Zur Wirkungslosigkeit des Drogenverbotes im Hinblick auf das Drogenangebot: Übersetzung einer Studie aus Nordamerika

Eingangstext und Bearbeitung: Bernd Werse

Die im Folgenden abgedruckte Studie wurde im Jahr 2013 international stark beachtet: Die Forscherinnen und Forscher vom BC Centre for Excellence in HIV/AIDS in Vancouver und der University of California in San Diego legen dar, dass internationale Anstrengungen, mittels Repression das Drogenangebot zu verknappen, in den vergangenen Jahrzehnten weitgehend wirkungslos gewesen sind. Der Artikel erschien in der Open-AccessVersion des renommierten British Journal of Medicine und wurde im Auftrag des Büros des MdB Frank Tempel (Linke) auf Deutsch übersetzt 152 . Wir haben uns entschlossen, diesen Artikel in diesem Bericht aufzunehmen, da er die Ineffektivität der kostspieligen weltweiten Drogenprohibition mit ‚harten Fakten‘ belegt. Zu erwähnen ist an dieser Stelle, dass im Mai 2014 ein weiterer internationaler Report erschienen ist, in dem Expertinnen und Experten der London School of Economics, unterstützt u.a. von fünf ehemaligen Wirtschaftsnobelpreisträgern, zu einem ähnlichen Ergebnis kommen: Auch diese Forscherinnen und Forscher konstatieren, dass der „Krieg gegen die Drogen“ gescheitert ist153. Hier wird unter anderem auch darauf eingegangen, dass eine stärkere polizeiliche Verfolgung dazu führt, vor allem aggressive und gewalttätige Kartelle am Markt zu halten, was zusätzliche negative Auswirkungen auf unmittelbar Betroffene und die Allgemeinbevölkerung hat. Da dieser Bericht erst kürzlich veröffentlicht wurde, konnten an dieser Stelle keine detaillierteren Resultate in deutscher Sprache aufgenommen werden.

Das temporäre Verhältnis zwischen Indikatoren für das Drogenangebot: eine Untersuchung internationaler staatlicher Überwachungssysteme

Dan Werb, Thomas Kerr, Bohdan Nosyk, Steffanie Strathdee, Julio Montaner, Evan Wood154

Abstract

Ziele: Der Konsum illegaler Drogen ist eine unvermindert ernste Gefahr für die Gesundheit und Sicherheit der Allgemeinheit. Um das Verhältnis zwischen mehreren Langzeitschätzungen von Preis und Reinheit illegaler Drogen beurteilen zu können, wurden Datenbestände der internationalen Drogenüberwachung ausgewertet.

Aufbau: Wir suchten systematisch nach Längsschnitt-Messgrößen von Indikatoren für das Angebot an illegalen Drogen, um den langfristigen Einfluss von Maßnahmen zur Angebotsreduzierung durch Rechtsdurchsetzung zu bewerten.

Methode: Die Daten aus Systemen für die Überwachung illegaler Drogen wurden anhand eines a priori definierten Protokolls analysiert, um jährliche Schätzungen ab 1990 darzustellen. Anschließend wurden die Daten in Trendanalysen ausgewertet.

Erkenntnisfindung: Die Daten stammen aus staatlichen Systemen für die Überwachung und Bewertung von Preis, Reinheit und/oder sichergestellten Mengen illegaler Drogen. Berücksichtigt wurden Systeme, mit denen über einen Zeitraum von mindestens 10 Jahren Längsschnittdaten zu Preis, Reinheit/Stärke oder Sicherstellungen gesammelt worden waren.

Ergebnisse: Wir ermittelten sieben regionale oder internationale Metaüberwachungssysteme mit Längsschnitt-Messwerten für Preis oder Reinheit/Stärke, die den Auswahlkriterien entsprachen. Im Zeitraum 1990 bis 2007 fielen in den USA die reinheits- und inflationsbereinigten Durchschnittspreise von Heroin, Kokain und Cannabis um 81 %, 80 % bzw. 86 %. Gleichzeitig nahm die durchschnittliche Reinheit der Drogen um 60 %, 11 % bzw. 161 % zu. Ähnliche Tendenzen waren in Europa zu beobachten, wo die inflationsbereinigten Durchschnittspreise von Opiaten und Kokain im Vergleichszeitraum um 74 % bzw. 51 % fielen. In Australien fiel der inflationsbereinigte Durchschnittspreis von Kokain um 14 %, während die inflationsbereinigten Preise von Heroin und Cannabis zwischen 2000 und 2010 um jeweils 49 % fielen. Im gleichen Zeitraum stieg die Zahl der Sicherstellungen dieser Drogen in den wichtigsten Produktionsgebieten und Inlandsmärkten allgemein an.

Schlussfolgerungen: Obwohl mehr Mittel in Maßnahmen zur Angebotsreduzierung durch Rechtsdurchsetzung fließen, die den weltweiten Zustrom von Drogen unterbinden sollen, sind die Preise illegaler Drogen seit 1990 fast ausnahmslos gefallen, während ihre Reinheit generell zugenommen hat. Diese Erkenntnisse deuten darauf hin, dass die verstärkten Bemühungen, den globalen illegalen Drogenmarkt durch Rechtsdurchsetzung unter Kontrolle zu bekommen, scheitern.

(Weitere) Zusammenfassung des Artikels Schwerpunkte: Untersuchungen zeigen, dass der illegale Drogenkonsum die Gesundheit und Sicherheit der Allgemeinheit unvermindert gefährdet. Es ist jedoch nur wenig über den langfristigen Einfluss von Bemühungen bekannt, das Gesamtangebot an illegalen Drogen zu reduzieren.

Kernaussagen: Ausgehend von Längsschnittdaten staatlicher Überwachungssysteme zeigt die Studie, dass das Angebot an wichtigen illegalen Drogen in den vergangenen 20 Jahren gestiegen ist. Dies lässt sich an einem generellen Preisrückgang und einer generellen Zunahme der Reinheit illegaler Drogen in den verschiedensten Szenarien ablesen.

Stärken und Beschränkungen dieser Studie: Die Qualität und Stimmigkeit der Daten aus der Überwachung des illegalen Drogenangebots beschränken diese Studie. Die Studie präsentiert im Verlauf von 20 Jahren erhobene Daten zur Entwicklung des illegalen Drogenangebots in verschiedenen Szenarien, darunter Konsumenten- und Exportmärkte für Drogen.

Ziele

Die jüngsten Schätzungen der Vereinten Nationen (VN) beziffern den Wert des weltweiten illegalen Drogenhandels auf jährlich mindestens 350 Mrd. US$1, und der Konsum illegaler Drogen ist eine unvermindert ernste Gefahr für die Gesundheit und Sicherheit der Allgemeinheit.2, 3 Illegaler Drogenkonsum kann nicht nur in Verbindung mit der direkten Gesundheitswirkung von Drogen zu verschiedenen Schäden einschließlich einer tödlichen Überdosis führen.4, 5 Er zählt auch zu den weltweit wichtigsten Auslösern der Verbreitung von durch Blut übertragbaren Krankheiten, vor allem HIV-Infektionen.6, 7 Auch der Handel mit illegalen Drogen belastet die Allgemeinheit, etwa durch hohe Gewaltraten dort, wo der Handel zunimmt.8 Vor dem Hintergrund der sozialen und gesundheitlichen Risiken des Konsums illegaler Drogen verabschiedeten die Vereinten Nationen mehrere Übereinkommen, die den Besitz, den Konsum und die Herstellung illegaler Drogen kontrollieren sollen.9–11 In der Folge haben die meisten nationalen Drogenbekämpfungsstrategien der letzten Jahrzehnte besonderes Gewicht darauf gelegt, das Drogenangebot über die Durchsetzung von Drogengesetzen zu reduzieren, obwohl in Fachkreisen jüngst gefordert wurde, alternative DrogenbekämpfungsModelle auszuloten, etwa die Entkriminalisierung von Drogen und eine entsprechende gesetzliche Regelung.12–14 Eine Reihe unerwünschter Folgen dieses Ansatzes wie Rekordinhaftierungsraten sind umfassend dokumentiert.15–18 Zudem wurden einige wenige Studien zur Beurteilung einzelner Aspekte des Drogenangebots, gemessen anhand von Indikatoren für Preis, Reinheit/Stärke und Sicherstellung von Drogen, durchgeführt, um das globale Zusammenspiel dieser Indikatoren über einen langen Zeitraum zu erfassen.19 Allerdings müssen diese Beziehungen noch systematisch bewertet werden, damit die Muster des Drogenangebots deutlich werden. Das Ziel der vorliegenden Studie war es, Daten aus öffentlich zugänglichen Systemen für die Überwachung illegaler Drogen mehrerer Länder systematisch zu ermitteln, um Langzeitschätzungen des illegalen Drogenangebots beurteilen zu können.

Aufbau
Erkenntnisinteressen

Das primäre Erkenntnisinteresse bestand in langfristigen Mustern des Angebots an illegalen Drogen, gemessen anhand von Indikatoren für Preis und Reinheit/Stärke dreier wichtiger illegaler Drogen: Cannabis, Kokain und Opiate (z. B. Opium und Heroin). In einigen Ländern (etwa Großbritannien) finden sich auch Angaben über Stimulanzien vom Amphetamintyp, doch diese Wirkstoffklasse wurde aufgrund inkonsistenter Datenerfassung und Klassifizierung, veränderlicher Überwachungszeiträume und der allgemeinen Qualität der Daten ausgeschlossen. Sekundäre Erkenntnisinteressen bestanden in Daten über Sicherstellungen illegaler Drogen in (1) wichtigen Ursprungsregionen illegaler Drogen und (2) wichtigen Absatzmärkten gemäß dem Büro der Vereinten Nationen für Drogenund Verbrechensbekämpfung (UNODC).20 Diese sekundären Daten wurden als zusätzliche Messgröße zur Beurteilung der Verfügbarkeit illegaler Drogen in einzelnen Regionen genutzt, wie weiter oben ausgeführt.21, 22 Alle Daten wurden mithilfe öffentlich zugänglicher Systeme für die Überwachung illegaler Drogen systematisch ermittelt. Die jährlichen Schätzungen aller Ergebnisse wurden linearen AssoziationsTrendtests (Mantel-Haenszel-Tests) unterzogen. Die Schätzungen der Preise und Reinheitsgrade sind die Mediane des jeweiligen Jahres, die Schätzungen für Sicherstellungen sind Bruttosummen der sichergestellten Mengen. Alle Preisschätzungen sind in US-Dollar angegeben (Stand: 2011) und, wenn möglich, bereinigt im Hinblick auf Reinheit bzw. Wirkstoffgehalt.23

Systeme für die Überwachung illegaler Drogen
Anhand zweier a priori definierter Einschlusskriterien wurde eine Online-Suche nach Systemen für die Überwachung illegaler Drogen durchgeführt. Zu den Suchwörtern zählten: drugs, illicit, illegal, price, purity, potency, surveillance system, government data, longitudinal, annual, estimate (Drogen, unerlaubt, illegal, Preis, Reinheit, Stärke, Überwachungssystem, staatliche Daten, Längsschnitt, jährlich, Schätzung). Folgende Ein- bzw. Ausschlusskriterien wurden angewendet: Aufgenommen wurden ausschließlich Überwachungssysteme, die kontinuierliche, über mindestens 10 Jahre durchgeführte Längsschnittanalysen dieser Erkenntnisinteressen enthielten, denn es sollte explizit der langfristige Einfluss von Strategien zur Angebotsreduzierung durch Rechtsdurchsetzung anhand von Preis und Reinheit/Stärke illegaler Drogen bewertet werden. Schließlich wurde die Datenextraktion auf 1990 und Folgejahre eingeschränkt, um den Schwerpunkt auf Angebotsmuster der letzten Jahrzehnte zu legen. Gewonnen wurden die Daten durch OnlineRecherchen in den Registern von Überwachungssystemen (z. B. staatliche Webseiten, Datenbestände der VN), in staatlichen Berichten und von Experten geprüften Publikationen, durch Hinweise von Experten auf dem Gebiet und durch Datenanfragen an relevante Organisationen wie das UNODC. Alle Autoren hatten uneingeschränkten Zugang zu allen Daten, und alle trugen gemeinsam die Endverantwortung für deren Veröffentlichung. Eine Genehmigung unter ethischen Gesichtspunkten war nicht erforderlich, da ausschließlich öffentlich zugängliche Daten ausgewertet wurden.

Ergebnisse
Ermittelt wurden sieben staatliche Überwachungssysteme, die die Einschlusskriterien erfüllten. Drei von ihnen (43 %) enthielten internationale Daten, drei (43 %) Daten aus den USA und eines (14 %) Daten aus Australien. Eines der ältesten unter den ermittelten Überwachungssystemen, das 1975 in den USA gestartete Marijuana Potency Monitoring Project, wird von den US-amerikanischen National Institutes of Health finanziell gefördert; das jüngste der Systeme, das National Drug Threat Assessment, wurde dagegen erst 2001 etabliert. UNODC verwaltet zwei getrennte internationale Überwachungssysteme, mit denen Daten aller teilnehmenden VN-Mitgliedstaaten erhoben werden: Mit dem jährlichen Fragebogen Annual Reports Questionnaire werden Daten zu Preis und Reinheit/Stärke erhoben, und in der Drug Seizures Database werden Angaben zu Sicherstellungen gesammelt. Und schließlich verwaltet die Europäische Beobachtungsstelle für Drogen und Drogensucht das Drogen-Informationsnetz Reitox, das Daten von Überwachungssystemen mehrerer europäischer Länder bündelt, wie weiter unten erläutert.24

Preis und Reinheit/Stärke
Tabelle 1 enthält Überwachungssysteme, die die Suchkriterien erfüllten. Eine Analyse der Daten aus diesen Überwachungssystemen förderte mehrere deutliche Tendenzen zutage. Erstens: Die Reinheit und/oder Stärke illegaler Drogen blieb im Studienzeitraum im Großen und Ganzen konstant oder nahm zu. Zweitens: Die Preise illegaler Drogen sind fast ausnahmslos gefallen. Drittens: Die Zahl der Sicherstellungen von Cannabis, Kokain und Opiaten in den wichtigsten Drogen-Produktionsgebieten und Inlandsmärkten stieg. Abbildung 1 veranschaulicht Daten aus dem System To Retrieve Information from Drug Evidence (STRIDE) der US-Drogenbekämpfungsbehörde Drug Enforcement Administration. Sie zeigen, dass zwischen 1990 und 2007 (dem letzten Jahr, für das Daten veröffentlicht wurden) die Reinheit von Heroin und Kokain und die Stärke von Cannabiskraut in den USA zunahmen, während die reinheits- und inflationsbereinigten Straßenhandelspreise der drei Drogen fielen.25 Im genannten Zeitraum stieg speziell die Reinheit von Heroin um 60 % (p = 0,568), die von Kokain um 11 % (p = 0,181) und die von Cannabiskraut um 161 % (p < 0,001). Im gleichen Zeitraum kam es zu einem Preisrückgang bei Heroin, Kokain und Cannabis um 81 % (p < 0,001), 80 % (p < 0,001) bzw. 86 % (p < 0,001). Vom UNODC erhobene Daten zum Straßenpreis von Kokain und Opiaten in teilnehmenden europäischen Ländern (Belgien, Dänemark, Deutschland, Finnland, Frankreich, Griechenland, Großbritannien, Irland, Island, Italien, Luxemburg, die Niederlande, Norwegen, Österreich, Portugal, Schweden, Schweiz und Spanien).26 In diesen Ländern fiel im Zeitraum 1990 bis 2009 der aggregierte Durchschnittspreis im Straßenhandel mit Kokain um 51 % von 198 US$ pro Gramm auf 98 US$ pro Gramm (p < 0,001). Ebenso fiel der aggregierte Durchschnittspreis von Opiaten in Europa um 74 % von einem Hoch von 295 US$ pro Gramm 1990 auf 77 US$ pro Gramm 2009 (p < 0,001). Daten des australischen Illicit Drug Reporting System (IDRS) standen für die Jahre 2000 bis 2010 zur Verfügung. Sie deuten darauf hin, dass der Preis illegaler Drogen in Australien in diesem Zeitraum erheblich schwankte. Speziell der bereinigte Heroinpreis fiel um 49 % von etwa 460 US$ pro Gramm auf etwa 235 US$ pro Gramm (p < 0,001), und zwar trotz der oft zitierten „Heroin-Knappheit“ des Jahres 2001,27 in dem das Angebot und die Verfügbarkeit von Heroin in Australien zurückgingen. Überdies fiel der Kokainpreis um 14 % von etwa 255 A$ pro Gramm auf 220 A$ pro Gramm (p = 0,477), und der Preis von Cannabis fiel um 49 % von etwa 25 A$ pro Gramm auf 13 A$ pro Gramm (p < 0,001).28

Produktionsgebiete Was sichergestellte Opiate betrifft, zählen Teile von Thailand, Laos, Vietnam und Myanmar zum Goldenen Dreieck. Dem UNODC zufolge ist diese Region der zweitgrößte Heroinlieferant weltweit, obwohl die Produktion in den vergangenen 10 Jahren zurückgegangen ist: In Myanmar ist die Opiumproduktion um ca. 60 % geschrumpft, in Laos um ca. 90 %.30 Die Sicherstellungsmengen von Opium in dieser Region schwanken: 1990 wurden 3.198 Kilogramm Opium sichergestellt, 2007 lag das Maximum bei 12.462 Kilogramm, und 2010 stürzte der Wert steil auf 1.225 Kilogramm ab (p = 0,856). Auch die Sicherstellungsmengen von Heroin schwanken bei einem Rückgang um mehr als die Hälfte von 1.337 Kilogramm 1990 auf 627 Kilogramm 2010 (p = 0,085) und einem Höhepunkt von 1.565 Kilogramm im Jahr 2009. In Afghanistan, aus dem wahrscheinlich mehr als 90 % des weltweit angebotenen Opiums stammen,30 stiegen die Sicherstellungen von zubereitetem und Rohopium um mehr als 12.000 % von 453 Kilogramm 1990 auf 57.023 Kilogramm 2010. Die Sicherstellungen von Heroin stiegen um mehr als 600 % von 1.256 Kilogramm 1990 auf 9.036 Kilogramm 2010 (Hinweis: Da Daten fehlten, wurde für jährliche Sicherstellungen von Opium und Heroin in Afghanistan kein Trendtest durchgeführt). Was sichergestelltes Kokain betrifft, ist UNODC zufolge die Andenregion Lateinamerikas, zu der Bolivien, Kolumbien und Peru zählen, der weltweit größte Lieferant der Droge, da Kokablätter ausschließlich in dieser Region angebaut werden.31 Die Sicherstellungen von Kokain in der Andenregion gingen von 97.437 Kilogramm 1990 auf 17.835 Kilogramm 2007 um 81 % zurück (p = 0,028). Demgegenüber stiegen die Sicherstellungen von Kokablättern von 601.038 Kilogramm 1990 auf 1,73 Mio. Kilogramm 2007 um 188 % (p = 0,004). Im gleichen Zeitraum schrumpfte die Kokaanbaufläche in dieser Region leicht von rund 210.000 auf 180.000 ha (p = 0,004). Schließlich gibt es UNODC zufolge noch bedeutende Cannabis-Anbaugebiete in Nordafrika, Afghanistan und Nordamerika. Diese Gebiete sind Nettoexporteure von Cannabis, obwohl die meisten Cannabis produzierenden Länder die Droge auch für den heimischen Konsum erzeugen.20 In Nordafrika (Algerien, Marokko und Tunesien) stiegen die Sicherstellungen von Cannabiskraut um 208 % von 67.930 Kilogramm 1990 auf 209.445 Kilogramm 2007 (p = 0,015). In Nordamerika (Kanada, den USA und Mexiko) stiegen die Sicherstellungen von Cannabiskraut um 288 % von 782. 607 Kilogramm 1990 auf 3,05 Mio. Kilogramm 2007 (p < 0,001). In Afghanistan, für das keine Daten über Sicherstellungen von Cannabiskraut verfügbar sind, stiegen die Sicherstellungen von Cannabisharz um 630 % von 5.068 Kilogramm 1990 auf 36.972 Kilogramm 2006 (p = 0,061).

Schlussfolgerungen
Längsschnittdaten staatlicher Überwachungssysteme zeigen, dass das Angebot an illegalen Drogen in den vergangenen 20 Jahren generell gewachsen ist, was sich an gesunkenen Preisen und höherer Reinheit von Heroin, Kokain und Cannabis ablesen lässt. Die Zahl der Sicherstellungen von Drogen ist im Vergleichszeitraum gestiegen oder gleich geblieben, allerdings waren die mit einigen dieser Indikatoren ermittelten Trends nicht statistisch signifikant. Insofern kommen wir in Übereinstimmung mit früheren Untersuchungen zu dem Schluss,19 dass das weltweite Angebot an illegalen Drogen in den vergangenen 20 Jahren wahrscheinlich nicht abgenommen hat. Die mit dieser Studie vorgestellten Daten lassen darauf schließen, dass in Anbetracht der zunehmenden Stärke und sinkender Preise vor allem das Angebot an Opiaten und Cannabis zugenommen hat. Diese Ergebnisse haben Konsequenzen für die Entwicklung evidenzbasierter Drogenpolitiken, vor allem angesichts des Interesses an neuen drogenpolitischen Ansätzen in einer Reihe von Szenarien in Lateinamerika, Nordamerika und Europa.32–34 Wie an anderer Stelle erläutert,35, 36 sind ökologischen Analysen auf der Grundlage internationaler Überwachungssysteme Grenzen gesetzt. Erstens erheben manche Staaten wenige oder gar keine Daten zu Indikatoren eines illegalen Drogenangebots, während andere große Anstrengungen unternehmen, um die Verfügbarkeit von Drogen zu überwachen. Zweitens ist auch in Staaten, in denen Angebotsindikatoren aufmerksam verfolgt werden, der Grad, bis zu dem sichergestellte Stichproben illegaler Drogen die Reinheit von auf der Straße verkauften Drogen widerspiegeln, nicht immer gleich, wenn auch möglichst reinheitsbereinigte Preise genannt wurden, um dieser Einschränkung zu begegnen.23 Gleichwohl reflektieren die hier vorgestellten langfristigen Trends einer zunehmenden Reinheit und sinkender Preise wahrscheinlich die Gesamttendenzen in vielen Regionen, obwohl darauf hingewiesen werden muss, dass in manchen Regionen (z. B. in Europa) Indikatoren für Preis und Reinheit stark von einzelnen Ländern wie Großbritannien und Spanien beeinflusst worden sein können. Zudem war in den Trends eine Reihe von Ausnahmen zu beobachten. In Australien zum Beispiel war zwar ein signifikanter Rückgang der Preise von Heroin und Cannabis, nicht jedoch des Kokainpreises zu verzeichnen. Dies mag Ausdruck der geografisch isolierten Lage der Region oder anderer Marktfaktoren sein. Erwähnenswert ist außerdem, dass Australiens Heroin-Knappheit,37 eine plötzliche Abnahme von Heroinangebot und verfügbarkeit, offenbar einen begrenzten langfristigen Einfluss auf das Angebot hatte, wenn auch einige Experten vermuten, sie könnte zu einem verstärkten Konsum anderer Drogen unter injizierenden Heroinkonsumenten in Australien geführt haben.27 Drittens schränkten Grenzen der Erhebung von Längsschnittdaten die Möglichkeit ein, Stimulanzien vom Amphetamin-Typ und andere neuartige synthetische Substanzen mit einzuschließen, da diese Daten auf bestimmte Länder beschränkt sind und der Fokus dieser Studie auf regionalen Trends lag. Diesbezüglich ist erwähnenswert, dass die Produktion synthetischer Substanzen und der Anbau von Cannabis in Gebäuden Strategien zur Angebotsreduzierung vor besondere Probleme stellen: Diese Drogen können unbemerkt in großen Mengen produziert werden, unabhängig vom Klima oder von anderen Faktoren, die der traditionellen Drogenproduktion Grenzen setzen.20, 38 Und schließlich hat diese Analyse vor allem Muster von Preis und Reinheit einzelner illegaler Drogen beleuchtet und damit nur einen Indikator des Drogenangebots. Andere Faktoren, die etwas über die Verfügbarkeit und damit verbundene Drogenkonsumraten aussagen, wurden nicht gemessen. Diese Einschränkung bei der Bewertung des weltweiten Drogenangebots mit klassischen Messgrößen wie Preis, Reinheit und, in geringerem Umfang, Sicherstellungen legt nahe, dass es notwendig sein kann, die Palette der Messgrößen, die Regierungen und internationale Gremien wie UNODC und die Europäische Beobachtungsstelle für Drogen und Drogensucht systematisch erheben, zu erweitern. Vor allem eine sinnvolle Einbindung von Messgrößen, die sich aus von Drogenkonsumenten auf der Straße ausgefüllten Fragebögen ableiten lassen, könnte eine verlässlichere Erfassung von Angebot und Verfügbarkeit bieten. Einige Stellen wie das australische IDRS erheben solche Daten bereits,28 und diejenigen, die die Überwachung illegaler Drogen koordinieren, sollten diesen methodischen Ansatz in Betracht ziehen. Auch andere Institutionen geben Messgrößen für den Gesundheitszustand der Allgemeinheit Vorrang, zum Beispiel weniger HIV-Infektionen, weniger drogenbedingte Gewalt und weniger inhaftierte Personen.39, 40 Zusammenfassend lässt sich sagen, Längsschnittdaten aus Systemen für die Überwachung illegaler Drogen zeichnen ein generelles globales Muster fallender Drogenpreise und zunehmender Drogenreinheit und -stärke sowie ein relativ konsistentes Muster einer steigenden Zahl von Sicherstellungen illegaler Drogen. Auch wenn die Quelldaten gewisse Einschränkungen und diese Trends einige Ausnahmen aufweisen, sollten diese Erkenntnisse im Hinblick auf die aktuellen Debatten und drogenpolitischen Experimente in Lateinamerika, Nordamerika und Europa hilfreich sein.32–34 Es ist zu hoffen, dass diese Untersuchung ein Schlaglicht auf die Notwendigkeit einer neuerlichen Prüfung der Wirksamkeit nationaler und internationaler Drogenstrategien wirft, die unverhältnismäßig viel Gewicht auf eine Angebotsreduzierung auf Kosten evidenzbasierter Prävention und Behandlung eines problematischen Konsums illegaler Drogen legen.155

Anmerkung: Die im Text erwähnten Abbildungen können hier aus technischen Gründen nicht wiedergegeben werden.

152 Wir bedanken uns dafür, den Artikel an dieser Stelle abdrucken zu dürfen. Die deutsche Übersetzung wurde erstmals veröffentlicht unter http://www.franktempel.de/index.php?id=58042&no_cache=1&tx_ttn ews[tt_news]=3211988&tx_ttnews[backPid]=58040

153 LSE Expert Group on the Economics of Drug Policy (Ed., 2014): Ending the Drug Wars. London: London School of Economics and Political Science; http://www.lse.ac.uk/IDEAS/publications/reports/pdf /LSE-IDEAS-DRUGS-REPORT-FINAL-WEB.pdf

154 Originaltitel und Zitation: Werb D., Kerr T., Nosyk B. et al. (2013): The temporal relationship between drug supply indicators: an audit of international government surveillance systems. BMJ Open 2013 3: e003077; doi: 10.1136/bmjopen-2013-003077

155 An dieser Stelle folgen im Originaltext Angaben zu Danksagungen, Beitragenden, Finanzierung, konkurrierenden Interessen, Peer Review und Open Access, die hier aus Platzgründen weggelassen wurden.