Archiv der Kategorie: C 4 Internationales

Die Rolle der Internationalen Verträge, nationale Handlungsoptionen und die Entkriminalisierung in Portugal

Von Maximilian Plenert

Der Rahmen, innerhalb dessen es Nationen möglich ist, eine Drogenpolitik zu gestalten, ist wie kaum ein anderer Politikbereich durch internationale Verträge abgesteckt. Sowohl das Einheitsabkommen über die Betäubungsmittel von 1961 (ÜB 61), die Konvention über psychotrope Substanzen von 1971 (ÜB 71) und insbesondere das Übereinkommen der Vereinten Nationen gegen den unerlaubten Verkehr mit Suchtstoffen und psychotropen Stoffen von 1988 (ÜB 88), als auch internationale Abkommen auf EU-Ebene (Schengen-Übereinkommen I und II, EUVerträge etc.) verbieten einige Politikoptionen wie eine unkontrollierte Freigabe. Gleichwohl ist eine Vielzahl von Reformen auch innerhalb der Verträge möglich. Stößt man an ihre Grenzen, kann man sie ignorieren (Niederlande), sie können ungültig sein, da ein Verfassungsvorbehalt vorgesehen ist, oder man kann eine Veränderung der Verträge anstreben. Wenn dies nicht gelingt, sind ein Austritt und ein Wiedereintritt unter Vorbehalt möglich – diesen Weg ging Bolivien mit der Legalisierung der Kokapflanze.

Der Internationale Suchtstoffkontrollrat (International Narcotics Control Board, INCB) übt über seine Interpretation der Verträge hier eine quasi-gerichtliche Funktion aus. Heute anerkannte Instrumente der Drogenpolitik wie die Konsumräume in Deutschland oder die Heroinabgabe in der Schweiz wurde zunächst als Verstoß gegen die Übereinkünfte gewertet und erst im Nachhinein anerkannt. Vor diesem Hintergrund ist laut der ehemaligen Schweizer Bundesrätin und Mitglied der Global Commission on Drug Policy Ruth Dreifuss eine gewisse Konfliktbereitschaft für ernsthafte Reformen von Nöten.

Eine Entkriminalisierung von Drogenkonsumenten bis an den Rand der Legalisierung wie sie in Portugal erfolgte, ist mit den internationalen Drogenverträgen vereinbar. Die Konventionen fordert keine strafrechtlichen Sanktionen. Eine Rechtswidrigkeit der Handlungen über ein Verbot und Sanktionen über das Verwaltungsrecht ist ausreichend.

Im World Drug Report 2009 des United Nations Office on Drugs and Crime (UNODC) heißt es: „The International Narcotics Control Board was initially apprehensive when Portugal changed its law in 2001 (see their annual report for that year), but after a mission to Portugal in 2004, it “noted that the acquisition, possession and abuse of drugs had remained prohibited,” and said “the practice of exempting small quantities of drugs from criminal prosecution is consistent with the international drug control treaties…” 156

Der Einsatz von Cannabis als Medizin oder allgemein die Nutzung von Substanzen zu wissenschaftlichen und medizinischen Zwecken ist nach ÜB 61 explizit erlaubt. Wissenschaftliche Modellversuche beispielsweise zu einer zeitlich und räumlich begrenzten Erprobung einer legalen Abgabe von Cannabis sind damit möglich. Die heutige Anwendung der Verträge und ihre nationale Umsetzung haben praktisch sehr wohl zu Einschränkungen geführt.

Fazit: Ein Ende der Strafverfolgung für Konsumenten, eine Nutzung von Cannabis als Medizin sowie Experimente für einen alternativen Umgang wären mit den internationalen Verträgen vereinbar. Eine Legalisierung wäre ein Verstoß gegen die Verträge, inwiefern dies jedoch in Zukunft eine Rolle spielen wird, ist nach der Legalisierung in Uruguay, Colorado und Washington fraglich. Mit dem grünen Licht durch die Obama-Administration scheiden die USA als traditionelle Hüter der Verträge aus bzw. können kaum mehr glaubwürdig auf eine Einhaltung der Verträge pochen.

Quellen & Weiterlesen: Stöver, H.; Plenert, M. (2013): Entkriminalisierung und Regulierung. Evidenzbasierte Modelle für einen alternativen Umgang mit Drogenhandel und – konsum. Friedrich Ebert Stiftung (Hrsg.), http://library.fes.de/pdf-files/iez/10043.pdf & http://www.alternativedrogenpolitik.de/2012/08/17/dieentkriminalisierung-in-portgual-ist-vereinbarmit-den-internationalen-drogenvertragen/

156 UNODC (2009): World Drug Report. Wien: United Nations Office on Drugs and Crime: S. 183; siehe http://www.unodc.org/wdr/

Zur Wirkungslosigkeit des Drogenverbotes im Hinblick auf das Drogenangebot: Übersetzung einer Studie aus Nordamerika

Eingangstext und Bearbeitung: Bernd Werse

Die im Folgenden abgedruckte Studie wurde im Jahr 2013 international stark beachtet: Die Forscherinnen und Forscher vom BC Centre for Excellence in HIV/AIDS in Vancouver und der University of California in San Diego legen dar, dass internationale Anstrengungen, mittels Repression das Drogenangebot zu verknappen, in den vergangenen Jahrzehnten weitgehend wirkungslos gewesen sind. Der Artikel erschien in der Open-AccessVersion des renommierten British Journal of Medicine und wurde im Auftrag des Büros des MdB Frank Tempel (Linke) auf Deutsch übersetzt 152 . Wir haben uns entschlossen, diesen Artikel in diesem Bericht aufzunehmen, da er die Ineffektivität der kostspieligen weltweiten Drogenprohibition mit ‚harten Fakten‘ belegt. Zu erwähnen ist an dieser Stelle, dass im Mai 2014 ein weiterer internationaler Report erschienen ist, in dem Expertinnen und Experten der London School of Economics, unterstützt u.a. von fünf ehemaligen Wirtschaftsnobelpreisträgern, zu einem ähnlichen Ergebnis kommen: Auch diese Forscherinnen und Forscher konstatieren, dass der „Krieg gegen die Drogen“ gescheitert ist153. Hier wird unter anderem auch darauf eingegangen, dass eine stärkere polizeiliche Verfolgung dazu führt, vor allem aggressive und gewalttätige Kartelle am Markt zu halten, was zusätzliche negative Auswirkungen auf unmittelbar Betroffene und die Allgemeinbevölkerung hat. Da dieser Bericht erst kürzlich veröffentlicht wurde, konnten an dieser Stelle keine detaillierteren Resultate in deutscher Sprache aufgenommen werden.

Das temporäre Verhältnis zwischen Indikatoren für das Drogenangebot: eine Untersuchung internationaler staatlicher Überwachungssysteme

Dan Werb, Thomas Kerr, Bohdan Nosyk, Steffanie Strathdee, Julio Montaner, Evan Wood154

Abstract

Ziele: Der Konsum illegaler Drogen ist eine unvermindert ernste Gefahr für die Gesundheit und Sicherheit der Allgemeinheit. Um das Verhältnis zwischen mehreren Langzeitschätzungen von Preis und Reinheit illegaler Drogen beurteilen zu können, wurden Datenbestände der internationalen Drogenüberwachung ausgewertet.

Aufbau: Wir suchten systematisch nach Längsschnitt-Messgrößen von Indikatoren für das Angebot an illegalen Drogen, um den langfristigen Einfluss von Maßnahmen zur Angebotsreduzierung durch Rechtsdurchsetzung zu bewerten.

Methode: Die Daten aus Systemen für die Überwachung illegaler Drogen wurden anhand eines a priori definierten Protokolls analysiert, um jährliche Schätzungen ab 1990 darzustellen. Anschließend wurden die Daten in Trendanalysen ausgewertet.

Erkenntnisfindung: Die Daten stammen aus staatlichen Systemen für die Überwachung und Bewertung von Preis, Reinheit und/oder sichergestellten Mengen illegaler Drogen. Berücksichtigt wurden Systeme, mit denen über einen Zeitraum von mindestens 10 Jahren Längsschnittdaten zu Preis, Reinheit/Stärke oder Sicherstellungen gesammelt worden waren.

Ergebnisse: Wir ermittelten sieben regionale oder internationale Metaüberwachungssysteme mit Längsschnitt-Messwerten für Preis oder Reinheit/Stärke, die den Auswahlkriterien entsprachen. Im Zeitraum 1990 bis 2007 fielen in den USA die reinheits- und inflationsbereinigten Durchschnittspreise von Heroin, Kokain und Cannabis um 81 %, 80 % bzw. 86 %. Gleichzeitig nahm die durchschnittliche Reinheit der Drogen um 60 %, 11 % bzw. 161 % zu. Ähnliche Tendenzen waren in Europa zu beobachten, wo die inflationsbereinigten Durchschnittspreise von Opiaten und Kokain im Vergleichszeitraum um 74 % bzw. 51 % fielen. In Australien fiel der inflationsbereinigte Durchschnittspreis von Kokain um 14 %, während die inflationsbereinigten Preise von Heroin und Cannabis zwischen 2000 und 2010 um jeweils 49 % fielen. Im gleichen Zeitraum stieg die Zahl der Sicherstellungen dieser Drogen in den wichtigsten Produktionsgebieten und Inlandsmärkten allgemein an.

Schlussfolgerungen: Obwohl mehr Mittel in Maßnahmen zur Angebotsreduzierung durch Rechtsdurchsetzung fließen, die den weltweiten Zustrom von Drogen unterbinden sollen, sind die Preise illegaler Drogen seit 1990 fast ausnahmslos gefallen, während ihre Reinheit generell zugenommen hat. Diese Erkenntnisse deuten darauf hin, dass die verstärkten Bemühungen, den globalen illegalen Drogenmarkt durch Rechtsdurchsetzung unter Kontrolle zu bekommen, scheitern.

(Weitere) Zusammenfassung des Artikels Schwerpunkte: Untersuchungen zeigen, dass der illegale Drogenkonsum die Gesundheit und Sicherheit der Allgemeinheit unvermindert gefährdet. Es ist jedoch nur wenig über den langfristigen Einfluss von Bemühungen bekannt, das Gesamtangebot an illegalen Drogen zu reduzieren.

Kernaussagen: Ausgehend von Längsschnittdaten staatlicher Überwachungssysteme zeigt die Studie, dass das Angebot an wichtigen illegalen Drogen in den vergangenen 20 Jahren gestiegen ist. Dies lässt sich an einem generellen Preisrückgang und einer generellen Zunahme der Reinheit illegaler Drogen in den verschiedensten Szenarien ablesen.

Stärken und Beschränkungen dieser Studie: Die Qualität und Stimmigkeit der Daten aus der Überwachung des illegalen Drogenangebots beschränken diese Studie. Die Studie präsentiert im Verlauf von 20 Jahren erhobene Daten zur Entwicklung des illegalen Drogenangebots in verschiedenen Szenarien, darunter Konsumenten- und Exportmärkte für Drogen.

Ziele

Die jüngsten Schätzungen der Vereinten Nationen (VN) beziffern den Wert des weltweiten illegalen Drogenhandels auf jährlich mindestens 350 Mrd. US$1, und der Konsum illegaler Drogen ist eine unvermindert ernste Gefahr für die Gesundheit und Sicherheit der Allgemeinheit.2, 3 Illegaler Drogenkonsum kann nicht nur in Verbindung mit der direkten Gesundheitswirkung von Drogen zu verschiedenen Schäden einschließlich einer tödlichen Überdosis führen.4, 5 Er zählt auch zu den weltweit wichtigsten Auslösern der Verbreitung von durch Blut übertragbaren Krankheiten, vor allem HIV-Infektionen.6, 7 Auch der Handel mit illegalen Drogen belastet die Allgemeinheit, etwa durch hohe Gewaltraten dort, wo der Handel zunimmt.8 Vor dem Hintergrund der sozialen und gesundheitlichen Risiken des Konsums illegaler Drogen verabschiedeten die Vereinten Nationen mehrere Übereinkommen, die den Besitz, den Konsum und die Herstellung illegaler Drogen kontrollieren sollen.9–11 In der Folge haben die meisten nationalen Drogenbekämpfungsstrategien der letzten Jahrzehnte besonderes Gewicht darauf gelegt, das Drogenangebot über die Durchsetzung von Drogengesetzen zu reduzieren, obwohl in Fachkreisen jüngst gefordert wurde, alternative DrogenbekämpfungsModelle auszuloten, etwa die Entkriminalisierung von Drogen und eine entsprechende gesetzliche Regelung.12–14 Eine Reihe unerwünschter Folgen dieses Ansatzes wie Rekordinhaftierungsraten sind umfassend dokumentiert.15–18 Zudem wurden einige wenige Studien zur Beurteilung einzelner Aspekte des Drogenangebots, gemessen anhand von Indikatoren für Preis, Reinheit/Stärke und Sicherstellung von Drogen, durchgeführt, um das globale Zusammenspiel dieser Indikatoren über einen langen Zeitraum zu erfassen.19 Allerdings müssen diese Beziehungen noch systematisch bewertet werden, damit die Muster des Drogenangebots deutlich werden. Das Ziel der vorliegenden Studie war es, Daten aus öffentlich zugänglichen Systemen für die Überwachung illegaler Drogen mehrerer Länder systematisch zu ermitteln, um Langzeitschätzungen des illegalen Drogenangebots beurteilen zu können.

Aufbau
Erkenntnisinteressen

Das primäre Erkenntnisinteresse bestand in langfristigen Mustern des Angebots an illegalen Drogen, gemessen anhand von Indikatoren für Preis und Reinheit/Stärke dreier wichtiger illegaler Drogen: Cannabis, Kokain und Opiate (z. B. Opium und Heroin). In einigen Ländern (etwa Großbritannien) finden sich auch Angaben über Stimulanzien vom Amphetamintyp, doch diese Wirkstoffklasse wurde aufgrund inkonsistenter Datenerfassung und Klassifizierung, veränderlicher Überwachungszeiträume und der allgemeinen Qualität der Daten ausgeschlossen. Sekundäre Erkenntnisinteressen bestanden in Daten über Sicherstellungen illegaler Drogen in (1) wichtigen Ursprungsregionen illegaler Drogen und (2) wichtigen Absatzmärkten gemäß dem Büro der Vereinten Nationen für Drogenund Verbrechensbekämpfung (UNODC).20 Diese sekundären Daten wurden als zusätzliche Messgröße zur Beurteilung der Verfügbarkeit illegaler Drogen in einzelnen Regionen genutzt, wie weiter oben ausgeführt.21, 22 Alle Daten wurden mithilfe öffentlich zugänglicher Systeme für die Überwachung illegaler Drogen systematisch ermittelt. Die jährlichen Schätzungen aller Ergebnisse wurden linearen AssoziationsTrendtests (Mantel-Haenszel-Tests) unterzogen. Die Schätzungen der Preise und Reinheitsgrade sind die Mediane des jeweiligen Jahres, die Schätzungen für Sicherstellungen sind Bruttosummen der sichergestellten Mengen. Alle Preisschätzungen sind in US-Dollar angegeben (Stand: 2011) und, wenn möglich, bereinigt im Hinblick auf Reinheit bzw. Wirkstoffgehalt.23

Systeme für die Überwachung illegaler Drogen
Anhand zweier a priori definierter Einschlusskriterien wurde eine Online-Suche nach Systemen für die Überwachung illegaler Drogen durchgeführt. Zu den Suchwörtern zählten: drugs, illicit, illegal, price, purity, potency, surveillance system, government data, longitudinal, annual, estimate (Drogen, unerlaubt, illegal, Preis, Reinheit, Stärke, Überwachungssystem, staatliche Daten, Längsschnitt, jährlich, Schätzung). Folgende Ein- bzw. Ausschlusskriterien wurden angewendet: Aufgenommen wurden ausschließlich Überwachungssysteme, die kontinuierliche, über mindestens 10 Jahre durchgeführte Längsschnittanalysen dieser Erkenntnisinteressen enthielten, denn es sollte explizit der langfristige Einfluss von Strategien zur Angebotsreduzierung durch Rechtsdurchsetzung anhand von Preis und Reinheit/Stärke illegaler Drogen bewertet werden. Schließlich wurde die Datenextraktion auf 1990 und Folgejahre eingeschränkt, um den Schwerpunkt auf Angebotsmuster der letzten Jahrzehnte zu legen. Gewonnen wurden die Daten durch OnlineRecherchen in den Registern von Überwachungssystemen (z. B. staatliche Webseiten, Datenbestände der VN), in staatlichen Berichten und von Experten geprüften Publikationen, durch Hinweise von Experten auf dem Gebiet und durch Datenanfragen an relevante Organisationen wie das UNODC. Alle Autoren hatten uneingeschränkten Zugang zu allen Daten, und alle trugen gemeinsam die Endverantwortung für deren Veröffentlichung. Eine Genehmigung unter ethischen Gesichtspunkten war nicht erforderlich, da ausschließlich öffentlich zugängliche Daten ausgewertet wurden.

Ergebnisse
Ermittelt wurden sieben staatliche Überwachungssysteme, die die Einschlusskriterien erfüllten. Drei von ihnen (43 %) enthielten internationale Daten, drei (43 %) Daten aus den USA und eines (14 %) Daten aus Australien. Eines der ältesten unter den ermittelten Überwachungssystemen, das 1975 in den USA gestartete Marijuana Potency Monitoring Project, wird von den US-amerikanischen National Institutes of Health finanziell gefördert; das jüngste der Systeme, das National Drug Threat Assessment, wurde dagegen erst 2001 etabliert. UNODC verwaltet zwei getrennte internationale Überwachungssysteme, mit denen Daten aller teilnehmenden VN-Mitgliedstaaten erhoben werden: Mit dem jährlichen Fragebogen Annual Reports Questionnaire werden Daten zu Preis und Reinheit/Stärke erhoben, und in der Drug Seizures Database werden Angaben zu Sicherstellungen gesammelt. Und schließlich verwaltet die Europäische Beobachtungsstelle für Drogen und Drogensucht das Drogen-Informationsnetz Reitox, das Daten von Überwachungssystemen mehrerer europäischer Länder bündelt, wie weiter unten erläutert.24

Preis und Reinheit/Stärke
Tabelle 1 enthält Überwachungssysteme, die die Suchkriterien erfüllten. Eine Analyse der Daten aus diesen Überwachungssystemen förderte mehrere deutliche Tendenzen zutage. Erstens: Die Reinheit und/oder Stärke illegaler Drogen blieb im Studienzeitraum im Großen und Ganzen konstant oder nahm zu. Zweitens: Die Preise illegaler Drogen sind fast ausnahmslos gefallen. Drittens: Die Zahl der Sicherstellungen von Cannabis, Kokain und Opiaten in den wichtigsten Drogen-Produktionsgebieten und Inlandsmärkten stieg. Abbildung 1 veranschaulicht Daten aus dem System To Retrieve Information from Drug Evidence (STRIDE) der US-Drogenbekämpfungsbehörde Drug Enforcement Administration. Sie zeigen, dass zwischen 1990 und 2007 (dem letzten Jahr, für das Daten veröffentlicht wurden) die Reinheit von Heroin und Kokain und die Stärke von Cannabiskraut in den USA zunahmen, während die reinheits- und inflationsbereinigten Straßenhandelspreise der drei Drogen fielen.25 Im genannten Zeitraum stieg speziell die Reinheit von Heroin um 60 % (p = 0,568), die von Kokain um 11 % (p = 0,181) und die von Cannabiskraut um 161 % (p < 0,001). Im gleichen Zeitraum kam es zu einem Preisrückgang bei Heroin, Kokain und Cannabis um 81 % (p < 0,001), 80 % (p < 0,001) bzw. 86 % (p < 0,001). Vom UNODC erhobene Daten zum Straßenpreis von Kokain und Opiaten in teilnehmenden europäischen Ländern (Belgien, Dänemark, Deutschland, Finnland, Frankreich, Griechenland, Großbritannien, Irland, Island, Italien, Luxemburg, die Niederlande, Norwegen, Österreich, Portugal, Schweden, Schweiz und Spanien).26 In diesen Ländern fiel im Zeitraum 1990 bis 2009 der aggregierte Durchschnittspreis im Straßenhandel mit Kokain um 51 % von 198 US$ pro Gramm auf 98 US$ pro Gramm (p < 0,001). Ebenso fiel der aggregierte Durchschnittspreis von Opiaten in Europa um 74 % von einem Hoch von 295 US$ pro Gramm 1990 auf 77 US$ pro Gramm 2009 (p < 0,001). Daten des australischen Illicit Drug Reporting System (IDRS) standen für die Jahre 2000 bis 2010 zur Verfügung. Sie deuten darauf hin, dass der Preis illegaler Drogen in Australien in diesem Zeitraum erheblich schwankte. Speziell der bereinigte Heroinpreis fiel um 49 % von etwa 460 US$ pro Gramm auf etwa 235 US$ pro Gramm (p < 0,001), und zwar trotz der oft zitierten „Heroin-Knappheit“ des Jahres 2001,27 in dem das Angebot und die Verfügbarkeit von Heroin in Australien zurückgingen. Überdies fiel der Kokainpreis um 14 % von etwa 255 A$ pro Gramm auf 220 A$ pro Gramm (p = 0,477), und der Preis von Cannabis fiel um 49 % von etwa 25 A$ pro Gramm auf 13 A$ pro Gramm (p < 0,001).28

Produktionsgebiete Was sichergestellte Opiate betrifft, zählen Teile von Thailand, Laos, Vietnam und Myanmar zum Goldenen Dreieck. Dem UNODC zufolge ist diese Region der zweitgrößte Heroinlieferant weltweit, obwohl die Produktion in den vergangenen 10 Jahren zurückgegangen ist: In Myanmar ist die Opiumproduktion um ca. 60 % geschrumpft, in Laos um ca. 90 %.30 Die Sicherstellungsmengen von Opium in dieser Region schwanken: 1990 wurden 3.198 Kilogramm Opium sichergestellt, 2007 lag das Maximum bei 12.462 Kilogramm, und 2010 stürzte der Wert steil auf 1.225 Kilogramm ab (p = 0,856). Auch die Sicherstellungsmengen von Heroin schwanken bei einem Rückgang um mehr als die Hälfte von 1.337 Kilogramm 1990 auf 627 Kilogramm 2010 (p = 0,085) und einem Höhepunkt von 1.565 Kilogramm im Jahr 2009. In Afghanistan, aus dem wahrscheinlich mehr als 90 % des weltweit angebotenen Opiums stammen,30 stiegen die Sicherstellungen von zubereitetem und Rohopium um mehr als 12.000 % von 453 Kilogramm 1990 auf 57.023 Kilogramm 2010. Die Sicherstellungen von Heroin stiegen um mehr als 600 % von 1.256 Kilogramm 1990 auf 9.036 Kilogramm 2010 (Hinweis: Da Daten fehlten, wurde für jährliche Sicherstellungen von Opium und Heroin in Afghanistan kein Trendtest durchgeführt). Was sichergestelltes Kokain betrifft, ist UNODC zufolge die Andenregion Lateinamerikas, zu der Bolivien, Kolumbien und Peru zählen, der weltweit größte Lieferant der Droge, da Kokablätter ausschließlich in dieser Region angebaut werden.31 Die Sicherstellungen von Kokain in der Andenregion gingen von 97.437 Kilogramm 1990 auf 17.835 Kilogramm 2007 um 81 % zurück (p = 0,028). Demgegenüber stiegen die Sicherstellungen von Kokablättern von 601.038 Kilogramm 1990 auf 1,73 Mio. Kilogramm 2007 um 188 % (p = 0,004). Im gleichen Zeitraum schrumpfte die Kokaanbaufläche in dieser Region leicht von rund 210.000 auf 180.000 ha (p = 0,004). Schließlich gibt es UNODC zufolge noch bedeutende Cannabis-Anbaugebiete in Nordafrika, Afghanistan und Nordamerika. Diese Gebiete sind Nettoexporteure von Cannabis, obwohl die meisten Cannabis produzierenden Länder die Droge auch für den heimischen Konsum erzeugen.20 In Nordafrika (Algerien, Marokko und Tunesien) stiegen die Sicherstellungen von Cannabiskraut um 208 % von 67.930 Kilogramm 1990 auf 209.445 Kilogramm 2007 (p = 0,015). In Nordamerika (Kanada, den USA und Mexiko) stiegen die Sicherstellungen von Cannabiskraut um 288 % von 782. 607 Kilogramm 1990 auf 3,05 Mio. Kilogramm 2007 (p < 0,001). In Afghanistan, für das keine Daten über Sicherstellungen von Cannabiskraut verfügbar sind, stiegen die Sicherstellungen von Cannabisharz um 630 % von 5.068 Kilogramm 1990 auf 36.972 Kilogramm 2006 (p = 0,061).

Schlussfolgerungen
Längsschnittdaten staatlicher Überwachungssysteme zeigen, dass das Angebot an illegalen Drogen in den vergangenen 20 Jahren generell gewachsen ist, was sich an gesunkenen Preisen und höherer Reinheit von Heroin, Kokain und Cannabis ablesen lässt. Die Zahl der Sicherstellungen von Drogen ist im Vergleichszeitraum gestiegen oder gleich geblieben, allerdings waren die mit einigen dieser Indikatoren ermittelten Trends nicht statistisch signifikant. Insofern kommen wir in Übereinstimmung mit früheren Untersuchungen zu dem Schluss,19 dass das weltweite Angebot an illegalen Drogen in den vergangenen 20 Jahren wahrscheinlich nicht abgenommen hat. Die mit dieser Studie vorgestellten Daten lassen darauf schließen, dass in Anbetracht der zunehmenden Stärke und sinkender Preise vor allem das Angebot an Opiaten und Cannabis zugenommen hat. Diese Ergebnisse haben Konsequenzen für die Entwicklung evidenzbasierter Drogenpolitiken, vor allem angesichts des Interesses an neuen drogenpolitischen Ansätzen in einer Reihe von Szenarien in Lateinamerika, Nordamerika und Europa.32–34 Wie an anderer Stelle erläutert,35, 36 sind ökologischen Analysen auf der Grundlage internationaler Überwachungssysteme Grenzen gesetzt. Erstens erheben manche Staaten wenige oder gar keine Daten zu Indikatoren eines illegalen Drogenangebots, während andere große Anstrengungen unternehmen, um die Verfügbarkeit von Drogen zu überwachen. Zweitens ist auch in Staaten, in denen Angebotsindikatoren aufmerksam verfolgt werden, der Grad, bis zu dem sichergestellte Stichproben illegaler Drogen die Reinheit von auf der Straße verkauften Drogen widerspiegeln, nicht immer gleich, wenn auch möglichst reinheitsbereinigte Preise genannt wurden, um dieser Einschränkung zu begegnen.23 Gleichwohl reflektieren die hier vorgestellten langfristigen Trends einer zunehmenden Reinheit und sinkender Preise wahrscheinlich die Gesamttendenzen in vielen Regionen, obwohl darauf hingewiesen werden muss, dass in manchen Regionen (z. B. in Europa) Indikatoren für Preis und Reinheit stark von einzelnen Ländern wie Großbritannien und Spanien beeinflusst worden sein können. Zudem war in den Trends eine Reihe von Ausnahmen zu beobachten. In Australien zum Beispiel war zwar ein signifikanter Rückgang der Preise von Heroin und Cannabis, nicht jedoch des Kokainpreises zu verzeichnen. Dies mag Ausdruck der geografisch isolierten Lage der Region oder anderer Marktfaktoren sein. Erwähnenswert ist außerdem, dass Australiens Heroin-Knappheit,37 eine plötzliche Abnahme von Heroinangebot und verfügbarkeit, offenbar einen begrenzten langfristigen Einfluss auf das Angebot hatte, wenn auch einige Experten vermuten, sie könnte zu einem verstärkten Konsum anderer Drogen unter injizierenden Heroinkonsumenten in Australien geführt haben.27 Drittens schränkten Grenzen der Erhebung von Längsschnittdaten die Möglichkeit ein, Stimulanzien vom Amphetamin-Typ und andere neuartige synthetische Substanzen mit einzuschließen, da diese Daten auf bestimmte Länder beschränkt sind und der Fokus dieser Studie auf regionalen Trends lag. Diesbezüglich ist erwähnenswert, dass die Produktion synthetischer Substanzen und der Anbau von Cannabis in Gebäuden Strategien zur Angebotsreduzierung vor besondere Probleme stellen: Diese Drogen können unbemerkt in großen Mengen produziert werden, unabhängig vom Klima oder von anderen Faktoren, die der traditionellen Drogenproduktion Grenzen setzen.20, 38 Und schließlich hat diese Analyse vor allem Muster von Preis und Reinheit einzelner illegaler Drogen beleuchtet und damit nur einen Indikator des Drogenangebots. Andere Faktoren, die etwas über die Verfügbarkeit und damit verbundene Drogenkonsumraten aussagen, wurden nicht gemessen. Diese Einschränkung bei der Bewertung des weltweiten Drogenangebots mit klassischen Messgrößen wie Preis, Reinheit und, in geringerem Umfang, Sicherstellungen legt nahe, dass es notwendig sein kann, die Palette der Messgrößen, die Regierungen und internationale Gremien wie UNODC und die Europäische Beobachtungsstelle für Drogen und Drogensucht systematisch erheben, zu erweitern. Vor allem eine sinnvolle Einbindung von Messgrößen, die sich aus von Drogenkonsumenten auf der Straße ausgefüllten Fragebögen ableiten lassen, könnte eine verlässlichere Erfassung von Angebot und Verfügbarkeit bieten. Einige Stellen wie das australische IDRS erheben solche Daten bereits,28 und diejenigen, die die Überwachung illegaler Drogen koordinieren, sollten diesen methodischen Ansatz in Betracht ziehen. Auch andere Institutionen geben Messgrößen für den Gesundheitszustand der Allgemeinheit Vorrang, zum Beispiel weniger HIV-Infektionen, weniger drogenbedingte Gewalt und weniger inhaftierte Personen.39, 40 Zusammenfassend lässt sich sagen, Längsschnittdaten aus Systemen für die Überwachung illegaler Drogen zeichnen ein generelles globales Muster fallender Drogenpreise und zunehmender Drogenreinheit und -stärke sowie ein relativ konsistentes Muster einer steigenden Zahl von Sicherstellungen illegaler Drogen. Auch wenn die Quelldaten gewisse Einschränkungen und diese Trends einige Ausnahmen aufweisen, sollten diese Erkenntnisse im Hinblick auf die aktuellen Debatten und drogenpolitischen Experimente in Lateinamerika, Nordamerika und Europa hilfreich sein.32–34 Es ist zu hoffen, dass diese Untersuchung ein Schlaglicht auf die Notwendigkeit einer neuerlichen Prüfung der Wirksamkeit nationaler und internationaler Drogenstrategien wirft, die unverhältnismäßig viel Gewicht auf eine Angebotsreduzierung auf Kosten evidenzbasierter Prävention und Behandlung eines problematischen Konsums illegaler Drogen legen.155

Anmerkung: Die im Text erwähnten Abbildungen können hier aus technischen Gründen nicht wiedergegeben werden.

152 Wir bedanken uns dafür, den Artikel an dieser Stelle abdrucken zu dürfen. Die deutsche Übersetzung wurde erstmals veröffentlicht unter http://www.franktempel.de/index.php?id=58042&no_cache=1&tx_ttn ews[tt_news]=3211988&tx_ttnews[backPid]=58040

153 LSE Expert Group on the Economics of Drug Policy (Ed., 2014): Ending the Drug Wars. London: London School of Economics and Political Science; http://www.lse.ac.uk/IDEAS/publications/reports/pdf /LSE-IDEAS-DRUGS-REPORT-FINAL-WEB.pdf

154 Originaltitel und Zitation: Werb D., Kerr T., Nosyk B. et al. (2013): The temporal relationship between drug supply indicators: an audit of international government surveillance systems. BMJ Open 2013 3: e003077; doi: 10.1136/bmjopen-2013-003077

155 An dieser Stelle folgen im Originaltext Angaben zu Danksagungen, Beitragenden, Finanzierung, konkurrierenden Interessen, Peer Review und Open Access, die hier aus Platzgründen weggelassen wurden.

Der sogenannte Drogenkrieg in Mexiko 2006-2012 und die aktuelle Politik der PRI-Regierung im Umgang mit Drogenhandel und organisierter Kriminalität – Ein kurzer Einblick

Von Annette von Schönfeld

Der sogenannte Drogenkrieg in Mexiko 2006-2012 und die aktuelle Politik der PRI-Regierung im Umgang mit Drogenhandel und organisierter KriminalitätEin kurzer Einblick Mexiko und die USA teilen eine mehr als dreitausend Kilometer lange Landgrenze. Seit es sie gibt, wird dort geschmuggelt. Viel mehr als Drogen, aber Drogen spielten und spielen eine wichtige Rolle. 80% des in den USA konsumierten Kokains gelangt aus Kolumbien über Mexiko in die USA. Heroin und Methamphetamin werden aus Mexiko direkt geliefert. War Mexiko lange vor allem Transitland für Drogen aus Kolumbien in die USA, haben spätestens seit der Schwächung der kolumbianischen Kartelle im Rahmen des Plan Colombia 148 die mexikanischen Kartelle die Oberhand im amerikanischen Drogengeschäft gewonnen. Sie halten den Löwenanteil im Transitgeschäft und Mexiko ist heute größter Produzent von Methamphetamin weltweit, aber auch Heroin wird in beträchtlichen Mengen produziert. Opiumanbau gibt es besonders in den nördlichen Bundesstaaten Mexikos schon seit Anfang des 20. Jahrhunderts und es wurde sowohl während der Prohibition schon illegal in die USA geschmuggelt, als auch z.B. während des 2. Weltkriegs von höchster Stelle angefordert um den Morphiumbedarf für die verwundeten US-Soldaten zu decken. Marihuana wird besonders im klimatisch heißen Süden von Michoacán angebaut, wo auch der wichtigste Güterhafen Mexikos, Lazaro Cardenas, liegt. Lazaro Cardenas geht in den letzten Monaten häufig durch die Medien, weil eine neue umfängliche Handelsroute bekannt geworden ist: Schiffsladungen illegal abgebauten Eisenerzes gehen nach China und Grundstoffe für die Herstellung von Methamphetamin kommen auf demselben Weg zurück nach Mexiko. Lange Zeit verlief der Drogenschmuggel in die USA weitgehend gewaltlos, zumindest so, dass keine Unbeteiligten von der Gewalt betroffen waren. Und auch als sich in den 80er Jahren größere Kartellstrukturen bildeten, vor allem um den Kokain-Transport aus Kolumbien in die USA zu managen, war das Geschäft lange regional unter den diversen Kartellen aufgeteilt. Es ist ein offenes Geheimnis, dass sich während der mehr als 70jährigen Regierungszeit der PRI149 korrupte Strukturen im Staatsapparat etablieren konnten, die am Drogenschmuggel mitverdienten und gleichzeitig zur regionalen Aufteilung des Geschäfts und damit zu einer Art friedlichem Nebeneinander der Kartelle beitrugen. Für die Bevölkerung in den zumeist sehr armen Anbau- und Grenzregionen standen und stehen die Kartelle auch für Arbeitsplätze, Macht und ökonomischen Erfolg und repräsentieren fast die einzige Möglichkeit, schnell zu Geld zu kommen. Gerade die Illegalität macht den Drogenhandel extrem lukrativ und viele, gerade Jugendliche ziehen den kurzen Ruhm der langen Trostlosigkeit vor. Vielerorts besingen sogenannte „Narcocorridos“ (Loblieder) die Taten der Drogenbosse, stilisieren sie zu Helden und befördern damit deren Attraktivität und eine Kultur der Gewalt.

Mit der zunehmenden Globalisierung nach dem Fall der Mauer, den neuen Freihandelsverträgen wie NAFTA 150, offeneren Grenzen und einer gleichzeitig bleibenden „Abschottung“ der USA nach Süden, wurden neben dem Drogenhandel auch etliche andere illegale Geschäftszweige attraktiver. Für die Grenze zwischen Mexiko und den USA gilt das z.B. für den Menschenhandel und -schmuggel oder Waffenhandel. Heute sind die Kartelle in zahlreichen Geschäftsfeldern aktiv, zu denen auch die Geldwäsche gehört und die damit verbundene stärkere Verquickung von illegalen und legalen Geschäften.

Mit der Abwahl der PRI im Jahr 2000 war das Stillhalten der Kartelle vorbei und die Gewalt und Unsicherheit im Zusammenhang mit dem Drogenhandel nahmen zu. Als 2006 Präsident Felipe Calderon von der PAN 151 sein Amt antrat, erklärte er den Kampf gegen den Drogenhandel mit harter Hand zur Chefsache mit oberster Priorität und ging buchstäblich mit aller Gewalt gegen die Kartelle vor. Da die Polizei sowohl auf Ebene des Bundes als auch der Bundesstaaten als extrem korrupt galt und gilt (Präsident Calderon selbst sprach von einem Anteil korrupter Polizei von 80%), wurde zum ersten Mal in der mexikanischen Geschichte das Militär im Inland eingesetzt, um in den Drogenkrieg einzugreifen und für Sicherheit zu sorgen. Die Situation eskalierte während der gesamten Amtszeit Calderons. 70.000 bis 100.000 Tote hat der Drogenkrieg zwischen 2006 und 2012 gefordert, mehr als 25.000 Menschen sind darüber hinaus verschwunden. Schauplatz waren, nach einer anfänglichen gescheiterten Offensive des Militärs in Michoacán, vor allem die nördlichen Bundesstaaten an der Grenze zu den USA. Unter den Opfern finden sich auch sehr viele Menschen, die weder den Kartellen noch den staatlichen Sicherheitskräften angehörten. Ihre Familien haben oft bis heute damit zu kämpfen, dass den Toten der Makel des „Irgendetwas werden sie sich schon haben zuschulden kommen lassen“ anhaftet, der sich auch auf sie überträgt. Wie stark das soziale Gefüge durch die Gewalt geschädigt ist, wird erst langsam deutlich. Allmählich entsteht ein Bewusstsein dafür, dass es sehr lange dauern kann, bis das Trauma dieses Krieges – so er denn ein Ende findet – überwunden werden kann. Heute, unter Präsident Enrique Peña Nieto und einer erneuten PRI-Regierung wird nicht mehr vom Drogenkrieg gesprochen. Die Regierung hat die Narrative verändert. Gewalt, Unsicherheit und Kartelle sind nicht mehr die Themen der Titelseiten in den Medien. Nur gezielt, bei besonderen Ereignissen, wie z.B.

anlässlich der Verhaftung von Joaquin “El Chapo“ Guzman, Ende Februar 2014, dem Chef des Sinaloa-Kartells und meistgesuchten Drogenbosses, der mehrere Jahre auf der Forbes-Liste der reichsten Männer der Welt geführt wurde, füllen entsprechende Erfolgsmeldungen die Presse. Nach dem Amtsantritt von Peña Nieto wurden neue Akzente der Sicherheitspolitik vorgestellt: eine neue, besonders ausgebildete, Gendarmerie auf Bundesebene, außerdem ein Präventionsprogramm. Die neue Gendarmerie wird frühestens Ende 2014 ihre Arbeit aufnehmen, mindestens anderthalb Jahre später als geplant. Darüber, wer diese Gendarmerie bilden wird und wo rekrutiert wird, gibt es so gut wie keine öffentlichen Informationen, und ob ein 40-Stunden-Kurs zum Thema „Kultur der Legalität“ ausreicht, um in einem Land mit 98% Straflosigkeit wirklich neue Akzente in der Polizeiarbeit zu setzen, bleibt abzuwarten. Auch vom Präventionsprogramm ist bislang wenig bekannt. Lediglich eine Initiative zur Verteilung von Brillen an sehschwache Schüler/innen, damit diese dem Unterricht folgen können und nicht vorzeitig die Schule verlassen (und straffällig werden), ist bekannt und mit gewissem Staunen aufgenommen worden. Die Zahl der Morde ist seit Amtsantritt der PRI je nach Informationsquelle kaum oder gar nicht zurückgegangen, bzw. noch angestiegen. Definitiv angestiegen sind die Zahlen von Entführungen und Erpressungen, durch deren Einnahmen sehr häufig Einkommenseinbußen im Drogengeschäft und anderen Geschäftszweigen der Organisierten Kriminalität ausgeglichen werden, wenn es zu Preisrückgang oder Ausfällen kommt. Der regionale Fokus der Gewalt hat sich mit der neuen Regierung verändert. Die Gewalt an der Nordgrenze ist zurückgegangen, auch dadurch, dass ein großer Teil des Militärs dort abgezogen wurde. Hotspot der Gewalt sind heute die Bundesstaaten Guerrero und vor allem Michoacán im Südwesten des Landes. Gerade in Michoacán hat sich die Gemengelage noch dadurch verschärft, dass seit gut einem Jahr in etlichen Gemeinden bewaffnete sog. „Selbstverteidigungsgruppen“ (Grupos de Autodefensa) entstehen. Diese beanspruchen für sich, dort, wo der Staat geringen bis gar keinen Einfluss hat, oder wo die direkte Zusammenarbeit lokaler Politiker mit der Organisierten Kriminalität vermutet wird, für Ordnung zu sorgen und die lokale Bevölkerung vor den Kartellen zu schützen, was besonders für den südlichen Teil des Bundesstaates zutrifft. Sie schwächen dadurch das Gewaltmonopol des Staates allerdings noch weiter. Ein Versuch der Regierung, diese Selbstverteidigungsgruppen in den regulären Polizeiapparat einzubinden, indem ein großer Teil von ihnen registriert wird und eine kurze Ausbildung erhält, die übrigen allerdings für illegal erklärt und bekämpft werden, ist bislang an der Unübersichtlichkeit der Gruppen gescheitert.

In der Bevölkerung wird kaum mehr vom Krieg gegen die Drogen gesprochen, wohl aber von der nach wie vor extremen Bedrohung durch die Organisierte Kriminalität und der bleibenden alltäglichen Unsicherheit, wegen der ein großer Teil der Bevölkerung das eigene Alltagsverhalten verändert hat. Mit den heftigen Militäreinsätzen in Michoacán Anfang 2014 ist zudem der Eindruck verstärkt worden, die Kartelle rückten mit ihren Aktionen immer näher an die Hauptstadt heran. Geradezu zynisch wirken dann Zeitungsüberschriften wie die aus der Zeitung Reforma vom 22.01. 2014: „Mancera (der Bürgermeister von Mexiko-Stadt) panzert die Hauptstadt gegen den Cucaracha-Effekt“, also den Effekt, dass Ungeziefer, wenn man ihm zu Leibe rückt, irgendwo anders wieder auftaucht. Die Illegalität des Drogenanbaus und, mehr noch, des Drogenhandels haben in Mexiko entscheidend zur Entstehung und zum Anwachsen der mexikanischen Kartelle in ihrer heutigen Stärke beigetragen und auch das Ausmaß der Gewalt stark beeinflusst. Immer deutlicher wird allerdings, dass Drogen heute nur (noch) einen Teil der Geschäfte der Organisierten Kriminalität ausmachen und dass eine Veränderung der Drogenpolitik, z. B. hin zu einer Entkriminalisierung, der Organisierten Kriminalität heute zwar Einbußen bescheren, sie aber nicht grundsätzlich treffen würde. Immerhin würden mit einer Entkriminalisierung oder Legalisierung vermutlich die Gewalt und die Mordzahlen vor allem auf der Ebene des Einzelhandels zurückgehen. In der Drogenpolitik Mexikos unterscheidet sich die Bundesebene von der Politik der Hauptstadt. Setzt die Bundesebene nach wie vor auf Kriminalisierung von Besitz, Konsum und Handel, ist in der Hauptstadt der Besitz in kleinen Mengen straffrei. Dort werden auch Debatten darüber geführt, den Drogenkonsum unter dem Blickwinkel öffentlicher Gesundheit zu betrachten und von Behandlung statt Kriminalisierung zu sprechen. Vorstöße hin zu einer Legalisierung oder Regulierung von Drogenkonsum und -besitz hatten bislang in Mexiko keinen Erfolg.

148 Zum großen Teil von den USA finanzierte Politik der harten Hand gegen Drogenproduzenten und –händler

149 PRI: Partido Revolucionario Institucional – Institutionalisierte Revolutionäre Partei

150 NAFTA: North American Free Trade Agreement

151 PAN: Partido de Alianza Nacional – Partei der Nationalen Allianz

Die Zukunft der internationalen Drogenpolitik als Wettbewerb der Systeme: Verbot oder Regulierung?

Von Harald Terpe

Drogenpolitik ist in Deutschland ein Randthema der Innenund Gesundheitspolitik. In vielen Staaten in Südund Mittelamerika sowie in Südostund Zentralasien ist dies anders. Dort destabilisieren die Machtkämpfe um den illegalen Drogenhandel ganze Staaten und Regionen. Die Zivilbevölkerung leidet unter enormer, zufälliger und alltäglicher Gewalt. Polizei, Militär, Verwaltung und Politik sind durch drogenhandelbedingte Korruption nur eingeschränkt handlungsfähig. Was verbindet nun Deutschland und andere westliche Staaten mit diesen scheinbar weit entfernten Regionen der Welt? Zum einen der globale Drogenhandel, viel wichtiger jedoch die gleiche völkerrechtliche Grundlage für die nationalen Drogengesetze für alle Staaten der Welt. Dieses internationale Drogenkontrollregime besteht im Kern aus drei internationalen Verträgen, die wiederum für die nationalen Drogengesetze aller Staaten die Grundlage bilden. Unterschiede bestehen insbesondere in der Höhe der Strafen, die für Drogenbesitz, -handel oder -produktion verhängt werden. Aber auch hier zeigen sich interessante Übereinstimmungen, denn sucht man im nationalen Vergleich die strafbewehrte Handlung mit den höchsten oder sehr hohen Strafen, dann wird man in der Regel im Drogenstrafrecht fündig. Beispiele hierfür sind die Mindeststrafen für Drogendelikte, in Deutschland u.a. für Drogenhandel als Mitglied einer Bande mit fünf Jahren Gefängnis, im US-Bundesstaat Rhode Island für den Besitz von mehr als fünf Kilogramm Cannabis mit 20 Jahren Gefängnis, als Mindeststrafe wohlgemerkt. In zahlreichen Staaten werden für Drogendelikte Todesstrafen verhängt und auch in großer Fallzahl vollstreckt. Jenseits der Terrorismusbekämpfung wird kein Deliktfeld vergleichbar konsequent verfolgt oder   erfordert ähnlich hohe finanzielle, personelle, polizeiliche, militärische und geheimdienstliche Mittel. Zudem bestand im Bereich der Drogenbekämpfung bis vor kurzem (Stichworte: Colorado, Washington und Uruguay) kein politischer Konflikt über die grundsätzliche Ausrichtung, dass das Drogenverbot mit allen Mitteln durchgesetzt werden muss. Dieser Konsens wird über alle ideologischen und sonstigen Differenzen der Staatengemeinschaft hinweg geteilt. Insgesamt sind dies hervorragende, praktisch einzigartige Voraussetzungen für die internationale Zusammenarbeit und die Bekämpfung des Drogenhandels und -konsums. Wäre das internationale Drogenkontrollregime nur wenige Jahre alt, würde man sagen, noch einige Jahre intensiver Drogenbekämpfung und das Problem wird sicherlich unter Kontrolle sein. Das internationale Drogenkontrollregime ist aber über 100 Jahre alt.

Das internationale Drogenverbot löst seine eigenen Versprechen nicht ein

Es ist schwierig, einen Teil des Völkerrechts auf seine Wirksamkeit und Sinnhaftigkeit hin zu überprüfen. Das internationale Drogenkontrollregime ist ein Teil des Völkerrechts und einer der ältesten Teile des Völkerrechts. In diesem Jahr jährt sich die erste internationale Opiumkonferenz in Shanghai zum 105. Mal. Das Fundament und die leitende Idee des Drogenkontrollregimes ist das Drogenverbot, verboten ist dabei praktisch jede Handlung mit Drogen, mit dem ultimativen Ziel, den Konsum zu verhindern. Ursprünglich nur den Konsum zu nicht medizinischen Zwecken, in einer Radikalisierung der internationalen Drogenpolitik auch vielfach die Verwendung von Drogen zu medizinischen Zwecken. Die Bilanz nach über 100 Jahren Drogenverbotspolitik ist mehr als ernüchternd: weder wurden durch das Drogenverbot die Zahl der Abhängigen oder die Verfügbarkeit von Drogen eingeschränkt noch war die Logik der immer härteren Strafen und der Militarisierung der Drogenpolitik erfolgreich. Noch dramatischer sind inzwischen die unbeabsichtigten Nebenwirkungen des internationalen Drogenverbots, die oben skizziert wurden. Zahlreiche wissenschaftliche Studien, internationale Untersuchungen und die Statistiken von UNODC und die Berichte der Commission on Narcotic Drugs selbst belegen das Scheitern des Drogenkontrollregimes. Zahlreiche Nichtregierungsorganisationen und immer mehr Staaten fordern zu Recht eine Änderung der internationalen Drogenpolitik. Doch meist zielen diese Reformen auf kleine Änderungen des bisherigen Systems ab – eine pragmatische Sichtweise, sicherlich – und die einzige Option innerhalb des Drogenkontrollregimes der Vereinten Nationen.

Ein Blick in die Zukunft – eine neue regulative Idee

Doch die erfolgreichen Reformen in zahlreichen OECD-Staaten und die drogenpolitischen Revolutionen in Bolivien, Uruguay und Colorado und Washington zeigen deutlich, dass der historische Scheitelpunkt des internationalen Drogenverbots überschritten ist. Im Zentrum der nächsten Jahrzehnte wird die Frage nach dem „Wie“ des Übergangs vom bisherigen Drogenkontrollregime hin zu einem neuen internationalen Drogenregulierungsregime stehen. Die neue regulative Idee wird die eines staatlich kontrollierten Drogenhandels sein. Die alte Verbotsidee hat ihre Versprechen nicht eingelöst, sie hat maßgeblich zur unkontrollierten und weltweiten Verbreitung des Drogenhandels und konsums beigetragen und gleichzeitig kriminellen Organisationen eine Geschäftsgrundlage geschaffen. Die neue Drogenpolitik muss diese jahrzehntealten Missstände korrigieren und mit einer differenzierten Risikobewertung den Zugang zu Drogen nach deren Gefährlichkeit regulieren. Jugendund Gesundheitsschutz müssen dabei an erster Stelle stehen. Strafen müssen auf ein sinnvolles Niveau abgesenkt werden, insbesondere für den Handel, der sich jenseits des staatlich regulierten Handels vollzieht. Die Regelungen für Alkohol, Tabak und Arzneimittel können hier wertvolle Anregungen geben.

Die Herausforderung – das neue Drogenregulierungsregime aufbauen

Für drogenpolitisch progressive Staaten wird die Herausforderung folgende sein: Wie baue ich ein neues internationales Drogenregulierungssystem parallel zum bestehenden Drogenverbotssystem auf? Am Anfang sollte hierbei stets die Reform der nationalen Drogengesetze stehen und die Einführung eines staatlich kontrollierten Drogenhandels am Beispiel von Cannabis oder der KokaPflanze. Die Regelungen in Neuseeland für eine kontrollierte Abgabe synthetischer Drogen in Fachgeschäften bieten ein Modell für weitergehende Schritte, wurden jedoch im Wahlkampf 2014 vorerst außer Kraft gesetzt. Im zweiten Schritt – und hier steckt der Kern des neuen Systems – schließen diese Staaten mit reformierten Drogengesetzen bilaterale Verträge über den Imund Export von Cannabisund Koka ab. Ab einer bestimmten Anzahl von Staaten, einer notwendigen kritischen Masse, wird eine internationale Konferenz ein erstes, neues völkerrechtliches Abkommen über ein internationales Drogenregulierungssystem aushandeln. Diesem neuen Abkommen werden im Laufe der Jahrzehnte die Staaten der Welt beitreten. Nicht alle, aber alle, denen die „Nebenkosten“ des Drogenverbotes für ihre Bevölkerung und ihren Staat zu hoch sind.