Evidenzbasierte, integrierte Drogen- und Suchtpolitik

Von Bernd Werse, Heino Stöver, Maximilian Plenert und Dirk Schäffer

Warum ein Alternativer Drogen- und Suchtbericht? Immerhin erscheint jährlich seit mehr  als 15 Jahren bereits ein Drogen- und Suchtbericht der Bundesregierung, der durchaus  detailliert auf Drogenhilfeprojekte und Entwicklungen im Suchtbereich in Deutschland  eingeht. Allerdings lässt dieser „offizielle“  Bericht zentrale Fragen der Drogenpolitik und,  daraus folgend, der Drogenhilfepraxis unbeantwortet, z.B. Fragen

• nach kurz-, mittel- und langfristigen Zielen  der Drogenpolitik und wie diese Ziele innerhalb von Aktionsprogrammen umsetzbar und  kontrollierbar wären,
• nach dem Erfolg und der Angemessenheit  der Drogenkontrolle mit Mitteln des Strafrechts,
• nach den Auswirkungen der gegenwärtigen  Form der Drogenkontrolle, oder besser  ‚Kontrollversuche‘ auf die Drogengebraucherinnen und -gebraucher, auf deren soziales Umfeld und auf die Glaubwürdigkeit  eines Gesundheits- und Strafrechtspolitikfeldes an sich,
• nach den Auswirkungen der selektiven  Prohibition auf die Drogenhilfe und deren  konkrete Arbeitsmöglichkeiten, und danach,  inwiefern das Drogenverbot die Arbeit an  den Folgen der Sucht verhindert, zumal  stattdessen stetig die drogenpolitikinduzierten Probleme der Klientel bearbeitet  werden müssen, und
• nach angemessenen Politikschritten gegenüber den legalen Drogen Alkohol, Tabak und  Medikamente sowie nicht-stoffgebundenen  Risiken zwischen den Interessen der Anbieter auf der einen Seite und den Interessen  der Nutzerinnen und Nutzer auf der anderen  Seite.

Die Vielzahl der Beiträge in diesem Alternativen Drogen- und Suchtbericht macht  deutlich, dass viele der Kernforderungen der  Fachverbände, Drogenhilfeträger und Expertinnen und Experten nach Verbesserung und  Zielgenauigkeit der Drogenpolitik nicht nur  nicht erfüllt, sondern sogar von der Tagesordnung der Drogenpolitik verschwunden sind.  Uns erscheint es, als würde die Lücke zwischen dem Wissen über das, was drogenpolitisch wirkt und dem, was tatsächlich umgesetzt worden ist, immer größer.
Wissenschaftliche Erkenntnisse gehen –  wenn überhaupt – nur zögerlich in eine  Anpassung der Drogenpolitik ein. Gleichzeitig  werden weiterhin Unsummen für eine in  weiten Teilen unwirksame, für die Betroffenen  aber teils existenzbedrohende Strafverfolgung  ausgegeben, während bei legalen Drogen  bzw. Suchtmitteln kaum am Status quo  gekratzt wird.
Deshalb haben sich die Herausgeber entschlossen, mit dem Format eines Alternativberichtes eine Gegenöffentlichkeit zu den offiziellen Verlautbarungen zu schaffen. Das  Ziel ist es, den bei einer Vielzahl von drogenpolitikbedingten Fragen feststellbaren Reformstau zu thematisieren: Wir verlangen von  der Bundesdrogenpolitik eine verstärkte strategische Steuerung in Drogenfragen auf der  Grundlage evidenzbasierten Wissens. Vor  allem bei neu auftretenden Phänomenen ist  es enorm wichtig, schnell und entschlossen  zu handeln, um die Verbraucher zu informieren und zu leiten, die Drogenhilfepraxis zu  bestärken und – wo es notwendig und erlaubt  ist – die Hersteller zu begrenzen und zu  kontrollieren.
Dabei sollen die Interessen der handelnden  Akteure stärker zusammengebracht werden,  um, im Interesse aller, Risiken der Suchtentwicklungen möglichst bereits im Entstehen, auf jeden Fall aber, wenn sie bereits  aufgetreten sind, zu reduzieren.

Beispiele für den Reformstau in der Drogenpolitik sind unter anderem:
• Verbot von Alkohol-/Tabakwerbung,
• Entkriminalisierung des Drogengebrauchs  mit klaren Grenzen zum Eigenbedarf 1 ,
• Aufzeigen von Wegen für ein Gesetz zur  Regulierung des Cannabismarktes auf der  Grundlage der Erfahrungen in Ländern mit  entsprechenden Gesetzen,
• gesetzliche Regelungen zu E-Zigaretten und  E-Shishas,
• Belebung eines Aktionsplans zu Hepatitis C  und
• Verbesserung der Substitutionsbehandlung.

Wir wollen mit diesem nun jährlich erscheinenden Alternativen Drogen- und  Suchtbericht die Unzufriedenheiten mit der nationalen Drogenpolitik bündeln, Wege der Veränderungen beschreiben und ein dringend erforderliches Gegengewicht zu den  wenig zielgerichteten Drogen- und Suchtberichten der Bundesregierung aufbauen.

1 Dem in letzter Zeit öfters gehörten Gegenargument  hierzu, Cannabiskonsum sei doch quasi schon entkriminalisiert, seien die Zahlen der Polizeilichen  Kriminalstatistik zu „Allgemeinen Verstößen mit  Cannabis und Zubereitungen“ (also Verfahren wegen  Konsumdelikten) entgegengestellt, die seit dem  sogenannten „Haschisch-Urteil“ 1994 fast um das  Dreifache und allein zwischen 2012 und 2013 um  10,6% angewachsen sind (BKA: Polizeiliche Kriminalstatistik, Grundtabelle ohne Tatortverteilung, Wiesbaden 2014, http://www.bka.de).

Frankfurt, Berlin, 2.7.2014  Die Herausgeber