B 4-5
Georg Wurth/ Bernd Werse
Macht Kiffen dumm?
Im August 2012 wurde eine interessante Studie veröffentlicht, die ein Paradebeispiel dafür lieferte, wie tendenziös und manipulativ viele Medien mit Meldungen über Drogen, insbesondere Cannabis, umgehen: Entsprechende Nachrichten werden oft möglichst dramatisch dargestellt, um mehr Leser und größere Einschaltquoten zu erreichen. Der Wahrheitsgehalt darf dabei auch mal auf der Strecke bleiben.
Zunächst zu den tatsächlichen Inhalten der Studie eines internationalen Forscherteams, aus der im Folgenden einige – übersetzte – Aussagen einiger der beteiligten Wissenschaftler wiedergegeben sind (Meier et al. 2012, Übersetzung: B. Werse):
In einer Langzeitstudien-Stichprobe von mehr als 1.000 neuseeländischen Staatsangehörigen zeigte sich bei Individuen, die in ihrer Jugend begonnen hatten, Cannabis zu konsumieren und diesen Konsum für mehrere Jahre fortgesetzt hatten, beim Vergleich ihrer IQ-Tests im Alter von 13 und 38 Jahren ein durchschnittlicher Rückgang des IQ von 8 Punkten. Eine Einstellung des Cannabiskonsums vermag offenbar diesen Rückgang nicht umzukehren. Probanden, die nicht vor dem Erwachsenenalter mit dem Cannabiskonsum begannen, zeigten keine ähnlichen Rückgänge der mentalen Fähigkeiten. Beeinträchtigungen waren insbesondere bei Personen zu beobachten, die im Jugendalter begonnen hatten, regelmäßig Cannabis zu konsumieren, wobei intensiverer Konsum durchschnittlich mit größerer Beeinträchtigung einherging. Es ist eine derart spezielle Studie, dass ich davon überzeugt bin, dass Cannabis sicher ist für Gehirne von Über-18-Jährigen, aber riskant für Gehirne von Unter-18-Jährigen.
Die angegebene durchschnittliche Senkung des IQ von 8 Punkten liegt nahe an der statistischen Unschärfe der Studie, ist also schon deshalb kaum signifikant (auch angesichts der geringen Fallzahlen). Zudem bezieht sich der IQ-Rückgang insbesondere auf Personen, die bereits im Jugendalter andauernd und häufig Cannabis konsumieren.
Abgesehen von der ohnehin diskussionswürdigen Methode „IQ-Test“ seien hier ein paar Zahlen zum Vergleich angegeben:
• Bereits ein leichter Jodmangel während der Schwangerschaft kann den durchschnittlichen IQ des Kindes senken; chronischer Mangel bis zu 13,5 Punkte (Ärzteblatt 2013);
• Bei Kindern mit einem bestimmten Gen wird der IQ durch Stillen um 7 Punkte erhöht (Bild der Wissenschaft 2007);
• der IQ von Kindern, die in Armut aufwachsen, liegt rund 9 Punkte unter dem Durchschnitt (Merten 2002).
Und was natürlich bei der Beurteilung der Ergebnisse auch nicht fehlen darf, ist der Vergleich mit Alkohol. So wurden z.B. in einer Studie unter 16bis 19-Jährigen Veränderungen in der Hirnstruktur bei denjenigen festgestellt, die Alkoholräusche mit anschliessendem „Kater“ erlebt hatten – und zwar umso stärker, je häufiger derartige Räusche erlebt wurden (McQueeny et al. 2009). Die Deutsche Hauptstelle für Suchtfragen erläutert in ihrer Alkohol-Basisinfo die Folgen des Alkoholmissbrauchs drastisch: Gleichfalls besonders gefährdet ist das Gehirn. Jeder Rausch zerstört Millionen von Gehirnzellen. Zuerst leiden Gedächtnis und Konzentrationsvermögen, Kritikund Urteilsfähigkeit, später die Intelligenz, bis hin zu völligem geistigen Abbau. (DHS 2011)
Unter dem Strich bleibt vorläufig als Ergebnis der Studie festzuhalten: Es ist sicher nicht gut für das Gehirn, wenn früh und regelmäßig mit Cannabiskonsum begonnen wird. Das liegt daran, dass sich das Gehirn bei Jugendlichen noch in der Entwicklungsphase befindet. Das ist nicht neu; diese Erkenntnis gibt es bereits seit Jahren. Menschen, die erst als Erwachsene mit dem regelmäßigen oder auch intensiven Cannabiskonsum beginnen, sind von der beobachteten IQ-Minderung allerdings gar nicht betroffen.
Wenige Monate später analysierte im Übrigen ein anderer Wissenschaftler (Rogeberg 2013a) die Daten der besagten Langzeitstudie ein zweites Mal und merkte an, dass Meier et al. offenbar entscheidende mögliche Einflüsse vernachlässigt hatten: den sozioökonomischen Status derjenigen, die im Jugendalter regelmäßig Cannabis konsumierten, sowie andere Umweltfaktoren. Würden diese mit in die Analyse einbezogen, so Rogeberg, verschwänden die ohnehin nur schwach ausgeprägten IQ-Rückgänge. Darauf schloss sich ein akademischer Schlagabtausch im betreffenden Fachjournal an (Moffitt et al. 2013, Rogeberg 2013b), aus dem geschlossen werden kann, dass wegen der zahlreichen Umweltfaktoren, die auf Menschen in einer derartigen Langzeitstudie einwirken, ein kausaler Zusammenhang von Cannabiskonsum und IQ-Rückgang zumindest nicht sicher behauptet werden kann.
Nun zurück zu dem, was die deutschen Medien mit diesen Informationen gemacht haben. In der ursprünglichen Meldung einer britischen Nachrichtenagentur waren die Fakten noch einigermaßen korrekt wiedergegeben („cannabis found to lower IQ of young“). Die dpa und andere deutsche Agenturen haben aber offensichtlich die relativie-renden Aspekte nicht mit in ihre Meldungen übernommen (keine IQ-Senkung bei Erwachsenen) und stattdessen eine reißerische Überschrift gewählt. Dies führte dann zu dramatisierenden Meldungen quer durch praktisch alle deutschen Zeitungen, Radiostationen und Fernsehsender, von BILD bis taz. Hier einige der Überschriften:
• Studie über Auswirkungen von Cannabis – Kiffen macht dumm
• Langzeitstudie zeigt: Cannabis macht dumm
• Studie zu Cannabis-Konsum: Wer ständig kifft, wird dumm
• Studie: Cannabis-Konsum mindert Intelligenz
• Cannabis macht unwiderruflich dumm
In diesen Artikeln ist dann z.B. von einer irreversiblen Schädigung des Zentralen Nervensystems die Rede, ohne dass die festgestellte Senkung des IQ verständlich eingeordnet und mit anderen Faktoren verglichen wird. Es wird zwar betont, dass Jugendliche besonders betroffen sind. Dass das Problem für Menschen, die als Erwachsene mit dem Konsum beginnen, gar nicht existiert, wird nirgends erwähnt. Genauso gut hätten die Zeitungen titeln können: „Keine Beeinträchtigung der Intelligenz bei erwachsenen Cannabiskonsumenten“.
Aber das wäre eben nicht dramatisch gewesen. Ähnliches war in der Vergangenheit zu beobachten, wenn gemeldet wurde, dass der Cannabiskonsum unter Jugendlichen zurückgegangen ist. Eine gute Nachricht, aber zu einer knalligen Überschrift hat es diese Information natürlich nicht gebracht. Ist ja langweilig…
Jedenfalls hat es der ganze Medienrummel offensichtlich mal wieder geschafft, sehr viele Leute zu verunsichern: „Cannabis ist ja wohl doch nicht so harmlos wie gedacht“… Und schon waren in vielen Familien Jahre an Diskussionen umsonst, denn es steht ja etwas Schlimmes über Cannabis in der Zeitung! Und auch politisch wurde versucht, die Meldung auszuschlachten: Die CDU in Schleswig-Holstein forderte die rot-grüne Landesregierung wegen der Studie auf, ihre Pläne zu überdenken, die Eigenverbrauchsmengen für Cannabis anzuheben und Drug-Checking einzuführen (BPP 2012). Dabei ist doch dieser weitere Hinweis, dass ein früher Cannabiskonsum für Jugendliche schädlich sein könnte, ein weiteres Argument, endlich den Cannabismarkt für Erwachsene zu regulieren und Jugendschutzbestimmungen einzuführen, wie es z.B. der Deutsche Hanfverband im „Zukunftsdialog“ der Bundeskanzlerin gefordert hatte: „Bei der Regulierung des Cannabismarktes, z.B. durch Fachgeschäfte oder Cannabis-Clubs, geht es ausschließlich um Volljährige (sofortiger Lizenzentzug bei Abgabe an Jugendliche)“ (Zukunftsdialog 2012).
Literatur
Ärzteblatt (2013): Schwangerschaft: Schon leichter Jodmangel senkt IQ der Kinder. Artikel vom 22. Mai 2013;
http://www.aerzteblatt.de/nachrichten/54495/Schw angerschaft-Schon-leichter-Jodmangel-senkt-IQ-derKinder (6.3.2014)
Bild der Wissenschaft (2007): Wann Stillen schlau macht. Artikel vom 6.11.2007;
http://www.wissenschaft.de/home//journal_content/56/12054/1012415/ (6.3.2014)
BPP (2012): Drogenpolitik / Volker Dornquast: Sozialministerin muss Ergebnisse der Landzeitstudie zum Cannabis-Konsum in die Entscheidungsfindung einbeziehen. Bundespresseportal, Artikel vom 28.8.2012; http://bundespresseportal.de/schleswigholstein/item/2141-drogenpolitik-volker-dornquastsozialministerin-muss-ergebnisse-der-landzeitstudiezum-cannabis-konsum-in-die-entscheidungsfindungeinbeziehen.html (6.3.2014)
DHS (2011): Alkohol und Gesundheit: Weniger ist besser! Hamm: DHS; http://www.dhs.de/fileadmin/user_upload/pdf/Brosc hueren/Alkohol_und_Gesundheit.pdf (5.3.2014)
McQueeny, T., Schweinsburg, B., Schweinsburg, A., Jacobus, J., Bava, S., Frank, L., Tapert, S. (2009): Altered White Matter Integrity in Adolescent Binge Drinkers. Alcoholism Clinical & Experimental Research, 33 (7), 1278-1285.
Meier, M.H.; Caspi, A.; Ambler, A.; Harrington, H.; Houts, R.; Keefe, R.S.E.; McDonald, K; Ward, A.; Poulton, R.; Moffitt, T.E. (2012): Persistent cannabis users show neuropsychological decline from childhood to midlife. Proceedings of the National Academy of Sciences of the United States of America (PNAS), 109(40): E2657–E2664
Merten, R. (2002): Psychosoziale Folgen von Armut im Kindesund Jugendalter. In: Butterwegge, C.;
Klundt, M. (Hg.): Kinderarmut und Generationengerechtigkeit. Opladen: Leske und Budrich
Moffitt, T.E.; Meier, M.H.; Caspi, A.; Poulton, R. (2013): Reply to Rogeberg and Daly: No evidence that socioeconomic status or personality differences confound the association between cannabis use and IQ decline. PNAS, 110 (11): E980–E982
Rogeberg, O. (2013a): Correlations between cannabis use and IQ change in the Dunedin cohort are consistent with confounding from socioeconomic status. PNAS, 110 (11): 4251–4254
Rogeberg, O. (2013b): Reply to Moffitt et al.: Causal inference from observational data remains difficult. PNAS, 110 (11): E983 Zukunftsdialog (2012):
Cannabis legalisieren = den Markt für Erwachsene regulieren! Artikel vom 2.2.2012 (Autoren: M. Plenert/ G. Wurth). https://www.dialog-ueberdeutschland.de/DE/20-Vorschlaege/10-WieLeben/Einzelansicht/vorschlaege_einzelansicht_nod e.html?cms_idIdea=2070 (6.3.2014)
Welt Online (2013): Die Angst des Läufers vor dem Herztod. 11.9.2013 (Autor: Fabian Wolff). http://www.welt.de/gesundheit/article119690085/D ie-Angst-des-Laeufers-vor-dem-Herztod.html
Zeit Online (2014): Kiffen ist keine Todesursache. 25.2.2014 (Autor: Sven Stockrahm). http://www.zeit.de/wissen/gesundheit/201402/cannabis-kiffen-tod-marihuana-rechtsmedizin