Von Gerrit Kamphausen
Drogenpolitik wird fast ausschließlich als Gebiet der Gesundheitspolitik betrieben; daher wird dem Gesundheitsausschuss des Bundestages eine übergeordnete Rolle im Prozess der Gesetzgebung zuteil. Berichte, Expertenmeinungen und -anhörungen sowie letztlich die Gesetzesentwürfe selbst werden fast ausschließlich in diesem Gremium diskutiert, bevor der Bundestag entsprechende Beschlüsse fasst. Der Grund für dieses feststehende Prozedere liegt in der alles bestimmenden Annahme der individuellen und gesellschaftlichen Gesundheitsgefährdung durch Drogen. Diese Vorgehensweise bei der politischen Entscheidungsfindung ist insofern unvollständig, als die damit verbundenen Strafgesetze genuin eine Angelegenheit der Innenund Justizpolitik sind und dementsprechend die mit diesen Feldern befassten Ausschüsse gleichermaßen beteiligt sein müssten. Als Folge dieses Ungleichgewichts bei der Entstehung und Bewertung der aktuellen Gesetzeslage fällt unter den Tisch, dass das bestehende Verbot aus juristischer Perspektive rechtsstaatlich fragwürdig ist und aus soziologischer Sicht der Gesellschaft mehr schadet als nützt.
In einem freiheitlich geprägten Rechtsstaat gilt immer das Gebot, für strafrechtliche Maßnahmen die höchstmögliche Schwelle zu setzen. Konkret erfolgt das über die konsequente und kategorische Einhaltung des Dreisatzes der Geeignetheit, Erforderlichkeit und Verhältnismäßigkeit der Maßnahme. Alle drei Kategorien müssen dabei unzweifelhaft bejaht werden. Für die Prüfung dieser Kategorien wäre eine prozessuale Gleichstellung der Innenund Justizpolitik mit der Gesundheitspolitik zwingend geboten. Nicht zuletzt deshalb fordert eine Vielzahl der deutschen Strafrechtsprofessoren und anderer Experten die Einrichtung einer Enquetekommission, welche die aktuelle Drogenprohibition auf die Vereinbarkeit mit den rechtsstaatlichen Grundprinzipien überprüfen soll. Einer solchen Überprüfung würde das Drogenverbot nur schwer standhalten. Das Verbot soll den Einzelnen und die Gesellschaft vor den echten und vermeintlichen Gefahren, die mit dem Konsum verbunden sein können, schützen. Konkret soll das so erfolgen, dass mit dem Verbot die kriminalisierten Drogen nicht mehr verfügbar sind und damit aus der Gesellschaft verschwinden. Aus juristischer, rechtsstaatlicher Sicht lauten die zu klärenden Fragen demnach:
1. Ist das Verbot geeignet, die Drogen aus der Gesellschaft verschwinden zu lassen? Die Antwort lautet ganz klar: Nein, das ist es nicht. Wenn dies so wäre, dann müsste dieser Erfolg nach nunmehr mehreren Jahrzehnten klar erkennbar sein. Stattdessen sind die Drogen gesellschaftlich weit verbreitet und insbesondere bei Cannabis und synthetischen „Partydrogen“ gibt es eine mehr oder weniger flächendeckende Verfügbarkeit zu durchaus bezahlbaren Preisen. Allerdings werden Drogen fast ausschließlich auf einem Schwarzmarkt gehandelt, der neben den mit solchen Märkten verbundenen Nachteilen für den Verbraucher und mangelnder Produktsicherheit mit dem Risiko der staatlichen Bestrafung und gesellschaftlichen Ausgrenzung aufwartet.
2. Ist es überhaupt erforderlich, die Drogen aus der Gesellschaft verschwinden zu lassen? Auch hier lautet die Antwort: Nein, das ist es nicht. Damit ist nicht gesagt, dass Drogen gänzlich ungefährlich seien. Aber die Gefährlichkeit wird von den Befürwortern des Verbots grundsätzlich übertrieben dargestellt, ebenso wie dabei vergessen wird, dass ein Teil der wirklich gegebenen Gefahren auf das Verbot selbst zurückgeht. Dieser Teil der Gefährlichkeit kann kaum zur Begründung der Erforderlichkeit des Verbots herangezogen werden. Im Übrigen ist es so, dass der allermeiste Drogenkonsum – auch jener der sogenannten „harten“ Drogen – entweder Gelegenheitskonsum oder sogenannter „kontrollierter Konsum“ ist, also solcher, bei dem der Konsument bewusst auf einen vernünftigen Konsum achtet. Allerdings wird diese Selbstkontrolle durch das Verbot erschwert, hauptsächlich, weil die Konsumenten sich vor dem Rest der Gesellschaft verstecken müssen, um der Bestrafung zu entgehen. Auch dieser Sachverhalt kann nicht dazu verwendet werden, die Erforderlichkeit des Verbots zu begründen. Schließlich gilt bezüglich der echten Gefahren, die durchaus mit dem Konsum verbunden sein können, dass diese in einer legalen Situation wesentlich besser beobachtet, reguliert und notfalls behandelt werden können.
3. Ist es im juristischen Sinne verhältnismäßig, mittels eines strafbewehrten Verbots die Drogen aus der Gesellschaft verschwinden zu lassen? Auch hier wieder: Nein, das ist es nicht. Die Verhältnismäßigkeit strafrechtlicher Maßnahmen zu prüfen ist nicht ganz leicht, bezüglich des Drogenverbots lässt sich jedoch feststellen, dass sowohl die eingesetzten Ermittlungsmethoden als auch die angedrohten und vollzogenen Strafen im Vergleich zu anderen Deliktarten übermäßig streng sind. Auf der Ermittlungsebene sind Telefonüberwachungen, Hausdurchsuchungen und der Einsatz sogenannter Lockspitzel auch bei kleineren und mittleren Vergehen gängige Maßnahmen, während die Strafen im Vergleich zu Eigentumsund Gewaltdelikten unverhältnismäßig schwer sind. Das sind Vorgehensweisen, die einem demokratischen Rechtsstaat unwürdig sind.
Das Drogenverbot wird keiner der drei Kategorien der Geeignetheit, Erforderlichkeit und Verhältnismäßigkeit gerecht, obwohl dies zu seiner Aufrechterhaltung zwingend nötig wäre. Eine Gleichberechtigung der Innenund Justizpolitik gegenüber der Gesundheitspolitik, unter der Voraussetzung eines gesteigerten Bewusstseins für rechtsstaatlich unabdingbare Kategorien bei der Bewertung von Verbotsgesetzen und den eingesetzten Ermittlungsmethoden, könnte die aktuell gegebenen Missstände beheben.
Doch zurzeit ist es nun einmal so, dass dieser aus rechtsstaatlicher Sicht unzulässige Status quo politisch ungeprüft existiert, und daher ist es nicht verwunderlich, dass damit aus soziologischer Sicht bereits massive negative Konsequenzen für die Gesellschaft feststellbar sind. Dazu gehören nicht nur jene, von denen die Konsumenten direkt betroffen sind – Streckmittel, Abzocke beim Kauf, ungerechte Strafverfolgung – sondern auch jene, von denen die Gesellschaft insgesamt betroffen ist, als da unter anderem wären: Geldwäsche, Korruption, Vertrauensverlust in staatliche Institutionen und Auflösungserscheinungen rechtsstaatlicher Prinzipien. Eine Neuordnung der staatlichen Drogenpolitik wäre also nicht nur mit Vorteilen für alle direkt Beteiligten verbunden, sondern könnte zusätzlich den Rechtsstaat stärken. Ein erster Schritt dazu wäre die politische und juristische Überprüfung der Verbotspolitik anhand der genannten Kategorien und unter Einbeziehung aktueller Forschungsergebnisse.