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Florian Schulze
Prävention weiter denken
Der Konsum von Rauschmitteln, gleichgültig ob legal oder illegal, hat vielfältige Ursachen. Aus gesellschaftlichen, sozialen und individuellen Einflussfaktoren resultiert eine mehr oder weniger ausgeprägte Affinität zu künstlich hervorgerufenen positiven Gefühlen und veränderter Wahrnehmung. Diese steht in einem bestimmten Verhältnis zur Risikobereitschaft, die von ebenso vielen Determinanten beeinflusst wird.
Das Abstinenzdogma schadet
Die klassische Drogenprävention vermittelt in Umsetzung der politischen Null-Toleranz-Strategie das Bild von der ausschließlich zerstörerischen Droge, häufig gepaart mit abschreckenden Beispielen zerrütteter Existenzen. Momentan werden etwa gerne VorherNachher-Bilder von Crystal-Konsumierenden verwendet (vgl. auch Barsch in diesem Band). In der Regel wird die große Anziehungskraft, die Drogen auf einige Menschen ausüben, kaum thematisiert – geschweige denn, wie man mit dieser Anziehungskraft umgehen kann. Es wird auf die eine Seite der Medaille, die Risikobereitschaft, abgestellt, und zwar unabhängig vom tatsächlichen Schadenspotenzial der einzelnen Drogen. Häufig gibt es nur „die Drogen“, so wie es das Betäubungsmittelgesetz auch vorsieht. Wie zynisch müssen diese Darstellungen auf Jugendliche wirken, deren Eltern sich mit 5€-Schnaps legal in die Abhängigkeit getrunken haben.
Gerade in Deutschland wird zu wenig zwischen risikoarmem und riskantem Konsum unterschieden jedenfalls bei illegalisierten Rauschmitteln. Jemand, der auf einem Festival zur Ecstasy-Dosis greift, wird rechtlich und gesellschaftlich in einen Topf geworfen mit dem Crystal-Abhängigen. Dabei haben die beiden Konsumierenden, was Gefährdung, Konsummotivation und Hilfebedürftigkeit angeht, nur wenig gemeinsam. Man kann in diesem Zusammenhang darüber diskutieren, ob risikoarmem Konsum überhaupt vorgebeugt werden muss.
Es verwundert nicht, dass die Null-ToleranzPrävention nur wenig Wirkung zeigt. Zu sehr ignoriert sie nicht nur die Lebensrealität von Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen, sondern auch medizinisch-wissenschaftliche Daten und Erkenntnisse aus der Public-Health-Wissenschaft zur Wirksamkeit von Maßnahmen der Gesundheitsförderung.
Daran wird auch deutlich, dass es bei Abstinenz-Belehrungen nicht darum geht, Menschen zu befähigen, sondern darum, dass sie gehorsam sind. Sie sollen vor sich selbst geschützt werden, denn man traut ihnen nicht zu, selbstbestimmt verantwortlich zu handeln. Der erhobene Zeigefinger und die simplen Vorschriften für den „korrekten“ Umgang mit Drogen zeugen von einem Menschenbild, das eher ins neuzehnte als ins einundzwanzigste Jahrhundert gehört.
Das alte erzieherische Verständnis wurde mittlerweile in der praktischen Präventionsarbeit zum Teil von der Wirklichkeit überholt. Doch ähnlich wie etwa bei Substitutionsbehandlungen wirken akzeptierende Ansätze trotz und nicht wegen des Betäubungsmittelrechts und die Handelnden stehen teils in Gefahr, sich strafbar oder zumindest bei ihren Trägern sehr unbeliebt zu machen (siehe u.a. Ullmann in diesem Band). Ebenso wie Ärztinnen und Ärzte von Rechts wegen zum Teil internationale Leitlinien missachten müssen, wird es Menschen in der Prävention schwer gemacht, die Erkenntnisse der Public-HealthWissenschaft anzuwenden. Hier müsste die Förderung gesundheitlicher Ressourcen, drogenbezogen etwa die Förderung der Konsum-kompetenz, weit oben auf der To-do-Liste stehen.
Ohne Partizipation der Betroffenen und letztlich eine gemeinsame individuelle Entscheidungsfindung findet Präventionsarbeit nur wenig Akzeptanz. Das stört viele politisch Verantwortliche kaum, können sie doch mit ihren Kampagnen allen zeigen, wie „ernst“ sie den Kampf gegen die Drogen nehmen.
Konsumierende verstehen
Voraussetzung für eine wirksame Präventionsarbeit ist das Verständnis davon, warum jemand zu berauschenden Mitteln greift und bereit ist, dafür gesundheitliche Risiken in Kauf zu nehmen. Doch gerade die Konsummotivation und ihre Einflussfaktoren sind für viele Konsumentenund Substanzgruppen nur unzureichend untersucht. Sicherlich ist der Ausdruck „Man hat nicht das Problem wegen der Droge, sondern nimmt die Droge wegen des Problems“ zu kategorisch gedacht. Trotzdem lohnt es sich, das vorherrschende Verständnis von Ursache und Wirkung einmal umzudrehen und mit der Präventionsarbeit dort zu beginnen, wo der Wunsch nach Realitätsflucht als Problemlösungsstrategie entsteht. Wir wissen, dass sehr viele Menschen mit einer Suchterkrankung eine psychiatrische Ko-Erkrankung aufweisen. Bekannt ist auch etwa der hohe Anteil an Frauen, die vor ihrer Suchterkrankung durch sexualisierte Gewalt traumatisiert worden sind. Das macht deutlich, dass gute Drogenprävention im Rahmen einer Gesundheitsförderungsstrategie auch die Ursachen problematischen Drogenkonsums verstehen und angehen muss. Sicher entziehen sich viele individuelle Probleme der direkten politischen Beeinflussung. Aber umgekehrt müssen politische Maßnahmen auf ihre Auswirkungen auf Gesundheitschancen, auch in Bezug auf Schädigungen durch Substanzkonsum hin überprüft werden.
Drogenbezogene Probleme sind nicht allein innerhalb der Drogenpolitik lösbar Nur wer abstinent ist oder die Abstinenz anstrebt, verdient gesellschaftlichen Rückhalt – so die Botschaft, die sich wie ein roter Faden durch die Drogenpolitik der letzten Bundesregierungen zieht, nicht nur in der offiziellen Präventionsstrategie. Einige weitere Beispiele: Therapien müssen laut Gesetz bzw. Verordnung vorwiegend das Abstinenzziel verfolgen und damit zum Teil medizinische Leitlinien missachten. Konsumierende von sogenannten „harten Drogen“ werden grundsätzlich als charakterlich ungeeignet zum Führen eines Fahrzeugs angesehen – im Gegensatz zum Umgang mit Alkoholsündern unabhängig davon, ob die Verkehrssicherheit tatsächlich gefährdet wurde (siehe Pütz in diesem Band). Wer durch schlechte Drogenqualität zu Schaden kommt, ist nach konservativer Logik selbst schuld, denn nur abstinente oder wenigstens alkoholkonsumierende Menschen verdienen einen Verbraucheroder Jugendschutz.
Der Konsum illegalisierter Drogen stellt nach vorherrschender Sicht vorwiegend ein gravierendes persönliches Versagen dar. Diese Herangehensweise widerspricht allen wissenschaftlichen Erkenntnissen, wonach der Konsum und die Abhängigkeit von Substanzen von einer Vielzahl gesellschaftlicher, sozialer und nicht zuletzt biologischer Faktoren abhängen. Sie ermöglicht es der Politik allerdings, eine Mitverantwortung für drogenbezogene Probleme von sich zu weisen. Stattdessen kauft sie sich mit „Aufklärungskampagnen“ und anderen Feigenblättern frei von ihrer Aufgabe, für gesundheitsförderliche Lebenswelten Sorge zu tragen. Drogenprävention im politischen Sinn darf nicht dabei stehen bleiben, die sozialen Auswirkungen anderer Politikfelder abzufedern.
Vielmehr spielt der salutogenetische Ansatz eine entscheidende Rolle: Welche Anforderungen stellt das Leben an mich und welche Lösungsressourcen stehen mir zur Verfügung? Aufgabe guter Gesundheitsförderung ist es, diese gegenläufigen Größen in ein „gesundes“ Verhältnis zueinander stellen. Nur so werden tatsächlich die Ursachen von problematischem Drogenkonsum angegangen und zugleich die Ursachen anderer vermeidbarer Krankheiten. Der Erhalt von Gesundheit als psychisches, physisches und soziales Wohlbefinden (Definition der Weltgesundheitsorganisation) ist der Schlüssel dafür, drogenbedingte Probleme zu vermeiden. Drogenkonsum als individuelles Defizit zu begreifen und gesetzlich zu verbieten, zeugt auch unter diesem Gesichtspunkt von bemerkenswerter Kurzsichtigkeit.
Letztlich muss es bei erfolgreicher Prävention (um bei dem drogenpolitisch gebräuchlichen Begriff zu bleiben) um die Förderung von 61 Lebenskompetenzen und Gewährleistung von Teilhabechancen gehen. Auch hier greift der paternalistische „Du sollst“-Ansatz nicht. Teilhabe und selbstbestimmtes Leben sind vor allem durch gute und gleiche Chancen etwa in Bildung, Gesundheit und gesellschaftlicher Mitbestimmung zu erreichen. Nur wer sein Leben und seine Umwelt als gestaltbar erlebt, wird Rauschmittel nicht als Problemlösung missverstehen und entsprechend mit diesen umgehen können. Dass etwa Bildungsund Gesundheitschancen und auch Drogenkonsum häufig entscheidend vom Sozialstatus abhängen, ist wissenschaftlich unumstritten. Viele Untersuchungen deuten darauf hin, dass der Weg zu mehr Chancengleichheit effektiv nur über mehr Verteilungsgerechtigkeit zu erreichen ist. Daher ist Drogenprävention – wie andere Maßnahmen der Gesundheitsförderung – hochpolitisch. Vielleicht fällt es vielen politischen Akteuren deshalb so schwer, die gesellschaftliche und wissenschaftliche Realität zur Kenntnis zu nehmen. Drogenkonsum ist immer auch ein Spiegel der Gesellschaft. Es ist kein Zufall, dass in unserer Leistungsgesellschaft die Tendenz weg von Opiaten hin zu aufputschenden und stimulierenden Substanzen geht. Auch dass etwa in Griechenland im Zuge der Staatskrise der Drogenkonsum massiv angestiegen ist, verwundert nicht. Warum fällt aber die Einsicht so schwer, dass eben nur gesellschaftliche Veränderungen effektiv das DrogenKonsumverhalten verändern können? Drogenprävention im politischen Sinn darf nicht dabei stehen bleiben, die sozialen Auswirkungen anderer Politikfelder abzufedern.