Von Frank Tempel
Ein wesentlicher Bestandteil der deutschen Drogenpolitik ist die Polizeiarbeit. Niedrigschwellig, wenn es um die Kontrolle des Jugendund Verbraucherschutzes in legalen Bereichen wie etwa Glücksspiel, Tabakund Alkoholkonsum geht oder repressiv, wenn es um die sogenannten illegalen Drogen geht.
Während ich aus vielen Bereichen des Sozialund Gesundheitsdienstes immer wieder höre, dass der riskante und abhängige Konsum im wesentlichen bei den legalen Drogen anzutreffen sei, ist der polizeiliche Schwerpunkt von Ermittlungen, aufgrund der bestehenden Prohibitionspraxis gegenüber ausgewählten Drogen, bei den illegalen Substanzen anzutreffen.
Als Bemerkung sei erlaubt, darauf hinzuweisen, dass die polizeiliche Praxis in Deutschland sehr unterschiedlich aussieht. Während ich in einem Fernsehbericht aus Berlin neulich gesehen habe, dass die kontrollierenden Polizeibeamten auf eine Anzeige verzichteten, weil es sich nur um ein Gramm Cannabis handelte, also um eine geringe Menge, hatte ich in Thüringen die dienstliche Erfahrung, dass erst einmal bei jeder Feststellung – auch bei Restanhaftungen in Tütchen – eine Strafanzeige aufgenommen wird. Die sogenannte geringe Menge spielt in den meisten Bundesländern erst bei der weiteren Bearbeitung durch Staatsanwaltschaft und Gericht eine Rolle, wobei bei diesen geringen Mengen dann häufig eine Einstellung des Verfahrens erfolgt. Hierbei darf trotzdem nicht vergessen werden, dass es sich dabei um eine KannBestimmung handelt. So macht z.B. in Bayern die Justiz selten von der Möglichkeit einer Einstellung des Verfahrens wegen geringer Menge Gebrauch.
Mein Dienst erfolgte in Thüringen und ich wurde für die Drogenproblematik sensibilisiert, als ich stellvertretender Leiter einer mobilen Rauschgiftbekämpfungsgruppe wurde. Auftrag und Motivation dieser Arbeit decken sich mit der offiziellen Aufgabe der polizeilichen Drogenbekämpfung – Verringerung von Angebot und Nachfrage illegaler Drogen.
Es handelt sich dabei um ein sogenanntes Dunkelfelddelikt. Das heißt, weder Verkäufer, noch Käufer und Konsumentin bzw. Konsument der Substanz haben an einem Bekanntwerden der Straftat ein Interesse. Den klassischen Geschädigten, der Interesse an der Verfolgung der Straftat hat und diese deshalb bekannt machen, also zur Anzeige bringen will, gibt es hier nicht. Das heißt geringer Kontrolldruck = weniger Feststellungen = also wenig Strafanzeigen. Erhöht sich der Kontrolldruck, steigt auch die Zahl der erfassten Straftaten. Mit einer Zunahme der Straftaten innerhalb des Kriminalitätsfeldes hat das nichts zu tun. Kommt dann hinzu, dass bei den Kontrollen Erfahrungen aus Theorie und Praxis der Polizei eingesetzt werden, nimmt dadurch auch die Zahl der Treffer zu und die Zahl der Strafanzeigen steigt. Dies kann bei reiner Betrachtung der Deliktzahlen sehr schnell zu der fehlerhaften Annahme führen, dass auch die Häufigkeit des Deliktes zugenommen hat – in diesem Fall also die Zahl der Verstöße gegen das Betäubungsmittelgesetz.
Scheinbar häufen sich also erst einmal die Straftaten. Doch die beabsichtige Wirkung soll eine Senkung sein. Ist dies auch wirklich der Fall? In dreijähriger Praxis in einer Rauschgiftbekämpfungsgruppe machte ich nicht die Erfahrung, dass erwischte Besitzer von Betäubungsmitteln, häufig Cannabis, sich darüber ärgerten, etwas von diesen Substanzen erworben zu haben. Ihr Ärger galt häufig dem Umstand erwischt worden zu sein, also Pech gehabt zu haben oder auch nicht clever genug gewesen zu sein. Die Reaktion ist dann auch eher zu versuchen, sich das nächste Mal nicht erwischen zu lassen. Die zweite beobachtete Reaktion ist Gelassenheit, weil man sich an diese Anzeigen in Verbindung mit der Regelung zur geringen Menge gewöhnt hat. Noch häufiger erfolgt jedoch statt Schuldgefühl eine Empörung über die Anzeige. Eine Empörung, die durchaus auch für den aufnehmenden Polizeibeamten nicht ganz unproblematisch ist.
Ich möchte das mal verdeutlichen. Normalerweise hat die Polizeibeamtin / der Polizeibeamte gegenüber der/ dem Beschuldigten eine sehr starke Position. Der Gegenüber muss sich den Vorwurf gefallen lassen, jemanden anderen geschädigt zu haben – sei es an Besitz, Gesundheit, Ehre u.ä. Der erwischte Drogenkonsumierende hat erst einmal niemanden geschädigt. Hier erfolgt sehr häufig die Frage nach dem Grund der strafrechtlichen Konsequenz; der Polizeibeamte hat dafür nichts anderes als einen Gesetzestext, der eben besagt: „Besitz und Erwerb sind strafbar“. Die Folge ist eine sehr geringe Normenakzeptanz bei den potentiellen Konsumierenden. Die stabile Zahl der Feststellung von Konsumierenden zeigt, dass der polizeiliche Druck ganz offensichtlich keine Wirkung auf das Konsumverhalten hat. Stärkere Kontrollen erhöhen lediglich die Bemühungen, diese Kontrollen zu umgehen oder zu überlisten.
Führt die polizeiliche Arbeit wenigstens zur Verringerung des Angebotes?
Die Illegalisierung der Substanzen eröffnet den Raum für einen gewaltigen Schwarzmarkt. Hier ist, je nach Risiko, sehr viel Geld zu verdienen. Egal was auf einem Schwarzmarkt gehandelt wird, es wird immer Menschen geben, die sich sicher sind, clever genug für diesen Schwarzmarkt zu sein und das Risiko beherrschen zu können. Dieser Faktor sollte auf jeden Fall eine Rolle spielen. Das heißt, wenn das feingliedrige Netz der Dealerszene durch einen polizeilichen Ermittlungserfolg eine Lücke erhält, werden sich mehrere andere Verkäufer finden, die diese Lücke in kurzer Zeit schließen. Auch von erfahrenen Drogenfahndern hörte ich häufig das Beispiel der Hydra, der für jeden abgeschlagenen Kopf zwei neue wüchsen.
Doch die polizeiliche Arbeit lässt sich auch an Einzelbeispielen beurteilen. Beispiele, die mir selbst erhebliche Zweifel am wirklichen Sinn meiner Arbeit einbrachten.
Die erste Frage der Sinnhaftigkeit taucht bereits auf, wenn man die Verhältnismäßig keit des Aufwandes im Vergleich mit anderen Deliktfeldern vergleicht. Kontrolldruck auf die Konsumentinnenund Konsumentenszene auszuüben heißt in erster Linie Feststellungen von Besitz geringer Menge zu machen – also genau in jenem Bereich Strafanzeigen zu schreiben, wo selbst das Bundesverfassungsgericht die Verhältnismäßigkeit strafrechtlicher Verfolgung in Zweifel gestellt hat. In der üblichen Straßenkontrolle erwischt man im Regelfall nicht den Kurier oder Händler großer Mengen. Dazu kommt, dass trotz dieser fragwürdigen Verhältnismäßigkeit bei Kleinstmengen das komplette Programm strafprozessualer Maßnahmen nicht selten ist – also intensive Durchsuchung von Person und Sachen –, bei Feststellung von Betäubungsmitteln auch nicht selten die teilweise unmittelbare Durchsuchung von Wohnungen. Das alles bei einem Delikt, bei dem bereits im Voraus die Wahrscheinlichkeit einer Einstellung besteht. Dieses Paket von Maßnahmen erfolgt nicht nur bei bereits festgestellten Substanzen. Geschickte Polizeibeamte versuchen wenigstens noch den Deckmantel der Freiwilligkeit über die Maßnahme zu hängen. Also: „sie haben doch nichts dagegen wenn wir mal einen Blick in ihr Fahrzeug werfen, ihre Tasche usw.“. Ich habe in dieser Zeit niemanden erlebt, der „nein“ gesagt hat oder nach der Rechtsgrundlage dieser verdachtsunabhängigen Kontrolle fragte. Tatsächlich ist aber die Verhältnismäßigkeit dieser Maßnahme und damit die Rechtsstaatlichkeit zu hinterfragen.
Diese Frage habe ich mir auch bei diesem Beispiel gestellt:
Drei junge Männer fallen am letzten Tag eines Techno-Festivals an einem Thüringer Stausee auf. Sie sind aus Bayern und die Rückreise erweist sich als problematisch, weil einer von ihnen große Probleme mit seinen beiden volltrunkenen Begleitern hat. Polizeibeamte kommen hinzu und die zwei müssen ärztlich betreut werden. Routinemäßig erfolgt auch eine Kontrolle des Dritten und – siehe da – zwei Pillen kommen zum Vorschein.
Später ergibt sich, dass er sich diese Pillen von Freunden hat aufschwatzen lassen, da er keinen Alkohol trinkt und keine Spaßbremse sein wollte. Am Ende der Party wies sein Blut keine illegale Substanz auf. Aber Besitz und Erwerb sind strafbar – völlig unerheblich, ob er sie dann irgendwann auch nehmen wollte. Der junge Mann, ein guter Schüler, stand kurz vor einem Auswahlverfahren bei der Bayerischen Polizei – ein Weg, der für ihn mit dieser Strafanzeige wegen Verstoß nach § 29 BtMG endete. Dies ist bei weitem kein Einzelbeispiel und ich war am Ende dieser Dienstschicht nicht stolz auf mich.
Doch auch andere Phänomene kann man beobachten, wenn man den Polizeidienst in der Drogenbekämpfung mit einem offenen Blick durchführt:
Durchsuchung wegen des Verdachtes des Handels mit Heroin gegen mehrere, bereits mehrfach bekannte, junge Männer. Der junge Mann, bei dem ich zur Durchsuchung der Wohnung eingeteilt war, hatte nicht nur mehrere Verurteilungen hinter sich, er war auch selbst als Heroinkonsument aufgefallen. Auch Therapieabbrüche waren bei ihm aktenkundig.
Bei der Durchsuchungsmaßnahme gab es dann eine Überraschung. In der Wohnung befand sich auch eine Freundin des Beschuldigten, welche nicht die äußerlichen Merkmale einer Heroinkonsumentin aufwies. Auch der Beschuldigte selbst wirkte zwar nicht gesund, hatte sich aber doch seit der letzten Feststellung verändert und wenn es nur die Zunahme des Körpergewichts war. Erstaunt äußerte der junge Mann, dass er doch mit diesem Milieu nichts mehr zu tun habe. Daraufhin gab ich ihm zu verstehen, dass dies nicht die originellste Schutzbehauptung eines Beschuldigten sei. Daraufhin erklärte er, dass er auf Druck seiner Freundin bereits seit einem halben Jahr in einem Substitutionsprogramm sei und damit auch gut klar käme. Er fragte aber auch, ob unsere Maßnahme lange dauern würde, denn er müsse auf die Arbeit, womit er eine Maßnahme des Arbeitsamtes meinte, die er gerade absolvierte.
Was mir damals nicht gleich auffiel: ich hatte gerade ein Beispiel gelungener Entkriminalisierung erlebt. Nicht durch Justiz und Polizei, sondern durch das persönliche Umfeld und einem gesundheitspolitischem Angebot ist hier ein Erfolg erzielt worden.
Mit der Substitutionstherapie war der junge Mann nicht mehr auf seine dealenden „Freunde“ angewiesen und konnte sich von ihnen lösen. Unter ärztlicher Hilfe kam er zum kontrollierten Konsum, konnte die Nebenwirkungen senken und fand zurück in ein soziales, selbstbestimmtes Leben. Nur musste er für diese Chance eben erst schwer abhängig werden – sonst gibt es diese Chance bei uns nicht.
Das Fazit meiner polizeilichen Arbeit in der Drogenbekämpfung fällt nüchtern aus. Egal wie hoch der Ansatz ist – die Polizei hat keine wirkliche Chance, Angebot und Nachfrage an Rauschmitteln zu minimieren. Was starker polizeilicher Druck bewirken kann, ist eine gewisse Unsichtbarkeit des Phänomens – öffentliche Szenen können verdrängt werden. Laien werden aus der Händlerszene gedrückt und der Handel erfolgt organisierter und professioneller. Dazu kommt die Gefahr, dass sich die Art der Substanzen, die sich im Verkauf befinden, auch nach dem Entdeckungsrisiko richtet. Lange Wege vom Rohstoff bis zum Konsumierenden erhöhen Preis und Entdeckungsrisiko. Synthetische Herstellungsmöglichkeiten vor Ort sind preiswerter und weniger in Gefahr aufzufliegen. Dass diese Substanzen unter Umständen noch gefährlicher für den Konsumierenden sind, spielt auf dem illegalen Drogenmarkt keine Rolle.
Die Polizei hat als exekutive Gewalt die Aufgabe, das umzusetzen, was die judikative (Gerichte) und legislative (Parlamente) Gewalt entscheidet. Daher wäre es ungerechtfertigt, für die anhaltende Kriminalisierung der Konsumentinnen und Konsumenten illegalisierter Drogen die Polizei zu beschuldigen. Vielmehr sollte eingefordert werden, dass sich die Polizei ausschließlich mit den klassischen Kriminalitätsfeldern in Deutschland beschäftigt, bei denen es Täter und Opfer gibt. Dies ist nur durch eine grundlegende Änderung der bisherigen Gesetzeslage möglich.