Cannabis als Medizin – Probleme und Handlungsbedarf aus Patientensicht

Von Axel Junker

Die Bundesregierungen der vergangenen Legislaturperioden hatten und haben kein Interesse am Thema Cannabis als Medizin, geschweige denn am Leiden der Betroffenen.
„Schwarz-Gelb gibt grünes Licht für CannabisArzneien“ hieß es 2010 anlässlich der 25. BtMÄndVo, welche die Zulassung von Fertigarzneimitteln auf Cannabisbasis ermöglichte. Diese Änderung ist und bleibt bis heute eine bloße „Lex Sativex“, die aktuell ausschließlich ein Medikament bei lediglich einer Indikation marktfähig gemacht hat. Diese Mini-Änderung der Gesetzgebung wurde im Drogenund Suchtbericht 2011 noch gefeiert. Im Bericht 2012 herrscht seither wieder Schweigen – obwohl FDP und SPD bei der Anhörung im Bundestag einen Handlungsbedarf erkannten. Cannabisblüten als Medizin sind weiterhin nur für einen Bruchteil der Patienten erhältlich. So übersteigt der Anteil der registrierten Erlaubnis-Inhaber an der Gesamtbevölkerung in Ländern wie Kanada oder Israel den für Deutschland um ein Vielfaches (siehe Grotenhermen in diesem Band).
Aus Sicht der Betroffenen sind folgende Punkte dringend notwendig, um die Achtung der Menschenrechte und die gesundheitlichen Interessen von Cannabis nutzenden Patienten sicherzustellen.

1. Lockerung der Kriterien für eine Cannabis-Ausnahmeerlaubnis
Die Hürden für eine Erlaubnis durch die Bundesopiumstelle zum Erwerb von Cannabis sind weiterhin enorm hoch.
Einer der häufigsten Ablehnungsgründe ist eine (fern-)diagnostische Prognose (respektive eine prognostische Diagnose) „möglicher Cannabis-Abhängigkeit“, die von mitunter eigenartig fachfremden Ärzten beim Bundesamt für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) erstellt wird. Ausnahmeerlaubnis-Anträge je doch negativ zu bescheiden, nur weil „der starke Wunsch Cannabis zu konsumieren“ besteht, macht bei kranken Menschen, denen Cannabis Linderung verschafft, keinen Sinn.

Ein zweiter häufiger Grund, die Erlaubnis zu versagen, ist der Status des Patienten, so lange dessen Krankheit nicht als „austherapiert“ gilt und es noch Pharmaprodukte gibt, die der zu behandelnde Kranke bislang nicht probiert hat, und die von ihm deshalb wochenoder monatelang mit allen ggf. auftretenden Nebenwirkungen regelrecht „getestet“ werden müssen.
Diese Forderung als Antragsvoraussetzung namens des BfArM macht Patienten zwangsweise zu „Medikamente-Versuchskarnickeln“. Sie müssen daher nicht selten eine Vielzahl pharmakologischer Produkte mit teilweise erheblichen Nebenwirkungen – und wiederum Medikamente gegen diese Nebenwirkungen – einnehmen, obwohl oft schon bekannt – aber ggf. nicht dokumentiert – ist, dass viele dieser Mittel nicht ausreichend wirken und/oder zu viele zu starke unerwünschte und gesundheitsschädigende Effekte zeigen.
In den meisten dieser Fälle weiß der Patient allerdings schon geraume Zeit vor Antragstellung, dass Cannabis ihm die erwünschte Linderung verschafft. Einen Antrag zu stellen, der medizinisch nicht gerechtfertigt wäre und nur den Genussgründen des Antragstellers dienen sollte, ist schon allein wegen des großen finanziellen Mehr-Aufwands auszuschließen. Insoweit kann davon ausgegangen werden, dass Anträge auf eine Ausnahmeerlaubnis in aller Regel gesundheitliche Ursachen haben.

Es sollte demnach vollkommen ausreichend sein, wenn ein Arzt feststellt, dass der Einsatz von Cannabis als Medizin beim Erkrankten sinnvoll erscheint, zumal es bei Patienten mit schweren Erkrankungen (wie beispielsweise Epilepsie) Monate und Jahre dauern kann, bis der Kranke als „austherapiert“ bezeichnet werden kann.

Die Liste schwerer Nebenwirkungen selbst alltäglicher Medikamente wie etwa Diclofenac und Metoclopramid wächst durch neue Erkenntnisse immer weiter. Patienten seitens der klinischen Abteilung beim BfArM auf solche Mittel zu verweisen und deren Einnahme zu propagieren, bevor Cannabis erlaubt werden kann, ist schlichte Nötigung und widerspricht aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnissen zu derlei bedenklichen Arzneimitteln.

Cannabis darf nicht das allerletzte Mittel der Wahl sein. Im Gegenteil: Es sollte durchaus vorrangig empfohlen werden. Für die Anwendung von Cannabis-Medikamenten sollte ebenso wie bei der Behandlung anderer Krankheiten mit anderen Mitteln für Arzt und Patienten Therapiefreiheit herrschen.

2. Cannabis-Patienten-Residenzpflicht auf den Prüfstand
Für Grenzübertritte innerhalb Europas mit erlaubtem Cannabis werden – anders als etwa in den Niederlanden – keine Genehmigungen vom Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte erteilt.
Das SCM-Mitglied Liliane Moriello monierte als in Deutschland lebende Dänin bei der EUKommission ihre Residenzpflicht bzw. Reisefreiheits-Beschränkung, die einerseits Folge der Einstufung von Cannabis in die Anlage I des BtMG ist, andererseits auch Folge eines Mangels an Schaffung(swille) entsprechend zeitgemäßer Verwaltungsvorschriften.
Das BfArM hat der mit der Sache befassten Stelle bei der EU-Kommission Kompromissvorschläge zur Lösung des Problems unterbreitet; diese sind aber für die Ausnahmeerlaubnis-Inhaberin Moriello weder praktikabel, noch deuten diese eher hilflos wirkenden Lösungsversuche seitens des BfArM auf tatsächliche Sachoder Fachkenntnisse der Cannabis-Situation in Dänemark hin.
3. Erstattung Dronabinol, Sativex und Cannabisblüten
Dronabinol, Sativex und Cannabisblüten werden von den Gesetzlichen Krankenkassen in aller Regel nicht erstattet bzw. bei Sativex nur bei Spastiken infolge multipler Sklerose. Auch ohne eine Zulassung mit Indikation ist eine Erstattung prinzipiell möglich, sei es als freiwillige Leistung der Krankenkasse oder auf Beschluss des Gemeinsamen Bundes88    ausschuss (G-BA). Der GKV-Spitzenverband stellt allerdings (seit Jahren) keinen entsprechenden Antrag beim Gemeinsamen Bundesausschuss. Fortschreitende soziale Verelendung und gesundheitliche Destabilisierung von Cannabis nutzenden Patienten sind die direkten Folgen dieser Untätigkeit.
Medizinischer Cannabis wird in Apotheken derzeit mit Gramm-Preisen zwischen knapp über 12 und 21 € gehandelt. Für viele, wenn nicht sogar die meisten Kranken, ist damit der Monatsbedarf an Cannabisblüten nur kurzfristig zu decken. Bei einem Konsumbedarf von mehren Gramm täglich ergeben sich schnell Kosten über 1000 Euro pro Monat. Im Falle des Bezugs von Hilfe zum Lebensunterhalt (Hartz IV) ist CannabisMedizin für Erkrankte generell unerschwinglich.
Über die Widersinnigkeit des vorherrschenden Mangels einer Dronabinol-Kostenerstattung gibt Ute Köhlers Schicksal seit vielen Jahren Auskunft. Ihr Fall zeigt die verheerenden gesundheitspolitischen Fehleinschätzungen in Sachen medizinisches Potenzial von Cannabis auf.
Er gibt aber auch Auskunft über die daraus resultierenden unmenschlichen Konsequenzen für Frau Köhler mit ihrem stark Schmerzgeprägten Dasein zwischen Selbstanzeige, Selbstaufgabe und selbstlosem Einsatz für die gerechte Sache MedikamentenkostenErstattung, die 2013 überraschend in die Verleihung der Bundesverdienst-Medaille mündete. Jedoch noch immer nicht zur Erstattung der Kosten für das Dronabinol durch die AOK Thüringen.

4. Private Anbau-Genehmigungen zu medizinischen Zwecken
Ein unkomplizierter Ausweg aus zu hohen Cannabismedizin-Preisen und eine Alternative zu immer wiederkehrenden Lieferausfällen seitens des Cannabis-Importeurs und auch eine Alternative zur eingeschränkten SortenAuswahl (minimale Produktpalette des europäischen Cannabismedizin-Monopolisten Bedrocan) wäre der Eigenanbau von Cannabispflanzen durch Patienten.
BfArM und BMG sind durch zahlreiche Urteile der höchsten Gerichte aktuell im Zugzwang bezüglich der Erteilung von Genehmigungen zum Anbau von Cannabis. Denn…
• Cannabis als Medizin ist zu teuer.
• Cannabis als Medizin ist nicht für jeden Patienten zugänglich.
• Cannabis als Medizin ist zu rar.
• Cannabis als Medizin zieht überdies einen Rattenschwanz an bürokratischem Aufwand mit viel zu hohen Folgekosten für den Kranken nach sich.

All das nicht selten, wenn es „nur“ um Leben und Tod geht.
Ähnlich wie bei der Erteilung von Genehmigungen zur ärztlich begleiteten Selbsttherapie werden im Falle von Erlaubnis-Erteilungen für den privaten Anbau allerdings unverhältnismäßig hohe Sicherheitsanforderungen durch das BfArM gestellt. Diese Anforderungen – so lassen erste Schreiben des Bundesinstituts erahnen – sind maßlos überzogen und lassen die durchschnittliche finanzielle Ausstattung chronisch Kranker unberücksichtigt. Die Argumente für die ablehnende Haltung zum Eigenanbau beispielsweise der Bundesärztekammer sind haltund sinnlos, denn sie ignorieren die Alternative zur nicht-standardisieren Versorgung durch Eigenanbau: Keine Versorgung.

5. Anbau-Genossenschaft nach dem Vorbild Cannabis Social Club zulassen Die europaweite Diskussion über das Modell des Cannabis Social Clubs ist gerade für Patienten interessant. Das starke Bedürfnis nach finanziell erschwinglicher CannabisMedizin-Versorgung sorgt für ersten konstruktiven Meinungs-Austausch zwischen SCM – Mitgliedern in Sachen Gründung einer oder mehrerer solidarischer Anbau-Genossenschaft/en. Für solche Social Clubs mit vorwiegend medizinischem Charakter müssen Anbau-Genehmigungen erteilt werden.
Schlussendlich muss eine juristische Duldung medizinisch begründeter SelbstversorgerMaßnahmen erfolgen; ähnlich wie dies in Belgien bei „Trekt uw Plant“ der Fall ist. Hier sind gemeinsam erarbeitete Bestimmungen des Bundesjustizministeriums unter Heiko   Maas und Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe dringend erforderlich.

6. Sorten-Auswahl – Angebotsvielfalt vergrößern Die rasch voranschreitende Forschung an medizinischen Cannabis-Sorten zur optimalen Versorgung verschiedener Krankheitsbilder hat weltweit zu einer Sortenvielfalt geführt, welche sämtliche medizinisch genau definierten Symptomkomplexe abdecken kann. Die vier in Deutschland vom Produzenten Bedrocan erhältlichen Sorten können entsprechend nur mit Einschränkung wirksam sein. Mit der Zugabe neu entwickelter medizinischer Sorten im Eigenanbau könnte die Versorgung von Patienten daher enorm optimiert werden.
Der Geschäftsführer von Bedrocan B.V. hat in einem Interview auf arte verlautbart, dass es auch in seinem Sinne sei, wenn es künftige weitere Cannabis-Anbieter zur Versorgung des stetig steigenden europäischen Bedarfs gäbe.

Fazit
Die Gesamtsituation Deutschlands in Sachen Versorgung mit Cannabismedizin im Vergleich zu anderen Ländern wie z.B. USA, Kanada, Niederlande, Spanien muss aufgrund vorliegender Erkenntnisse als gesundheitsund rechtspolitisch gewollt desolat und als erschreckendes medizinisches Entwicklungsgebiet zugleich bezeichnet werden – einer fortschrittlichen Nation jedenfalls absolut unwürdig.