Von Daniel Graubaum, Antje Kettner und Henning Arndt
Laut Deutscher Beobachtungsstelle für Drogen und Drogensucht [DBDD] haben hierzulande fast alle Menschen zwischen 18 und 26 Jahren mit Alkohol experimentiert sowie etwa die Hälfte aller jungen Männer und mehr als ein Drittel der jungen Frauen Erfahrungen mit illegalisierten Substanzen 42 . Vor allem junge Menschen probieren psychoaktive Substanzen aus und/oder konsumieren diese über einen gewissen Zeitraum, meist ohne dabei eine Abhängigkeit zu entwickeln. Die Bandbreite an Konsumformen, -dauern und –häufigkeiten ist dabei sehr groß. Drogenkonsum im Jugendalter erfüllt für Konsument_innen sehr unterschiedliche Funktionen, die mit verschiedenen Entwicklungsaufgaben von Heranwachsenden in Beziehung stehen 43 . Neben den allgemeinen Konsummotiven 44 und -trends 45 unter jungen Menschen ist bekannt, dass die Drogenaffinität in bestimmten Subkulturen höher ist als in anderen; so werden z.B. in der Szene elektronischer Tanzmusik häufiger illegale Drogen konsumiert als in der Durchschnittsbevölkerung
Drug Scouts – Anliegen
Drug Scouts wurde 1996 von jungen Menschen aus der elektronischen Musikund Partyszene auf rein ehrenamtlicher Basis gegründet. Die Arbeit konzentrierte sich vor allem darauf, Partygäste über Drogen aufzuklären und für einen weniger riskanten Umgang mit Drogen zu sensibilisieren. Seit 1998 ist das Projekt bei dem Träger SZL Suchtzentrum gGmbH angesiedelt und wird hauptsächlich durch das Leipziger Amt für Jugend, Familie und Bildung für seine Arbeit im Leipziger Stadtgebiet finanziert. Derzeit arbeiten drei hauptamtliche Sozialarbeiter/ innen (auf 1,8 Vollzeitstellen) und über 40 Ehrenamtliche im Projekt. Die Angebote richten sich hauptsächlich an junge Menschen zwischen 18 und 26 Jahren, die legale und/ oder illegalisierte Drogen konsumieren sowie an Angehörige und Multiplikator/innen (Lehrer/innen, Sozialpädagog/innen, Clubpersonal, Peers etc.).
Erklärtes Ziel des Projektes ist es, junge Menschen dabei zu unterstützen, einen kompetenten und kritischen Umgang mit legalen und illegalisierten Substanzen zu erlernen, um somatische, psychische und soziale Schädigungen zu verhindern bzw. zu minimieren. Besonderes Augenmerk liegt dabei im Rahmen selektiver Prävention auf der Gruppe der Partygänger/innen und damit verbunden der Vermittlung und Etablierung risikominimierender Maßnahmen in der Partyszene. Laut dem Bericht der DBDD 2013 sind hier besonders „die Lebenswelten der Jugendlichen zu berücksichtigen und die Aktivitäten nicht nur auf Konsumverzicht oder Konsumreduktion auszurichten […], sondern darüber hinaus Fähigkeiten wie Risikokompetenz und Risikomanagement“ zu vermitteln 46 .
Konkret geht es darum, für kurzfristige, punktuelle Risiken des Konsums (Überdosierung, Ansteckung mit Infektionskrankheiten durch gemeinsam benutzte Konsumutensilien, Hörschäden auf Partys etc.) zu sensibilisieren. Durch Aufklärung über langfristige Konsumrisiken (körperliche und psychische Folgen, Toleranzentwicklung, Abhängigkeit) und die Vermittlung von Risikokompetenz (u.a. konsequente Punktnüchternheit, ritualisierte Formen des nicht schädlichen Umgangs) soll dazu beigetragen werden, dass junge Menschen ihren Konsum kritisch reflektieren, Warnsignale eines problematischen Konsums erkennen und Hilfebedarf möglichst frühzeitig äußern.
Drug Scouts – Angebote
• Drogeninformationsladen mit Möglichkeit zu anonymen Beratungsgesprächen, Telefonberatung, Weitervermittlung an weiterführende Hilfen, Präsenzbibliothek zu Drogenthemen und Internetrechercheplätzen
• Vor-Ort-Arbeit auf Partys und Festivals (Aufklärung von Partybesucher/innen über Drogenkonsum und damit verbundene Risiken sowie über Maßnahmen zur Risikound Schadensminimierung, z.T. Betreuung in Notfallsituationen)
• Webseite http://drugscouts.de mit Drogenlexikon, Safer-Use-Hinweisen, Substanzwarnungen, Online-Beratung, Userforum für Erfahrungsberichte, News zu Drogenthemen etc.
• eigene Faltblätter und Broschüren zu psychoaktiven Substanzen und drogenbezogenen Themen (z.B. Erste Hilfe im Drogennotfall, Führerschein und Drogen, Partydrogen, neue psychoaktive Substanzen (NPS), Drug Checking, Konsumreflexion)
• Durchführung von Präventionsveranstaltungen, Workshops und Vorträgen zu verschiedenen Themen (z.B. 1. Hilfe im Drogennotfall, Drogenkonsum in Jugendszenen, Substanzkunde, Schadensminimierung im Partybereich).
Best Practice – warum?
Kennzeichnend für das Projekt Drug Scouts ist das Vertrauen und die Glaubwürdigkeit, die es bei der Zielgruppe genießt. Grundlage dafür ist die Akzeptanz jugendlicher Lebenswelten und der spezifischen Lebenslage des einzelnen Individuums. Die Anliegen und Bedürfnisse junger Menschen werden ernst genommen, ohne sie moralisch zu bewerten.
Ihnen wird zugestanden, eigene Entscheidungen zu treffen und in Handeln umzusetzen sowie Hilfsbedarf zu artikulieren und Unterstützungsangebote nach eigenem Ermessen zu nutzen. Niedrigschwelligkeit, Zieloffenheit, Empowerment und die Arbeit mit Peers bilden also die methodischen Grundlagen unserer Arbeit. Dass dieser Ansatz von Konsument/innen hoch geschätzt wird, zeigen aktuelle Studienergebnisse. 47
28.000 verteilte Faltblätter, 5.450 ausgegebene Safer-Use-Materialien (u.a. Ohrstöpsel, Kondome, Ziehröhrchen, Aktivkohlefilter, Dosierhilfen für flüssige Substanzen), 20 zum Teil mehrtägige Infostände auf Partys und Festivals bundesweit (inkl. Betreuung in Krisensituationen), 1,1 Millionen Besucher/ innen auf http://drugscouts.de im Jahr 2013, die Nutzung der Möglichkeit, Erfahrungsberichte zu schreiben und zu kommentieren, sowie persönliches Feedback von jungen Nutzer/innen unserer Angebote bestärken uns in unserem Ansatz und unserer Arbeit. Ein wichtiger Arbeitsbereich sind Workshopangebote und Schulungen für Partygäste, Partyveranstalter/innen sowie Clubpersonal. Neben der Präsenz mit Infoständen vor Ort ist uns wichtig, Clubpersonal und Partygäste für Safer-Clubbing-Aspekte zu sensibilisieren und in ihren Ressourcen und Kompetenzen zu fördern. Hier sind vor allem Schulungen zum (Misch)Konsum von Alkohol und anderen Drogen, Safer-Use-Maßnahmen sowie zum Umgang mit Notfallund Krisensituationen im Partykontext zu erwähnen, für 2013 besonders auch die Workshops zu GHB/GBLKonsum und zu Übergriffigkeit im Nachtleben. Auch von fachlicher Seite werden unser Ansatz und unsere Erfahrungen geschätzt. So erhielten wir in den letzten Jahren Einladungen zu Vorträgen (u.a. Crystal [Gesundheitsamt Leipzig], Neue psychoaktive Substanzen [Landesstelle für Suchtfragen MecklenburgVorpommern e.V.], Prävention und Schadensminimierung im Partysetting [DHS]) und Fachgesprächen („Prävention des Mischkonsums von Alkohol und illegalen Drogen im Nachtleben“ [Bundesministerium für Gesundheit] und öffentliche Anhörungen („Drug Checking“ im Bundestag).
Was wünschen wir uns von der Drogenpolitik der Regierungen von Bund und Ländern?
Trotz unserer Erfahrungen, dass Prävention mit einem akzeptierenden und auf Risikominimierung abzielenden Ansatz sinnvoll ist und von Usern angenommen wird, gibt es bundesweit leider nur wenige andere akzeptierende Projekte, die gefördert werden. Die hohe Nachfrage aus dem gesamten Bundesgebiet nach unseren Angeboten zeigt mehr als deutlich, dass der Bedarf an solchen bei weitem noch nicht gedeckt ist. Hier ist ein Ausbau dringend von Nöten. Die Amphetaminund Crystal-Studie des ZiS empfiehlt hierzu „akzeptierende Projekte und Beratungsangebote im Sinne einer Optimierung von Maßnahmen unmittelbar und zeitnah bedarfsgerecht zu unterstützen“ 48 . Hierbei sollten Erfahrungen und Anliegen von Usern ernst genommen und in die Angebotsgestaltung einbezogen werden.
Vor allem in der Vor-Ort-Arbeit, aber auch in der Mailund Telefonberatung erreichen uns immer wieder Anfragen zu Möglichkeiten, Substanzen auf ihre Inhaltsstoffe testen zu lassen. Auch die Auswertung unserer Webstatistik zeigt, dass im letzten Jahr 30% aller Zugriffe auf http://drugscouts.de im Zusammenhang mit den dort veröffentlichten Substanzwarnungen (vornehmlich aus Österreich und der Schweiz) erfolgten. Vor diesem Hintergrund fordern wir dringend die Einrichtung von Drug-Checking-Angeboten und deren Verankerung in den Bereichen der Prävention und Schadensminimierung. Detaillierte Substanztests in Laboren, verbunden mit Reflexionsgesprächen zwischen User und Berater/in sowie der Veröffentlichung von Substanzwarnungen, können Konsumentscheidungen beeinflussen, explizit zur Gesundheitsförderung beitragen und werden auch von Drogenkonsument/innen, vielen Angehörigen und Fachleuten ausdrücklich gewünscht. 49
Noch sind bundesdeutsche Drug-CheckingAngebote Zukunftsvisionen, denn der Wortlaut des Betäubungsmittelgesetzes erlaubt es Harm-Reduction-Projekten nicht ausdrücklich, illegalisierte Substanzen zu Testzwecken entgegen zu nehmen. Hier ist eine Gesetzesänderung auf Bundesebene notwendig. Des Weiteren lässt die Umsetzung bereits konzipierter regionaler Modellprojekte auf sich warten, da deren Einrichtung bisher bloße Absichtsbekundungen in einzelnen Landeskoalitionsvereinbarungen sind.
Aus unserer Sicht ist es dringend wünschenswert, dass Polizei und Bundespolizei Informationen über beschlagnahmte Substanzen und die darin ermittelten Wirkstoffkonzentrationen, Streckmittel sowie Beimengungen zeitnah veröffentlichen, damit frühzeitig auf verunreinigte, hochdosierte oder unerwartete Substanzen und deren Konsum reagiert werden kann.
Ein sinnvoller Schritt wäre auch, im Bereich der Strafverfolgung bundesweit einheitliche und nachvollziehbare Regelungen bezüglich sogenannter „geringer Mengen“ für den Besitz von Substanzen, die dem BtMG unterstellt sind, und bezüglich der Fahrtüchtigkeit bzw. dem Entzug der Fahrerlaubnis nach deren Konsum oder Besitz einzuführen, um so Rechtssicherheit für User zu schaffen.
Des Weiteren erachten wir eine ausgewogenere Vier-Säulen-Politik im Drogenund Suchtbereich hin zu einem stärkeren Ausbau von Angeboten zu Aufklärung, Prävention, Schadensminimierung, Beratung und Therapie für sinnvoll und notwendig.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass es nicht nur einer besseren Finanzierung der gesamten Strukturen der akzeptierenden Drogenhilfe bedarf, sondern auch Änderungen der gesetzlichen Grundlagen. Denn diese bebzw. verhindern momentan noch effiziente und bedarfsorientierte Angebote für junge Drogengebraucher/innen.
42 DBDD (2010): Bericht 2010 des nationalen REITOX-Knotenpunktes an die EBDD. DBDD, München
43 vgl. Settertobulte, W. (2011): Rausch als Risiko und herausforderung für Jugendliche http://www.jugendschutzniedersachsen.de/wordpress/wpcontent/uploads/2010/10/Settertobulte-RisikoHerausforderung.pdf
44 FOKUS-Institut Halle (2009): Moderne Drogenund Suchtprävention (MODRUS IV) http://www.fokus institut.org/PosterMODRUSIV_Endfassung.pdf
45 DBDD (2013): Bericht 2013 des nationalen REITOX-Knotenpunktes an die EBDD. DBDD, München
46 ebd., S.101
47 Eine Reihe von so genannten „Partyprojekten“, Online-Kommunikationsportalen und niedrigschwelligen Beratungseinrichtungen, von denen einige die vorliegende Studie unterstützt haben, engagiert sich im Bereich der Wissensvermittlung. […] Diese Akteure verfolgen durchweg einen akzeptierenden und auf Risikominimierung („Safer Use“) abzielenden Ansatz. Anhand der Befunde aus allen drei Modulen der vorliegenden Studie zeigt sich, dass sie aus Sicht von Konsumenten eine besondere Glaubwürdigkeit aufweisen und hohe Akzeptanz genießen (vgl. 7.11.2, 7.15.1) und dass „Safer Use“-Ansätze eine wichtige Möglichkeit darstellen, um Konsumenten zu erreichen (vgl. Kap. 7.11.4.4).“ Milin, S./Lotzin, A./ Degkwitz, P./ Verthein, U./ Schäfer, I. (2014): Amphetamin und Methamphetamin – Personengruppen mit missbräuchlichem Konsum und Ansatzpunkte für präventive Maßnahmen: Zentrum für Interdisziplinäre Suchtforschung (ZIS) der Universität Hamburg, Hamburg, S. 76
48 Ebd., S.78
49 Stadt Zürich – Sozialdepartment: Zehn Jahre mobiles Drug Checking und saferparty.ch, Zürich 2011, http://www.stadtzuerich.ch/content/sd/de/index/ueber_das_departe ment/medien/medienmitteilungen_aktuell/2011/okt ober/111019a.html