auch nach Abschluss einer Buddybegleitung weiter bestehen.