Von Lorenz Böllinger
Strafrechtsprofessoren fordern Reform des Drogenstrafrechts
Anfang 2014 sorgte eine Resolution für Aufsehen in der deutschen Medienlandschaft. Das 2011 vom „Schildower Kreis“, einem auf Drogenpolitik bezogenen interdisziplinären Netzwerk von Experten aus Wissenschaft und Praxis gestartete Projekt kriminalpolitischer Aktionsforschung bezweckt eine Reform des Betäubungsmittelrechts mittels interdisziplinär beratender parlamentarischer EnquêteKommission gem. § 56 BT-Geschäftsordnung.
1. Ziel: Enquête-Kommission
Bisher unterzeichneten 122 deutsche Strafrechtsprofessorinnen und -professoren die Resolution, welche die Einrichtung einer Enquête-Kommission des Bundestages zum Thema ‚Erwünschte und unbeabsichtigte Folgen des geltenden Drogenstrafrechts’ zum Ziel hat (Text: www.schildower-kreis.de; www.polizei-newsletter.de) 84 . Im Sinne der verfassungsrechtlich vorgegebenen Überprüfungspflicht des Gesetzgebers soll diese eine wissenschaftlich und interdisziplinär begründete Evaluation des Drogenstrafrechts vornehmen. Fernziel ist die Veränderung des Drogenstrafrechts auf der Grundlage empirischer Forschung und informierter gesellschaftlicher bzw. parlamentarischer Verständigung. Solche hat bisher das BtMG betreffend nie stattgefunden.
Der mittels der Enquête-Kommission an den Gesetzgeber adressierte Appell ist in mehrfacher Hinsicht verfassungsrechtlich begründet. Die umfassendste Begründung findet er im herausragendsten Prinzip des Grundgesetzes, dem von allen drei Teilgewalten zugrunde zu legenden Verhältnismäßigkeitsprinzip. Daraus ergibt sich allgemein und formal, dass Gesetze, welche die Grundfreiheiten der Bürger einschränken, inhaltlich und wissenschaftlich begründet sein müssen und dass sie im Verlauf ihrer Anwendung hinsichtlich ihrer Wirksamkeit überprüft werden müssen. Dogmatisch operationalisiert ist das Verhältnismäßigkeitsprinzip nach allseits akzeptierter Verfassungslehre in den drei Unterprinzipien Erforderlichkeit, Geeignetheit und Proportionalität. In diesem Rahmen ist die inhaltliche Überprüfung des BtMG vorzunehmen.
Das BVerfG hat zwar in seiner CannabisEntscheidung von 1994 und in mehreren darauf basierenden Nicht-Annahme-Beschlüssen die strafrechtlichen Vorschriften des BtMG für verfassungsgemäß befunden. Es legte jedoch in enger exemplarischer Auswahl die damals aktuelle, lückenhafte Datenund Erkenntnislage zugrunde. Es beachtete nicht, dass der BtM-Gesetzgeber 1971 auf Druck der USA ohne eigene wissenschaftliche Begründung unbesehen die Vorgaben der UNO-Single Convention von 1961 in das BtMG umgesetzt hatte. In den seither verstrichenen fast 20 Jahren hat sich zum einen die soziale Realität in hohem Maße verändert, zum anderen die entsprechende wissenschaftliche Daten-, Methoden und Erkenntnislage massiv erweitert. Initiierung und Neubewertung entsprechender Forschung sind also erforderlich, um dem BtMG erstmals eine dem Verfassungsund Gesetzgebungsrecht genügende Grundlage zu verleihen. Folgende Begründung der Resolution könnte Grundlage eines systematischen Prozederes der Enquête-Kommission werden.
1. Der Krieg gegen die Drogen ist gescheitert
Die strafrechtliche Prohibition bestimmter als gefährlich definierter Drogen ist gescheitert, sozialschädlich, unökonomisch. Dies gilt insbesondere und vor allem für Marijuana. Die Zeit ist reif dafür, die Natursubstanz Cannabis sowohl für medizinischen als auch für den normalen Gebrauch zu legalisieren. Drogenkonsum ist menschliches Normalverhalten und nicht zu eliminieren. Mindestens 5% der Bevölkerung West-Europas konsumieren – so die Europäische Drogenbeobachtungsstelle in Lissabon – regelmäßig Cannabis. Weltweit sind Drogen leichter und billiger denn je erhältlich. Angebot und Nachfrage sind durch Strafdrohung faktisch kaum zu beeinflussen. Mit der Intensität der Repression steigt lediglich der Schwarzmarktpreis und weiten sich mafiose Strukturen aus.
2. Die Naturdroge Cannabis ist weniger gesundheitsgefährlich als Alkohol und Nikotin
Wie bei allen Medikamenten und psychotropen Substanzen hängt die Gesundheitsgefährlichkeit der meist genutzten und strafverfolgten Droge Cannabis von Dosierung und Frequenz des Gebrauchs ab. Bei niedriger Dosierung und Frequenz hat Cannabis keine gesundheitliche, kognitive und oder psychische Beeinträchtigung zur Folge. Nur 5% der Gebraucher praktizieren riskanten Konsum oder werden abhängig. Ihnen hilft nicht das Strafrecht, sondern nur sachgerechte präventive Beratung und Psychotherapie. Das Heroin-Problem ist erst gesundheitsrechtlich, durch Methadonprogramme und Heroinvergabe weitgehend gelöst worden. Legalisierung könnte auch das Gesundheitsrisiko anderer bisher illegaler Drogen entscheidend mindern.
3. Mit der Drogenprohibition gibt der Staat seine Kontrolle über Verfügbarkeit und Reinheit von Drogen auf
Nicht die Wirkung der Drogen ist das Problem, sondern die repressive Drogenpolitik schafft Probleme. 90-95% der Konsumenten illegaler Drogen leben ein normales Leben. Selbst abhängige Konsumenten bleiben oftmals sozial integriert. Menschen mit problematischem Drogenkonsum brauchen Hilfe. Die Strafverfolgung hat für sie und alle anderen nur negative Folgen. Der Schwarzmarkt bewirkt Unkalkulierbarkeit des Wirkstoffge haltes und gesundheitsschädliche Beimengungen zur Profitsteigerung. Es gibt im durch die Prohibition erzeugten Schwarzmarkt keinen Verbraucherund Jugendschutz.
4. Der Zweck der Prohibition wird systematisch verfehlt.
Prohibition soll den schädlichen Konsum bestimmter Drogen verhindern. Tatsächlich kann sie dieses Ziel nicht erreichen. Das zeigen alle wissenschaftlich relevanten Untersuchungen. Sogar die Evaluation des 10-Jahres-Programms der UNO zur Drogenbekämpfung kommt im Jahr 2008 zu diesem Schluss. Prohibition schreckt zwar einige Menschen ab, verhindert aber Aufklärung und vergrößert gleichzeitig dramatisch die gesundheitlichen und sozialen Schäden für diejenigen, die nicht abstinent leben wollen. Selbst in totalitären Regimes und Strafanstalten kann Drogenkonsum nicht verhindert werden.
5. Die Prohibition ist schädlich für die Gesellschaft
Sie behindert eine angemessene medizinische und psychotherapeutische Versorgung von Problemkonsumenten. Sie erzeugt Beschaffungsund Begleitkriminalität. Sie erzeugt den Schwarzmarkt und fördert die organisierte Kriminalität. Sie bewirkt die Einschränkung von Bürgerrechten und korrumpiert den Rechtsstaat. Durch massive Machtanballung bei Kartellen und Mafia nimmt die Gefahr eines Scheiterns der Zivilgesellschaft zu. Sie hat desaströse Auswirkungen auf staatliche und demokratische Strukturen der Anbau und Transitländer.
Tausende von Toten im aktuellen „Krieg der Drogenkartelle“ in Mexiko sind weitgehend den Kämpfen um exorbitante Schwarzmarktprofite zuzurechnen. Der Schwarzmarkt generiert eine extreme und globalisierte Schattenwirtschaft mit weiterer Folgekriminalität und destabilisierenden Auswirkungen auf globale Finanzmärkte ebenso wie nationale Volkswirtschaften. Angesichts effektiver informeller Geldtransfersysteme kann Geldwäschekontrolle kaum funktionieren. In Reaktion auf den Krieg der Kartelle kommt es sowohl zu einer Quasi-Militarisierung der Polizei als auch zu quasi-polizeilichen Funktionen des Militärs. Auch dadurch erodieren staatliche Grundstrukturen.
6. Die Prohibition ist unverhältnismäßig kostspielig
Bürger werden Opfer der Beschaffungsund Begleitkriminalität. Jährlich werden Milliardenbeträge für die Strafverfolgung aufgewendet, welche sinnvoller für Prävention und Gesundheitsfürsorge eingesetzt werden könnten. Der Staat verzichtet auf Steuereinnahmen, die er bei einem legalen Angebot hätte.
7. Die Prohibition ist schädlich für die Konsumenten
Konsumenten werden diskriminiert, strafrechtlich verfolgt, stigmatisiert und in kriminelle Karrieren getrieben. Weil es sich um „opferlose“ Kontrolldelikte handelt, welche lediglich proaktiv – und damit Unterschichtangehörige und Migranten benachteiligend – verfolgt werden, kommt es zu grundrechtsverletzender Ungleichbehandlung. Es gibt keine adäquate Risikoaufklärung, keinen Verbraucherund Jugendschutz. Riskante Konsumformen werden gefördert und die auf den Schwarzmarkt gezwungenen Konsumenten werden – teilweise unbekannten – Drogen ausgesetzt, welche gefährlich oder schwieriger zu handhaben sind. Normales jugendliches Experimentierverhalten wird kriminalisiert und das Erlernen von Drogenmündigkeit erschwert. Junge Menschen werden dauerhaft stigmatisiert und ihre Lebenschancen werden gemindert – auch durch unverhältnismäßigen Entzug der Fahrerlaubnis.
8. Quasi-Feldexperimente mit Cannabis beweisen dessen soziale, kulturelle und legale Integrierbarkeit
Diverse Quasi-Feldexperimente mit der liberalisierten Zugänglichkeit oder Vergabe von bislang illegalen Drogen (z.B. Niederlande, Schweiz, Spanien, Portugal, Tschechien) ergaben, dass die befürchtete Ausweitung des Cannabis-Konsums ausbleibt. Außerdem hat sich das drogenpolitische Klima in den bislang im repressiven Drogenregime federführenden U.S.A. stark verändert: Medizinisches Cannabis ist in 18 Bundesstaaten erlaubt und 114 in zwei Bundesstaaten (Colorado, Washington) ist Cannabis ab 1.1.2014 mit sachgerechter Regulierung und Besteuerung legalisiert.
Fazit
Der Staat darf die Bürger durch die Drogenpolitik nicht schädigen. Es ist deshalb notwendig, Schaden und Nutzen der Drogenpolitik unvoreingenommen wissenschaftlich zu überprüfen. Für Cannabis kann das Ergebnis aufgrund gegebener Forschungslage nur lauten: Legalisierung und sachgerechte Regulierung von Herstellung, Vertrieb, Prävention und Behandlung. Das Heroin-Problem ist erst gesundheitsrechtlich, durch Methadonprogramme und Heroinvergabe weitgehend gelöst worden. Für andere illegale Drogen sind aufgrund wissenschaftlicher Analyse spezifische Lösungen zu finden. Für diese Aufgaben wäre eine Enquête-Kommission der geeignete Rahmen. Und damit erhielte das Parlament seine ureigenste Aufgabe zurück.
Nachtrag, Juni 2014 (Maximilian Plenert): Am 4. Juni 2014 wurde der Antrag „Beabsichtigte und unbeabsichtigte Auswirkungen des Betäubungsmittelrechts überprüfen“ dipbt.bundestag.de/dip21/btd/18/016/18016 13.pdf durch die LINKE und die Grüne Fraktion im Deutschen Bundestag eingebracht. Mit dieser gemeinsamen Initiative greifen die Oppositionsparteien die Forderungen der Resolution auf und setzen sie auf die Tagesordnung des Deutschen Bundestages.
Der Antrag beinhaltet explizit keine drogenpolitischen Positionen, sondern fordert eine externe wissenschaftliche Evaluierung der Auswirkungen der Verbotspolitik für illegalisierte Betäubungsmittel. Auf Grundlage dieser Überprüfung sollen wissenschaftlich untermauerte Handlungsempfehlungen entwickelt werden. Die im Bundestag vertretenen Parteien können dann entscheiden, für welche Drogenpolitik mit allen ihren beabsichtigten und unbeabsichtigten Auswirkungen sie stehen.
Quelle und Weiterlesen:
http://hanfverband.de/index.php/themen/drogenpoli tik-a-legalisierung/2482-uebersichtsseite-zum-antragqbeabsichtigte-und-unbeabsichtigte-auswirkungendes-betaeubungsmittelrechts-ueberpruefenq
83 Modifizierte, erweiterte und aktualisierte Version eines Artikels, der erstmals in der Deutschen Richterzeitung (01/2014, 10f.) erschienen ist; Bearbeitung: Bernd Werse
84 Lorenz Böllinger ist sowohl Sprecher des interdisziplinären Schildower Kreises als auch Initiator der hier dargestellten Resolution von Strafrechtsprofessorinnen und -professoren.