Das falsche Signal – Anmerkungen zu einem häufig genannten „Argument“

Von Bernd Werse

In politischen Kreisen, die den Status quo der Drogenprohibition verteidigen, wird in Diskussionen über das Thema praktisch immer das vermeintliche Argument angeführt, eine Regulierung oder Entkriminalisierung bestimmter Drogen oder auch nur die Heraufsetzung der „geringen Menge“, bei der ein Strafverfahren eingestellt werden kann, würde ein „falsches Signal“ aussenden. Ein Signal, durch das insbesondere jungen Menschen suggeriert werde, die betreffenden Drogen seien ja gar nicht so gefährlich.

Abgesehen davon, dass der Effekt des „falschen Signals“ in der Prävention alles andere als gesichert ist (s.u.), stellt sich die Frage, welche falschen Signale eigentlich durch die derzeitige Rechtslage gesendet werden. Wie denkt z.B. eine unter chronischen Schmerzen oder Nebenwirkungen einer Chemotherapie Leidende über eine Medizin, in der das am besten wirksame Medikament praktisch nicht verfügbar ist, da es nach aufwendigem Antragsverfahren zu stark überhöhten Preisen selbst bezahlt werden muss (obwohl die Betroffene es viel einfacher selbst anbauen könnte)? Wie denkt ein Jugendlicher über das Rechtssystem, wenn er gerade zu einer saftigen Bewährungsstrafe verurteilt wurde, weil er ausnahmsweise mal eine etwas größere Menge des Genussmittels seiner Wahl dabei hatte, weil er einigen Bekannten noch etwas mitbringen wollte? Während womöglich ein anderer Bekannter, der alkoholisiert eine Gewalttat begangen hat, gerade wegen seiner Alkoholisierung eine geringere Strafe erhält? Was hält eine wöchentliche Konsumentin von unseren Gesetzen, wenn sie gerade ihren Führerschein verloren hat, obwohl sie gar nicht berauscht im Straßenverkehr erwischt wurde (und ihr Verfahren wegen Drogenbesitzes wegen der geringen Menge bereits   eingestellt wurde) – während sie in einer anderen Gegend mit anderen Akteuren in der Strafverfolgung unbehelligt geblieben wäre? Was denkt ein obdachloser Opiatabhängiger über den Staat, in dem er lebt, wenn es von seinem Wohnort abhängig ist, ob er ein halbwegs ausreichendes Maß an Überlebenshilfe erhält? Und er zwar – wenn er in der „richtigen“ Stadt wohnt – einen Raum nutzen kann, in dem er seine Drogen konsumieren darf, diese aber auf dem Weg dorthin von der Polizei abgenommen bekommt? Und, um noch ein Beispiel von den derzeit legalen Drogen zu nennen: Welche Signale werden eigentlich an Jugendliche ausgesendet, wenn ihnen einerseits ständig vermittelt wird, wie schlimm und riskant ihre eigenen Trinkgewohnheiten sind, wenn sie gleichzeitig Alkohol problemlos an unzähligen öffentlichen Orten erwerben können und sie außerdem praktisch überall mit den Werbebotschaften der Alkoholindustrie bombardiert werden?

Zugegeben: die meisten der oben angeführten Fälle betreffen jeweils nur eine Minderheit – aber eine Minderheit, die das Vertrauen in das Gesellschaftssystem zu verlieren droht. Zu unterschätzen ist dabei auch nicht der unterschwellige Effekt, dass die als ungerecht empfundenen Zustände den Betreffenden möglicherweise im eigenen Konsumverhalten bestärken. Wie etwa zahlreiche Generationen jugendlicher Hardcore-Kiffer, die sich auf den Umstand berufen konnten, dass das Cannabisverbot ungerecht ist – aus den oben angeführten Gründen oder auch, weil es ohnehin das Ergebnis einer Verschwörung von Papierund Kunstfaserindustrie sei, und weil Cannabis ja sowieso „gesünder als Alkohol ist“. Ich bin davon überzeugt, dass derartige subjektive, „politisch“ motivierte Überhöhungen der eigenen Lieblingsdroge zumindest abgeschwächt würden, wenn diese straflos erhältlich wäre – diese „falschen Signale“ würden damit also eher entschärft. Mehr noch: Dadurch, dass der Konsum sowie die Kommunikation über die Substanz nicht mehr strikt im Verborgenen ablaufen müssten, könnte offener über generelle spezifische Risken bestimmter Substanzen und konkrete individuelle Probleme damit gesprochen werden – so ist z.B. der Cannabiskonsum keineswegs generell weniger gefährlich als der Alkoholkonsum, sondern bei entsprechenden Voraussetzungen für bestimmte Personen durchaus riskanter.

Zweifellos würde durch eine legale Regulierung nicht der Drogenkonsum generell eingedämmt werden können – was ja per se keineswegs die Absicht sein kann und natürlich auch völlig unrealistisch ist. Und zweifellos sind diejenigen Staaten mit relativ liberalen Drogengesetzen auch nicht selten diejenigen mit relativ hoher Drogenverbreitung. Aber: Zumeist ist es so, dass liberale Gesetze erst eingeführt wurden, nachdem die Verbreitung bereits relativ hoch war (wie etwa in Tschechien oder Spanien), und die Liberalisierung führte dann keineswegs zu einem weiteren Anstieg (teilweise sogar zu tendenziellen Rückgängen). Außerdem gibt es auch Gegenbeispiele, wie etwa Portugal, das eine der weitgehendsten Entkriminalisierungen einführte und gleichzeitig eine im europäischen Vergleich unterdurchschnittliche Drogenverbreitung aufweist. Ein entscheidender Aspekt lässt sich gerade anhand dieses Beispieles gut illustrieren: die gravierenden Probleme, mit denen Portugal noch um die Jahrtausendwende insbesondere im Zusammenhang mit Opiatabhängigen zu kämpfen hatte, haben sich seither sehr deutlich abgeschwächt.

In diesen Ländern ist also keineswegs etwas von einem „falschen Signal“ zu spüren, das durch die Entkriminalisierung ausgesendet würde. Vielmehr zeigen sich Anzeichen dafür, dass das eigentliche Ziel, das Drogenpolitik heute haben sollte, unter liberalen Bedingungen eher erreicht wird: Nicht die generelle Verbreitung von Drogen gilt es zu bekämpfen (was mithilfe der Prohibition ohnehin kaum funktioniert), sondern Gebrauchsformen der selbigen, die dem Konsumierenden und/oder seiner Umwelt schaden. Dies kann mittels legalem Zugang und verfügbaren sachlichen Informationen viel besser erreicht werden als mit Repression – zumal eine Menge finanzieller Mittel frei würde, um sich um (potenzielle) Problemfälle kümmern zu können – was im Sinne der Gesundheitsförderung mit Sicherheit das richtigere Signal wäre.