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Glücksspielpolitik: „Entschärft die Automaten“

B 5 Pathologisches Glückspiel

Jens Kalke

Glücksspielpolitik: „Entschärft die Automaten“

Die Bundesländer haben mit dem geänderten Glücksspielstaatsvertrag (gültig seit Juli 2012) Angebotsbeschränkungen bei den Spielhallen vorgenommen. Das betrifft die Öffnungszeiten (mindestens drei Stunden Sperrzeit am Tag), die Abstände zwischen den Spielhallen und die Anzahl der Geldspielautomaten (Verbot von Mehrfachkonzessionen). Diese Veränderungen wurden von der Politik mit dem hohen Suchtpotenzial des Automatenspiels begründet.
Die bundesdeutsche Automatenbranche bekämpft nach wie vor vehement und öffentlichkeitswirksam diese Neuerungen. Der Vorsitzende des Verbandes der Deutschen Automatenindustrie (VDAI) Paul Gauselmann spricht von einem „Vernichtungsplan“ der Politik und malt den Niedergang einer ganzen Branche mit dem Verlust von etwa 70.000 Arbeitsplätzen an die Wand (nw-news, 10. 01.2012).

Aber: Handelt es sich bei den genannten Veränderungen eigentlich um die relevanten Fragen des Spielerschutzes und der Prävention von Glücksspielsucht? Nein! Denn das wirkliche Problem bei den Geldspielautomaten sind nicht die Öffnungszeiten der Spielhallen, ihre räumlichen Abstände oder die Anzahl der erlaubten Geräte pro Spielstätte, sondern es ist die technische Beschaffenheit der Spiele. Das Schlüsselwort ist hier die „Ereignisfrequenz“. Sie beschreibt die Zeitspanne zwischen der Einsatzabgabe, der Gewinn-/Verlustmitteilung und dem Beginn des nächsten Spiels. Je höher/schneller diese ist, desto eher kann die Kontrolle über das Spielen verloren gehen. Damit wächst die Suchtgefahr. In Bewertungssystemen von Glücksspielen wird diesem Zusammenhang eine sehr starke Bedeutung für die Entste hung von Glücksspielproblemen beigemessen (Meyer et al. 2010).
Bei den Geldspielautomaten ist die Ereignisfrequenz besonders hoch – sie beträgt nur 1 bis 2 Sekunden (im Gegensatz dazu ist diese beim Lottospielen sehr gering). 35 Deshalb dürfte es unter den Automatenspielern auch so viele problematische oder pathologische Glücksspieler/innen geben. Ihr Anteil liegt laut einer jüngeren Repräsentativerhebung bei beinahe 30% (BZgA 2014); in selektiven Stichproben wurden sogar Anteile von 58% (Bühringer et al. 2010) und 66% (Kalke et al. 2011) gemessen. Nach Schätzungen dürfte ein erheblicher Teil der Umsätze der bundesdeutschen Automatenindustrie auf diese Spieler/innen zurückzuführen sein (etwa 50% bis 60%, nach Fiedler 2012). Der Bruttospielertrag der Automatenbranche – das sind die Verluste der Spieler – lag im Jahr 2012 bei insgesamt 4,4 Mrd. Euro (Meyer et al. 2014a).

Internationale Studien zeigen, dass durch eine Verlängerung der Spieldauer und eine Herabsetzung der Einsatzund Verlustlimits ein kontrolliertes, weniger gefährliches Spielen gefördert werden kann (Buth & Kalke 2012). Deshalb wäre es im Sinne eines effektiven Spielerschutzes, die Spieldauer auf mindestens 20 Sekunden festzusetzen und den Einsatz auf 20 Cent pro Spiel zu beschränken. Zurzeit dauert, wie schon gesagt, ein Spiel wenige Sekunden und man kann – das zeigte ein Feldversuch – 1.500 Euro innerhalb von 5 Stunden verlieren (Meyer 2014b). Würde man also die Spielgeräte entschärfen und zu echten Unterhaltungsspielen zurückbauen, würde es viele der heutigen Diskussionen um Abstandsregelungen und Öffnungszeiten gar nicht geben. Dann hätte man einem wichtigen strukturellen Merkmal des Automatenspiels seine Gefährlichkeit genommen.
Im Juli 2013 hat die Mehrheit des Bundesrates einen Schritt in diese Richtung unternommen, in dem er beschlossen hat, dass durch ein Verbot des so genannten Punktespiels die Mindestspieldauer auf 5 Sekunden erhöht wird. 36 Außerdem beinhaltet dieser so genannte Maßgabebeschluss eine Reduzierung der stündlichen Maximalverluste und gewinne sowie ein Verbot der Automatiktaste. Das zuständige Bundeswirtschaftsministerium hat – nach Informationen des „Spiegel“ (Ausgabe 26.05.2014) – signalisiert, diesen Beschluss im Großen und Ganzen passieren zu lassen. Ab wann die neuen Regelungen dann tatsächlich gelten, ist zurzeit unklar. Solange laufen die Geldspielautomaten mit High-Speed weiter, was natürlich im Interesse der Automatenbranche ist. Die geplante Novellierung wird jedoch von einigen Experten/ innen im Sinne eines echten Spielerschutzes für nicht ausreichend gehalten, weil vor allem die Gefahr gesehen wird, dass durch eine flexible Gestaltung von Sonderspielen neue Spielanreize geschaffen werden, mit denen die beabsichtigten technischen Einschränkungen kompensiert werden können (Meyer 2014b).

Über die dargestellte Bedeutung des technischen Spielerschutzes wird in der Politik (zumindest öffentlich) eher selten gesprochen. Warum ist dies so? Darüber lässt sich nur thesenhaft spekulieren. Ist es eine geschickte Regieführung der beteiligten Akteure, dass über die Diskussion von Nebenschauplätzen (Öffnungszeiten etc.) die eigentliche Kernfrage nicht auf die Agenda kommt? Ist es vielleicht die Sorge der (Landes-)Politik, dass eine echte Entschärfung der Geldspielautomaten in Spielhallen dann auch auf die bundesdeutschen Spielbanken (ca. 75) zurück schlägt? Denn auch in diesen stehen mehrere tausend Geldspielgeräte – ebenfalls mit einer sehr geringen Spieldauer und noch geringeren Einsatzund Verlustlimits als in den Spielhallen. Der Bruttospielertrag dieser Geldspielautomaten betrug in 2012 immerhin auch 386 Millionen (Meyer 2014a), von denen ebenfalls – so zeigen jüngste Berechnungen – ein Großteil von problematisch und pathologisch spielenden Kunden/innen kommen dürfte (Fiedler 2014). Ein Großteil der Einnahmen fließt direkt in die klammen Kassen der Bundesländer, die für die Spielbanken zuständig sind. Wohl deshalb besteht bei den politisch und administrativ Verantwortlichen wenig Anlass, mit Maßnahmen des technischen Spielerschutzes das Spielen an den Geldspielautomaten in den Spielbanken ungefährlicher zu machen. Nach außen wird damit argumentiert, dass strenge Einlasskontrollen, geschultes Spielstättenpersonal und das Vorhandensein eines Sperrsystems vollkommen ausreichend sind, um einen hohen Standard von Jugendund Spielerschutz in den Spielbanken zu gewährleisten. Auch hier wird also der technische Spielerschutz vernachlässigt. Von den Ankündigungen des Bundeswirtschaftsministeriums sind die Spielbanken aufgrund der fragmentierten rechtlichen Zuständigkeit nicht betroffen: Dort werden weiterhin Automaten mit rasender Spielgeschwindigkeit und ohne Beschränkung des Geldeinsatzes laufen…

Diesen interessenpolitischen Hintergrund der Bundesländer muss man kennen, um das zögerliche Handeln der Politik in Bezug auf die Geldspielgeräte in den Spielhallen und in den Spielbanken zu verstehen. Im Sinne der Betroffenen ist dieses politische Spiel nicht. Deshalb brauchen wir ein einheitliches Glücksspielgesetz für ganz Deutschland. Dort müssen die gleichen technischen Standards für alle Geldspielgeräte – unabhängig von der Spielstätte –festgesetzt werden. Denn: Wer einen evidenzbasierten und wirksamen Spielerschutz will, muss die technische Beschaffenheit der Geräte verändern – und zwar gleichermaßen in den Spielhallen als auch in den Spielbanken.

35 Das gilt auch für die Geldspielautomaten im gastronomischen Bereich. In Deutschland dürfen bis zu drei Geräte pro gastronomischen Betrieb stehen. Aufgrund der Komplexität des Themas wurde sich in diesem Beitrag auf die Problematik der Geldspielautomaten in den Spielhallen und Spielbanken beschränkt.

36 Auch in der bestehenden Spielverordnung ist schon eine Mindestspieldauer von 5 Sekunden vorgesehen. Die Automatenindustrie hat aber einen Weg gefunden, diese Vorgabe zu umgehen: die Umwandlung des Geldeinsatzes in Punkte wurde zum „Spiel“ erklärt. Diese Spieldefinition wurde (erstaunlicherweise) von der zuständigen Physikalisch-Technischen Bundesanstalt nicht beanstandet.

Literatur

Bühringer G., Kraus L. Höhne B. Küfner H. & Künzel J. (2010). Untersuchung zur Evaluierung der Fünften Novelle der Spielverordnung vom 17.12.2005. Abschlussbericht. IFT: München.
Buth S. & Kalke J. (2012). Effekte von universellen und selektiven Präventionsmaßnahmen im Glücksspielbereich: Eine internationale Literaturübersicht. Prävention und Gesundheitsförderung, 7: 142-147.
BZgA, Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (2014). Glücksspielverhalten und Glücksspielsucht in Deutschland 2013, BZgA: Köln.
Fiedler I. (2014). Evaluierung des Sperrsystems in deutschen Spielbanken. Forschungsbericht. Hamburg. Fiedler I. (2012). Das Spiel mit der Sucht. Anmerkungen zum pathologischen Markt des Glücksspiels. In: Strouhal E., Zollinger M. & Felderer B. (Hrsg.) Spiele der Stadt: Glück, Gewinn und Zeitvertreib. Springer Verlag, 236-243.
Kalke J., Buth S., Rosenkranz M., Schütze C., Oechsler H. & Verthein U. (2011). Glücksspiel und Spielerschutz in Österreich. Empirische Erkenntnisse zum Spielverhalten der Bevölkerung und zur Prävention der Glücksspielsucht. Lambertus-Verlag: Freiburg im Breisgau.
Meyer G. (2014a). Glücksspiel – Zahlen und Fakten. In: DHS (Hrsg.). Jahrbuch Sucht 2014. Pabst: Lengerich, 124-140.
Meyer G. (2014b). Sechste Novelle der Spielverordnung: Eine kritische Analyse aus der Perspektive der Suchtprävention. Zeitschrift für Wettund Glücksspielrecht, 9: 1-6.
Meyer G., Häfeli J., Mörsen C. & Fiebig M. (2010). Die Einschätzung des Gefährdungspotentials von Glücksspielen. SUCHT. Zeitschrift für Wissenschaft und Praxis, 56 (6): 405-414.