Archiv des Autors: drogenbeauftragter

Zum Primat der Repression in der Drogenpolitik

Von Maximilian Plenert

„Es gibt keinen Königsweg, um Drogen- und Suchtprobleme zu vermeiden oder zu bewältigen. Zu vielfältig sind die Ursachen, zu individuell ist der Hilfebedarf. Diese Erkenntnis hat sich mittlerweile bei allen im Problemfeld „Sucht“ Engagierten durchgesetzt. Nur ein breit gefächertes Bündel aufeinander abgestimmter Angebote und Maßnahmen führt dazu, dass die Drogen- und Suchtprobleme eingedämmt werden können. Die Drogen- und Suchtpolitik der Bundesregierung steht deshalb auf vier Säulen.“ 118

In den Drogen- und Suchtberichten der Drogenbeauftragten und Verlautbarungen der drogenpolitischen Sprecher der Regierungsfraktionen verengt sich der Blick meist auf die drei Säulen Prävention, Beratung/Behandlung und Überlebenshilfe/Schadensreduzierung. Die vierte Säule „Repression und Angebotsreduzierung“ mit ihren Maßnahmen, „welche die Verfügbarkeit von Drogen und Suchtmitteln in unserer Gesellschaft einschränken“, taucht im Drogen- und Suchtbericht der Bundesdrogenbeauftragten oder der nationalen Strategie zur Drogen- und Suchtpolitik quasi nicht auf. Wenn sie erwähnt wird, dann im Zusammenhang mit der Regulierung des Alkoholund Tabakmarktes – Werbeverboten, Altersgrenzen beim Verkauf etc. ohne den Einsatz des Strafrechtes –, der internationalen Zusammenarbeit gegen die Organisierte Kriminalität oder Projekten der „Alternativen Entwicklung“ in Drogenanbauländern.

Im Drogen- und Suchtbericht 2012 wird die vierte Säule mit einer Wiedergabe der Daten aus der polizeilichen Kriminalstatistik zu Schmuggel, Anbau und Produktion, Sicherstellungszahlen, Erstauffälligen Konsumenten harter Drogen sowie der Zahl der Drogentote abgehandelt – ohne zumindest Offensichtliches, wie die tödlichen Auswirkungen durch die Nichtverfügbarkeit von Drogenkonsumräumen im Süden Deutschlands anzusprechen. Ein allgemeiner Satz noch: „Eine Bedrohung für die gesamte Gesellschaft stellen auch der Drogenhandel und die Drogenkriminalität dar“ und weiter im Text…

Das Ausblenden weiter Teile der vierten Säule ist ein Zeichen für die sektorale Fixierung der gegenwärtigen Drogenpolitik. Die offizielle Drogenpolitik steckt damit fest im Gedankengefängnis der Prohibition als allgemein akzeptierte und unbedingt notwendige Form des Umgangs mit Drogen. Jede noch so gute Idee im Bereich Prävention, Hilfe und Schadensminimierung muss sich in den Rahmen dieser prohibitiv-repressiven Kontrollpolitik einfügen, sonst wird sie verworfen. Eine öffentliche Diskussion über die Möglichkeiten bzw. Unmöglichkeiten einer „friedlichen KoExistenz von Kontrolle und Hilfe“ erfolgt quasi nicht.

Die zentrale harmlose Behauptung, Drogenpolitik und -hilfe konzentriere sich im Wesentlichen auf Prävention, löst sich bei einer objektiven Betrachtung sofort in Luft auf. Die „Bekämpfung der Rauschgiftkriminalität“ entpuppt sich als Jagd auf Konsumenten und Abhängige, die sowohl ihren eigenen Zielen, Angebot und Nachfrage zu reduzieren, nicht gerecht wird und zudem schädlich für Gesellschaft und Betroffene ist.

Hierzu einige Zahlen aus der polizeilichen Kriminalstatistik und dem Bundeslagebild Rauschgift für das Berichtsjahr 2012. 119

Hinter den „allgemeinen Verstößen gemäß § 29 BtMG“ der polizeilichen Kriminalstatistik verbergen sich die konsumbezogenen Delikte, also alles außer Schmuggel, Handel, Bandenkriminalität oder „nicht geringe“ Mengen. Mit einem Anteil von 72 Prozent bei allen Drogen und 76,7 Prozent bei Cannabis machen sie den Großteil der polizeilichen Arbeit aus. Der Anteil der sogenannten „Rauschgiftdelikte“ an der Gesamtkriminalität hat sich in den Jahren 1993 bis 2002 nahezu verdoppelt und ist seitdem auf diesem hohen Niveau geblieben.

Die Polizeiliche Kriminalstatistik für das Berichtsjahr 2011 kennt 196.337 Tatverdächtige im Kontext von Rauschgiftdelikten. 144.140 Tatverdächtige erhielten eine Strafanzeige wegen eines allgemeinen Verstoßes gemäß § 29 BtMG, den größten Anteil machen hier Verstöße wegen Cannabis mit 91.590 Personen aus.

Bezogen auf die regelmäßigen Konsumenten von Cannabis (30-Tages-Prävalenz) werden sechs Prozent mindestens einmal pro Jahr zu Tatverdächtigen aufgrund eines konsumbezogenen Delikts. Bezogen auf die Zahl der mindestens gelegentlichen Konsumenten (12Monats-Prävalenz) sind es drei Prozent, bei den Konsumenten von Drogen außer Cannabis sind es 13 bzw. 7,5 Prozent 120 . Die Repression durch den Staat wird damit für viele Konsumenten die schlimmste Nebenwirkung ihres Konsums.

Trotz dieser Zahlen wird in der drogenpolitischen Debatte immer wieder behauptet, der Fokus der Polizeiarbeit läge bei den Drogenhändlern und nicht bei den Konsumenten. Dabei zeigt ein Blick in die Zahlen des BKA, dass sich das Übergewicht der Verfolgung von Konsumenten tendenziell sogar noch verstärkt hat:

Im Jahr 1993 zählte das BKA 122.240 Fälle von Rauschgiftkriminalität, davon 79.631 konsumnahe Delikte. Dies entspricht einem Anteil von 65,1 Prozent. Im Jahre 2011 waren es 170.297 von 236.478 Delikten und damit 72,0 Prozent.

Hinzu kommt die Beschaffungskriminalität von Drogenabhängigen. Es lassen sich mindestens 2,5 Prozent aller Straftaten – eher das Doppelte –, insbesondere in den Bereichen Diebstahl, Raub und Einbruch, auf Beschaffungskriminalität zurückführen. Deren Ursache ist u.a. in der nicht flächendeckenden Versorgung mit adäquaten Drogenhilfsangeboten zu sehen: dort wo ausreichend Möglichkeiten zur Substitutionsbehandlungzur Verfügung stehen, konnte auch die Beschaffungskriminalität reduziert werden.

Die Ausgaben im Rahmen der vier Säulen der Drogenpolitik wurden durch die Studie „Schätzung der Ausgaben der öffentlichen Hand durch den Konsum illegaler Drogen in Deutschland“ untersucht. 121 Das Ergebnis belegt: etwa zehn Prozent der gesamten öffentlichen Ausgaben für die öffentliche Sicherheit und Ordnung weisen einen Bezug zu illegalen Drogen auf. Im Sozialund Gesundheitswesen liegt der Anteil nur bei 0,3 Prozent; dieser Sektor ist allerdings auch um ein Vielfaches größer und die Datenlage ist relativ schlecht.

Die Gesamtsumme der öffentlichen Ausgaben für illegale Drogen schätzt die Studie auf insgesamt 5,2 bis 6,1 Mrd. € . Der Großteil dieses finanziellen Engagements des Staates fließt in repressive Maßnahmen zur Bekämpfung von Kriminalität im Zusammenhang mit „Rauschgift“. Hierunter fallen die Kosten für den Justizapparat wie Polizei, Staatsanwaltschaft, Gerichte und Gefängnisse aufgrund von „Rauschgiftdelikten nach dem Betäubungsmittelgesetz (BtMG) als (…) durch Drogenkonsumenten begangenen Straftaten“. Der Anteil liegt bei ca. 70 % bzw. 3,4–4,4 Milliarden Euro.

Die Bereiche Gesundheitswesen und soziale Sicherung haben mit 1,8 bis 1,9 Mrd. Euro einen Anteil von 30–35 Prozent an den Gesamtausgaben. Das Verhältnis der Ausgaben für Repression im Vergleich zu Hilfe und Therapie liegt somit bei sieben zu drei. Die Ausgaben pro Einwohner belaufen sich im Bereich illegaler Drogen auf 63–74 Euro pro Einwohner pro Jahr.

Durch die Fehlallokation polizeilicher Ressourcen in Form einer unverhältnismäßigen Priorisierung der Verfolgung von Drogendelikten im Bereich des Eigenbedarfs werden gleichzeitig andere, für das Gemeinwohl schädlichere Delikte, wie im Bereich der Wirtschaftsund Umweltkriminalität, nicht aufgeklärt.

Die Gesamtausgaben zur Bekämpfung der Rauschgiftkriminalität in der Geschichte der BRD liegen in der Größenordnung von 200 Mrd. Euro, was dem wirtschaftlichen Schaden durch die Katastrophe von Tschernobyl oder den notwendigen Investitionen für die Energiewende in Deutschland entspricht

Mehr Investitionen im Bereich der Suchtprävention an Stelle von Repression würden sich gleich zweifach lohnen. Zum einen entfalten Gelder, die derzeit in die Repression fließen, dort keinerlei positive Effekte, zum anderen haben sie in der Regel sogar schädliche Auswirkungen. Zudem würde jeder Euro, der in die Prävention fließt, mehr als einen Euro Einsparungen an anderer Stelle bringen. Somit ist es deutlich teurer, bereits entstandene Schäden zu beheben, als sie im Vorfeld aufzuspüren. Präventionsexperten gehen davon aus, dass der Nutzenfaktor, also der „Return on Prevention“ bei 2,2 liegt. Jeder Euro für die Prävention schafft damit einen Nutzen von 2,20 Euro bzw. einen Gewinn von 1,20 Euro 122 . Andere Studien gehen sogar von einem Verhältnis von 1 zu 55 aus. 123

Würde beispielsweise der bestehende Schwarzmarkt für Cannabis, ceteris paribus, durch einen regulierten Markt mit Jugendund Verbraucherschutz (Kontrolle von Qualität und THC-Gehalt) ersetzt werden, würde durch die Legalisierung des Marktes (Arbeitsplätze, reguläre Steuern sowie Sondersteuer auf Cannabis) und den Wegfall der Repressionskosten eine siebenstellige Summe verfügbar werden. Der Deutsche Hanf Verband schreibt dazu 124 : „Selbst bei sehr vorsichtigen Schätzungen und Annahmen kann man davon ausgehen, dass bei einer Cannabislegalisierung mindestens 1,4 Mrd Euro pro Jahr direkt in die Staatskassen fließen. Ein Vielfaches davon scheint wahrscheinlich.“ Dieses Geld sollte in den Ausbau der Suchtprävention investiert werden. Allein mit den Einnahmen und Einsparungen einer Cannabislegalisierung lassen sich mindestens 19.000 zusätzliche Stellen im Bereich der Suchtprävention finanzieren. Dies wäre eine Vollzeitstelle pro 600 Schüler und entspräche einer halben Stelle für jede Grundschule, jede weiterführende Schule und jede berufliche Schule in Deutschland. Würden zudem die Konsumenten aller anderen Drogen entkriminalisiert werden, könnte die Zahl der Stellen mindestens verdoppelt werden. 125

Das Ergebnis dieses Szenarios wäre die Entkriminalisierung von mehreren Millionen Bundesbürgern, der Wegfall von milliardenschweren Umsätzen für kriminelle Organisationen und stattdessen der Ausbau der Prävention in beachtlicher Größenordnung, sodass eine spürbare Wirkung durch die signifikante Minderung von Drogenproblemen plausibel ist. Dieser Text stammt teilweise aus der Studie „Entkriminalisierung und Regulierung – Evidenzbasierte Modelle für einen alternativen Umgang mit Drogenhandel und –konsum“ (H. Stöver/ M. Plenert, Berlin: FriedrichEbert-Stiftung 2013, library.fes.de/pdffiles/iez/10159.pdf). Dort finden sich noch weitere Ausführungen zum Thema.

Bild siehe PDF Datei auf der Startseite.
Dieses schematische Modell einer britischen drogenpolitischen NGO (Transform Drug Policy Foundation; siehe http://www.tdpf.org.uk/) verdeutlicht, unter welchen Bedingungen bestimmte Drogen die meisten Schäden anrichten, sowohl in Bezug auf die individuelle Gesundheit als auch auf soziale Folgen: nämlich einerseits unter den Bedingungen einer strikt durchgesetzten Prohibition, andererseits in einem freien kommerziellen Markt. Deshalb ist es wünschenswert, für alle Drogen – sowohl die derzeit legalen als auch die illegalen – Regulierungen durchzusetzen, die eher in der Mitte der beiden beschriebenen Pole liegen.

118 Die Drogenbeauftragte der Bundesregierung (2005); Drogen und Sucht Ein Plan in Aktion. Bonn: Bundesministerium für Gesundheit und Soziale Sicherung www.akzept.org/pdf/aktuel_pdf/nr14/bmgsa600.pdf

119 Quellen für alle BKA-Daten: die jeweiligen Polizeiliche Kriminalstatistiken und Bundeslagebilder Rauschgift aus diversen Jahren; http://www.bka.de/nn_205960/DE/Publikationen/P olizeilicheKriminalstatistik/pks__node.html?__nnn=tr ue und http://www.bka.de/DE/ThemenABisZ/Deliktsbereich e/Rauschgiftkriminalitaet/Lagebilder/lagebilder__no de.html?__nnn=true

120 Daten aus diversen Repräsentativbefragungen; vgl. Pfeiffer-Gerschel, T., Kipke, I., Flöter, I., Jakob, L., Budde, A., Rummel, C.: Bericht 2013 des nationalen REITOX-Knotenpunkts an die EBDD. Neue Entwicklungen und Trends. München: IFT 2013.

121 Vgl. Mostardt, S. / Flöter, S. / Neumann, A. / Wasem, J. / Pfeiffer-Gerschel, T. (2010): Schätzung der Ausgaben der öffentlichen Hand durch den Konsum illegaler Drogen in Deutschland, in: Gesundheitswesen 72(12), S. 886-894

122 http://www.dguv.de/inhalt/presse/2012/Q1/ret urn-on-prevention/index.jsp

123 https://povertybadforhealth.wordpress.com/2013/0 4/02/the-economic-benefits-of-prevention/

124 http://hanfverband.de/index.php/themen/drogenp olitik-a-legalisierung/981-finanzielle-undwirtschaftliche-auswirkungen-einercannabislegalisierung

125 http://www.alternativedrogenpolitik.de/2011/09/12/drogenmundigkeitstatt-repression/

Gesetzliche Regulierungen für den Umgang mit Drogen

Von Maximilian Plenert

„Es gibt keinen Königsweg, um Drogen- und Suchtprobleme zu vermeiden oder zu bewältigen. Zu vielfältig sind die Ursachen, zu individuell ist der Hilfebedarf. Diese Erkenntnis hat sich mittlerweile bei allen im Problemfeld „Sucht“ Engagierten durchgesetzt. Nur ein breit gefächertes Bündel aufeinander abgestimmter Angebote und Maßnahmen führt dazu, dass die Drogen- und Suchtprobleme eingedämmt werden können. Die Drogen- und Suchtpolitik der Bundesregierung steht deshalb auf vier Säulen.“ 118

In den Drogen- und Suchtberichten der Drogenbeauftragten und Verlautbarungen der drogenpolitischen Sprecher der Regierungsfraktionen verengt sich der Blick meist auf die drei Säulen Prävention, Beratung/Behandlung und Überlebenshilfe/Schadensreduzierung. Die vierte Säule „Repression und Angebotsreduzierung“ mit ihren Maßnahmen, „welche die Verfügbarkeit von Drogen und Suchtmitteln in unserer Gesellschaft einschränken“, taucht im Drogen- und Suchtbericht der Bundesdrogenbeauftragten oder der nationalen Strategie zur Drogen- und Suchtpolitik quasi nicht auf. Wenn sie erwähnt wird, dann im Zusammenhang mit der Regulierung des Alkoholund Tabakmarktes – Werbeverboten, Altersgrenzen beim Verkauf etc. ohne den Einsatz des Strafrechtes –, der internationalen Zusammenarbeit gegen die Organisierte Kriminalität oder Projekten der „Alternativen Entwicklung“ in Drogenanbauländern.

Im Drogen- und Suchtbericht 2012 wird die vierte Säule mit einer Wiedergabe der Daten aus der polizeilichen Kriminalstatistik zu Schmuggel, Anbau und Produktion, Sicherstellungszahlen, Erstauffälligen Konsumenten harter Drogen sowie der Zahl der Drogentote abgehandelt – ohne zumindest Offensichtliches, wie die tödlichen Auswirkungen durch die Nichtverfügbarkeit von Drogenkonsumräumen im Süden Deutschlands anzusprechen. Ein allgemeiner Satz noch: „Eine Bedrohung für die gesamte Gesellschaft stellen auch der Drogenhandel und die Drogenkriminalität dar“ und weiter im Text…

Das Ausblenden weiter Teile der vierten Säule ist ein Zeichen für die sektorale Fixierung der gegenwärtigen Drogenpolitik. Die offizielle Drogenpolitik steckt damit fest im Gedankengefängnis der Prohibition als allgemein akzeptierte und unbedingt notwendige Form des Umgangs mit Drogen. Jede noch so gute Idee im Bereich Prävention, Hilfe und Schadensminimierung muss sich in den Rahmen dieser prohibitiv-repressiven Kontrollpolitik einfügen, sonst wird sie verworfen. Eine öffentliche Diskussion über die Möglichkeiten bzw. Unmöglichkeiten einer „friedlichen KoExistenz von Kontrolle und Hilfe“ erfolgt quasi nicht.

Die zentrale harmlose Behauptung, Drogenpolitik und -hilfe konzentriere sich im Wesentlichen auf Prävention, löst sich bei einer objektiven Betrachtung sofort in Luft auf. Die „Bekämpfung der Rauschgiftkriminalität“ entpuppt sich als Jagd auf Konsumenten und Abhängige, die sowohl ihren eigenen Zielen, Angebot und Nachfrage zu reduzieren, nicht gerecht wird und zudem schädlich für Gesellschaft und Betroffene ist.

Hierzu einige Zahlen aus der polizeilichen Kriminalstatistik und dem Bundeslagebild Rauschgift für das Berichtsjahr 2012. 119

Hinter den „allgemeinen Verstößen gemäß § 29 BtMG“ der polizeilichen Kriminalstatistik verbergen sich die konsumbezogenen Delikte, also alles außer Schmuggel, Handel, Bandenkriminalität oder „nicht geringe“ Mengen. Mit einem Anteil von 72 Prozent bei allen Drogen und 76,7 Prozent bei Cannabis machen sie den Großteil der polizeilichen Arbeit aus. Der Anteil der sogenannten „Rauschgiftdelikte“ an der Gesamtkriminalität hat sich in den Jahren 1993 bis 2002 nahezu verdoppelt und ist seitdem auf diesem hohen Niveau geblieben.

Die Polizeiliche Kriminalstatistik für das Berichtsjahr 2011 kennt 196.337 Tatverdächtige im Kontext von Rauschgiftdelikten. 144.140 Tatverdächtige erhielten eine Strafanzeige wegen eines allgemeinen Verstoßes gemäß § 29 BtMG, den größten Anteil machen hier Verstöße wegen Cannabis mit 91.590 Personen aus.

Bezogen auf die regelmäßigen Konsumenten von Cannabis (30-Tages-Prävalenz) werden sechs Prozent mindestens einmal pro Jahr zu Tatverdächtigen aufgrund eines konsumbezogenen Delikts. Bezogen auf die Zahl der mindestens gelegentlichen Konsumenten (12Monats-Prävalenz) sind es drei Prozent, bei den Konsumenten von Drogen außer Cannabis sind es 13 bzw. 7,5 Prozent 120 . Die Repression durch den Staat wird damit für viele Konsumenten die schlimmste Nebenwirkung ihres Konsums.

Trotz dieser Zahlen wird in der drogenpolitischen Debatte immer wieder behauptet, der Fokus der Polizeiarbeit läge bei den Drogenhändlern und nicht bei den Konsumenten. Dabei zeigt ein Blick in die Zahlen des BKA, dass sich das Übergewicht der Verfolgung von Konsumenten tendenziell sogar noch verstärkt hat:

Im Jahr 1993 zählte das BKA 122.240 Fälle von Rauschgiftkriminalität, davon 79.631 konsumnahe Delikte. Dies entspricht einem Anteil von 65,1 Prozent. Im Jahre 2011 waren es 170.297 von 236.478 Delikten und damit 72,0 Prozent.

Hinzu kommt die Beschaffungskriminalität von Drogenabhängigen. Es lassen sich mindestens 2,5 Prozent aller Straftaten – eher das Doppelte –, insbesondere in den Bereichen Diebstahl, Raub und Einbruch, auf Beschaffungskriminalität zurückführen. Deren Ursache ist u.a. in der nicht flächendeckenden Versorgung mit adäquaten Drogenhilfsangeboten zu sehen: dort wo ausreichend Möglichkeiten zur Substitutionsbehandlungzur Verfügung stehen, konnte auch die Beschaffungskriminalität reduziert werden.

Die Ausgaben im Rahmen der vier Säulen der Drogenpolitik wurden durch die Studie „Schätzung der Ausgaben der öffentlichen Hand durch den Konsum illegaler Drogen in Deutschland“ untersucht. 121 Das Ergebnis belegt: etwa zehn Prozent der gesamten öffentlichen Ausgaben für die öffentliche Sicherheit und Ordnung weisen einen Bezug zu illegalen Drogen auf. Im Sozialund Gesundheitswesen liegt der Anteil nur bei 0,3 Prozent; dieser Sektor ist allerdings auch um ein Vielfaches größer und die Datenlage ist relativ schlecht.

Die Gesamtsumme der öffentlichen Ausgaben für illegale Drogen schätzt die Studie auf insgesamt 5,2 bis 6,1 Mrd. € . Der Großteil dieses finanziellen Engagements des Staates fließt in repressive Maßnahmen zur Bekämpfung von Kriminalität im Zusammenhang mit „Rauschgift“. Hierunter fallen die Kosten für den Justizapparat wie Polizei, Staatsanwaltschaft, Gerichte und Gefängnisse aufgrund von „Rauschgiftdelikten nach dem Betäubungsmittelgesetz (BtMG) als (…) durch Drogenkonsumenten begangenen Straftaten“. Der Anteil liegt bei ca. 70 % bzw. 3,4–4,4 Milliarden Euro.

Die Bereiche Gesundheitswesen und soziale Sicherung haben mit 1,8 bis 1,9 Mrd. Euro einen Anteil von 30–35 Prozent an den Gesamtausgaben. Das Verhältnis der Ausgaben für Repression im Vergleich zu Hilfe und Therapie liegt somit bei sieben zu drei. Die Ausgaben pro Einwohner belaufen sich im Bereich illegaler Drogen auf 63–74 Euro pro Einwohner pro Jahr.

Durch die Fehlallokation polizeilicher Ressourcen in Form einer unverhältnismäßigen Priorisierung der Verfolgung von Drogendelikten im Bereich des Eigenbedarfs werden gleichzeitig andere, für das Gemeinwohl schädlichere Delikte, wie im Bereich der Wirtschaftsund Umweltkriminalität, nicht aufgeklärt.

Die Gesamtausgaben zur Bekämpfung der Rauschgiftkriminalität in der Geschichte der BRD liegen in der Größenordnung von 200 Mrd. Euro, was dem wirtschaftlichen Schaden durch die Katastrophe von Tschernobyl oder den notwendigen Investitionen für die Energiewende in Deutschland entspricht

Mehr Investitionen im Bereich der Suchtprävention an Stelle von Repression würden sich gleich zweifach lohnen. Zum einen entfalten Gelder, die derzeit in die Repression fließen, dort keinerlei positive Effekte, zum anderen haben sie in der Regel sogar schädliche Auswirkungen. Zudem würde jeder Euro, der in die Prävention fließt, mehr als einen Euro Einsparungen an anderer Stelle bringen. Somit ist es deutlich teurer, bereits entstandene Schäden zu beheben, als sie im Vorfeld aufzuspüren. Präventionsexperten gehen davon aus, dass der Nutzenfaktor, also der „Return on Prevention“ bei 2,2 liegt. Jeder Euro für die Prävention schafft damit einen Nutzen von 2,20 Euro bzw. einen Gewinn von 1,20 Euro 122 . Andere Studien gehen sogar von einem Verhältnis von 1 zu 55 aus. 123

Würde beispielsweise der bestehende Schwarzmarkt für Cannabis, ceteris paribus, durch einen regulierten Markt mit Jugendund Verbraucherschutz (Kontrolle von Qualität und THC-Gehalt) ersetzt werden, würde durch die Legalisierung des Marktes (Arbeitsplätze, reguläre Steuern sowie Sondersteuer auf Cannabis) und den Wegfall der Repressionskosten eine siebenstellige Summe verfügbar werden. Der Deutsche Hanf Verband schreibt dazu 124 : „Selbst bei sehr vorsichtigen Schätzungen und Annahmen kann man davon ausgehen, dass bei einer Cannabislegalisierung mindestens 1,4 Mrd Euro pro Jahr direkt in die Staatskassen fließen. Ein Vielfaches davon scheint wahrscheinlich.“ Dieses Geld sollte in den Ausbau der Suchtprävention investiert werden. Allein mit den Einnahmen und Einsparungen einer Cannabislegalisierung lassen sich mindestens 19.000 zusätzliche Stellen im Bereich der Suchtprävention finanzieren. Dies wäre eine Vollzeitstelle pro 600 Schüler und entspräche einer halben Stelle für jede Grundschule, jede weiterführende Schule und jede berufliche Schule in Deutschland. Würden zudem die Konsumenten aller anderen Drogen entkriminalisiert werden, könnte die Zahl der Stellen mindestens verdoppelt werden. 125

Das Ergebnis dieses Szenarios wäre die Entkriminalisierung von mehreren Millionen Bundesbürgern, der Wegfall von milliardenschweren Umsätzen für kriminelle Organisationen und stattdessen der Ausbau der Prävention in beachtlicher Größenordnung, sodass eine spürbare Wirkung durch die signifikante Minderung von Drogenproblemen plausibel ist. Dieser Text stammt teilweise aus der Studie „Entkriminalisierung und Regulierung – Evidenzbasierte Modelle für einen alternativen Umgang mit Drogenhandel und –konsum“ (H. Stöver/ M. Plenert, Berlin: FriedrichEbert-Stiftung 2013, library.fes.de/pdffiles/iez/10159.pdf). Dort finden sich noch weitere Ausführungen zum Thema.

Bild siehe PDF Datei auf der Startseite.
Dieses schematische Modell einer britischen drogenpolitischen NGO (Transform Drug Policy Foundation; siehe http://www.tdpf.org.uk/) verdeutlicht, unter welchen Bedingungen bestimmte Drogen die meisten Schäden anrichten, sowohl in Bezug auf die individuelle Gesundheit als auch auf soziale Folgen: nämlich einerseits unter den Bedingungen einer strikt durchgesetzten Prohibition, andererseits in einem freien kommerziellen Markt. Deshalb ist es wünschenswert, für alle Drogen – sowohl die derzeit legalen als auch die illegalen – Regulierungen durchzusetzen, die eher in der Mitte der beiden beschriebenen Pole liegen.

118 Die Drogenbeauftragte der Bundesregierung (2005); Drogen und Sucht Ein Plan in Aktion. Bonn: Bundesministerium für Gesundheit und Soziale Sicherung www.akzept.org/pdf/aktuel_pdf/nr14/bmgsa600.pdf

119 Quellen für alle BKA-Daten: die jeweiligen Polizeiliche Kriminalstatistiken und Bundeslagebilder Rauschgift aus diversen Jahren; http://www.bka.de/nn_205960/DE/Publikationen/P olizeilicheKriminalstatistik/pks__node.html?__nnn=tr ue und http://www.bka.de/DE/ThemenABisZ/Deliktsbereich e/Rauschgiftkriminalitaet/Lagebilder/lagebilder__no de.html?__nnn=true

120 Daten aus diversen Repräsentativbefragungen; vgl. Pfeiffer-Gerschel, T., Kipke, I., Flöter, I., Jakob, L., Budde, A., Rummel, C.: Bericht 2013 des nationalen REITOX-Knotenpunkts an die EBDD. Neue Entwicklungen und Trends. München: IFT 2013.

121 Vgl. Mostardt, S. / Flöter, S. / Neumann, A. / Wasem, J. / Pfeiffer-Gerschel, T. (2010): Schätzung der Ausgaben der öffentlichen Hand durch den Konsum illegaler Drogen in Deutschland, in: Gesundheitswesen 72(12), S. 886-894

122 http://www.dguv.de/inhalt/presse/2012/Q1/ret urn-on-prevention/index.jsp

123 https://povertybadforhealth.wordpress.com/2013/0 4/02/the-economic-benefits-of-prevention/

124 http://hanfverband.de/index.php/themen/drogenp olitik-a-legalisierung/981-finanzielle-undwirtschaftliche-auswirkungen-einercannabislegalisierung

125 http://www.alternativedrogenpolitik.de/2011/09/12/drogenmundigkeitstatt-repression/

Das falsche Signal – Anmerkungen zu einem häufig genannten „Argument“

Von Bernd Werse

In politischen Kreisen, die den Status quo der Drogenprohibition verteidigen, wird in Diskussionen über das Thema praktisch immer das vermeintliche Argument angeführt, eine Regulierung oder Entkriminalisierung bestimmter Drogen oder auch nur die Heraufsetzung der „geringen Menge“, bei der ein Strafverfahren eingestellt werden kann, würde ein „falsches Signal“ aussenden. Ein Signal, durch das insbesondere jungen Menschen suggeriert werde, die betreffenden Drogen seien ja gar nicht so gefährlich.

Abgesehen davon, dass der Effekt des „falschen Signals“ in der Prävention alles andere als gesichert ist (s.u.), stellt sich die Frage, welche falschen Signale eigentlich durch die derzeitige Rechtslage gesendet werden. Wie denkt z.B. eine unter chronischen Schmerzen oder Nebenwirkungen einer Chemotherapie Leidende über eine Medizin, in der das am besten wirksame Medikament praktisch nicht verfügbar ist, da es nach aufwendigem Antragsverfahren zu stark überhöhten Preisen selbst bezahlt werden muss (obwohl die Betroffene es viel einfacher selbst anbauen könnte)? Wie denkt ein Jugendlicher über das Rechtssystem, wenn er gerade zu einer saftigen Bewährungsstrafe verurteilt wurde, weil er ausnahmsweise mal eine etwas größere Menge des Genussmittels seiner Wahl dabei hatte, weil er einigen Bekannten noch etwas mitbringen wollte? Während womöglich ein anderer Bekannter, der alkoholisiert eine Gewalttat begangen hat, gerade wegen seiner Alkoholisierung eine geringere Strafe erhält? Was hält eine wöchentliche Konsumentin von unseren Gesetzen, wenn sie gerade ihren Führerschein verloren hat, obwohl sie gar nicht berauscht im Straßenverkehr erwischt wurde (und ihr Verfahren wegen Drogenbesitzes wegen der geringen Menge bereits   eingestellt wurde) – während sie in einer anderen Gegend mit anderen Akteuren in der Strafverfolgung unbehelligt geblieben wäre? Was denkt ein obdachloser Opiatabhängiger über den Staat, in dem er lebt, wenn es von seinem Wohnort abhängig ist, ob er ein halbwegs ausreichendes Maß an Überlebenshilfe erhält? Und er zwar – wenn er in der „richtigen“ Stadt wohnt – einen Raum nutzen kann, in dem er seine Drogen konsumieren darf, diese aber auf dem Weg dorthin von der Polizei abgenommen bekommt? Und, um noch ein Beispiel von den derzeit legalen Drogen zu nennen: Welche Signale werden eigentlich an Jugendliche ausgesendet, wenn ihnen einerseits ständig vermittelt wird, wie schlimm und riskant ihre eigenen Trinkgewohnheiten sind, wenn sie gleichzeitig Alkohol problemlos an unzähligen öffentlichen Orten erwerben können und sie außerdem praktisch überall mit den Werbebotschaften der Alkoholindustrie bombardiert werden?

Zugegeben: die meisten der oben angeführten Fälle betreffen jeweils nur eine Minderheit – aber eine Minderheit, die das Vertrauen in das Gesellschaftssystem zu verlieren droht. Zu unterschätzen ist dabei auch nicht der unterschwellige Effekt, dass die als ungerecht empfundenen Zustände den Betreffenden möglicherweise im eigenen Konsumverhalten bestärken. Wie etwa zahlreiche Generationen jugendlicher Hardcore-Kiffer, die sich auf den Umstand berufen konnten, dass das Cannabisverbot ungerecht ist – aus den oben angeführten Gründen oder auch, weil es ohnehin das Ergebnis einer Verschwörung von Papierund Kunstfaserindustrie sei, und weil Cannabis ja sowieso „gesünder als Alkohol ist“. Ich bin davon überzeugt, dass derartige subjektive, „politisch“ motivierte Überhöhungen der eigenen Lieblingsdroge zumindest abgeschwächt würden, wenn diese straflos erhältlich wäre – diese „falschen Signale“ würden damit also eher entschärft. Mehr noch: Dadurch, dass der Konsum sowie die Kommunikation über die Substanz nicht mehr strikt im Verborgenen ablaufen müssten, könnte offener über generelle spezifische Risken bestimmter Substanzen und konkrete individuelle Probleme damit gesprochen werden – so ist z.B. der Cannabiskonsum keineswegs generell weniger gefährlich als der Alkoholkonsum, sondern bei entsprechenden Voraussetzungen für bestimmte Personen durchaus riskanter.

Zweifellos würde durch eine legale Regulierung nicht der Drogenkonsum generell eingedämmt werden können – was ja per se keineswegs die Absicht sein kann und natürlich auch völlig unrealistisch ist. Und zweifellos sind diejenigen Staaten mit relativ liberalen Drogengesetzen auch nicht selten diejenigen mit relativ hoher Drogenverbreitung. Aber: Zumeist ist es so, dass liberale Gesetze erst eingeführt wurden, nachdem die Verbreitung bereits relativ hoch war (wie etwa in Tschechien oder Spanien), und die Liberalisierung führte dann keineswegs zu einem weiteren Anstieg (teilweise sogar zu tendenziellen Rückgängen). Außerdem gibt es auch Gegenbeispiele, wie etwa Portugal, das eine der weitgehendsten Entkriminalisierungen einführte und gleichzeitig eine im europäischen Vergleich unterdurchschnittliche Drogenverbreitung aufweist. Ein entscheidender Aspekt lässt sich gerade anhand dieses Beispieles gut illustrieren: die gravierenden Probleme, mit denen Portugal noch um die Jahrtausendwende insbesondere im Zusammenhang mit Opiatabhängigen zu kämpfen hatte, haben sich seither sehr deutlich abgeschwächt.

In diesen Ländern ist also keineswegs etwas von einem „falschen Signal“ zu spüren, das durch die Entkriminalisierung ausgesendet würde. Vielmehr zeigen sich Anzeichen dafür, dass das eigentliche Ziel, das Drogenpolitik heute haben sollte, unter liberalen Bedingungen eher erreicht wird: Nicht die generelle Verbreitung von Drogen gilt es zu bekämpfen (was mithilfe der Prohibition ohnehin kaum funktioniert), sondern Gebrauchsformen der selbigen, die dem Konsumierenden und/oder seiner Umwelt schaden. Dies kann mittels legalem Zugang und verfügbaren sachlichen Informationen viel besser erreicht werden als mit Repression – zumal eine Menge finanzieller Mittel frei würde, um sich um (potenzielle) Problemfälle kümmern zu können – was im Sinne der Gesundheitsförderung mit Sicherheit das richtigere Signal wäre.

Ist das Drogenverbot geeignet, erforderlich und verhältnismäßig? Rechtsstaatliche Aspekte des Drogenverbots

Von Gerrit Kamphausen

Drogenpolitik wird fast ausschließlich als Gebiet der Gesundheitspolitik betrieben; daher wird dem Gesundheitsausschuss des Bundestages eine übergeordnete Rolle im Prozess der Gesetzgebung zuteil. Berichte, Expertenmeinungen und -anhörungen sowie letztlich die Gesetzesentwürfe selbst werden fast ausschließlich in diesem Gremium diskutiert, bevor der Bundestag entsprechende Beschlüsse fasst. Der Grund für dieses feststehende Prozedere liegt in der alles bestimmenden Annahme der individuellen und gesellschaftlichen Gesundheitsgefährdung durch Drogen. Diese Vorgehensweise bei der politischen Entscheidungsfindung ist insofern unvollständig, als die damit verbundenen Strafgesetze genuin eine Angelegenheit der Innenund Justizpolitik sind und dementsprechend die mit diesen Feldern befassten Ausschüsse gleichermaßen beteiligt sein müssten. Als Folge dieses Ungleichgewichts bei der Entstehung und Bewertung der aktuellen Gesetzeslage fällt unter den Tisch, dass das bestehende Verbot aus juristischer Perspektive rechtsstaatlich fragwürdig ist und aus soziologischer Sicht der Gesellschaft mehr schadet als nützt.

In einem freiheitlich geprägten Rechtsstaat gilt immer das Gebot, für strafrechtliche Maßnahmen die höchstmögliche Schwelle zu setzen. Konkret erfolgt das über die konsequente und kategorische Einhaltung des Dreisatzes der Geeignetheit, Erforderlichkeit und Verhältnismäßigkeit der Maßnahme. Alle drei Kategorien müssen dabei unzweifelhaft bejaht werden. Für die Prüfung dieser Kategorien wäre eine prozessuale Gleichstellung der Innenund Justizpolitik mit der Gesundheitspolitik zwingend geboten. Nicht zuletzt deshalb fordert eine Vielzahl der deutschen Strafrechtsprofessoren und anderer Experten die Einrichtung einer Enquetekommission, welche die aktuelle Drogenprohibition auf die Vereinbarkeit mit den rechtsstaatlichen Grundprinzipien überprüfen soll. Einer solchen Überprüfung würde das Drogenverbot nur schwer standhalten. Das Verbot soll den Einzelnen und die Gesellschaft vor den echten und vermeintlichen Gefahren, die mit dem Konsum verbunden sein können, schützen. Konkret soll das so erfolgen, dass mit dem Verbot die kriminalisierten Drogen nicht mehr verfügbar sind und damit aus der Gesellschaft verschwinden. Aus juristischer, rechtsstaatlicher Sicht lauten die zu klärenden Fragen demnach:

1. Ist das Verbot geeignet, die Drogen aus der Gesellschaft verschwinden zu lassen? Die Antwort lautet ganz klar: Nein, das ist es nicht. Wenn dies so wäre, dann müsste dieser Erfolg nach nunmehr mehreren Jahrzehnten klar erkennbar sein. Stattdessen sind die Drogen gesellschaftlich weit verbreitet und insbesondere bei Cannabis und synthetischen „Partydrogen“ gibt es eine mehr oder weniger flächendeckende Verfügbarkeit zu durchaus bezahlbaren Preisen. Allerdings werden Drogen fast ausschließlich auf einem Schwarzmarkt gehandelt, der neben den mit solchen Märkten verbundenen Nachteilen für den Verbraucher und mangelnder Produktsicherheit mit dem Risiko der staatlichen Bestrafung und gesellschaftlichen Ausgrenzung aufwartet.
2. Ist es überhaupt erforderlich, die Drogen aus der Gesellschaft verschwinden zu lassen? Auch hier lautet die Antwort: Nein, das ist es nicht. Damit ist nicht gesagt, dass Drogen gänzlich ungefährlich seien. Aber die Gefährlichkeit wird von den Befürwortern des Verbots grundsätzlich übertrieben dargestellt, ebenso wie dabei vergessen wird, dass ein Teil der wirklich gegebenen Gefahren auf das Verbot selbst zurückgeht. Dieser Teil der Gefährlichkeit kann kaum zur Begründung der Erforderlichkeit des Verbots herangezogen werden. Im Übrigen ist es so, dass der allermeiste Drogenkonsum – auch jener der sogenannten „harten“ Drogen – entweder Gelegenheitskonsum oder sogenannter „kontrollierter Konsum“ ist, also solcher, bei dem der Konsument bewusst auf einen vernünftigen Konsum achtet. Allerdings wird diese Selbstkontrolle durch das Verbot erschwert, hauptsächlich, weil die Konsumenten sich vor dem Rest der Gesellschaft verstecken müssen, um der Bestrafung zu entgehen. Auch dieser Sachverhalt kann nicht dazu verwendet werden, die Erforderlichkeit des Verbots zu begründen. Schließlich gilt bezüglich der echten Gefahren, die durchaus mit dem Konsum verbunden sein können, dass diese in einer legalen Situation wesentlich besser beobachtet, reguliert und notfalls behandelt werden können.

3. Ist es im juristischen Sinne verhältnismäßig, mittels eines strafbewehrten Verbots die Drogen aus der Gesellschaft verschwinden zu lassen? Auch hier wieder: Nein, das ist es nicht. Die Verhältnismäßigkeit strafrechtlicher Maßnahmen zu prüfen ist nicht ganz leicht, bezüglich des Drogenverbots lässt sich jedoch feststellen, dass sowohl die eingesetzten Ermittlungsmethoden als auch die angedrohten und vollzogenen Strafen im Vergleich zu anderen Deliktarten übermäßig streng sind. Auf der Ermittlungsebene sind Telefonüberwachungen, Hausdurchsuchungen und der Einsatz sogenannter Lockspitzel auch bei kleineren und mittleren Vergehen gängige Maßnahmen, während die Strafen im Vergleich zu Eigentumsund Gewaltdelikten unverhältnismäßig schwer sind. Das sind Vorgehensweisen, die einem demokratischen Rechtsstaat unwürdig sind.

Das Drogenverbot wird keiner der drei Kategorien der Geeignetheit, Erforderlichkeit und Verhältnismäßigkeit gerecht, obwohl dies zu seiner Aufrechterhaltung zwingend nötig wäre. Eine Gleichberechtigung der Innenund Justizpolitik gegenüber der Gesundheitspolitik, unter der Voraussetzung eines gesteigerten Bewusstseins für rechtsstaatlich unabdingbare Kategorien bei der Bewertung von Verbotsgesetzen und den eingesetzten Ermittlungsmethoden, könnte die aktuell gegebenen Missstände beheben.
Doch zurzeit ist es nun einmal so, dass dieser aus rechtsstaatlicher Sicht unzulässige Status quo politisch ungeprüft existiert, und daher ist es nicht verwunderlich, dass damit aus soziologischer Sicht bereits massive negative Konsequenzen für die Gesellschaft feststellbar sind. Dazu gehören nicht nur jene, von denen die Konsumenten direkt betroffen sind – Streckmittel, Abzocke beim Kauf, ungerechte Strafverfolgung – sondern auch jene, von denen die Gesellschaft insgesamt betroffen ist, als da unter anderem wären: Geldwäsche, Korruption, Vertrauensverlust in staatliche Institutionen und Auflösungserscheinungen rechtsstaatlicher Prinzipien. Eine Neuordnung der staatlichen Drogenpolitik wäre also nicht nur mit Vorteilen für alle direkt Beteiligten verbunden, sondern könnte zusätzlich den Rechtsstaat stärken. Ein erster Schritt dazu wäre die politische und juristische Überprüfung der Verbotspolitik anhand der genannten Kategorien und unter Einbeziehung aktueller Forschungsergebnisse.

Drogentests

Von Simon Egbert, Henning Schmidt-Semisch, Katja Thane und Mona Urban

Seit den 1990er Jahren etablieren sich Drogentestpraktiken in Deutschland. Hierbei handelt es sich um Verfahren, die den Konsum von illegalen Substanzen sichtbar machen sollen. Getestet wird entweder mittels Schnelltests (anhand von Urin, Speichel oder Schweiß) oder mittels Laboruntersuchungen (vor allem anhand von Haaren oder Blut). Dabei können die Tests entweder auf den Nachweis nur einer Substanz oder auf mehrere Stoffe gerichtet sein (Multibzw. Gruppentests). Zudem unterscheiden sie sich danach, ob sie Originalsubstanzen und/oder deren Metaboliten (Abbauprodukte) anzeigen. Gerade die kostengünstigen und anwenderfreundlichen Schnelltests ermöglichen es, dass Drogentests heute in ganz unterschiedlichen und mannigfaltigen gesellschaftlichen Bereichen zur Anwendung kommen. D.h., Drogentests kommen nicht nur in den gleichsam ‚klassischen’ Bereichen von Therapie, Substitution oder Strafvollzug zum Einsatz, sondern sind zu Alltagspraktiken in den Feldern Arbeit, Bildung, Verkehr und Familie geworden: So leiten beispielsweise Schulleitungen nach Vorfällen Schnelltests ganzer Klassenverbände in die Wege, und Privatschulen werben bereits in ihren Schulordnungen mit randomisierten Testpraktiken, um das Vertrauen geneigter Eltern zu erlangen. In großen Industriebetrieben, in denen Schnelltests eine gängige Methode darstellen (Wilhelm 2008, Kauert 2004), lassen sich vier verschiedene Testpraktiken herausarbeiten: Hier kommen Drogentests zum Einsatz a) im Einstellungsverfahren von Auszubildenden und/oder Angestellten, b) randomisiert zur generellen Vorbeugung von Drogenkonsum in sicherheitsrelevanten Feldern (Flugverkehr, chemische Industrie), c) bei individuellen Verdachtsfällen und schließlich d) im Nachgang eines Arbeitsunfalls (Tunnell 2004). Zugleich führen aber auch Polizeien, die Bundeswehr und Dienstleistungsunternehmen verdachts  unabhängige Kontrollen im Rahmen ihrer Bewerbungsverfahren durch. Im Straßenverkehr gehören Schnelltests zu den Maßnahmen, die die Fahrtüchtigkeit überprüfen sollen, und ist die Fahrerlaubnis einmal entzogen, gehören regelmäßige Drogentests zum gängigen Repertoire des Prozesses ihrer Wiedererlangung. Im familiären Kontext werden beispielsweise Drogentests als Vertrauensbeweis zwischen Erziehungsberechtigten und ihren Kindern legitimiert, aber ebenso wird diskutiert, beispielsweise Pflegeeltern mittels Drogentests auf ihre Versorgungskompetenz zu prüfen. Zudem wird im Hochleistungssport, in dem Dopingkontrollen einen fairen Wettbewerb sichern sollen, bei bestimmten Sportarten auf Metaboliten von THC und andere illegale Substanzen getestet. Und schließlich sind Drogentests auch im Zusammenhang mit der Vergabe von Arbeitslosengeld und im Kontext der Sozialen Arbeit, wie beispielsweise der Jugendhilfe, dokumentiert.

Anwendungsökonomisch betrachtet stellen insbesondere die Schnelltests zwar eine günstige und praktikable Maßnahme dar, sie sind jedoch zugleich mit diagnostischen Einschränkungen und Fehlerquellen verbunden. Im Gegensatz zu den laborgebundenen Verfahren handelt es sich bei ihnen um Verfahren, die lediglich bestimmen können, ob die gesuchten Stoffe und/oder ihre Abbauprodukte im Urin auffindbar sind oder nicht. Dabei kommt dem so genannten ‚Cutoff‘-Wert (also jener Konzentrationsschwelle, ab der ein positives Ergebnis angezeigt wird) eine zentrale Rolle zu (Schütz 1999). Diese Nachweisgrenzen, d.h. die Konzentration im Urin, ab der ein Test ein positives Ergebnis anzeigt, sind juristisch nicht festgeschrieben (Wilhelm 2008; Schmid 2007) und können demnach von jedem Hersteller selbst festgelegt werden. So existieren beispielsweise für den Nachweis von Cannabinoiden Tests mit unterschiedlichen Entscheidungsgrenzen (25 oder 50 oder 100 ng/l), die jeweils abhängig von ihrem Einsatzbereich angewendet werden (Külpmann 2003). Gleichzeitig hat die Festlegung der Nachweisgrenze wirkmächtige Folgen: Liegt die Grenze vergleichsweise hoch, so besteht das Risiko,dass fälschlicherweise negative Resultate erzielt werden, liegt sie zu niedrig, so können falsch positive Resultate die Folge sein (Schmid 2007). Ob ein Test ein positives oder negatives Ergebnis anzeigt, ist daher Folge einer (ggf. interessengeleiteten oder auch normativen) Entscheidung für eine bestimmte Nachweisgrenze, die sich allerdings nicht von ‚objektiven’ Kriterien ableiten lässt. Die tatsächliche Aussagekraft eines Testverfahrens hängt damit lediglich von der Nachweisempfindlichkeit ab und bleibt stets und unausweichlich relativ (Paul 2007).

Jenseits dieser technisch bedingten Limitationen sind systematische und anwendungsbezogene Fehlerquellen geltend zu machen: Produktionsmängel, eine mögliche Kontamination der Teststreifen, unsachgemäße Lagerung, Manipulationsmöglichkeiten der Getesteten und die hohe Anforderung die Testergebnisse richtig zu deuten – wobei bereits eine schwache Beleuchtung Ablesefehler bewirken kann – gehören zu den anwendungsbezogenen Fehlerquellen (Külpmann 2003). Zu den systematischen gehören u.a die Kreuzreaktionen. Diese zeigen sich nicht nur bei Medikamenten, sondern bereits der Konsum von Mohnkuchen kann eine positive Anzeige auf dem Teststreifen für Opiate bewirken (Kauert 2004, Schmid 2007). Bei den Ergebnissen von Schnelltests kann es sich daher immer nur um ein „vorläufiges Ergebnis“ (Schütz 1999, 326) handeln. Vor Gericht besitzen Schnelltests daher keine Verwertbarkeit, vielmehr sind zweistufige Verfahren erforderlich, um den Verdacht, der durch den Schnelltest begründet wurde, zu erhärten (Külpmann 2003). Laborgestützte Bestätigungsanalysen, die zwar zumeist kostenintensiv sind, aber eine identifizierendequantitative Messung ermöglichen (Paul 2007), müssen – so sind sich viele ExpertInnen einig – die Ergebnisse der Schnelltests verifizieren (vgl. Hallbach/Felgenhauer 2009, Nadulski/Agius 2009, Schmid 2007, von Minden/von Minden 2002b). Laboruntersuchungen müssen so beispielsweise in verwaltungsrechtlichen Verfahren in Folge von Kontrollen im Straßenverkehr vorliegen. In weniger kodifizierten, geregelten Feldern, wie schulischen und privaten Kontexten oder auch in Bewerbungsverfahren (Paul 2010), entfallen hingegen solche Bestätigungsanalysen in aller Regel.

Was der Schnelltest also leisten kann, ist eine mehr oder weniger verlässliche Momentaufnahme hinsichtlich des zurückliegenden Konsums einer Person in einem variierenden Zeitfenster. Da die Abbauprozesse über die Niere einige Zeit in Anspruch nehmen, sind die Substanzen erst nach mindestens einer Stunde überhaupt von einem Schnelltest erfassbar. Außerdem bewirkt die spezifische Filtration der Niere eine längerfristige Nachweisbarkeit von Stoffen (von Minden/von Minden 2002a). Diese wiederum ist abhängig von der Substanz höchst unterschiedlich, so dass sehr verschiedene Zeitfenster existieren: während die Nachweisbarkeit von Alkohol bereits nach zwölf Stunden unter dem Cut-off Wert liegt, können Opiate zwei bis vier und Cannabis (THC) zwei bis drei Tage, bei regelmäßigem Konsum auch noch nach mehreren Wochen, angezeigt werden (von Minden 2012, 42f). Nicht zuletzt schwankt im Laufe des Tages die Konzentration der Metaboliten im Urin, desweiteren differiert sie auch von Mensch zu Mensch (Jawork 2007). Insgesamt ist anzumerken, dass Schnelltests weder Schlüsse auf die Intensität oder Regelmäßigkeit des Konsums ermöglichen noch einen Bezug zur Wirkung der Substanz zum Zeitpunkt des Testens erlauben (Schmid 2007). Insofern kann auch nicht auf eine Beeinträchtigung des Bewusstseins oder der Arbeitsoder Verkehrsfähigkeit der getesteten Person geschlossen werden. Damit ist es auch nicht möglich, auf ‚Abhängigkeiten‘ oder ein ‚Drogenproblem‘ zu schließen (Paul 2007; Schmid 2007).

Rechtlich berühren die Tests verschiedene Aspekte am Arbeitsplatz: Während bei sicherheitsrelevanten Tätigkeiten die Durchführungen von Drogentests auf dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit als allgemein zulässig eingestuft werden (Arbeitsgericht Hamburg 2006), ist in anderen Fällen die Zustimmung der Betroffenen erforderlich (Paul 2010; Weichert 2004). Die damit gegebene  Freiwilligkeit ist allerdings als relativ zu betrachten, da eine Verweigerung des Tests beispielsweise die Gesundheitsüberprüfung der BetriebsmedizinerInnen faktisch verunmöglicht (Wienemann/Müller 2005) und die entsprechende Bewerbung aus diesem Grund sicherlich nicht berücksichtigt würde. Eine Verweigerung des Tests wird zudem häufig als Indiz für einen Drogenkonsum gewertet, da sonst ja keine Notwendigkeit bestünde, den Test zu verweigern.

Die Konsequenzen eines positiven Testergebnisses variieren in unterschiedlichen Anwendungskontexten. So kann etwa in der betrieblichen Praxis das positive Resultat eines Schnelltests durch die getestete Person im Regelfall beanstandet und durch ein laborgestütztes Verfahren verifiziert werden. Fällt dieses ebenfalls positiv aus, greifen Unternehmen auf unterschiedliche Sanktionen zurück, wobei in den seltensten Fällen eine unmittelbare Kündigung die Folge ist. Stattdessen werden die betroffenen ArbeitnehmerInnen zumeist freigestellt, womöglich abgemahnt oder zu (drogen-) therapeutischen Gesprächen bewegt (Egbert 2013). Auch arbeitsrechtliche Konsequenzen werden durch die Schnelltests evident: Da Tests den Konsum abbilden, der bereits mehrere Tage zurück liegt, lässt sich folgern, dass sie vielmehr das Freizeitverhalten abbilden; arbeitsrechtlich sollte dieser Bereich jedoch prinzipiell uneinsehbar sein (Weichert 2004). Ein positives Testergebnis bei einer Verkehrskontrolle bedeutet für die Betroffenen nicht nur den Verlust der Fahrerlaubnis, sondern beinhaltet zudem enorme Kosten im Rahmen der medizinisch-psychologischen Untersuchung (MPU), in deren Rahmen die Begutachtung der Fahreignung erfolgt. Die Kosten für einen rechtlichen Beistand, Bußgeldbescheide, Verwaltungsgebühren und für die auferlegten, fortlaufenden medizinischen Untersuchungen sind oftmals – abhängig jeweils von der Schwere der Auflagen – auf mehrere Hundert Euro zu beziffern (siehe auch Pütz in diesem Band). Schließlich muss auch für die Kontrollen im Straßenverkehr resümiert werden, dass nicht die konkrete Intoxikation nachgewiesen wird, wie beispiels  weise bei der Nutzung einer Atemalkoholanalyse. Es kann also, so ist zu betonen, keine eigentliche Gefährdungsanalyse durch die Schnelltests erstellt werden.

Für diverse Nutzungskontexte ergibt sich daher im Falle der Drogentests ein durchaus ambivalentes Bild: Gesellschaftliche Bedingungen und ökonomische Kalküle haben großen Einfluss auf die Aussagekraft der Testergebnisse. Die vordergründige Praktikabilität der Drogenschnelltests, ihr zeitnahes Liefern von Ergebnissen, die kostengünstige Anschaffung und niedrigschwellige Bedienungsweisen erweisen sich bei näherer Betrachtung als ambivalent. Das bildgebende Verfahren des Tests täuscht eine Eindeutigkeit vor, sei es einer Arbeitsoder Fahrunfähigkeit, die sie gerade nicht belegen kann (vgl. Egbert/Paul 2013). Schlussendlich eröffnet sich durch Drogentests auch drogenpolitisch ein paradoxes Feld: Während einerseits der Konsum illegaler Substanzen strafrechtlich nicht verfolgt wird, realisieren sich andererseits durch den Nachweis von Metaboliten – quasi durch die Hintertür – gravierende verwaltungsrechtliche und soziale Konsequenzen für die positiv Getesteten.

Aufgrund der begrenzten Aussagekraft von Drogenschnelltests einerseits und der zum Teil gravierenden persönlichen Konsequenzen für positiv Getestete andererseits sollten solche Textpraktiken auf Kontexte beschränkt bleiben, die insbesondere die Sicherheit Dritter tangieren. Für diese Kontexte sollte aber zugleich ein Bewusstsein dafür geschaffen werden, dass Drogentests auch längere Zeit nach der Drogenwirkung noch positive Ergebnisse liefern, d.h. Drogentests weisen zwar ggf. einen Konsum nach, aber sie liefern nur höchst ungenaue Ergebnisse dahingehend, ob dieser Konsum verantwortungsvoll (i.S. z.B. eines Freizeitkonsums) oder aber verantwortungslos (i.S. z.B. einer Sicherheitsgefährdung) erfolgte. Dasselbe gilt freilich für Kontexte, in denen die Gefährdung Dritter keine unmittelbare Rolle spielt (also etwa in familiären und schulischen oder auch manchen betrieblichen Kontexten): Auch hier kann zwischen „verantwortungsvollem“ und „verantwortungslosem“ Konsum nicht differenziert und insoweit auch nicht auf ein „Drogenproblem“, auf „Missbrauch“ oder gar „Abhängigkeit“ geschlossen werden. Da gerade in diesen Kontexten die Ergebnisse von Schnelltests in aller Regel nicht durch Laboruntersuchungen „verifiziert“ werden, die sozialen Konsequenzen aber sowohl für die positiv Getesteten wie auch für die jeweiligen Kontexte selbst (etwa mit Blick auf das Familien-, Schuloder Betriebsklima) gravierend sein können, sollte hier auf Drogentests weitestgehend verzichtet werden. Ein vertrauensvolles Familien-, Schuloder Betriebsklima wird durch Drogentests, so steht zu vermuten, in der Regel nicht geschaffen, sondern eher ein Klima des Misstrauens und der Klandestinität befördert.

Literatur
Arbeitsgericht Hamburg (2006): Az.: 27 Ca 136/06. Urteil vom 01.09.2006. Egbert, S. (2013): Drogentests am Arbeitsplatz – eine (Teil-)Dispositivanalyse soziotechnischer Ensembles. Unveröffentlichte Masterarbeit. Universität Hamburg.
Egbert, S./Paul, B. (2013): Augenscheinlich überführt: Drogentests als visuelle Selektionstechnologie. In: Dellwing, M./Harbusch, M. (Hg.): Krankheitskonstruktionen und Krankheitstreiberei. Wiesbaden, 233-269.
Hallbach, J./Felgenhauer, N. (2009): Toxikologie, Vergiftungen, Drogenscreening. In: Renz, H. (Hg.): Praktische Labordiagnostik. Berlin/ New York, 467487.
Jawork, B. (2007): Drogenkonsum in der Arbeitswelt Deutschlands. Die Rolle betrieblichen Drogenscreenings. Thüringer Universitätsund Landesbibliothek, Jena.
Kauert, G. (2005): Wie illegale Drogen wirken – ein Vergleich der Beeinflussungspotentiale. In: Breitstadt, R./Kauert, G. (Hg.): Der Mensch als Risiko und Sicherheitsreserve. Aachen, 19-23.
Külpmann, Wolf-Rüdiger (2003): Nachweis von Drogen und Medikamenten im Urin mittels Schnelltests. In: Deutsches Ärzteblatt 100 (2003), 17, S. 1138-1140.
von Minden, S.; von Minden, W. (2002a): Analytik von Drogen und Medikamenten im Urin. In: Suchtmed 4 (3), S. 224-225.
von Minden, S.; von Minden, W. (2002b): Analytik von Drogen und Medikamenten im Urin. In: Suchtmed 4 (4), S. 274. von Minden, S. (2012): Analytik von Drogen und Medikamenten. 4., überarb. Aufl., nal von minden; Moers.
Nadulski, Thomas; Agius, Ronald (2009): Moderne Drogenuntersuchungen in Haarund Speichelproben. In: MTA Dialog, 01/2009. 140
Paul, B. (2007): Drogentests in Deutschland oder die Institutionalisierung von Misstrauen. In: Kriminologisches Journal 39, 55-67.
Paul, B. (2010): „Pinkeln unter Aufsicht“ – Zur gesundheitlichen Problematik von Drogenund Dopingtests. In: Paul, B./Schmidt-Semisch, H. (Hg.): Risiko Gesundheit. Wiesbaden, 163-185.
Schmid, R. (2007): Drogentests: Möglichkeiten und Grenzen. In: Beubler, E./Haltmeyer, H./Springer, A. (Hg.): Opiatabhängigkeit. 2. Aufl. Wien, New York, 281-295.
Schütz, H. (1999): Drogenscreenings mit Immunoassays. In: Pharmazie in unserer Zeit 28, 320-328.
Tunnell, K. D. (2004): Pissing on Demand: Workplace Drug Testing and the Rise of the Detox Industry, New York/London.
Weichert, T. (2004): Der Griff in Körper und Seele der Arbeitnehmer – Genomanalyse und Drogenscreening. In: Datenschutznachrichten 1, 5-8.
Wienemann, E./Müller, P. (2005): Standards der AlkoholTabak, Drogenund Medikamentenprävention in deutschen Unternehmen und Verwaltungen. URL: http://www.dhs.de/fileadmin/user_upload/pdf/Arbei tsfeld_Arbeitsplatz/Expertise_Standard_betriebliche_ Suchtpraevention_2005.pdf [31.03.2014].
Wilhelm, Lars (2008): Drogenund Medikamentenscreening. In: Luppa, Peter B.; Schlebusch, Harald (Hrsg.): POCT – Patientennahe Labordiagnostik. Heidelberg: Springer Medizin, 305-320.

Ein Tag im Zeitalter der Drogenprohibition

Von Maximilian Plenert

Deutschland:

• mehr als 630 Strafanzeigen wegen Verstößen gegen das Betäubungsmittelgesetz
• mehr als 450 Strafanzeigen wegen Verstößen gegen das Betäubungsmittelgesetz durch Konsumenten
• mehr als 350 Strafanzeigen wegen Verstößen gegen das Betäubungsmittelgesetz wegen Cannabis
• mehr als 270 Strafanzeigen wegen Verstößen gegen das Betäubungsmittelgesetz wegen Cannabis durch Konsumenten

• fast 20 Anordnungen für Telekommunikationsüberwachung wegen Betäubungsmitteldelikten
• 68 Jahre Haft wegen Betäubungsmitteldelikten – fast ein ganzes Leben
• 2,7 Millionen € Ausgaben für die Strafverfolgung im Bereich Cannabis
• 10,4 Millionen € Ausgaben für die Strafverfolgung im Bereich illegalisierte Drogen
• 3,8 Millionen € Wenigerausgaben und entgangene Einnahmen durch die Nichtlegalisierung von Cannabis

Weltweit:
• 1,1 Milliarden Dollar Umsatz des weltweiten Drogenmarktes
• 3 vollstreckte Todesurteile wegen Drogendelikten
• 33 Todesopfer im mexikanischen Drogenkrieg Quelle:

http://hanfverband.de/index.php/themen/drogenpolitik-a-legalisierung/1525-dieprohibitionsuhr

Das unbarmherzige Betäubungsmittelgesetz und besonders gravierende Urteile im Bereich Cannabis

Von Maximilian Plenert

Es ist also – in Strafmaß gerechnet – wesentlich >>billiger<<, jemanden fahrlässig im Straßenverkehr zu verletzen als illegal mit BtM umzugehen. Und jemanden fahrlässig zu töten ist kaum nennenswert teurer! „Drogenpraxis, Drogenrecht, Drogenpolitik“, Kapitel E, Drogenrecht I, Strafrecht und Betäubungsmittelrecht von Lorenz Böllinger

Das Betäubungsmittelgesetz stellt nahezu alle Umgangsformen mit den in seinen Anhängen genannten Stoffen ohne Erlaubnis unter Strafe. Wer keine Erlaubnis besitzt oder von der Erlaubnispflicht ausgenommen ist, muss mit strafrechtlicher Verfolgung rechnen. Dies gilt gleichermaßen für Händler und Konsumenten wie auch für Helfer und Angehörige. So wie früher mitunter die Vergabe von sauberen Spritzen verfolgt wurde, ist es heute die Drugchecking-Initiative Berlin, die sich für ein Angebot zur Gesundheitsförderung Rat bei Strafrechtlern holen muss, was der ratgebende Prof. Cornelius Nestler selbst als Skandal bezeichnet 104 .

Über Auffangtatbestände wird auch jede noch so aberwitzige Lücke geschlossen. Für einige Delikte sieht es außerordentlich harte Strafen vor. Besonders schwere Verstöße gegen den § 29 sowie Delikte nach § 29a, § 30 und § 30a werden als Verbrechen mit Mindeststrafen von 1, 2 oder 5 Jahren geahndet. Dies bedeutet auch mögliche Höchststrafen von bis zu 15 Jahren und einem Ausschluss von Geldstatt Freiheitsstrafen. Wurden diese Paragraphen ursprünglich als Schutz der Jugend vor Dealern und Mittel gegen die Organisierte Kriminalität eingeführt, betreffen sie praktisch besonders in Bezug auf Cannabis ganz andere Fälle.
Jede Abgabe und selbst das Überlassen zum unmittelbaren Konsum durch einen über 21Jährigen an einen unter 18-Jährigen, also auch die Weitergabe von nur einem Joint, steht nach § 29a auf einer Stufe mit dem Handeltreiben mit einer „nicht geringen Menge“.

Wer selbst anbaut und gerade nicht mit dem Schwarzmarkt mit all seinen Risiken und negativen Konsequenzen für das Individuum und die Gesellschaft in Kontakt kommen möchte, wird besonders hart bestraft. Schon eine erntereife Pflanze kann mehr als eine „nicht geringe Menge“ Cannabis liefern und damit als Verbrechen nach § 29a bewertet werden.

Noch härtere Strafen sieht § 30a vor. Wer mit einer nicht geringen Menge Cannabis handelt, sie einführt oder sich verschafft „und dabei eine Schusswaffe oder sonstige Gegenstände mit sich führt, die ihrer Art nach zur Verletzung von Personen geeignet und bestimmt sind.“ kann eine Mindeststrafe von fünf Jahren erhalten. Dieses Strafmaß ist im Strafgesetzbuch für erpresserischen Menschenraub, Totschlag oder schwerem körperlichen sexuellen Missbrauch von Kindern vorgesehen.

Sowohl das Feststellen eines Handelstreibens und insbesondere die Bewertung von sich mitunter zufällig oder vergessen im Haushalt befindlichen „Waffen“ unterliegen einem großen Interpretationsspielraum. Auch wenn in der Rechtsprechung qualifizierende Merkmale wie „jederzeit bedienbar“, „Wille die Waffe einzusetzen“, „mit den Handlungen in Beziehung stehend“ kennt, werden diese mitnichten von jedem Gericht – trotz dem daraus resultierenden hohen Strafmaß – ausreichend gewürdigt. Wer nicht die Mittel und Ausdauer besitzt, sich zu höheren Instanzen durchzuklagen, kann unter die Räder einer unsachgemäßen Anwendung des § 30a kommen. Während der Gesetzgeber bei diesem Paragraphen an schwerbewaffnete Gangster von Schlage eines Al Capone dachte, wird der Paragraph de facto schon bei Elektroschockern, Baseballschlägern, Taschenmessern oder geerbten Schusswaffen angewandt.
Ein Beispiel für ein solches Urteil stellt ein junger Mann da, der sieben Pflanzen zu Hause anbaute und ein Pfadfindermesser in seinem Zimmer liegen hatte. Dieser junge Mann hat nachweislich noch nie etwas mit Drogenhandel zu tun gehabt. Aber er wurde wegen der „nicht geringen Menge“ der sieben Pflanzen zusammen mit dem Messer nach § 30a zu fünf Jahren Haft verurteilt.

Eine weitere Härte bei „Rauschgiftdelikten“ ist zudem die Praxis, selbst bei „geringen Mengen“ Cannabis Hausdurchsuchungen wegen „Gefahr im Verzug“, auf Grundlage von Hörensagen oder dem Fund von Blumenerde, Lampen etc. durchzuführen. Die systematische Suche nach Zufallsfunden ist die Regel. Auch wenn die obersten Gerichte immer wieder klare Regeln benannt haben und Hausdurchsuchungen als rechtswidrig eingestuft wurden. Ohne Beweisverwertungsverbote oder Konsequenzen für die durchführenden Beamten bleiben diese Urteile folgenlos. Selbst bei einfachen Konsumenten werden Fingerabdrücke und DNS-Proben genommen und gespeichert sowie entwürdigende „körperliche Untersuchungen“ 105 und öffentliche Urintests durchgeführt . Bei den Anlassstraftaten für eine Telekommunikationsüberwachung haben Drogendelikte einen Anteil von 50%. Praktisch alle Verbrechen im BtMG sind „schwere Straftaten“ im Sinne des § 100a StPO und erfüllen damit diese Voraussetzung für eine Telekommunikationsüberwachung. Alltäglich werden hier Tatverdächtige bis hinunter zur Ebene des einzelnen Konsumenten ins Visier genommen. Ihren vorläufigen Höhepunkt erreichte dieses Verhalten der Strafverfolgungsbehörden beim Einsatz von Brechmitteln zur Beweissicherung. Dieses Vorgehen forderte mehrere Tote und führte zu einer Verurteilung Deutschlands vor dem europäischen Menschengerichtshof wegen Folter.
Zudem ist an dieser Stelle noch die Verfolgung von Delikten mit Nutzhanf und Nutzhanfprodukten zu nennen. Eine Erlaubnisfreiheit für den Anbau haben nur haupterwerbliche Landwirte bei bestimmten Sorten. Jeder andere Anbau von für Rauschzwecke völlig ungeeignetem Hanf mit einem THC-Gehalt von unter 0,2% wird nach § 29 geahndet. Jeder Umgang mit keimfähigen Nutzhanfsamen kann in der Nähe von Erde und Wasser zu einem BtM-Delikt werden, wobei die Justiz von vornherein Jugendlichen jeden Verbotsirrtum abspricht und gleichzeitig Vögel fütternde Rentner unbehelligt lässt.

Geernteter Nutzhanf und daraus hergestellte Produkte werden immer wieder strafrechtlich verfolgt, da trotz des niedrigen THC Gehalts ein „Missbrauch zu Rauschzwecken nicht ausgeschlossen werden kann“. In entsprechenden Urteilen phantasieren Richter Dinge wie ein mögliches Destillieren von Nutzhanf herbei. Bei großen Mengen Nutzhanf kann sogar eine strafverschärfende „nicht geringe Menge“ zusammenkommen.Iin Kombination mit einem Handeltreiben oder dem Verkauf von normalen Mengen an Minderjährige ergeben sich gewaltige Strafmöglichkeiten. Die strafrechtliche Verfolgung von Nutzhanf wird von einzelnen Staatsanwälten mitunter „missbraucht“, um eigentlich legales, aber ungeliebtes Hanfgewerbe wirtschaftlich zu ruinieren. Eine paradoxe Strafbarkeitsvermehrung ergibt sich aus dem praktischen Umgang mit Nutzhanfsamen: Während ein Pfund Samen aus der Drogerie als Ganzes legal ist, ist das gleiche Pfund aufgeteilt in viele abzählbare Mengen illegal.

Der Bereich Führerschein und Straßenverkehr wird hier ausgespart, da dieser von einem anderen Beitrag behandelt wird (siehe Pütz in diesem Band). Mit Blick auf den folgenden Absatz sei in diesem Zusammenhang erwähnt, dass von der Polizei mitunter einzig und alleine auf Grundlage eines positiven Drogenschnelltests Strafanzeigen wegen des Besitzes und Erwerbs von Cannabis geschrieben werden.
Das Legalitätsprinzip zwingt die Polizei jedem Anfangsverdacht nachzugehen. Sei es ein Jointstummel 106 , eine nicht wägbare Menge Tabak-Haschisch-Gemisch 107 , Nutzhanfsamen außerhalb der Originalverpackung, abgeschnittene Nutzhanfpflanzen mit Rechnung des Herstellers 108 oder der eben erwähnte Drogenschnelltest – jedes Delikt wird verfolgt und eine Strafanzeige geschrieben. Praktisch enden solche nicht haltbaren Anzeigen oft mit einer Einstellung des Verfahrens durch die Staatsanwaltschaft oder des Gerichts – und einer obligatorischen Meldung an die Führerscheinstelle. Eine solche Einstellung ist jedoch kein Freispruch und kann bei weiteren Delikten verfolgungsoder strafverschärfend wirken. Keine Strafe und einen echten Freispurch erhält nur wer bereit ist, sich bei den Gerichten durchzuklagen.
Der Deutsche Hanf Verband hat einige Fälle von Repression bei Cannabis in Videos dokumentiert; hier exemplarisch drei Fälle:

Repressionsfall Ciro P.
Ciro P. aus Baden-Württemberg wurde von seiner Nachbarin bei der Polizei angeschwärzt. Nach einem Jahr Observation rückte die Polizei mit 6-7 Mann und Hunden an und führte eine Hausdurchsuchung durch. Der vermeintliche Grow-Raum entpuppte sich als Kinderzimmer. Gefunden wurden 4 g Cannabis und Bilder einer Pflanze, deren Anbau schon einige Jahre her war. Vor Gericht wurde Ciro erst zu 90, dann zu 60 und schlussendlich zu 45 Tagessätzen verurteilt. Der Staatsanwalt verlangte aufgrund der Nichteinsicht seiner Schuld ein möglichst hartes Urteil. Ciro weigerte sich, die verhängte Geldstrafe zu zahlen und ließ sich lieber 3 Wochen inhaftieren. Der Schaden durch das 107 Cannabisverbot in diesem Fall: Mehrere Tausend Euro. https://www.youtube.com/watch?v=ezbIjoQP0Pg

Repressionsfall Floh Söllner
Floh Söllner wurde 2007 aufgrund eines anonymen Anrufers das Ziel einer Hausdurchsuchung. Er stand im Verdacht, Cannabis anzubauen. Die Polizei durchsuchte und verwüstete dabei in seiner Abwesenheit die Wohnung, sie beschlagnahmte dabei Dutzende Gegenstände. Die Liste ist 3 Seiten lang und reichte von einem grünen Feuerzeug bis zu einer kleinen Flasche Hanf-Speiseöl. Dieses völlig legale Speiseöl enthält ebenso wie Hanftee eine geringe Restmenge THC. In diesem Fall waren es 0,13 % THC. Für eine Rauschwirkung wären 10-15 l Öl nötig. Dank eines Anwalts und der eingeschalteten Öffentlichkeit wurde das Verfahren eingestellt eine Einstellung ist aber kein Freispruch und so blieb Floh Söllner auf mehr als 1000 € Verfahrensund Anwaltskosten sitzen.
https://www.youtube.com/watch?v=NXf6mve hAiQ

Repressionsfall „Kai“ aus Baden-Württemberg
Der Betroffene möchte lieber anonym bleiben. Aufgrund der Aussage eines Bekannten, Kai sei Dealer, bekam dieser eine Hausdurchsuchung. Dabei wurde lediglich eine „undefinierbare Menge“ Haschisch gefunden. Alleine aufgrund eigener Aussagen zum Konsum und der gerichtlichen Interpretation, welche Mengen er wohl dafür erworben hätte, wurde er zu 40 Stunden Jugendstrafe verurteilt. Obwohl dieses Urteil in Kais Jugend getroffen wurde, leidet er weiterhin an der damit verbundenen Stigmatisierung. Der militärische Abschirmdienst (MAD) verhinderte aufgrund seiner Jugendstrafe, dass sich Kai trotz hoher Motivation und guter Bewertungen seiner Dienstzeit bei der Bundeswehr verpflichten durfte.

104 https://www.youtube.com/watch?v=2gC7wRwBwH0 &index=3&list=UU8Ojx9P6OE8UmPa0zOUu0Lw
105 http://hanfverband.de/index.php/nachrichten/akt uelles/1349-taeglich-neue-meldungen-ueberrepression-gegenueber-konsumenten
106 http://www.merkuronline.de/lokales/starnberg/polizist-fischt-jointeiskaltem-1116125.html
107 https://www.lawblog.de/index.php/archives/2012/08/08/nicht-wgbare-menge/
108 http://hanfverband.de/index.php/nachrichten/aktuelles/395-hanfparade-polizei-beschlagnahmtnutzhanf

Drogen und Strafverfolgung – Plädoyer für einen Paradigmenwechsel

Von Holger Gundlach

„Es ist das Ziel der Bundesregierung, den Konsum illegaler Drogen mit allen seinen negativen gesundheitlichen und gesellschaftlichen Auswirkungen zu verringern und deren Verfügbarkeit durch Verfolgung des Drogenhandels einzuschränken.“ So steht es im Drogenund Suchtbericht des Vorjahres 92 und so – oder so ähnlich – wird es auch im demnächst erscheinenden aktuellen Bericht stehen. Auf die Deklamation des Mantras von den drei oder vier bewährten Säulen der Drogenpolitik – Prävention, Therapie/ Beratung/(Überlebens)Hilfe,Repression/ Angebotsreduzierung – wurde zwar verzichtet, es existiert aber nach wie vor in den Köpfen und schimmert durch Struktur und Inhalt des Berichts durch: Nur nichts verändern – weiter wie bisher! Die Säulen aber markieren nur die Wege, sie definieren nicht das Ziel. Hier darf nicht mit der fernöstlichen Weisheit „Der Weg ist das Ziel“ operiert werden. Ohne Vorhandensein und Beachtung eines angestrebten Gesamtziels besteht die Gefahr, dass wegspezifische Ziele gebildet werden, die in Konkurrenz und/oder Widerspruch zueinander stehen, Hindernisse auf den jeweils anderen Wegen aufbauen und unerwünschte Nebenwirkungen hervorbringen. Überlegungen, die ein Zurückfahren des strafrechtlichen Ansatzes auch nur diskutieren: Fehlanzeige.

Dem Mainstream der Drogenpolitik mangelt es an Ideologiefreiheit, Rationalität, Schlüssigkeit, Glaubwürdigkeit und Zielklarheit! Oder ist es z.B. rational und glaubwürdig, den Umgang mit bestimmten Drogen als Straftat zu definieren, die so entstandene Kriminalität als Problem zu identifizieren und dann die optimale Bekämpfung dieser Kriminalität zum Ziel zu erklären?

Es ist ja richtig: Entkriminalisierung bzw. Legalisierung des z.Z. mit Strafe bedrohten Umgangs mit Drogen würden Probleme mit sich bringen. Aber: Ist es nicht aller Mühen wert, nach Lösungen dieser Probleme zu suchen? Ist der Einsatz des Strafrechts zur Minderung des Drogenkonsums unproblematisch? Werden die Risiken und Nebenwirkungen des strafrechtlichen Bekämpfungsansatzes gebührend beachtet?

Geprägt durch meine frühere Funktion und Verantwortung als Leiter des Drogendezernats und verschiedener Referate der Grundsatzabteilung des LKA Hamburg, insbesondere durch intensive Beschäftigung mit den Themen Substitution und Drogentod, bin ich zu der Überzeugung gekommen, dass ein Paradigmenwechsel unumgänglich ist:

Die polizeilichen und justiziellen Aktivitäten sind sehr personal/ kostenintensiv und im Hinblick auf die beabsichtigte Eindämmung des Drogengebrauchs relativ wirkungslos. Sie führen aber zu einer Fülle von Ermittlungsverfahren wegen bloßen Besitzes illegaler Drogen und zur Überfüllung der Haftanstalten mit Drogenkonsumenten und Kleindealern. Und dies in einer Zeit, in der Polizei und Justiz die Grenzen der Belastbarkeit wegen der zur Sanierung der Länderhaushalte erforderlichen personellen Einsparungen erreicht und zum Teil überschritten haben.

Drogen und Strafverfolgung – mein Standpunkt
Die Drogenproblematik liegt längst nicht mehr allein in der Rauschgiftsucht sowie den suchtund konsumbedingten individuellen und sozialen Schäden, sondern zunehmend in den durch den strafrechtlichen Bekämpfungsansatz – unbeabsichtigt – ausgelösten Folgen. Die abhängigen und nicht abhängigen Konsumenten können sich, sofern sie nicht substituiert werden, ausschließlich auf einem illegalen Markt versorgen. Dies führt einerseits zu horrenden Endverbraucherpreisen mit der in der Regel zwangsläufigen Folge von Beschaffungskriminalität, -prostitution und/oder Drogenkleinhandel, andererseits zu erheblichen Gewinnspannen für die ,,Großhändler“. Deren Gewinne sind umso höher, je besser der Handel organisiert und je größer der Marktanteil ist. Dies führt zu einer Verfestigung der Strukturen und zu Verbindungen über das Rauschgiftgeschäft hinaus (Terrorismus, Waffenhandel, Organisierte Kriminalität, Einfluss in Wirtschaft und Politik). Wohin es führt, (vermeintliche) psychosoziale Probleme mit den Mitteln des Strafrechts lösen zu wollen, hat die Alkohol-Prohibition in den USA gezeigt.

Rauschgiftabhängigkeit ist eine Krankheit – ob selbst verschuldet oder nicht, spielt dabei keine Rolle –, die der Abhängige ohne fremde Hilfe meist nicht oder zumindest erst nach langen Jahren überwinden kann. Durch Drogenkonsum gefährdet der Süchtige unmittelbar nur sich selbst. Zur Gefahr für andere wird er erst, wenn er das Geld für Rauschgift wegen der hohen Kosten und/oder Arbeitsunfähigkeit nicht mehr legal erlangen kann (direkte oder indirekte Beschaffungskriminalität) oder wenn er unter Betäubungsmitteleinfluss Auto fährt pp.

Allerdings: Es entsteht Schaden für die Gesellschaft durch rauschgiftbedingte Verwahrlosung und Krankheiten. Ähnliche Gefahren und Schäden entstehen aber auch durch Missbrauch legaler Drogen (Alkohol, Nikotin, Medikamente) sowie durch sonst unvernünftiges – oder sogar allgemein übliches – Verhalten. Einige Schlaglichter aus Deutschland 2012: • Etwa 110 000 Bürger starben an den Folgen des Rauchens. 93
• Über 74.000 Alkoholtote waren zu beklagen. 94
• 3.600 Todesopfer forderte der Straßenverkehr. 95

Zum Vergleich: 2012 waren 944 Drogentote zu verzeichnen. 96

Rauschgiftsucht – ein komplexes Problem
Das Drogenproblem ist nur ganz zuletzt ein Problem der Polizei. Vielmehr handelt es sich um ein gesamtgesellschaftliches Problem, zu dessen Lösung in erster Linie die Bürger, Behörden und Institutionen – und Politiker! – mit Verantwortung im sozialen, gesundheitlichen und erzieherischen Bereich aufgerufen sind. Die Drogensucht kann mit polizeilichen und justiziellen Mitteln nicht wirksam bekämpft – geschweige denn beseitigt – werden. Ihre Pönalisierung hat kaum positive, dafür aber bislang vernachlässigte negative Auswirkungen.

Die Komplexität des Beziehungsgeflechtes aus
•Konsum,
•Abhängigkeit,
•Illegalität des Rauschgiftmarktes,
•Entwicklung und Verfestigung krimineller Strukturen, •Beschaffungskriminalität,
•allgemeiner Kriminalität,
•Prostitution,
•Organisierter Kriminalität,
•Strafvollzug, •Prävention,
•drogenfreier Therapie,
•Substitutionstherapie,
•polizei und strafrechtlichen Maßnahmen,
•gesellschaftlichen Verhältnissen und
•Ausbau polizeilicher und justizieller Befugnisse und Möglichkeiten

erfordert angesichts der Entwicklung der Drogensucht in den letzten Jahren und des beängstigenden Ausblicks in die Zukunft eine neue (?) Zielbestimmung und eine neue Strategie. Hierbei darf es keine Tabus geben: In Anbetracht der Lage ist es verfehlt, die alten Wege lediglich mit „more of the same“ planieren zu wollen.

Neue Denkansätze
Die inzwischen auch von vielen einstigen Gegnern akzeptierte methadongestützte Substitutionstherapie war ein erster Schritt. Die zunächst nur zögerlich umgesetzte Erlaubnis, Drogenkonsumräume einzurichten 97 und sterile Einwegspritzen auszugeben 98 , waren wichtige und durchaus große Schritte. Die schon weniger angenommenen Möglichkeiten, Drogenkonsumräume einzurichten und sterile Einwegspritzen auszugeben sind fast schon als Sprünge zu bezeichnen. Mit dem Heroinprojekt wurde 2002 der Fuß zu einem weiteren Schritt gehoben und endlich 2009 mit der Regelung zur Substitutionsbehandlung mit Diamorphin (nichts anderes als Heroin) auf gesetzlichem Boden aufgesetzt 99 .

Der Paradigmenwechsel wurde also schon schleichend eingeleitet. Jetzt gilt es, überkommene Denkstrukturen weiter aufzubrechen sowie kritisch analysierend Althergebrachtes in Frage zu stellen und auch das ,,Undenkbare“ (Entkriminalisierung des Rauschgiftkonsums, partielle Legalisierung und/oder staatlich kontrollierte Drogenabgabe) nicht nur abseits des Mainstreams 100 unvoreingenommen zu durchdenken. Nur mit einem fundierten neuen Denkansatz hat unsere Gesellschaft noch eine Chance im Kampf gegen die organisierte Drogenkriminalität, die Beschaffungskrimi-nalität und gegen die Drogensucht als solche. Die Vorund Nachteile dieses Ansatzes müssen so schnell wie möglich unter Berücksichtigung
– der Schädlichkeit des Drogenkonsums und seiner Folgen für den einzelnen,
– der Freiheit des einzelnen, sich selbst zu gefährden und zu schädigen,
– der Schädlichkeit der Folgen des Drogenkonsums für die Gesellschaft,
– der Schädlichkeit der Folgen der strafrechtlichen Bekämpfung der Drogensucht für den einzelnen und die Gesellschaft und
– der Pflicht des Staates, Schaden vom einzelnen und der Gesellschaft abzuwenden, im Gesamtzusammenhang des weiter oben beschriebenen Beziehungsgeflechtes sowie der darüber hinaus gehenden Wirkungen und Nebenwirkungen analysiert und gegen die Vorund Nachteile der gegenwärtig praktizierten Strategie abgewogen werden.

Bei dieser Analyse und Abwägung spielen neben objektiven Daten und Kausalbeziehungen subjektive Wertungen, Zielvorstellungen und Präferenzen eine große Rolle. Damit handelt es sich um einen überwiegend politischen und weniger wissenschaftlichen Vorgang. Wissenschaftler, Therapeuten, Kriminalisten, Juristen und Nicht-Fachleute sind also gleichermaßen kompetent, sich an diesem Disput zu beteiligen, solange sie sich an die Fakten und die Gesetze der Logik halten. Notwendig ist eine nüchterne, vorurteilsfreie und offene Betrachtung und Darstellung von Gesamtsituation, Grundpositionen, Argumentationen und Wertentscheidungen. Bei der Gesamtwürdigung wäre zu berücksichtigen, dass einst hierzulande auch Kaffeegenuss, Ehebruch und Prostitution strafbar waren und deren Entkriminalisierung nicht zum Zusammenbruch des Staates bzw. zum Untergang der Gesellschaft geführt hat.

Ein (Un-)Werturteil kann nicht allein durch die Pönalisierung eines Verhaltens zum Ausdruck gebracht werden. Dies wird auch durch die in der Vergangenheit vollzogenen Veränderungen bei der Strafbarkeit der Abtreibung deutlich. Auch aus verfassungsrechtlicher Sicht ist der Staat nicht verpflichtet, den Schutz von Leben und Gesundheit der Bürger (vor sich selbst) mit strafrechtlichen Mitteln zu betreiben – im Gegenteil: Das Verhältnismäßigkeitsprinzip gebietet, dass das Strafrecht notwendig und geeignet sein muss, das angestrebte Ziel zu erreichen und dass der 131  Nutzen der Pönalisierung ihre schädlichen Auswirkungen überwiegt (siehe auch Kamphausen in diesem Band). Aber nicht nur der repressive Bekämpfungsansatz muss überdacht werden. Auch Stellenwert, Art und Umfang von Therapie und Prävention bedürfen der kritischen Durchleuchtung: Wird hier nicht zu sehr instrumental, zu wenig systematisch gedacht und gehandelt? Sind die Ansätze ausreichend ursachenbezogen? Weiß man genug über Wirkung/Effizienz der Maßnahmen? Insbesondere hinsichtlich der Prävention ist zu fragen, ob nicht unter dem Zwang, überhaupt etwas tun zu müssen, Aktivitäten entwickelt wurden und werden, ohne dass ausreichende Basiskenntnisse – z.B. über die Einflüsse gesellschaftlicher Faktoren und sozialer Bedingungen – vorhanden sind.

Was wäre, wenn …?
… die „neuen Denkansätze“ zu dem Ergebnis führen,
-> Eindämmung des Drogenkonsums, Bewahrung Minderjähriger vor Drogenkonsum, Herausholen Abhängiger aus der Sucht, (Über-)Lebenshilfe für Konsumenten leisten als Ziel zu bestimmen?
-> dass die gegenwärtig praktizierte strafrechtliche Bekämpfung des Drogenproblems ineffizient ist und mehr schadet als nützt?

Dann ist die Entkriminalisierung jedweden Drogenkonsums 101 nur konsequent. In der Folge werden Polizei, Justiz und Strafvollzug nicht unerheblich entlastet.
Dies erfordert aber auch, den Handel aus der Illegalität heraus zu holen und in Bahnen zu lenken, die einem ordnenden Zugriff des Staates zugänglich sind. Verstöße gegen Handelsund Abgabevorschriften wären – ebenso wie Raub, Diebstahl und Betrug zur Beschaffung von Drogen oder entsprechenden Geldmitteln – auch strafrechtlich zu verfolgen.

Wenn – heute noch illegale – Drogen legal erworben werden können, gibt es keine Notwendigkeit mehr für einen Handelsplatz „offene Drogenszene“. Das Unsicherheitsgefühle auslösende Phänomen „JunkieGruppen im öffentlichen Raum“ 102 würde minimiert.
Das Ziel kann mittels Beratung, medizinischer und psychosozialer Betreuung sowie Bekämpfung sozialer und gesellschaftlicher Ursachen von Drogenmissbrauch ohne den Strafrechtsknüppel besser erreicht werden.

Dies alles kann und wird selbstverständlich nicht auf einen Schlag erfolgen. Ein eindeutiger Paradigmenwechsel erfordert politischen Mut und Gestaltungswillen. Die Umsetzung in gesetzgeberische und organisatorische Maßnahmen 103 bedarf einer projektmäßigen Vorbereitung und Steuerung unter besonderer Beachtung internationaler Zusammenhänge.
Dies ist ein langer und schwieriger – sehr schwieriger! – Prozess, aber „des Schweißes der Edlen“ wert.

92 Die Drogenbeauftragte der Bundesregierung: Drogenund Suchtbericht der Drogenbeauftragten der Bundesregierung, 2013, Berlin: Bundesministerium für Gesundheit: S. 13
93 ebd.; S. 24
94 Deutsche Hauptstelle für Suchtfragen: Daten/ Fakten: Alkohol, http://www.dhs.de/datenfakten/alkohol.html
95 Statistisches Bundesamt: Verkehr Verkehrsunfälle Fachserie 8 Reihe 7 – 2012 Wiesbaden: Destatis 2012, S. 44
96 Die Drogenbeauftragte der Bundesregierung 2013: S. 37
97   § 10a BtmG; siehe auch Schäffer/ Köthner in diesem Band
98 § 29 (1) Satz 2 BtmG; siehe auch Leicht, Kapitel C2 in diesem Band
99 Gesetz zur diamorphingestützten Substitutionsbehandlung vom 15. Juli 2009 (BGBl I S. 1801)
100 z.B. https://www.gruenejugend.de//node/14169#gothere, Resolution deutscher Strafrechtsprofessorinnen und professoren an die Abgeordneten des Deutschen Bundestages (siehe auch Böllinger in diesem Band), http://www.globalcommissionondrugs.org
101 Man komme mir nicht mit dem Hinweis, der Konsum illegaler Drogen sei doch auch derzeit nicht strafbar. Diese dem Verfassungsrecht geschuldete Spitzfindigkeit des Gesetzgebers kann in der Lebenswirklichkeit getrost vernachlässigt werden.
102 Vgl.: Legge/Bathsteen, Kriminologische Regionalanalyse Hamburg Bd. 2, LKA Hamburg 1996, 206 und Bd. 3, LKA Hamburg 2001; Dörmann/Remmers, Sicherheitsgefühl und Kriminalitätsbewertung; BKA Polizei + Forschung, Neuwied/Kriftel 2000, S. 39 ff
103 In diesem Konversionsprozess ist darauf zu achten, dass die nicht mehr für die Verfolgung der Drogenkriminalität benötigten Kapazitäten in andere Schwerpunkte der   Verbrechensbekämpfung (z.B. Wohnungseinbruch, Straßenraub, Wirtschaftskriminalität) sowie in Drogenprävention und -therapie und -hilfe umgeleitet werden.

Die Polizei – Dein Freund und Helfer?

Von Frank Tempel

Ein wesentlicher Bestandteil der deutschen Drogenpolitik ist die Polizeiarbeit. Niedrigschwellig, wenn es um die Kontrolle des Jugendund Verbraucherschutzes in legalen Bereichen wie etwa Glücksspiel, Tabakund Alkoholkonsum geht oder repressiv, wenn es um die sogenannten illegalen Drogen geht.

Während ich aus vielen Bereichen des Sozialund Gesundheitsdienstes immer wieder höre, dass der riskante und abhängige Konsum im wesentlichen bei den legalen Drogen anzutreffen sei, ist der polizeiliche Schwerpunkt von Ermittlungen, aufgrund der bestehenden Prohibitionspraxis gegenüber ausgewählten Drogen, bei den illegalen Substanzen anzutreffen.
Als Bemerkung sei erlaubt, darauf hinzuweisen, dass die polizeiliche Praxis in Deutschland sehr unterschiedlich aussieht. Während ich in einem Fernsehbericht aus Berlin neulich gesehen habe, dass die kontrollierenden Polizeibeamten auf eine Anzeige verzichteten, weil es sich nur um ein Gramm Cannabis handelte, also um eine geringe Menge, hatte ich in Thüringen die dienstliche Erfahrung, dass erst einmal bei jeder Feststellung – auch bei Restanhaftungen in Tütchen – eine Strafanzeige aufgenommen wird. Die sogenannte geringe Menge spielt in den meisten Bundesländern erst bei der weiteren Bearbeitung durch Staatsanwaltschaft und Gericht eine Rolle, wobei bei diesen geringen Mengen dann häufig eine Einstellung des Verfahrens erfolgt. Hierbei darf trotzdem nicht vergessen werden, dass es sich dabei um eine KannBestimmung handelt. So macht z.B. in Bayern die Justiz selten von der Möglichkeit einer Einstellung des Verfahrens wegen geringer Menge Gebrauch.

Mein Dienst erfolgte in Thüringen und ich wurde für die Drogenproblematik sensibilisiert, als ich stellvertretender Leiter einer mobilen Rauschgiftbekämpfungsgruppe wurde. Auftrag und Motivation dieser Arbeit decken sich mit der offiziellen Aufgabe der polizeilichen Drogenbekämpfung – Verringerung von Angebot und Nachfrage illegaler Drogen.

Es handelt sich dabei um ein sogenanntes Dunkelfelddelikt. Das heißt, weder Verkäufer, noch Käufer und Konsumentin bzw. Konsument der Substanz haben an einem Bekanntwerden der Straftat ein Interesse. Den klassischen Geschädigten, der Interesse an der Verfolgung der Straftat hat und diese deshalb bekannt machen, also zur Anzeige bringen will, gibt es hier nicht. Das heißt geringer Kontrolldruck = weniger Feststellungen = also wenig Strafanzeigen. Erhöht sich der Kontrolldruck, steigt auch die Zahl der erfassten Straftaten. Mit einer Zunahme der Straftaten innerhalb des Kriminalitätsfeldes hat das nichts zu tun. Kommt dann hinzu, dass bei den Kontrollen Erfahrungen aus Theorie und Praxis der Polizei eingesetzt werden, nimmt dadurch auch die Zahl der Treffer zu und die Zahl der Strafanzeigen steigt. Dies kann bei reiner Betrachtung der Deliktzahlen sehr schnell zu der fehlerhaften Annahme führen, dass auch die Häufigkeit des Deliktes zugenommen hat – in diesem Fall also die Zahl der Verstöße gegen das Betäubungsmittelgesetz.

Scheinbar häufen sich also erst einmal die Straftaten. Doch die beabsichtige Wirkung soll eine Senkung sein. Ist dies auch wirklich der Fall? In dreijähriger Praxis in einer Rauschgiftbekämpfungsgruppe machte ich nicht die Erfahrung, dass erwischte Besitzer von Betäubungsmitteln, häufig Cannabis, sich darüber ärgerten, etwas von diesen Substanzen erworben zu haben. Ihr Ärger galt häufig dem Umstand erwischt worden zu sein, also Pech gehabt zu haben oder auch nicht clever genug gewesen zu sein. Die Reaktion ist dann auch eher zu versuchen, sich das nächste Mal nicht erwischen zu lassen. Die zweite beobachtete Reaktion ist Gelassenheit, weil man sich an diese Anzeigen in Verbindung mit der Regelung zur geringen Menge gewöhnt hat. Noch häufiger erfolgt jedoch statt Schuldgefühl eine Empörung über die Anzeige. Eine Empörung, die durchaus auch für den aufnehmenden  Polizeibeamten nicht ganz unproblematisch ist.
Ich möchte das mal verdeutlichen. Normalerweise hat die Polizeibeamtin / der Polizeibeamte gegenüber der/ dem Beschuldigten eine sehr starke Position. Der Gegenüber muss sich den Vorwurf gefallen lassen, jemanden anderen geschädigt zu haben – sei es an Besitz, Gesundheit, Ehre u.ä. Der erwischte Drogenkonsumierende hat erst einmal niemanden geschädigt. Hier erfolgt sehr häufig die Frage nach dem Grund der strafrechtlichen Konsequenz; der Polizeibeamte hat dafür nichts anderes als einen Gesetzestext, der eben besagt: „Besitz und Erwerb sind strafbar“. Die Folge ist eine sehr geringe Normenakzeptanz bei den potentiellen Konsumierenden. Die stabile Zahl der Feststellung von Konsumierenden zeigt, dass der polizeiliche Druck ganz offensichtlich keine Wirkung auf das Konsumverhalten hat. Stärkere Kontrollen erhöhen lediglich die Bemühungen, diese Kontrollen zu umgehen oder zu überlisten.

Führt die polizeiliche Arbeit wenigstens zur Verringerung des Angebotes?
Die Illegalisierung der Substanzen eröffnet den Raum für einen gewaltigen Schwarzmarkt. Hier ist, je nach Risiko, sehr viel Geld zu verdienen. Egal was auf einem Schwarzmarkt gehandelt wird, es wird immer Menschen geben, die sich sicher sind, clever genug für diesen Schwarzmarkt zu sein und das Risiko beherrschen zu können. Dieser Faktor sollte auf jeden Fall eine Rolle spielen. Das heißt, wenn das feingliedrige Netz der Dealerszene durch einen polizeilichen Ermittlungserfolg eine Lücke erhält, werden sich mehrere andere Verkäufer finden, die diese Lücke in kurzer Zeit schließen. Auch von erfahrenen Drogenfahndern hörte ich häufig das Beispiel der Hydra, der für jeden abgeschlagenen Kopf zwei neue wüchsen.

Doch die polizeiliche Arbeit lässt sich auch an Einzelbeispielen beurteilen. Beispiele, die mir selbst erhebliche Zweifel am wirklichen Sinn meiner Arbeit einbrachten.
Die erste Frage der Sinnhaftigkeit taucht bereits auf, wenn man die Verhältnismäßig  keit des Aufwandes im Vergleich mit anderen Deliktfeldern vergleicht. Kontrolldruck auf die Konsumentinnenund Konsumentenszene auszuüben heißt in erster Linie Feststellungen von Besitz geringer Menge zu machen – also genau in jenem Bereich Strafanzeigen zu schreiben, wo selbst das Bundesverfassungsgericht die Verhältnismäßigkeit strafrechtlicher Verfolgung in Zweifel gestellt hat. In der üblichen Straßenkontrolle erwischt man im Regelfall nicht den Kurier oder Händler großer Mengen. Dazu kommt, dass trotz dieser fragwürdigen Verhältnismäßigkeit bei Kleinstmengen das komplette Programm strafprozessualer Maßnahmen nicht selten ist – also intensive Durchsuchung von Person und Sachen –, bei Feststellung von Betäubungsmitteln auch nicht selten die teilweise unmittelbare Durchsuchung von Wohnungen. Das alles bei einem Delikt, bei dem bereits im Voraus die Wahrscheinlichkeit einer Einstellung besteht. Dieses Paket von Maßnahmen erfolgt nicht nur bei bereits festgestellten Substanzen. Geschickte Polizeibeamte versuchen wenigstens noch den Deckmantel der Freiwilligkeit über die Maßnahme zu hängen. Also: „sie haben doch nichts dagegen wenn wir mal einen Blick in ihr Fahrzeug werfen, ihre Tasche usw.“. Ich habe in dieser Zeit niemanden erlebt, der „nein“ gesagt hat oder nach der Rechtsgrundlage dieser verdachtsunabhängigen Kontrolle fragte. Tatsächlich ist aber die Verhältnismäßigkeit dieser Maßnahme und damit die Rechtsstaatlichkeit zu hinterfragen.

Diese Frage habe ich mir auch bei diesem Beispiel gestellt:
Drei junge Männer fallen am letzten Tag eines Techno-Festivals an einem Thüringer Stausee auf. Sie sind aus Bayern und die Rückreise erweist sich als problematisch, weil einer von ihnen große Probleme mit seinen beiden volltrunkenen Begleitern hat. Polizeibeamte kommen hinzu und die zwei müssen ärztlich betreut werden. Routinemäßig erfolgt auch eine Kontrolle des Dritten und – siehe da – zwei Pillen kommen zum Vorschein.
Später ergibt sich, dass er sich diese Pillen von Freunden hat aufschwatzen lassen, da er keinen Alkohol trinkt und keine Spaßbremse sein wollte. Am Ende der Party wies sein Blut keine illegale Substanz auf. Aber Besitz und Erwerb sind strafbar – völlig unerheblich, ob er sie dann irgendwann auch nehmen wollte. Der junge Mann, ein guter Schüler, stand kurz vor einem Auswahlverfahren bei der Bayerischen Polizei – ein Weg, der für ihn mit dieser Strafanzeige wegen Verstoß nach § 29 BtMG endete. Dies ist bei weitem kein Einzelbeispiel und ich war am Ende dieser Dienstschicht nicht stolz auf mich.
Doch auch andere Phänomene kann man beobachten, wenn man den Polizeidienst in der Drogenbekämpfung mit einem offenen Blick durchführt:
Durchsuchung wegen des Verdachtes des Handels mit Heroin gegen mehrere, bereits mehrfach bekannte, junge Männer. Der junge Mann, bei dem ich zur Durchsuchung der Wohnung eingeteilt war, hatte nicht nur mehrere Verurteilungen hinter sich, er war auch selbst als Heroinkonsument aufgefallen. Auch Therapieabbrüche waren bei ihm aktenkundig.
Bei der Durchsuchungsmaßnahme gab es dann eine Überraschung. In der Wohnung befand sich auch eine Freundin des Beschuldigten, welche nicht die äußerlichen Merkmale einer Heroinkonsumentin aufwies. Auch der Beschuldigte selbst wirkte zwar nicht gesund, hatte sich aber doch seit der letzten Feststellung verändert und wenn es nur die Zunahme des Körpergewichts war. Erstaunt äußerte der junge Mann, dass er doch mit diesem Milieu nichts mehr zu tun habe. Daraufhin gab ich ihm zu verstehen, dass dies nicht die originellste Schutzbehauptung eines Beschuldigten sei. Daraufhin erklärte er, dass er auf Druck seiner Freundin bereits seit einem halben Jahr in einem Substitutionsprogramm sei und damit auch gut klar käme. Er fragte aber auch, ob unsere Maßnahme lange dauern würde, denn er müsse auf die Arbeit, womit er eine Maßnahme des Arbeitsamtes meinte, die er gerade absolvierte.
Was mir damals nicht gleich auffiel: ich hatte gerade ein Beispiel gelungener Entkriminalisierung erlebt. Nicht durch Justiz und Polizei, sondern durch das persönliche Umfeld und einem gesundheitspolitischem Angebot ist hier ein Erfolg erzielt worden.
Mit der Substitutionstherapie war der junge Mann nicht mehr auf seine dealenden „Freunde“ angewiesen und konnte sich von ihnen lösen. Unter ärztlicher Hilfe kam er zum kontrollierten Konsum, konnte die Nebenwirkungen senken und fand zurück in ein soziales, selbstbestimmtes Leben. Nur musste er für diese Chance eben erst schwer abhängig werden – sonst gibt es diese Chance bei uns nicht.
Das Fazit meiner polizeilichen Arbeit in der Drogenbekämpfung fällt nüchtern aus. Egal wie hoch der Ansatz ist – die Polizei hat keine wirkliche Chance, Angebot und Nachfrage an Rauschmitteln zu minimieren. Was starker polizeilicher Druck bewirken kann, ist eine gewisse Unsichtbarkeit des Phänomens – öffentliche Szenen können verdrängt werden. Laien werden aus der Händlerszene gedrückt und der Handel erfolgt organisierter und professioneller. Dazu kommt die Gefahr, dass sich die Art der Substanzen, die sich im Verkauf befinden, auch nach dem Entdeckungsrisiko richtet. Lange Wege vom Rohstoff bis zum Konsumierenden erhöhen Preis und Entdeckungsrisiko. Synthetische Herstellungsmöglichkeiten vor Ort sind preiswerter und weniger in Gefahr aufzufliegen. Dass diese Substanzen unter Umständen noch gefährlicher für den Konsumierenden sind, spielt auf dem illegalen Drogenmarkt keine Rolle.

Die Polizei hat als exekutive Gewalt die Aufgabe, das umzusetzen, was die judikative (Gerichte) und legislative (Parlamente) Gewalt entscheidet. Daher wäre es ungerechtfertigt, für die anhaltende Kriminalisierung der Konsumentinnen und Konsumenten illegalisierter Drogen die Polizei zu beschuldigen. Vielmehr sollte eingefordert werden, dass sich die Polizei ausschließlich mit den klassischen Kriminalitätsfeldern in Deutschland beschäftigt, bei denen es Täter und Opfer gibt. Dies ist nur durch eine grundlegende Änderung der bisherigen Gesetzeslage möglich.

Verlagerung des Strafrechts auf das Fahrerlaubnisrecht

Von Theo Pütz

Unabhängig von der grundsätzlichen Frage, inwieweit das Strafrecht geeignet erscheint, mögliche Probleme, die durch einen Drogenkonsum entstehen können, entgegenzuwirken (siehe Resolution der Strafrechtsprofessoren, Böllinger in diesem Band), hat das Bundesverfassungsgericht schon 1994 bezogen auf Cannabis festgestellt, dass gerade die strafrechtliche Verfolgung von Konsumenten unverhältnismäßig erscheint, da die möglichen Gefahren, die durch Cannabis für die Gesellschaft entstehen können, mit denen von Alkohol vergleichbar sind.
Mit dieser Entscheidung wurden die Staatsanwaltschaften dazu angehalten, die Strafermittlungsverfahren bei Besitz von geringen Mengen für den Eigenbedarf straflos einzustellen. Damit wurde den Strafverfolgungsbehörden insbesondere die „Strafrechtskeule“ gegenüber Konsumenten weitgehend entzogen. Damit muss ein Cannabiskonsument, der erstmalig auffällt, nicht mehr zwangsläufig mit einer strafrechtlichen Verurteilung rechnen.

Straffrei, na und….?????
Genau zum selben Zeitpunkt wurden allerdings die Zügel im Fahreignungsrecht massiv angezogen. Schon 14 Tage nach der Entscheidung des Bundesverfassungsge-richtes trat u.a. in Nordrhein-Westfalen ein Erlass in Kraft, der den Fahrerlaubnisbehörden vorgab, dass in den Fällen, in denen ein Strafermittlungsverfahren gemäß § 31a BtMG eingestellt wurde, die betroffenen Personen aufzufordern seien, auf eigene Kosten ihre Drogenfreiheit nachzuweisen. Sollten sie der Aufforderung nicht nachkommen, sollte die Fahrerlaubnis mit sofortiger Wirkung entzogen werden. Sollte nach wie vor ein Konsum feststellbar sein, sollten weitere Maßnahmen (MPU) oder Entzug der Fahrerlaubnis angeordnet werden. Somit muss jeder Drogenkonsument seit der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts damit rechnen, dass seine generelle Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen grundsätzlich in Zweifel gezogen wird, was extreme Auswirkungen auf die Betroffenen hat. Neben den enormen Kosten, die durch ein solches Verfahren entstehen, sehen sich viele auch existenziell gefährdet, da sie beruflich auf ihre Fahrerlaubnis angewiesen sind.

Von Strafrecht auf Verwaltungsrecht
Die juristischen Möglichkeiten für die Betroffenen sind extrem schwierig. Dies liegt insbesondere an der Tatsache, dass die Kriterien hinsichtlich der generellen Fahreignung über das Verwaltungsrecht geregelt sind. Gegenüber den Verwaltungsbehörden stehen die Betroffenen ohne ausreichenden Rechtsschutz da. Zum einen liegt die Beweislast im Verwaltungsrecht grundsätzlich auf Seiten der Betroffenen (Bringschuld), zum anderen entziehen sich die Überprüfungsbegründungen grundsätzlich einer juristischen Überprüfung, und zudem fehlt selbst bei Entzug der Fahrerlaubnis ein durchgreifender Rechtsschutz, da die Fahrerlaubnis grundsätzlich mit sofortiger Wirkung entzogen wird (Gefahrenabwehr). Anders als im Strafrecht gibt es im Verwaltungsrecht auch kein Beweisverwertungsverbot, d.h., selbst wenn sich herausstellt, dass die Informationen durch die Polizei illegal ermittelt wurden und in einem anhängigen Strafverfahren nicht verwertet werden dürfen, gilt dies nicht für die Verwaltungsbehörden.

Ordnungsrecht
Ab jetzt ist jede Fahrt eine Drogenfahrt
Am 1.8.1998 trat der novellierte Paragraph 24a StVG in Kraft. Seither wird jedweder Nachweis einer illegalen Substanz im Blut als Drogenfahrt gewertet, die mit Bußgeld, Fahrverbot und Punkten in Flensburg geahndet wird. Diese Novellierung war dem Umstand geschuldet, dass eine Verurteilung wegen absoluter Fahruntauglichkeit immer schwieriger wurde, da immer kleinere Drogenspuren durch die Fortschritte in der forensischen Toxikologie nachweisbar wurden, ohne dass auch noch Ausfallserscheinungen (Drogenwirkung) festgestellt werden konnten. Daher sah es der Gesetzgeber geboten, eine Rechtsnorm einzuführen, die eine Verurteilung (Ordnungswidrigkeit) ermöglicht, ohne dass irgendwelche Auffälligkeiten vorgelegen haben müssen.

Ab jetzt sind die Fahreignungskriterien amtlich und rechtsverbindlich.
Am 1.1.1999 trat die Fahrerlaubnisverordnung in Kraft. In dieser Bundesverordnung werden die Kriterien hinsichtlich der generellen Fahreignung einheitlich und im Detail geregelt und lösen somit die einzelnen landeseigenen Erlasse ab. Neben den Verfahrensweisen zur Überprüfung der Fahreignung sind nunmehr auch Ausschlusskriterien klar formuliert.
Demnach fehlt jeder Person, die Mittel im Sinne des Betäubungsmittelgesetzes konsumiert, grundsätzlich die körperliche und geistige Leistungsfähigkeit, die zum Führen eines Kraftfahrzeuges vorausgesetzt werden. Um es einfach zu formulieren, führt jedweder Konsum von Betäubungsmitteln (ausgenommen Cannabis) zum Verlust der individuellen Mobilität. Dies gilt völlig unabhängig von einer Verkehrsteilnahme unter Drogeneinfluss.
Bei Cannabis wird die Fahreignung nur dann als gegeben angesehen, wenn nur ein gelegentlicher Konsum vorliegt und keine weiteren Umstände hinzukommen, wie zum Beispiel eine Drogenfahrt oder der zusätzliche Gebrauch von Alkohol. Ein regelmäßiger Cannabiskonsum führt ebenso zum Verlust der Fahrerlaubnis, auch wenn nie eine Drogenfahrt begangen wurde.

Die Fahreignung betreffenden KO-Kriterien im Überblick:
• Konsum (nicht Missbrauch!) von Betäubungsmitteln i.S.d. BtmG (ausgenommen Cannabis) • Regelmäßiger Cannabiskonsum
• Gelegentlicher Cannabiskonsum, zum dem schon ein wiederholter Konsum zählt, und Verkehrsverstoß, (fehlendes Trennungsvermögen)
• Gelegentlicher Cannabiskonsum und zusätzlicher Gebrauch von Alkohol (auch außerhalb einer Verkehrsteilnahme)

Vom Strafverfolger zum Fahreignungsüberwacher
Am 1.1.1999 tritt eine weitere Novellierung im Verkehrsrecht (§2 Abs. 12 StVG) in Kraft, die die Polizei ermächtigt, alle Daten, die auf einen nicht nur vorübergehenden Fahreignungsmangel hindeuten, unmittelbar an die zuständige Fahrerlaubnisbehörde zu übermitteln. Dieses Instrument war ein willkommenes Geschenk an die Strafverfolgungsbehörden. Mit dieser Rechtsnorm hat die Polizei nunmehr die Möglichkeit, völlig unabhängig vom Ausgang eines Strafund/oder Ordnungswidrigkeitenverfahrens alle gewonnenen Erkenntnisse an die Fahrerlaubnisbehörde weiterzugeben, damit diese dann schon unabhängig vom Verfahrensstand eigene Maßnahmen bis hin zum sofortigen Entzug der Fahrerlaubnis einleiten kann.
Dass die Polizei als untere Ermittlungsbehörde das neue Fahrerlaubnisrecht für ihre Zwecke „gebraucht“, wurde schon sehr früh erkennbar. Zum einen verweist schon das Schulungsprogramm Drogenerkennung im Straßenverkehr von 1997 darauf hin; Zitat „Schon jetzt sollte daran gedacht werden, dass unter Umständen die Beweise für eine Fahruntüchtigkeit nicht ausreichen, die Verwaltungsbehörden aber von einer generellen Fahruntauglichkeit ausgehen werden. Es ist deshalb so weit rechtlich zulässig, Beweise zu sichern für die regelmäßige Aufnahme von Drogen….“ 88 Zum anderen hat nach einem Bericht der Stuttgarter Nachrichten vom 25.10.2001 der Polizeipräsident von Stuttgart „eine gemeinsame Strategie der Landeshauptstadt Stuttgart und der Polizei zur Bekämpfung der synthetischen Droge Ecstasy vorgestellt. Autofahrer, die jetzt im Besitz und unter dem Einfluss der Droge in eine Verkehrskontrolle geraten, werden nicht nur nach dem Strafrecht behandelt, sondern müssen mit dem Entzug des Führerscheins rechnen.“ 89
Im Weiteren heißt es:
„‚Es ist eine noch schärfere Waffe als das Straf und Ordnungswidrigkeitenrecht, weil es auf der Gefahrenabwehr beruht’, so S. Es muss also keine Straftat mehr nachgewiesen werden, sondern es genügt eine Prognose um die Fahrtauglichkeit, um ein Strafmaß zu finden.“ 90
Hieran wird schon deutlich, dass die Strafverfolgungsbehörden die Rechtsnorm zu ihren strafrechtlichen Zwecken missbrauchen, da eine Verwaltungsbehörde grundsätzlich keine bestrafende Instanz ist. Zum anderen wird daran auch deutlich, dass den Strafverfolgungsbehörden sehr wohl bewusst ist, dass der Entzug der Fahrerlaubnis durch die Betroffenen grundsätzlich als eine Strafmaßnahme wahrgenommen wird.
Der Leiter des Stuttgarter Rauschgiftdezernats legte nach einem Bericht der Stuttgarter Zeitung vom 19.01.2004 noch nach, indem er sagte „Zudem müsse Cannabis im Fahrerlaubnisrecht künftig wie eine harte Droge, also etwa wie Ecstasy behandelt werden. Das heißt, Cannabiskonsumenten würden in jedem Fall ihren Führerschein riskieren.“

Der Hinweis aus dem polizeilichen Schulungsprogramm, grundsätzlich die Konsumgewohnheiten des Verdächtigen zu ermitteln, damit die Fahrerlaubnisbehörde den Führerschein entziehen kann, spiegelt sich auch in der strafrechtlichen Ermittlungspraxis wieder.

Heute findet man kaum noch strafrechtliche Vernehmungen, in der nicht auch die Konsumgewohnheiten durch die ermittelnden Beamten abgefragt werden, obwohl diese Angaben strafrechtlich völlig irrelevant erscheinen. Hier wird das Ziel Bestrafung durch die Hintertür sehr deutlich. Mittlerweile ist es auch nicht mehr ungewöhnlich, dass im Zuge von strafrechtlichen Ermittlungen Urinproben oder gar Haaranalysen angeordnet werden, nur um einen möglichen Konsum nachzuweisen, um diesen dann wiederum an die Fahrerlaubnisbehörde zu übermitteln. In den Fällen, in denen ein Drogennachweis gelingt, wird die Fahrerlaubnis durch die Verwaltungsbehörde unmittelbar entzogen. Ausgenommen hiervon ist lediglich Cannabis, sofern nicht ein regelmäßiger Cannabiskonsum festgestellt wurde. In diesen Fällen müssen die Betroffenen aber mit weitergehenden und teuren Überprüfungsmaßnahmen (MPU) rechnen.

Drogen im Straßenverkehr
Betrachtet man die Fahreignungskriterien vor dem Hintergrund des Verkehrsordnungsrechts, wird es völlig absurd. Wir fassen zusammen: Seit dem 1.1.1999 steht fest, dass Personen, die Mittel im Sinne des Betäubungsmittelgesetzes konsumieren, grundsätzlich nicht fahrgeeignet sind, selbst bei einem nur einmaligen Konsum. Bei Cannabis trifft dies grundsätzlich zu, wenn neben einem gelegentlichen Konsum (mehr als einmal) bei einer Verkehrskontrolle noch THC über 1 ng/ml nachgewiesen wird.
Einige Monate zuvor trat der novellierte §24a StVG in Kraft, der unter Androhung von Bußgeld, Punkten und Fahrverbot Drogenfahrten verhindern sollte.

Der Zweck der Rechtsnorm (§24a StVG) wird systematisch verfehlt!
Bei Verstoß gegen diese Rechtsnorm können die zu verhängenden Sanktionen, hier insbesondere das Fahrverbot, als erzieherische Maßnahme nur verfassungskonform sein, wenn diese das vorgegebene Ziel (Einhaltung des Nüchternheitsgebotes/Punktnüchternheit) erreichen können.
Daran scheitert es aber regelhaft, da die Verwaltungsbehörden schon alleine aufgrund einer Konsumfeststellung davon ausgehen, dass die Person grundsätzlich nicht geeignet ist, ein Kraftfahrzeug zu führen. Bei Cannabis wird schon nach der ersten „Drogenfahrt“ auf ein „fehlendes Trennungsvermögen“ geschlossen, was ebenfalls den unmittelbaren Entzug der Fahrerlaubnis bedeutet. Dies heißt für die Betroffenen, dass sie von jetzt auf gleich ohne Fahrerlaubnis sind, und in der Regel mindestens 1 Jahr völlige Drogenabstinenz nachweisen müssen, bevor sie überhaupt eine Chance haben, eine MPU zu bestehen, die grundsätzlich im Zuge einer Wiedererteilung gefordert wird. Hieran wird deutlich, dass das verwaltungsrechtliche Gefahrenabwehrrecht selbst Rechtsnormen aus dem Straßenverkehrsgesetz überlagert und somit ad absurdum führt.

Verhältnismäßig?
Die Sanktion Fahrverbot mag ungeachtet der Grenzwertfrage für eine Verkehrsteilnahme noch verhältnismäßig erscheinen, da sich dieser Eingriff für den Betroffenen zwar merklich, aber nicht zwangsläufig existenzgefährdend auswirkt, da ein vierwöchiges Fahrverbot selten mit einem Jobverlust einhergeht. Einig werden sich die Strafjuristen auch in der Frage sein, dass ein Entzug der Fahrerlaubnis wegen charakterlicher Nichteignung (gemäß Paragraph 69 StGB) bei einer Ordnungswidrigkeit völlig unverhältnismäßig wäre und kaum Bestand haben könnte.
Ebenfalls wäre es wohl kaum mit dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz vereinbar, wenn der Besitz von geringen Mengen für den Eigenbedarf mit einem Entzug der Fahrerlaubnis gemäß §69 StGB sanktioniert werden würde.
In der Rechtspraxis führt der Umgang mit Betäubungsmitteln aber seit 1994 verstärkt zum Entzug der Fahrerlaubnis, zwar nicht als Strafe gemäß § 69 StGB – denn das wäre ja unverhältnismäßig –, sondern nach Paragraph 46 der Fahrerlaubnisverordnung, da bei Drogenkonsumenten die Fahreignung grundsätzlich nicht gegeben erscheint.
In der Summe genommen ist festzustellen, dass auf der einen Seite eine strafrechtliche Verurteilung wegen des Besitzes von Betäubungsmitteln in geringen Mengen für den Eigenbedarf nur noch selten erfolgt. Also eine messbare Entkriminalisierung der Konsumenten, allerdings nur beschränkt auf das Betäubungsmittelstrafrecht.

Der allgemeine Ermittlungsund Bestrafungsdruck gegenüber Drogengebraucherinnen und -gebrauchern hat demgegenüber seit der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes von 1994 durch die Änderungen im Verkehrsund Fahreignungsrecht in einem enormen Maße zugenommen. Dies führt letztendlich auch zu einem Anstieg der eingeleiteten Strafermittlungsverfahren, da jedweder Konsumnachweis automatisch die Einleitung eines Strafermittlungsverfahrens wegen Verstoß gegen das BtMG nach sich zieht, die dann aber regelhaft eingestellt werden.
Betroffene verlieren aber oftmals ihre Fahrerlaubnis, was nicht selten mit Einkommenseinbußen oder einem Jobverlust einhergeht. Um wieder an ihre Fahrerlaubnis zu kommen, müssen sie nicht selten 12 Monate Abstinenz nachweisen und eine MPU (Idiotentest) bestehen. Die Kosten liegen nicht selten bei 3.000 bis 5.000 Euro. Neben den finanziellen Belastungen, die nicht alle Betroffenen stemmen können und somit ihre Fahreignung auf absehbare Zeit nicht nachweisen können, kann man eine MPU auch nur mit einem positiven Ergebnis abschließen, wenn man den Gutachter davon überzeugen kann, dass man dauerhaft abstinent bleibt. Dass gerade die Strafverfolgungsbehörden das Straf-, Ordnungsund Verwaltungsrecht vermischen und gezielt zu ihren Zwecken einsetzen, zeigt z.B. auch die tagtägliche Ermittlungspraxis aus Berlin.
Drogenermittler beobachten an einem „Brennpunkt“ ein Drogengeschäft. Ein Konsument besorgt sich 2 Gramm Hasch. Mit den 2 Gramm Hasch verlässt er den Park und geht an den Zivilermittlern vorbei. Zugriff? Nein, man wartet ab und beobachtet im Weiteren, wie er in sein Auto steigt, und gibt den Kollegen an der nächsten Ecke Bescheid, damit diese das Auto gezielt einer Verkehrskontrolle inkl. Blutentnahme unterzieht. Wird dann noch was nachgewiesen, meldet die Polizei dies unmittelbar an die zuständige Verwaltungsbehörde, und diese entzieht die Fahrerlaubnis mit sofortiger Wirkung. (aus eigenen Aktenbeständen/ Polizeiberichten)

Die Begründung für diese restriktive Vorgehensweise im Fahreignungsrecht gegen Drogenkonsumenten liefert der Kommentar zu den Begutachtungsleitlinien.
Diesem ist unter 1.1 („Unterschiede zum Alkoholmissbrauch“) zu entnehmen, dass die Autoren diese restriktive Vorgehensweise als erstes damit begründen, dass die Substanzen durch den Gesetzgeber aufgrund ihrer Gefährlichkeit, ungeachtet der Entscheidung vom BverVG 1994, verboten sind, Punkt. Daher ist auch per se von einer enormen Auswirkung auf die Verkehrssicherheit auszugehen.

Sicherlich schränkt eine akute Drogenwirkung die Fahrtauglichkeit ein, die tatsächlichen Auswirkungen auf die Verkehrssicherheit – wie auch im Allgemeinen – liegen nach neuerlichen Erkenntnissen (Druid-Projekt 91 ) aber deutlich unter denen von Alkohol.

Da sich die Gefahreneinschätzung, verbotene Drogen gleich exorbitante Gefahr für die Verkehrssicherheit, nicht bestätigen lässt, und sich diese restriktive Praxis daher auch nicht damit begründen lässt, können alle damit verbundenen Nachteile (Kosten/Entzug der Fahrerlaubnis) nur als reine (Konsum-) Bestrafung wahrgenommen werden. Ferner wird über diesen Hebel auch ein völliges Abstinenzdogma – was illegale Substanzen anbelangt – durchgesetzt, da eine Wiedererteilung der Fahrerlaubnis an den Nachweis dauerhafter Abstinenz geknüpft ist.

Diese Rechtspraxis ist unhaltbar. Zum einen läuft damit jeder Gefahr, seine Fahrerlaubnis zu verlieren, bei dem der Konsum von Drogen festgestellt wird, ohne dass eine nachvollziehbare Gefahr für die Verkehrssicherheit ausgeht. Zum anderen wird die richtige Vorgabe, nur nüchtern am Kraftverkehr teilzunehmen, völlig pervertiert, da es darauf ganz offensichtlich nicht ankommt. Dadurch steigen auch die Gefahren für die Verkehrssicherheit, da es einem „Drogenkonsumenten“ im Grunde egal sein kann, ob er sich an das Nüchternheitsgebot hält oder nicht, da in jedem Fall die Fahrerlaubnis in Gefahr ist.

88 www.akzept.org/dascannabisforum/download/polizei _schulung.pdf
89 http://www.jurathek.de/showdocument.php?session =1048037732&ID=7288
90 Ebd.
91 http://hanfverband.de/index.php/nachrichten/aktuel les/2289-druid-studie-uebersetzung-undueberraschende-ergebnisse