Von Kerstin Dettmer
Naloxon
Der schnellste spezifische Weg, eine opiatbedingte Atemdepression zu beseitigen, ist die Injektion des Opiatantagonisten Naloxon (Handelsname Narcanti®). Dieser wird bereits seit mehr als 40 Jahren zur Behandlung von Opiatüberdosierungen eingesetzt. Naloxon kann innerhalb weniger Minuten lebensbedrohliche Effekte wie Atemlähmung, Hypoxie, Bewusstlosigkeit und Blutdruckabfall aufheben. In höheren Dosierungen kann Naloxon einen Entzug auslösen. Eine Überdosierung ist nicht möglich. Nebenwirkungen wie Herzrhythmusstörungen und Lungenödem sind sehr, sehr selten. Naloxon ist in Deutschland nur in Ampullen verfügbar, die eigentliche Darreichungsform eine intravenöse, intramuskuläre oder subkutane Injektion. Es kann jedoch auch mittels eines Nasalzerstäubers in die Nase gespritzt werden. Der Nasalzerstäuber wird, nachdem Naloxon in eine Spritze aufgezogen wurde, auf diese gesetzt. Er verteilt das Medikament beim Spritzen durch feine Düsen, so dass eine optimale Resorption über die Schleimhaut erfolgen kann. Die Halbwertzeit von Naloxon liegt zwischen 30 und 80 Minuten, sie ist damit deutlich kürzer als die der gebräuchlichen Opiate. So kann eine vorübergehende Bewusstseinsaufklarung nach erfolgter Naloxoninjektion täuschen. Ein erneuter Atembzw. Kreislaufstillstand droht. Dieser Zustand kann dann mit einer weiteren Naloxon-Gabe erneut behoben werden.
Naloxon ist verschreibungspflichtig, kann also von einem Arzt auf (Privat-) Rezept (Kosten für eine Ampulle: ca. 7€) verordnet werden.
Rechtliche Aspekte der Naloxonvergabe
Immer wieder werden Skepsis oder Befürchtungen von Fachleuten, die sich für die Naloxon-Abgabe interessieren, hinsichtlich der rechtlichen Problematik der NaloxonVergabe an Drogengebraucher/innen Rahmen der Laienhilfe geäußert. National und international betrachtet scheint dies einer der Haupthinderungsgründe zu sein, Naloxon in die Hände von Opiatkonsument/innen zu geben.
Naloxon ist gemäß bundesdeutschem Arzneimittelgesetz verschreibungspflichtig. Das Arzneimittelgesetz regelt nur den Verkehr (Verschreibungspflicht, Abgabe durch Apotheken etc.). Es gibt keinerlei Regelungen (und dementsprechend Einschränkungen) hinsichtlich der Anwendung.
Die Bundesärztekammer hat in einer Stellungnahme Anfang 2002 bestätigt, dass in standesrechtlicher Hinsicht keine Bedenken gegenüber einer Naloxonabgabe zum Zwecke der Laienhilfe im Drogennotfall bestehen, da aufgrund der Substanzeigenschaften und des Einsatzzweckes nicht zu befürchten ist, dass ein Arzt/ eine Ärztin der missbräuchlichen Anwendung seiner Verschreibung (§ 34 Abs. 4, Muster-Berufsordnung) Vorschub leistet. Die Verwendung des Arzneimittels ist zusätzlich beim Einsatz im Notfall durch § 34 StGB (“Rechtfertigender Notstand”) gedeckt. Der Arzt/ die Ärztin muss allerdings einer besonderen Aufklärungspflicht Genüge tun, durch die er/sie nicht dadurch entbunden wird, dass andere Institutionen Schulungsund Informationsmaßnahmen durchführen. Die Bundesärztekammer legt großen Wert auf die Auffor-derung an die Naloxon-Empfänger/innen, zusätzlich den Rettungsdienst zu alarmieren. Hat der Arzt/ die Ärztin im Einzelfall den Eindruck, dass der/ die Naloxon-Interessent/in keine Schulung bzw. Informationen anzunehmen bereit ist und/ oder den Rettungsdienst nicht informieren würde, sollte kein Naloxon verordnet werden.
Das Fazit der Stellungnahme der Bundesärztekammer ist, dass die Naloxon-Verschreibung im Rahmen von Laienhilfe gesetzlich nicht ausdrücklich geregelt ist. Es gibt jedoch keinerlei Hinweise, dass NaloxonAbgabe durch Ärzte/ Ärztinnen an Laien rechtlich problematisch sei, solange die allgemeingültigen Regelungen des Arzneimittelrechts und der ärztlichen Berufsordnung (Verschreibungs-, Apotheken-, Aufklärungsund Schulungspflicht) eingehalten werden.
In einer Stellungnahme des Bundesministeriums für Gesundheit vom August 2008 wird der Einsatz von Naloxon durch Laien wie folgt bewertet: Im Hinblick auf die Anforderungen in § 2 Abs. 1 Nr. 3 der AMVV, geht die AMVV grundsätzlich davon aus, dass die Person, für die ein Arzneimittel verschrieben wird, mit der Person identisch ist, bei der das Arzneimittel zur Anwendung kommt. Aber auch das Bundesgesundheitsministerium berücksichtigt allgemeine Rechtfertigungsgründe, die eine Ausnahmemöglichkeit rechtlich nicht ausschließen. Naloxon kann somit im Rahmen eines Notfalles ausnahmsweise bei einer anderen Person, als der, für die es verschrieben wurde, zur Anwendung gebracht werden, wenn gesundheitliche Folgen bzw. Gefahren nicht anders als durch unverzügliche Verabreichung von Naloxon abgewendet werden können.
Hingewiesen wird außerdem auf die bestehenden medizinischen und rechtlichen Risiken, die mit einer von medizinischen Laien im Notfall vorgenommenen parenteralen Applikation von Naloxon verbunden sind.
Fazit der Stellungnahme des Bundesministeriums für Gesundheit:
Die Naloxon-Verschreibung im Rahmen von Laienhilfe ist gesetzlich nicht ausdrücklich geregelt. Die bestehende Rechtslage schließt jedoch die Verabreichung von Naloxon durch qualifizierte Laienhelfer nicht aus.
Aktuell hat der DGS-Vorstand zwei gleichlautende Anfragen zu berufs-, arzneiund betäubungsmittelrechtlichen Aspekten der Naloxon-Verordnung an das BMG und an die BÄK gestellt, um eine Aktualisierung der Stellungnahmen zu erwirken.
Naloxonverschreibung in der Praxis Für die Verschreibung müssen folgende Bedingungen erfüllt werden:
– Naloxon-Empfänger/innen werden zum situationsangemessenen Verhalten im Drogennotfall und in der Anwendung von Naloxon qualifiziert.
– Die Aufklärung und Naloxon-Abgabe werden dokumentiert.
– Naloxon-Empfänger/innen müssen selbst Opiatkonsument/innen sein.
Eine Verschreibung von Naloxon an Personen, für die keine Indikation vorliegt (beispielsweise nichtkonsumierende Lebenspartner/ innen oder Sozialarbeiter/innen) ist gemäß AMVV nicht möglich. Es empfiehlt sich jedoch durchaus, Lebenspartner/innen, Familienangehörige oder Sozialarbeiter/innen in Drogenhilfe-Einrichtungen zum angemessenen Verhalten im Notfall zu schulen. Sollten diese Laienhelfer/innen im Notfall Naloxon bei überdosierten Konsument/innen finden und dieses injizieren, sind sie als Ersthelfer/in vor rechtlichen Konsequenzen geschützt. Alltagsnah ist es zudem, „Konsumgemeinschaften“ in der Anwendung von Naloxon zu schulen und allen Teilnehmer/innen Naloxon zu verschreiben. Im Idealfall hätten somit alle Opiatkonsument/innen ihr eigenes Naloxon in der Tasche und Konsumpartner/innen wüssten den Antagonisten adäquat einzusetzen.
Berliner Modellprojekt und was daraus wurde
Das Berliner Modellprojekt „Prävention von Drogennotund –todesfällen/ Erste HilfeKurse und Naloxon-Einsatz durch Drogengebraucher/innen“ von Fixpunkt e. V. (Dezember 1998 bis Dezember 2002) konnte den Beweis erbringen, dass sowohl die Schulung (Erste Hilfe-Maßnahmen im Drogennotfall) und die Vergabe von Naloxon an aktive Opiatkonsument/innen, als auch der verantwortungsbewusste Einsatz von Naloxon machbar sind. Ebenso konnte grundsätzlich nachgewiesen werden, dass Opiatkonsument/innen die notwendige Compliance im Hinblick auf die Berichterstattung nach dem Einsatz von Naloxon erbringen.
Im Anschluss an das Modellprojekt gab es keine adäquate Folgefinanzierung, so dass Drogennotfalltrainings und Naloxonverschreibung nur in sehr kleinem Umfang weiterhin angeboten werden können. Während über 100 Berichte zur Naloxonanwendung aus der Zeit des Modellprojekts vorliegen, gab es in den letzten Jahren nur noch sehr selten Rückmeldungen. Eine regelmäßige Präsenz des Projektes scheint eine wichtige Voraussetzung zu sein, um Rückmeldungen zu erhalten.
Bisher waren unsere Bemühungen weitestgehend vergeblich, Drogennotfalltrainings und Naloxonverschreibung konzeptionell und strukturell in Berlin oder gar Deutschland zu integrieren. Seit einigen Monaten gibt es allerdings vermehrt Nachfragen und auch schon konkrete Aktivitäten, diese Form der Drogentodesfallprävention in verschiedenen Settings umzusetzen.
Fazit
Naloxonvergabe an Drogengebraucher/innen, aber auch an andere potenzielle Ersthelfer/ innen ist eine in vielen Ländern erprobte und erfolgreiche Maßnahme. Naloxon kann Leben retten und Folgeschäden aufgrund einer Sauerstoffunterversorgung verhindern.
Die rechtlichen Rahmenbedingungen zur Naloxonverschreibung in Deutschland sind nicht optimal, aber es ist durchaus möglich, Opiatkonsument/innen Naloxon zu verschreiben.
Daher wäre es perspektivisch ausgesprochen wünschenswert, dass alle potenziellen Ersthelfer/innen, z. B. Freunde, Familienangehörige oder auch Polizei, über Naloxon als Notfallmedikament verfügen können.